Auch im Jahre 2015 wurde das private Baurecht nicht neu erfunden. Oder vielleicht doch? Nun, immerhin legte das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) im September den Referentenentwurf eines "Gesetzes zur Reform des Bauvertragsrechts und zur Änderung der kaufrechtlichen Mängelhaftung" vor. Sollte der Entwurf auch nur annähernd in der jetzigen Form die parlamentarischen Hürden nehmen, wären die Auswirkungen auf die Rechtspraxis immens: Erstmals stünden hierzulande detaillierte gesetzliche Regelungen speziell für Bau- und Architekten- sowie Ingenieurverträge zur Verfügung. Welches Schicksal dann die heute noch das Vertragsgeschehen am Bau weithin beherrschende VOB/B nehmen würde, ist ungewiss. Möglicherweise wird deren Bedeutung sich künftig wieder mehr auf den Bereich des öffentlichen Auftragswesens konzentrieren. Da es sich hier aber um einen Rückblick handelt, sollen weitere Spekulationen über die Zukunft des Baurechts unterbleiben. Ob wir dereinst auf das Jahr 2015 als Ausgangspunkt einer neuen Epoche des Baurechts zurückblicken werden, wird sich zeigen.
Welche Entwicklung hat die Rechtsprechung zum privaten Baurecht in 2015 genommen? Der VII. Zivilsenat des BGH befand sich 2015 sozusagen im Jahr 1 der "Nach-Kniffka-Ära". Wer im Hinblick auf das Ausscheiden des langjährigen Vorsitzenden befürchtet hatte, die Bedeutung der Entscheidungen des BGH zum Baurecht würde abnehmen, wird sich sicherlich nicht bestätigt sehen. Auch in 2015 hat der BGH der Baurechtspraxis wichtige, teils wegweisende Entscheidungen beschert, von denen ich hier eine - wie immer völlig subjektive - Auswahl als meine Top 10 vorstelle:
Platz 10: BGH, Beschluss vom 04.11.2015, Az.: VII ZR 282/14 - "Massenänderungen"
Worum ging's?
Bei einem VOB/B-Bauvertrag ergaben sich bei einigen Positionen erheblich geringere Massen als ursprünglich vorgesehen. Der AN machte daher einen Anspruch aus § 2 Abs. 3 VOB/B geltend und verlangte Kompensation wegen einer Unterdeckung seiner Allgemeinen Geschäftskosten und der Zuschläge für Wagnis und Gewinn. Der AG hielt dem folgende Vertragsklausel entgegen: "Massenänderungen - auch über 10 % - sind vorbehalten und berechtigen nicht zur Preiskorrektur."
Was lernen wir?
Der BGB verweist den Rechtsstreit zurück an das OLG. Er weist darauf hin, dass die zitierte Klausel, sollte es sich nach weiterer Sachverhaltsaufklärung hierbei um AGB des AG handeln, wegen unangemessener Benachteiligung des AN unwirksam ist. Bei kundenfeindlichster Auslegung wird durch die Klausel nicht nur die Preisanpassung zugunsten des AN nach § 2 Abs. 3 VOB/B ausgeschlossen, sondern auch die Preisanpassung nach den Grundsätzen über die Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB). Derartige, in der Praxis durchaus verbreitete Klauseln sind mithin in der vorliegenden Form als AGB nicht mehr haltbar. Es bedarf zumindest einer Ergänzung der Klausel in dem Sinne, dass die Grundsätze über die Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 BGB unberührt bleiben.
Platz 9: BGH, Beschluss vom 30.07.2015, Az.: VII ZR 70/14 - "Mangelbegriff"
Worum ging's?
In einem Mängelprozess hatte der BGH erneut Gelegenheit, auf den seit der Schuldrechtsmodernisierung geltenden subjektiven Mangelbegriff einzugehen: Der AN hatte für einen gepflasterten Parkplatz an Stelle des mit einer bestimmten Körnung vereinbarten Kieses einen gröberen Kies verwendet. Als sich drei Jahre nach der Abnahme Mangelsymptome wie Fahrspuren und lose Pflastersteine zeigten, verteidigte sich der AN mit dem Einwand, der AG habe die ihm obliegende Nachsandung unterlassen. Fraglich war also, ob die Verwendung eines anderen Kieses überhaupt ursächlich für die aufgetretenen Mangelsymptome war.
