Beratungshilfe "All Inclusive": Wie in der Beratungshilfe zur Kostenersparnis die Meinungen der Rechtsanwaltskammer, des Bundesgerichtshofs und des Bundesverfassungsgerichts ignoriert werden.

Staat und Verwaltung
04.01.20077656 Mal gelesen

Die Rechtspfleger der Abteilung "Beratungshilfe" bei den Amtsgerichten Emmerich am Rhein und Kleve stellen für die Familiensachen Berechtigungsscheine nach der Methode der Reiseanbieter "All Inclusive" aus: Der Text lautet regelmäßig

 

"für Scheidung und Folgesachen".

 

Die Rechtspfleger lassen sich in ihrer Rolle als Hüter des Staatsschatzes nicht beirren durch die Auffassung der Rechtsanwaltskammer Düsseldorf. Ich habe mich nämlich selbst angezeigt, weil ich überhaupt keine Lust mehr habe, für sage und schreibe € 30,00 eine Rundum-Beratung zu den Themen

  • Scheidung,
  • Elterliche Sorge
  • Umgang der Eltern mit den Kindern
  • Kindesherausgabe
  • Kindesunterhaltspflichten
  • Trennungsunterhaltspflichten
  • Geschiedenenunterhaltspflichten
  • Versorgungsausgleich
  • Zuweisung von Ehewohnung und Hausrat
  • Güterrechtliche Ansprüche, Schuldenproblematik
  • Gewaltschutzmaßnahmen

durchzuführen, für € 30,00 die Haftung für einen Beratungskomplex zu übernehmen, der richtungweisend für den Rest des Lebens des / der Beratenen wird.

 

Die Rechtsanwaltsammer Düsseldorf (V 92/03) vertritt folgende Auffassung:

 

Nach § 49 a BRAO ist der Rechtsanwalt verpflichtet, die in dem Beratungshilfegesetz vorgesehene Beratungshilfe zu übernehmen. Er kann die Beratungshilfe im Einzelfall aus wichtigem Grund ablehnen.

Nach Auffassung der Rechtsanwaltskammer ist ein wichtiger Grund zur Ablehnung der Beratungshilfe dann gegeben, wenn dem Rechtsanwalt die Ausführung der Beratungshilfe aus offensichtlich zutage getretenen Gründen nicht zugemutet werden kann. Solche Gründe sind unter anderem darin zu sehen, dass der Berechtigungsschein als Grundlage der Abrechnung der Beratungskosten Einschränkungen vorgibt, die keine gesetzliche Grundlage haben.

In dem von Ihnen vorgelegten Berechtigungsschein des Amtsgerichts Emmerich am Rhein vom 15.10.2004 ist dargestellt:

"Beratung und Vertretung bezüglich Scheidung und Geltendmachung von Kindes- und Ehegattenunterhalt für die Dauer des Getrenntlebens"

 

Als einheitlicher Beratungsgegenstand.

Der Kammervorstand ist der Auffassung, dass das Rechtsgebiet Scheidung einerseits, Kindesunterhalt andererseits sowie Trennungsunterhalt für den Ehegatten verschiedene gebührenrechtliche Angelegenheiten darstellen. Erfolgt in diesen Angelegenheiten die Rechtsberatung, so entstehen jeweils gesonderte Beratungsgebühren. Wird den gesetzlichen Regelungen zur einheitlichen Rechtssache bei der Abrechnung der Beratungshilfekosten nicht Rechnung getragen, so stellt dies einen wichtigen Grund zur Ablehnung der Beratungshilfe dar. Der Kammervorstand sieht demgemäß in der Ablehnung der Beratungshilfe auf der Grundlage des von Ihnen vorgelegten Berechtigungsscheins keinen berufsrechtlich zu ahndenden Verstoß gegen die Beratungsverpflichtung des § 49 a BRAO.


