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Auslegung

Normen

§ 133 BGB

§ 157 BGB

§§ 2066 - 2077 BGB

§ 2087 BGB

§ 2097 BGB

Information

1 Allgemein

Auslegung ist die Ermittlung des maßgeblichen Willens des Erklärenden.

Insbesondere bei der Verwendung von unbestimmten Rechtsbegriffen bei dem Fehlen einer Begriffsbestimmung durch die höchstrichterliche Rechtsprechung ist ein Rechtsbegriff auszulegen.

Juristisch wird unterschieden zwischen

  • der Auslegung von Gesetzen

    und

  • der Auslegung von Willenserklärungen, wobei hier zu unterscheiden ist zwischen

    • der Auslegung von empfangsbedürftigen Willenserklärungen (Rechtsgeschäfte)

      und

    • der Auslegung von nicht empfangsbedürftigen Willenserklärungen (d.h. in der Praxis zumeist erbrechtliche Willenserklärungen, Testamente).

2 Auslegung von Gesetzen

Es bestehen folgende Methoden und Grundsätze zur Auslegung von Gesetzen:

  • Systematische Auslegung:

    Die Auslegung orientiert sich an der Stellung der Norm im Gesamtgefüge des Gesetzes bzw. der gesamten Rechtsordnung.

  • Teleologische Auslegung:

    Die Auslegung orientiert sich an dem Sinn und Zweck der Norm (im Strafrecht z.B. geschütztes Rechtsgut).

  • Grammatikalische Auslegung bzw. Auslegung nach dem Wortsinn:

    Die Auslegung orientiert sich an dem Sinn des Gesetzeswortlauts.

  • Historische Auslegung:

    Die Auslegung orientiert sich an der Entstehungsgeschichte der Norm zur Ermittlung ihres Sinngehalts (Anhaltspunkte ergeben sich u.a. aus den Bundestags-Drucksachen).

  • Verfassungskonforme Auslegung:

    Sofern verschiedene Möglichkeiten zur Auslegung einer Norm bestehen, ist diejenige zu wählen, die mit dem Grundgesetz im Einklang steht.

  • Unionskonforme Auslegung:

    "Die nationalen Gerichte sind nach ständiger Rechtsprechung des EuGH (..) verpflichtet, die Auslegung des nationalen Rechts unter voller Ausschöpfung des Beurteilungsspielraums, den ihnen das nationale Recht einräumt, soweit wie möglich am Wortlaut und Zweck der Richtlinie auszurichten, um das mit der Richtlinie verfolgte Ziel zu erreichen. (...) Dieser Grundsatz der unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts unterliegt nach der Rechtsprechung des EuGH allerdings bestimmten Schranken. So findet die Verpflichtung des nationalen Richters, bei der Auslegung und Anwendung der einschlägigen Vorschriften des innerstaatlichen Rechts den Inhalt einer Richtlinie heranzuziehen, ihre Schranken in den allgemeinen Rechtsgrundsätzen und darf nicht als Grundlage für eine Auslegung contra legem des nationalen Rechts dienen (OLG Hamm 23.07.2019 - 21 U 24/18).

    Aber:

    Die ausschließliche Zuständigkeit für die verbindliche Auslegung des Unionsrechts obliegt dem Europäischen Gerichtshof (EuGH 22.02.2022 - C 430/21).

  • Auslegung von Rechtsakten der EU:

    • Richtlinien-/Verordnungskonforme Auslegung:

      Die nationalen Gerichte sind nach ständiger Rechtsprechung des EuGH aufgrund des Umsetzungsgebots gemäß Art. 288 AEUV verpflichtet, zur Durchführung einer EU-Richtlinie (bzw. EU-Verordnung) erlassene Gesetze unter voller Ausschöpfung des Beurteilungsspielraums, den ihnen das nationale Recht einräumt, im Lichte des Wortlauts und des Zwecks der Richtlinie auszulegen (BGH 09.04.2002 - XI ZR 91/99).

