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Hauptverhandlung

Autor:
 Normen 

§§ 226 – 275 StPO

§ 71 OWiG

 Information 

1. Allgemein

Mündliche Verhandlung über den Gegenstand der Anklage.

Die Hauptverhandlung im Strafprozess unterliegt folgenden Verfahrensgrundsätzen:

  • Öffentlichkeit gemäß § 169 GVG:

    Die Anforderungen an den Grundsatz der Öffentlichkeit sind erfüllt, wenn zwar nur eine begrenzte Zahl an Zuhörern zugelassen ist, diese aber beliebig ausgewählt werden. Die Verletzung des Grundsatzes der Öffentlichkeit stellt gemäß § 338 Nr. 6 StPO einen absoluten Revisionsgrund dar. Kein Verstoß gegen den Öffentlichkeitsgrundsatz liegt vor, wenn die Öffentlichkeit zum Schutze eines Zeugen oder anderer Prozessbeteiligter gemäß § 171b GVG ausgeschlossen wird.

  • Mündlichkeit gemäß § 261 StPO.

  • Unmittelbarkeit gemäß § 250 StPO:

    Zur Erfüllung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes muss das Gericht sich in der Hauptverhandlung einen eigenen Eindruck über alle entscheidungserheblichen Tatsachen verschaffen. Zulässig bleibt aber trotz der Vorgaben des § 250 StPO die Vernehmung eines Zeugen vom Hörensagen.

  • Einheitlichkeit gemäß § 229 StPO:

    Die Einheitlichkeit der Hauptverhandlung ist gemäß § 229 StPO gewahrt, wenn eine Unterbrechung nicht länger als drei Wochen dauert. Daneben kann die Hauptverhandlung bis zu einem Monat unterbrochen werden, wenn sie zuvor jeweils an mindestens 10 Tagen stattgefunden hat.

    Voraussetzung ist, dass in dem Fortsetzungstermin zur Sache verhandelt und das Verfahren gefördert wird. Dabei reicht eine auch nur geringfügige Beweisaufnahme aus. Aber auch die Erörterung von Verfahrensfragen genügt zumindest dann, wenn der Sitzungstag nicht von vornherein als sogenannter Schiebetermin konzipiert war (BGH 05.11.2008 – 1 StR 583/08).

Hinweis:

Diese Fristen können bei Vorliegen bestimmter Sachverhalte gemäß § 229 StPO gehemmt werden, siehe insofern den folgenden Gliederungspunkt.

2. Anwesenheit

Die zur Urteilsfindung berufenen Richter und Schöffen müssen während der gesamten Hauptverhandlung anwesend sein.

Ausnahmen bestehen gemäß § 229 Abs. 3 StPO bei Krankheit oder – neu zum 13.12.2019 – bei Vorliegen des Mutterschutzes oder der Inanspruchnahme der Elternzeit.

Hinweis:

Kann ein zur Urteilsfindung berufener Richter aus diesen Gründen nicht zu einer Hauptverhandlung erscheinen, die bereits an mindestens zehn Tagen stattgefunden hat (§ 229 Abs. 3 Satz 1 StPO), so kommt der Eintritt eines Ergänzungsrichters (§ 192 Abs. 2 GVG) grundsätzlich erst dann in Betracht, wenn der Richter nach Ablauf der maximalen Fristenhemmung zu dem ersten notwendigen Fortsetzungstermin weiterhin nicht erscheinen kann (BGH 08.03.2016 – 3 StR 544/15).

Denn: Der Lauf der in § 229 Abs. 1 und 2 StPO genannten Unterbrechungsfristen ist auch dann kraft Gesetzes für bis zu zwei Monate (neu zum 13.12.2019 – zuvor sechs Wochen) gehemmt, wenn eine zur Urteilsfindung berufene Person aufgrund der obigen Gründe zu einer Hauptverhandlung nicht erscheinen kann, die zuvor bereits an mindestens zehn Tagen stattgefunden hat; die Fristen enden frühestens zehn Tage nach Ablauf der Hemmung. Dies führt zu einer möglichen Gesamtunterbrechung von drei Monaten und zehn Tagen. Solange die Fristen gehemmt sind, ist für eine Ermessensentscheidung des Vorsitzenden deshalb kein Raum.

In der Person des Staatsanwalts kann ein Wechsel eintreten.