Noch mal: Das interessiert die Rechtspfleger hier überhaupt nicht, was wiederum nicht verwundert, da die Herren sich nicht einmal vom Bundesverfassungsgericht beeindrucken lassen.

Ich hatte eine Mutter zum Unterhaltsanspruch des Kindes und zum Umgangsrecht des Vaters beraten, nachdem mir ein Berechtigungsschein vorgelegt worden war, und habe zwei mal die Beratungsgebühr abgerechnet, die aber nur einmal bekommen.

Das Bundesverfassungsgericht hat meine Verfassungsbeschwerde nicht angenommen, aber - selten genug - dennoch eine, nämlich folgende Begründung gegeben:

Aus verfassungsrechtlicher Sicht spricht viel dafür, die Beratung über den Unterhalt des Kindes und das Umgangsrecht des Vaters nicht als dieselbe Angelegenheit gem. § 13 II 1 BRAGO anzusehen, um den Rechtsanwalt, der in der Beratungshilfe ohnehin zu niedrigen Gebühren tätig wird, nicht unnötig zu belasten. Gleichwohl kann im Einzelfall die mit dem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang der Bearbeitung begründete gegenteilige Auffassung verfassungsrechtlich vertretbar. (BVerfG (2. Kamme des Ersten Senats), Beschl. vom 31.10.2001 -1 BvR 1720/01, u.a. NJW 2002, 429)

Was die Fachgerichte diesbezüglich betreiben, ist den Zerberus zu geben am Eingangsportal zum Recht, ist massenhafte Rechtsverweigerung statt Rechtsgewährung.

Der Direktor des Amtsgerichts Emmerich am Rhein hat auf einer Veranstaltung mit Richtern und Anwälten erklärt, weder die Beratungshilfe noch die Prozesskostenhilfe sei für die Anwaltschaft geschaffen.

Abgesehen davon, dass dies hinsichtlich der Gebührenregelung stimmt, die angesichts der Pflicht jedes einzelnen Rechtsanwalts, gem. § 49 a BRAO Beratungshilfe zu leisten zu gesetzlich definierten niedrigsten Gebühren, nach Beiordnung eine Partei vor Gericht zu vertreten zu deutlich gegenüber den "gesetzlichen Gebühren" herabgesetzten Gebühren, in beiden Gesetzen also wohl eher "gegen" als für die Anwaltschaft geschaffen sind,

(man stelle sich vor, was in unserem Lande los wäre, wenn morgen ein Gesetz geschaffen würde, worin die Lebensmittelhändler gezwungen würden, Grundnahrungsmittel an die Bezieher von Leistungen nach SGB II zur Hälfte des ausgezeichneten Preises abzugeben)

sieht (deshalb) das Bundesverfassungsgericht auch dies anders:

Das Bundesverfassungsgericht musste sich mit der Frage befassen, ob die ebenso beliebte gerichtliche Methode, Rechtsanwälte ihre Verachtung spüren zu lassen, nämlich bei beiderseitiger Prozesskostenhilfe im Scheidungsverfahren den Gegenstandswert immer auf den Mindestwert von € 2.000,00 festzusetzen, eine verfassungswidrige Verletzung anwaltlicher Berufsfreiheit sei, und hat dies bejaht:

