Störung der Geschäftsgrundlage
1 Allgemein
Mit dem Rechtsinstitut der Störung der Geschäftsgrundlage können bestehende Verträge an seit dem Vertragsschluss veränderte Umstände angepasst oder - in Ausnahmefällen - auch aufgehoben werden. Rechtsgrundlage ist § 313 BGB.
Hinweis:
Seit dem 01.01.2002 ist das vormals als Wegfall der Geschäftsgrundlage (WGG) bezeichnete Rechtsinstitut in § 313 BGB eingefügt und wird seitdem als "Störung der Geschäftsgrundlage" bezeichnet. Inhaltlich sind die Anforderungen nicht verändert worden.
Geschäftsgrundlagen sind die bei Vertragsschluss bestehenden gemeinsamen Vorstellungen beider Parteien oder die dem anderen Teil erkennbar gewordenen und nicht beanstandeten Vorstellungen der einen Vertragspartei von dem Vorhandensein oder dem künftigen Eintritt gewisser Umstände, die so selbstverständlich sind, dass sie nicht ausdrücklich Gegenstand der Vereinbarung geworden sind.
Die Geschäftsgrundlage ist abzugrenzen von dem Motiv und dem Vertragsinhalt.
2 Voraussetzungen
Die Voraussetzungen der Störung der Geschäftsgrundlage sind:
Es muss für die Vertragsstörung eine Regelungslücke bestehen (Subsidiarität).
Bestimmte Umstände sind bei Vertragsabschluss zur Geschäftsgrundlage geworden.
Diese Umstände haben sich nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert oder haben sich als falsch herausgestellt.
Die Vertragsparteien hätten den Vertrag bei Vorhersehbarkeit dieser Änderungen nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen.
Das Festhalten am Vertrag kann der benachteiligten Partei unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, nicht zugemutet werden.
3 Ausschluss
Die Anwendung der Regeln der Störung der Geschäftsgrundlage ist nach dem Urteil BGH 30.09.2011 - V ZR 17/11 ausgeschlossen,
wenn eine Sachmängelhaftung in Betracht kommt - jedoch nur insoweit, als der maßgebliche Umstand überhaupt geeignet ist, Sachmängelansprüche auszulösen.
wenn die Störung der Geschäftsgrundlage ein Risiko verwirklicht, das nach den vertraglichen Vereinbarungen in den Risikobereich einer der Parteien fällt, z.B. die Voraussetzungen einer Mängelhaftung im Einzelfall aufgrund eines wirksamen Haftungsausschlusses nicht vorliegen.
wenn eine Preisgestaltung bei Massenüberschreitungen bei einem VOB-Vertrag vorliegt (BGH 23.03.2011 - VII ZR 216/08).
4 Folge der Störung der Geschäftsgrundlage
Folge der Störung der Geschäftsgrundlage ist, dass der Vertrag gemäß § 313 Abs. 1 BGB an die veränderten Verhältnisse angepasst wird. Nur wenn dies unzumutbar ist, kommt es gemäß § 313 Abs. 3 BGB zu einem Rücktrittsrecht der benachteiligten Partei bzw. zu einem Kündigungsrecht bei Dauerschuldverhältnissen.
Nach der Entscheidung BGH 30.09.2011 - V ZR 17/11 handelt es sich bei der Anpassung "um eine vertragliche Mitwirkungspflicht, deren Verletzung Schadensersatzansprüche nach § 280 BGB (Positive Vertragsverletzung) auslösen kann".
5 Pandemiebedingte Störung im Miet- und Pachtrecht
In Art. 240 Nr. 7 EGBGB ist die pandemiebedingte Störung der Geschäftsgrundlage geregelt. Der Anwendungsbereich erfasst alle vermieteten Grundstücke und Räume, die keine Wohnräume sind.
Bei dem Vorliegen der Voraussetzungen kommt eine Stundung, eine Mietminderung und in Ausnahmefällen auch die Möglichkeit einer Kündigung in Betracht.
Auch der BGH hat sich mit dem Thema befasst (BGH 12.01.2022 - XII ZR 8/21): Danach "kommt im Fall einer Geschäftsschließung, die auf einer hoheitlichen Maßnahme zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie beruht, kommt grundsätzlich ein Anspruch des Mieters von gewerblich genutzten Räumen auf Anpassung der Miete wegen Störung der Geschäftsgrundlage in Betracht.
Bezüglich der Frage der Kündigung hat der BGH entschieden: "Bei der Prüfung, ob dem Mieter ein Festhalten an dem unveränderten Vertrag unzumutbar ist, verbietet sich eine pauschale Betrachtungsweise. Maßgeblich sind vielmehr sämtliche Umstände des Einzelfalls. Daher sind auch die finanziellen Vorteile zu berücksichtigen, die der Mieter aus staatlichen Leistungen zum Ausgleich der pandemiebedingten Nachteile erlangt hat."