    • Der Europäische Gerichtshof entscheidet gemäß Art. 267 AEUV über die Auslegung des Primärrechts (Rechtsakten der EU):

      Der Gerichtshof der Europäischen Union entscheidet gemäß Art 267 AEUV im Wege der Vorabentscheidung a) über die Auslegung der Verträge, b) über die Gültigkeit und die Auslegung der Handlungen der Organe, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union. Wird eine derartige Frage einem Gericht eines Mitgliedstaats gestellt und hält dieses Gericht eine Entscheidung darüber zum Erlass seines Urteils für erforderlich, so kann es diese Frage dem Gerichtshof zur Entscheidung vorlegen. Wird eine derartige Frage in einem schwebenden Verfahren bei einem einzelstaatlichen Gericht gestellt, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, so ist dieses Gericht zur Anrufung des Gerichtshofs verpflichtet.

      Nach der Rechtsprechung des EuGH (...) "muss ein nationales letztinstanzliches Gericht seiner Vorlagepflicht nachkommen, wenn sich in einem bei ihm schwebenden Verfahren eine Frage des Unionsrechts stellt, es sei denn, das Gericht hat festgestellt, dass diese Frage nicht entscheidungserheblich ist, dass die betreffende unionsrechtliche Bestimmung bereits Gegenstand einer Auslegung durch den EuGH war oder dass die richtige Anwendung des Unionsrechts derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt" (BVerfG 06.10.2017 - 2 BvR 987/16).

      Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH wird durch die Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts durch den EuGH erläutert und verdeutlicht, in welchem Sinne und mit welcher Tragweite diese Vorschrift seit ihrem Inkrafttreten zu verstehen und anzuwenden ist oder gewesen wäre. Daraus folgt, dass die Gerichte die Vorschrift in dieser Auslegung auch auf Rechtsverhältnisse, die vor Erlass des auf das Ersuchen um Auslegung ergangenen Urteils entstanden sind, anwenden können und müssen, wenn alle sonstigen Voraussetzungen für die Anrufung der zuständigen Gerichte in einem die Anwendung dieser Vorschrift betreffenden Streit vorliegen (EuGH 10.04.2014 - C 190/12).

      Nur ganz ausnahmsweise kann der EuGH aufgrund des allgemeinen unionsrechtlichen Grundsatzes der Rechtssicherheit die für die Betroffenen bestehende Möglichkeit beschränken, sich auf die Auslegung, die er einer Bestimmung gegeben hat, zu berufen, um in gutem Glauben begründete Rechtsverhältnisse infrage zu stellen. Eine solche Beschränkung ist nur dann zulässig, wenn zwei grundlegende Kriterien erfüllt sind, nämlich guter Glaube der Betroffenen und die Gefahr schwerwiegender Störungen (EuGH s.o.).

  • Auslegung der Europäischen Menschenrechtskonvention (BAG 20.10.2015 - 9 AZR 743/14):

    • Die nationalen Gerichte haben die Verpflichtung, die Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) zu berücksichtigen und in die nationale Rechtsordnung mittels einer konventionsfreundlichen Auslegung einzupassen.

    • Lässt sich aus dem nationalen Recht auch nach konventionsfreundlicher Auslegung unter Anwendung der anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung und Verfassungsinterpretation kein Anspruch herleiten, dürfen die Gerichte keine Anspruchsgrundlage annehmen.

3 Gesetzliche Auslegungsregeln

Vielfach wird die Auslegung des Gesetzes, des Rechtsgeschäfts oder der Willenserklärung auch direkt von einer Rechtsnorm vorgegeben:

Beispiele:

4 Auslegung von Willenserklärungen

4.1 Empfangsbedürftige Willenserklärungen

Ausgangslage der Auslegung sowohl von Willenserklärungen als auch von Verträgen sind die §§ 133, § 157 BGB. Danach sind Willenserklärungen / Verträge nach dem objektiven Empfängerhorizont so auszulegen, wie der Erklärungsempfänger nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte die Erklärung verstehen konnte. Abzustellen ist danach auf die Bedeutung der Erklärung nach dem allgemeinen Sprachgebrauch.

Sofern die Auslegung des Wortlauts der Erklärung zu keinem Ergebnis führt, wird auf die besonderen Auslegungsmethoden zurückgegriffen:

  • Normative Auslegung:

    Verkehrssitte oder/und Treu und Glauben werden zur Ermittlung des Gewollten herangezogen.

  • Erläuternde Auslegung:

    Auslegung nach Sinn und Zweck einer Erklärung, einer Vereinbarung.

  • Ergänzende Auslegung:

    Eine inhaltliche Lücke wird unter Berücksichtigung des hypothetischen Willens der Parteien geschlossen.