"Die von den Gerichten des Ausgangsverfahrens vertretene Auffassung berücksichtigt nicht, dass sich der vorliegende Eingriff in die Berufsfreiheit nicht durch die Verfolgung von Gemeinwohlbelangen rechtfertigen lässt. Insbesondere kann hierfür nicht der Schutz der Staatskasse, die gemäß § 121 BRAGO (jetzt § 45 Abs. 1 RVG) die Kosten des beigeordneten Anwalts übernehmen muss, angeführt werden. Das Ziel der Schonung öffentlicher Kassen stellt bei Vergütungsregelungen zwar eine an sich vernünftige Erwägung des Gemeinwohls dar (vgl. BVerfGE 101, 331 349> ). Der Gesetzgeber hat dem jedoch bereits umfassend bei der Reduzierung der Vergütungssätze der im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwälte in § 123 BRAGO (jetzt § 49 RVG) Rechnung getragen. Da die Tätigkeit eines im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalts in qualitativer wie in quantitativer Hinsicht keine andere ist als die des in gewöhnlicher Weise beauftragten Rechtsanwalts, kann - auch unter dem Gesichtspunkt der erhöhten Solvenz des staatlichen Kostenschuldners - die spürbar reduzierte Vergütung nur im Hinblick auf die fiskalischen Interessen des Staates gerechtfertigt sein. Hingegen kommt die Festsetzung des Streitwerts derzeit nicht als Mittel zu einer gleichmäßigen und damit umfassenden Reduzierung öffentlicher Ausgaben in Betracht, weil sich insbesondere die am Klägerinteresse orientierte Wertermittlung in vermögensrechtlichen Streitigkeiten einer Berücksichtigung dieses Anliegens entzieht (vgl. § 12 Abs. 1 GKG a.F., jetzt § 48 Abs. 1 GKG).

Sind hiernach die fiskalischen Belange durch den Gesetzgeber bereits bei der Gebührenregelung für die in Prozesskostenhilfesachen beigeordneten Rechtsanwälte berücksichtigt, so können diese Belange im Hinblick auf Art. 12 Abs. 1 GG durch die Rechtsprechung nicht nochmals zur Rechtfertigung einer Reduzierung des Streitwerts herangezogen werden, um so die Vergütung der Rechtsanwälte noch weiter abzusenken.

Die Gerichte des Ausgangsverfahrens waren nicht gehindert, bei der Auslegung des Gesetzes die Bedeutung der Berufsfreiheit des Beschwerdeführers zu beachten. Entgegen der Ansicht der Gerichte des Ausgangsverfahrens zwingt das geltende Recht nicht dazu, in Ehesachen bei beiden Parteien bewilligter Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung lediglich den Mindeststreitwert von 2.000 € anzusetzen.

Die auf den Normzweck ausgerichtete Überlegung des Oberlandesgerichts im Ausgangsverfahren, die Berücksichtigung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse beruhe auf dem Ansatz, dass Besserverdienenden höhere Scheidungskosten zugemutet werden könnten, dies komme aber nicht mehr zur Geltung, wenn die Parteien gar keine Kosten mehr selbst zu tragen hätten, geht fehl. Die Anknüpfung des Streitwerts an die Einkommens- und Vermögensverhältnisse beruht zwar auf dem Bestreben, im konkreten Fall die Festsetzung angemessener Gebühren nach sozialen Gesichtspunkten zu ermöglichen (vgl.BVerfGE 80, 103 107>). Daraus folgt aber nicht, dass dann, wenn dieser soziale Aspekt entfällt, weil die Parteien ohnehin keine Kosten tragen, der Streitwert auf den Mindestwert zu bemessen wäre. Vielmehr könnte hieraus auch eine Anhebung der Gebühren hergeleitet werden, weil es einer Absenkung aus sozialen Gründen nicht mehr bedarf."

(Aus: 1 BvR 46/05 vom 23.8.2005)

Transponieren wir vor dem Hintergrund der Entscheidung 1 BvR 172/01 (siehe oben) zwei der vorstehenden Kernsätze nur ein klein wenig, dann lauten die:

"Sind hiernach die fiskalischen Belange durch den Gesetzgeber bereits bei der Gebührenregelung für die in Beratungshilfesachen tätigen Rechtsanwälte berücksichtigt (maximales Beratungshonorar € 30,00), so können diese Belange im Hinblick auf Art. 12 Abs. 1 GG durch die Rechtsprechung nicht nochmals zur Rechtfertigung einer Einbeziehung diverser gebührenrechtlich selbständiger Angelegenheiten zu einer einzigen gebührenrechtlichen Angelegenheit (alle für € 30,00) herangezogen werden, um so die Vergütung der Rechtsanwälte noch weiter abzusenken."