Gemäß § 230 StPO findet gegen einen ausgebliebenen Angeklagten eine Hauptverhandlung nicht statt. Ist das Ausbleiben des Angeklagten nicht genügend entschuldigt, so ist die Vorführung anzuordnen oder ein Haftbefehl zu erlassen. Eine Entbindung des Angeklagten von der Anwesenheitspflicht kann nur in den folgenden Fällen erfolgen:

  • Findet die Hauptverhandlung gegen mehrere Angeklagte statt, so kann durch Gerichtsbeschluss einzelnen Angeklagten, im Falle der notwendigen Verteidigung auch ihren Verteidigern, auf Antrag gestattet werden, sich während einzelner Teile der Verhandlung zu entfernen, wenn sie von diesen Verhandlungsteilen nicht betroffen sind (§ 231c StPO).

  • Die Hauptverhandlung kann ohne den Angeklagten durchgeführt werden, wenn er ordnungsgemäß geladen und in der Ladung darauf hingewiesen worden ist, dass in seiner Abwesenheit verhandelt werden kann, und wenn nur eine der in § 232 StPO aufgeführten Strafen zu erwarten ist.

  • Der Angeklagten kann auf seinen Antrag von der Verpflichtung zum Erscheinen in der Hauptverhandlung entbunden werden, wenn nur eine der in § 233 StPO aufgeführten Strafen zu erwarten ist.

  • Gemäß § 329 StPO kann eine Berufung des Angeklagten nicht verworfen werden, wenn zu Beginn der Berufungshauptverhandlung ein vom Angeklagten mit schriftlicher Vertretungsvollmacht versehener Verteidiger für diesen erscheint.

Der Nebenkläger unterliegt keiner Anwesenheitspflicht, er ist aber über alle Termine zu benachrichtigen.

Hinweis:

Zur Anwesenheit des Angeklagten in der Revisionshauptverhandlung siehe den Beitrag »Revision«.

3. Ablauf

Bei der Durchführung der Hauptverhandlung ist gemäß §§ 243 ff. StPO folgender Ablauf zu beachten:

  1. 1.

    Feststellung der Präsenz der an der Hauptverhandlung notwendig Beteiligten.

  2. 2.

    Bei Verfahren vor dem Landgericht oder dem Oberlandesgericht hat der Vorsitzende Richter sodann die zur Urteilsfindung berufenen Personen zu benennen.

  3. 3.

    Belehrung der Zeugen und Sachverständigen.

  4. 4.

    Entlassung der Zeugen aus dem Sitzungssaal.

  5. 5.

    Vernehmung des Angeklagten zur Person.

  6. 6.

    Verlesen der Anklageschrift.

  7. 7.

    Belehrung des Angeklagten über seine Verteidigungsmöglichkeiten:

    Nach § 136 StPO ist der Beschuldigte zu Beginn seiner Vernehmung über sein Schweigerecht zu belehren und darauf hinzuweisen, dass er jederzeit, auch schon vor seiner Vernehmung, einen von ihm zu wählenden Verteidiger befragen kann. Beide Rechte des Beschuldigten hängen eng zusammen und sichern seine verfahrensmäßige Stellung – als Beteiligter und nicht als Objekt des Verfahrens – in ihren Grundlagen. Die Belehrungspflichten schützen mithin die Selbstbelastungsfreiheit (BGH 27.06.2013 – 3 StR 435/12).

  8. 8.

    Auf Antrag erhält gemäß § 243 Abs. 5 StPO der Verteidiger in besonders umfangreichen erstinstanzlichen Verfahren vor dem Land- oder Oberlandesgericht, in denen die Hauptverhandlung voraussichtlich länger als zehn Tage dauern wird, Gelegenheit, vor der Vernehmung des Angeklagten für diesen eine Erklärung zur Anklage abzugeben, die den Schlussvortrag nicht vorwegnehmen darf. Der Vorsitzende kann dem Verteidiger aufgeben, die weitere Erklärung schriftlich einzureichen, wenn ansonsten der Verfahrensablauf erheblich verzögert würde.

  9. 9.

    Vernehmung des Angeklagten zur Sache.

  10. 10.

    Durchführung der Beweisaufnahme.

  11. 11.

    Abschließende Stellungnahmen der Verfahrensbeteiligten (Plädoyers).

  12. 12.
  13. 13.

    Urteilsberatung.

  14. 14.

    Urteilsverkündung.

Voraussetzung einer Verurteilung ist, dass der Richter von der Schuld des Angeklagten überzeugt ist.

4. Erweiterung der Anklage

Ergeben sich während der Hauptverhandlung weitere Anklagepunkte, so können diese gemäß § 266 StPO in das laufende Verfahren einbezogen werden, wenn der Angeklagte zustimmt.