4.2 Erbrechtliche Willenserklärungen

Erbrechtliche Willenserklärungen sind nicht empfangsbedürftig, der Erbe ist in seinem Vertrauen nicht schutzbedürftig, da er keine Gegenleistung erbringt. Für die Auslegung von erbrechtlichen Willenserklärungen, insbesondere von Testamenten, ist der Empfängerhorizont unbeachtlich. Ausschlaggebend ist allein der tatsächliche Wille des Erblassers im Zeitpunkt des Abfassens der erbrechtlichen Willenserklärung.

Dazu sind im Erbrecht besondere Auslegungsregeln entwickelt worden, die der Anfechtung vorgehen. Es ist nicht erforderlich, dass der Wille des Erblassers im Testament eine Andeutung gefunden hat.

  • Erläuternde Auslegung:

    Der eindeutige Wortlaut des Testaments ermöglicht verschiedene Deutungen. Der eindeutige Wille des Erblassers ist mithilfe des Sprachgebrauchs des Erblassers zu ermitteln.

  • Ergänzende Auslegung:

    Es wird der Wille, das Motiv des Erblassers bei der Testamentsabfassung ermittelt. Das Testament wird dann unter Berücksichtigung dieses Motivs berichtigt.

  • Wohlwollende Auslegung (§ 2084 BGB):

    Bei verschiedenen Auslegungsmöglichkeiten eines Testaments ist die Auslegung zu wählen, bei der die Verfügung Erfolg haben wird.

5 Auslegung von Prozesserklärungen

Das BAG hat für die Auslegung von Prozesserklärungen folgende Grundsätze aufgestellt (BAG 26.01.2021 - 3 AZR 119/19):

"Maßgeblich für die Auslegung von Prozesserklärungen sind die für Willenserklärungen des bürgerlichen Rechts entwickelten Grundsätze. Entsprechend § 133 BGB ist nicht am buchstäblichen Sinn des in der Prozesserklärung gewählten Ausdrucks zu haften, sondern der in der Erklärung verkörperte Wille zu ermitteln. Im Zweifel sind Prozesserklärungen dahin auszulegen, dass das gewollt ist, was aus der Sicht des Erklärenden nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der wohlverstandenen Interessenlage entspricht. Dabei sind die schutzwürdigen Belange des Erklärungsadressaten zu berücksichtigen (vgl. BAG 26.07.2012 - 6 AZR 221/11 - Rn. 29 mwN)".

6 Auslegung von Tarifverträgen

Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags folgt nach ständiger Rechtsprechung des BAG den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Soweit der Tarifwortlaut nicht unmissverständlich ist, ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist ferner auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so der Sinn und Zweck der Tarifnorm ermittelt werden können. Lässt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, dann können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrags, gegebenenfalls auch die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse gilt es zu berücksichtigen. Im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (BAG 19.05.2009 - 9 AZR 505/08).

Der nur die Tarifvertragsparteien betreffende schuldrechtliche Teil des Tarifvertrags ist nach den zur Auslegung von Verträgen geltenden Grundsätzen auszulegen.

Zur ergänzenden Auslegung eines Tarifvertrages bei Vorliegen einer Tariflücke siehe den Beitrag "Tariflücke".

7 Auslegung von Versicherungsbedingungen

Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH (so u.a. BGH 14.09.2005 - IV ZR 145/04) sind Versicherungsbedingungen so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Auszugehen ist von einem Versicherungsnehmer ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse. Dabei ist insbesondere das Transparenzgebot zu beachten.

"Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an. In erster Linie ist vom Bedingungswortlaut auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind" (BGH 08.01.2020 - IV ZR 240/18, mwN).

Die Grundsätze der Auslegung von Versicherungsbedingungen nach dem Verständnis eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers erfahren dann eine Ausnahme, wenn die Versicherungsbedingungen einen Ausdruck verwenden, mit dem die Rechtssprache einen fest umrissenen Begriff verbindet. In diesen Fällen ist anzunehmen, dass darunter auch die Versicherungsbedingungen nichts anderes verstehen wollen und der Versicherungsnehmer hinnimmt, was ihm über die Rechtssprache vorgegeben wird (BGH 08.05.2013 - IV ZR 84/12).

Der Versicherungsnehmer braucht nicht damit zu rechnen, dass sein Versicherungsschutz Lücken hat, ohne dass ihm dies hinreichend verdeutlicht wird (BGH 29.09.2004 - IV ZR 170/03).

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