 

"Die Gerichte des Ausgangsverfahrens waren nicht gehindert, bei der Auslegung des Gesetzes die Bedeutung der Berufsfreiheit des Beschwerdeführers zu beachten. Entgegen der Ansicht der Gerichte des Ausgangsverfahrens zwingt das geltende Recht nicht dazu, in Beratungshilfesachen die Sachen des § 621 I ZPO gebührenrechtlich als eine Angelegenheit zu behandeln und den Rat suchenden lediglich einen Berechtigungsschein auszustellen statt so viele Scheine, wie es Angelegenheiten der Beratung gibt."

Das hat die beteiligten Rechtspfleger nicht beeindruckt. Warum auch, sie sind keine unabhängigen Richter, sondern der verlängerte Arm der Bezirkrevisoren, die wiederum der verlängerte Arm der Justizminister.

Vielleicht erweist sich an dieser Stelle auch, warum es für manche Dinge halt doch der Befähigung zum Richteramt bedarf.

Schließlich beeindruckt auch die Entscheidung des Bundesgerichtshofs XII ZB 19/04 vom 10. März 2005 zur Mutwilligkeit der isolierten Geltendmachung einer zivilprozessualen Scheidungsfolgensache die Herren Rechtspfleger nicht.

Das Amtsgericht - Familiengericht - hat den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe mit der Begründung zurückgewiesen, die Rechtsverfolgung sei mutwillig, da der Antragsteller es unterlassen habe, den Anspruch auf Zahlung von Zugewinnausgleich kostengünstiger im Scheidungsverbund geltend zu machen. Das OLG hatte das Amtsgericht bestätigt, was auch sonst, es ging ja mal wieder gegen höhere Anwaltsgebühren.

Der BGH hat die Fachgerichte aufgehoben. Unmissverständlich hat der BGH erklärt, bis auf den Versorgungsausgleich als geborene Verbundsache seien alle anderen Sachen nur auf Antrag in den Verbund zu ziehen (das Sorgerecht vom Amts wegen, dann aber auf Antrag wieder herauszutrennen, siehe § 623 II ZPO).

Im Kern handle es sich bei den verschiedenen Regelungssachverhalten um grundverschiedene Dinge; die zusammen zu verhandeln, sei ein Angebot des Gesetzgebers, das man annehmen könne, aber nicht annehmen müsse.

Wenn es für die selbst zahlende Partei gute Gründe gebe, von dem Angebot der Verbundentscheidung keinen Gebrauch zu machen, könne der armen Partei kein Missbrauch vorgeworfen werden, wenn sie sich verhalte wie die selbst zahlende Partei.

Da wird also das Märchen von den so genannten Scheidungsfolgesachen und vom Zwangsverbund entmystifiziert, und was sagen die Beratungshilferechtspfleger?

Richtig, diese Entscheidung des BGH betreffe die Prozesskostenhilfe, und wir hätten uns über Beratungshilfe zu unterhalten. Augen zu und durch.

Oh Herr, lass Abend werden.

Was wird erst das Bundesverfassungsgericht zu tun bekommen, wenn demnächst die Rechtspfleger auch noch für die Prozesskostenhilfebewilligung zuständig werden, wo doch für die geplante Gesetzesänderung Einsparungen das einzige Motiv sind, und die Rechtspfleger getragen sind von vorauseilendem Gehorsam?

Da wird dann am Jahresende nicht mehr nach oben gemeldet, wie vielen Menschen man den Zugang zum Recht durch Bewilligung von Prozesskostenhilfe eröffnet habe, sondern, wie vielen man den Zugang zum Recht verweigert, wie viel Geld man auf diese Weise der Landeskasse erspart habe. Rechtsgewährung nach Kassenlage.

Dass die Justiz auch die "Dritte Gewalt" genannt wird; wer hat das denn noch in der Schule gelernt?