Was lernen wir?
Der BGH bekräftig erneut, dass allein die Abweichung der Ausführung von der vertraglich vereinbarten Beschaffenheit (Körnung) einen Mangel der Werkleistung begründet. Wenn diese Abweichung jedoch nur geringfügige Auswirkungen haben sollte, was im weiteren Verfahren durch das OLG zu klären sein wird, kann die Mangelbeseitigung unverhältnismäßig sein - mit der Folge, dass der AN diese verweigern kann.
Platz 8: BGH, Beschluss vom 11.03.2015, Az.: VII ZR 270/14 - "Umsatzsteuer"
Worum ging's?
Die Parteien stritten um Schadensersatzansprüche aus einem Architektenvertrag, der im Jahre 1996 geschlossen wurde. Der AG verlangte vom Architekten Schadensersatz einschließlich der darauf entfallenden Umsatzsteuer. Der Architekt wandte ein, die Umsatzsteuer sei noch gar nicht angefallen (und damit kein ersatzfähiger Schaden), weil die entsprechenden Arbeiten noch nicht durch Dritte ausgeführt wurden. Die hierzu ergangene Rechtsprechung des BGH aus dem Jahre 2010 (Urteil vom 22.07.2010, Az.: VII ZR 176/09) gelte jedenfalls nicht für Altfälle aus der Zeit vor 2002.
Was lernen wir?
Auch in Altfällen (die die Gerichte durchaus noch beschäftigen) kann der AG die Umsatzsteuer nur dann als Schadensersatz verlangen, wenn diese tatsächlich angefallen ist, wenn er also die Mängel durch Dritte hat beseitigen lassen. Es gilt auch hier der Rechtsgedanke, dass im Rahmen des Schadensersatzes eine Überkompensation vermieden werden soll.
Platz 7: BGH, Urteil vom 22.01.2015, Az.: VII ZR 120/14 - "Kumulierung von Sicherheiten"
Worum ging's?
Der AG nimmt den Bürgen aus einer Vertragserfüllungsbürgschaft in Anspruch. Nach den AGB des AG hatte der AN eine Vertragserfüllungsbürgschaft in Höhe von 5% der Auftragssumme zu stellen. Zudem war als Sicherheit für die Gewährleistung ein Einbehalt in Höhe von 3% von der Schlussrechnungssumme vereinbart. Zur Rückgabe der Vertragserfüllungsbürgschaft war in den AGB des AG vorgesehen, dass diese nach vorbehaltloser Annahme der Schlusszahlung erfolgen solle. Der Bürge hält die getroffene Sicherungsabrede für unwirksam und wehrt sich gegen seine Inanspruchnahme.
Was lernen wir?
Der BGH erklärt die AGB für unwirksam wegen unangemessener Benachteiligung des AN. Die Rückgabe der Vertragserfüllungsbürgschaft erst nach vorbehaltloser Annahme der Schlusszahlung durch den AN führt unter Umständen dazu, dass dem AG noch erhebliche Zeit nach der Abnahme eine Sicherheit in Höhe von insgesamt 8% der Auftrags- bzw. Abrechnungssumme zur Verfügung steht. Dies übersteigt das angemessene Maß, was zur Unwirksamkeit solcher Sicherungsklauseln führt.
Platz 6: BGH, Urteil vom 25.06.2015, Az.: VII ZR 220/14 - "Mängelbeseitigungskosten"
Worum ging's?
Der AG verlangte Schadensersatz wegen Kosten der Mängelbeseitigung durch einen Drittunternehmer. Die Forderung des AG wurde gekürzt, da dieser nicht dargelegt habe, dass es sich insoweit tatsächlich um Kosten im Zusammenhang mit der Mangelbeseitigung gehandelt habe. Hiergegen wendet sich der AG mit der zugelassenen Revision.
Was lernen wir?
Macht der AG Mängelbeseitigungskosten geltend, hat er diese darzulegen und im Streitfall zu beweisen. Der BGH stellt klar, dass an die Darlegung keine zu hohen Anforderungen zu stellen sind. Jedoch gehört zum Vortrag eine nachvollziehbare Abrechnung der entstandenen Aufwendungen, die den AN in die Lage versetzt, die Arbeiten daraufhin zu überprüfen, ob sie zur Ersatzvornahme erforderlich waren. Dies gilt insbesondere bei der Abrechnung von Stundenlohnarbeiten: Hier ist im Falle des Bestreitens des AN detaillierter Vortrag des AG erforderlich.