Eine andere Möglichkeit der Einbeziehung weiterer Taten besteht nicht, da innerhalb einer laufenden Hauptverhandlung dem Angeklagten jenseits der Tatidentität eine Anklageerweiterung nicht aufgezwungen werden darf (BGH 11.12.2008 – 4 StR 318/08).

5. Besetzung des Gerichts

In § 76 Abs. 2 GVG ist die Besetzung der großen Straf- und Jugendkammern in der Hauptverhandlung geregelt.

Die große Strafkammer entscheidet bei Eröffnung des Hauptverfahrens über ihre Besetzung in der Hauptverhandlung durch Beschluss.

Für Fälle, in denen das Hauptverfahren bereits eröffnet ist, wird der Entscheidungszeitpunkt in § 76 Abs. 2 S. 2 GVG gesetzlich geregelt. In diesen Fällen beschließt die große Strafkammer über ihre Besetzung in der Hauptverhandlung bei der Anberaumung des Termins zur Hauptverhandlung durch den Vorsitzenden.

Die große Strafkammer ist in der Hauptverhandlung mit drei Berufsrichtern einschließlich des Vorsitzenden und zwei Schöffen besetzt, wenn sie als Schwurgericht zuständig ist oder nach dem Umfang oder der Schwierigkeit der Sache die Mitwirkung eines dritten Berufsrichters notwendig erscheint.

Hinweis:

Die Begriffe »Umfang« und »Schwierigkeit der Sache« werden in § 76 Abs. 3 GVG konturiert. Ist eine Verfahrensdauer von mehr als zehn Hauptverhandlungstagen absehbar oder ist die große Strafkammer als Wirtschaftsstrafkammer zuständig, ist die Mitwirkung eines dritten Berufsrichters in der Regel notwendig. Sollte im Einzelfall die Mitwirkung eines dritten Berufsrichters nicht notwendig erscheinen, besteht die Möglichkeit, von der Regel abzuweichen.

Die große Strafkammer ist zwingend mit drei Berufsrichtern besetzt, wenn die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung, deren Vorbehalt oder die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zu erwarten ist (Satz 3). Dies erscheint wegen der besonders einschneidenden Wirkung dieser freiheitsentziehenden Maßregeln sachgerecht. Die Formulierung »zu erwarten ist« orientiert sich an § 74 Absatz 1 Satz 2 GVG.

Liegt keine der in § 76 Abs. 2 S. 3 GVG aufgeführten Fallgruppen vor, beschließt die große Strafkammer ihre Besetzung mit zwei Berufsrichtern einschließlich des Vorsitzenden und zwei Schöffen.

Ergänzungsrichter/Ergänzungsschöffe

»Der Ergänzungsschöffe ist auch vor seinem Eintritt in das Quorum nach § 192 Abs. 2 GVG eine zur Urteilsfindung berufene Person im Sinne von § 229 Abs. 3 StPO« (BGH 03.11.2022 – 6 StR 296/21).

 Siehe auch 

Absprachen im Strafverfahren

Adhäsionsverfahren

Angeklagter

Bewährung

Einstellung des Strafverfahrens

Ermittlungsverfahren

Geständnis

Jugendgerichtshilfe

Kreuzverhör

Nebenklage

Psychosoziale Prozessbegleitung

Verhandlungsprotokoll

Zeugenschutz

Zwischenverfahren

BGH 12.01.2011 – GSSt 1/10 (Anforderung an das Verlesen des Anklagesatzes bei einer Vielzahl gleichförmiger Taten)

BGH 09.08.2007 – 3 StR 96/07 (Abgrenzung Unterbrechung – Aussetzung der Hauptverhandlung)

BGH 07.03.2006 – 1 StR 316/05 (Verwertbarkeit der Ergebnisse der Hauptverhandlung)

Bockemühl: Handbuch des Fachanwalts Strafrecht; 7. Auflage 2017

Burhoff: Verfahrenstipps und Hinweise für Strafverteidiger; Zeitschrift für die Anwaltspraxis – ZAP 2015, 789

Eisenberg/Pincus: Sachäußerungen des schweigenden Angeklagten in der Hauptverhandlung; Juristenzeitung – JZ 2003, 397

Gubitz/Bock: Zur Verbindung weiterer Verfahren während einer bereits begonnenen Hauptverhandlung gegen denselben Angeklagten; Strafverteidiger-Forum – StraFo 2007, 225

Rode: Die streitige Hauptverhandlung nach gescheiterter Absprache; Strafverteidiger-Forum – StraFo 2015, 89

Rode: Soll sich der Beschuldigte außerhalb der Hauptverhandlung äußern und gegebenenfalls wie? Strafverteidiger-Forum – StraFo 2003, 42