Platz 5: BGH, Urteil vom 11.06.2015, Az.: VII ZR 216/14 - "Schwarzarbeit"
Worum ging's?
Die Bauvertragsparteien schlossen einen Vertrag, der wegen Verstoßes gegen steuerrechtliche Vorschriften gemäß dem Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz nichtig war. Als sich nach Ausführung der Leistung Mängel zeigten, forderte der AG die bereits gezahlte Vergütung zurück.
Was lernen wir?
Der BGH klärt in dieser Entscheidung die wohl letzte offene Frage zu den Rechtsfolgen der Schwarzarbeit. Hat der AG bereits die Vergütung gezahlt, so kann er diese nicht unter dem Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung zurückverlangen. Damit sollte spätestens jetzt allen klar sein: Schwarzarbeit lohnt sich für niemanden.
Platz 4: BGH, Urteil vom 21.05.2015, Az.: VII ZR 190/14 - "Baukostenobergrenze"
Worum ging's?
In einem Architektenvertrag über die Planung und Überwachung eines Einfamilienhaus-Bauvorhabens wurde eine Baukostenobergrenze von EUR 530.000,00 vereinbart, welche um ca. 50.000,00 EUR überschritten wurde. Der AG verlangt diesen Betrag vom Architekten als Schadensersatz. Der Architekt habe ihn unzutreffend über die zu erwartenden Baukosten informiert. Hätte der AG diese von vorneherein gekannt, hätte er auf die Bauausführung verzichtet. In der Beweisaufnahme wird der Wert des Grundstücks nach der Baumaßnahme mit EUR 520.000,00 festgestellt. Das OLG spricht dem AG den geltend gemachten Schadensersatz zu, da kein auszugleichender Vorteil ersichtlich sei. Der BGH hat diese OLG-Entscheidung aufgehoben und den Rechtsstreit an das OLG zurückverwiesen, welches nun eine erneute Schadensberechnung vorzunehmen hat.
Was lernen wir?
Der BGH zeigt auf, wie der Schaden des AG in Fällen einer Baukostenüberschreitung zu berechnen ist. Erforderlich ist ein Vergleich zweier Vermögenslagen des AG: Zum Einen die Vermögenslage (inkl. Grundstückswert) ohne die Pflichtverletzung des Architekten und zum Anderen die Vermögenslage (inkl. Grundstückswert) mit der Pflichtverletzung. Im Prozess muss der Architekt darlegen, inwieweit aus seiner Sicht kosteneinsparende Gestaltungen möglich oder nicht möglich gewesen wären. Der AG muss dagegen vortragen, welche Arbeiten er kostengünstiger oder gar nicht durchgeführt hätte. Erforderlich sind sodann zwei Wertermittlungen: Zum einen ist der Wert des Grundstücks in der realen Situation nach der Baumaßnahme zu ermitteln. Dem ist der hypothetische Grundstückswert unter Berücksichtigung der kosteneinsparenden Gestaltungen gegenüberzustellen. Da maßgeblicher Zeitpunkt hierfür derjenige der letzten mündlichen Verhandlung ist, handelt es sich also um eine Rechnung mit vielen Unbekannten.
Platz 3: BGH, Urteil vom 26.03.2015, Az.: VII ZR 92/14 - "Bürgschaftsrückgabe"
Worum ging's?
Die Parteien stritten um Avalkosten in erheblicher Höhe, die für eine Bürgschaft für Mängelansprüche angefallen waren. Der AN war der Meinung, dass der AG die Bürgschaft verspätet zurückgegeben hatte. Der AG verteidigte sich mit folgender, von ihm gestellter AGB-Klausel: "Die Bürgschaft ist zurückzugeben, wenn alle unter die Gewährleistungsfrist fallenden Gewährleistungsansprüche nicht mehr geltend gemacht werden können."
Was lernen wir?
Der BGH hat die genannte AGB-Klausel wegen unangemessener Benachteiligung des AN für unwirksam erklärt. Denn die Klausel macht die Rückgabe der Bürgschaft insgesamt davon abhängig, dass der Sicherungszweck vollständig erloschen ist. Eine vorherige Teilrückgabe bzw. Teilenthaftung ist in der Klausel nicht vorgesehen. Dies kann dazu führen, dass auch nach Ablauf der Verjährungsfrist für Mängelansprüche die Bürgschaft in voller Höhe zurückbehalten werden kann, selbst wenn nur noch geringfügige gesicherte Forderungen des AG bestehen. Für die Vertragsgestaltung ist insbesondere der zweite Leitsatz der Entscheidung des BGH zu beachten: Eine vereinbarte Sicherheit für Mängelansprüche ist regelmäßig nach Ablauf der vereinbarten Verjährungsfrist insoweit freizugeben, als zu diesem Zeitpunkt keine durchsetzbaren Mängelansprüche mehr bestehen.
Platz 2: BGH, Urteil vom 07.05.2015, Az.: VII ZR 145/12 - "Anschlussberufung"
Worum ging's?
Der AN erhob eine Abschlagszahlungsklage und war damit in erster Instanz erfolgreich. Noch während des erstinstanzlichen Verfahrens erteilte der AN dem AG die Schlussrechnung. Der AG legt Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil ein. Der AN stellt in der Berufungsinstanz seine Abschlagszahlungsklage auf eine deutlich höhere Schlusszahlungsklage um. Das OLG gibt der Schlusszahlungsklage weitgehend statt.
Was lernen wir?
Anders als das OLG hält der BGH das prozessuale Vorgehen des AN für unzulässig: Dieser hätte im Hinblick auf seine höhere Schlusszahlungsforderung Anschlussberufung innerhalb der hierfür vorgesehenen Frist einlegen müssen. Die Anschlussberufung ist erforderlich, wenn sich der in erster Instanz erfolgreiche Kläger nicht auf die Abwehr der Berufung des Beklagten beschränken will, sondern eine Klageerweiterung vornehmen oder neue Ansprüche in den Prozess einführen will.
Platz 1: BGH, Urteil vom 05.11.2015, Az.: VII ZR 144/14 - "Leistungsverweigerung nach Verjährungseintritt"
Worum ging's?
Die Parteien stritten bereits seit Jahren vor Gericht um Restwerklohn des AN und Mängelansprüche des AG. Kurz nach Ablauf der fünfjährigen Verjährungsfrist für Mängelansprüche macht der AG erstmals einen (weiteren) Mangel geltend und stützt darauf ein Leistungsverweigerungsrecht im Hinblick auf den Restwerklohn. Das OLG hält dies nach Ablauf der Verjährungsfrist für Mängelansprüche für nicht mehr möglich.
Was lernen wir?
Der BGH hebt die Entscheidung des OLG auf und verweist zurück. Denn der AG kann auch noch nach Eintritt der Verjährung der Mängelansprüche wegen eines Mangels der Werkleistung ein Leistungsverweigerungsrecht gegenüber dem AN geltend machen. Voraussetzung ist jedoch, dass dieser Mangel bereits vor Ablauf der Verjährungsfrist in Erscheinung getreten war, so dass das darauf gestützte Leistungsverweigerungsrecht in unverjährter Zeit hätte geltend gemacht werden können (§ 215 BGB). Anders als nach früherem Recht verlangt der mit der Schuldrechtsmodernisierung eingeführt § 215 BGB nicht mehr, dass der AG dem AN den Mangel in unverjährter Zeit angezeigt hat. Gerade in Anbetracht der häufig sehr langen Dauer von Bauprozessen ist diese Entscheidung für AN sehr gefährlich. Denn der AG kann im Prozess noch nach Ablauf der Verjährungsfrist für Mängelansprüche weitere Mängel "nachschieben" und diese der Werklohnforderung des AN entgegenhalten. Der AG muss dann aber beweisen, dass der Mangel in unverjährter Zeit bereits in Erscheinung getreten war, also geltend gemacht werden konnte.
Resümee:
Natürlich können diese Kurzzusammenfassungen nicht das Studium der Entscheidungen im Volltext ersetzen. In diesem Sinne:
Frohe Weihnachten und alles Gute für 2016!
RA Dr. Andreas Schmidt
Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht
SMNG Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Köln
E-Mail: koeln@smng.de