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Kapitalverkehrsfreiheit in der EU

 Normen 

Art. 63 - 66 AEUV

RL 88/361

 Information 

1. Allgemein

Eine der Grundfreiheiten in der EU.

Die in Art. 63 AEUV geregelte Kapitalverkehrsfreiheit umfasst die Übertragung von Geld- und Sachkapital, insbesondere zu Anlage- und Investitionszwecken. Ziel ist der von der EU langfristig angestrebte einheitliche EU-Finanzraum.

Die Kapitalverkehrsfreiheit ermöglicht es, in anderen EU-Mitgliedsländern Investitionen zu tätigen, sowie Grundstücke oder Beteiligungen an Gesellschaften zu erwerben.

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs gilt die in Art. 63 AEUV verankerte Freiheit des Kapital- und Zahlungsverkehrs unmittelbar und bedarf keiner Umsetzung der Mitgliedsstaaten.

Es besteht keine gesetzliche Definition der Kapitalverkehrsfreiheit. Ihr Anwendungsbereich erstreckt sich nach der Ansicht der Rechtsprechung auf anlagebezogene Übertragungen von Geld- oder Sachkapital. Geschützt sind die Übertragungen zwischen den Mitgliedsstaaten, sofern die übertragende Person / Gesellschaft einen Wohnsitz / Niederlassung in einem Mitgliedstaat unterhält.

Daneben gilt die in Art. 63 AEUV festgelegte Kapitalverkehrsfreiheit grundsätzlich auch für den Kapitalverkehr zwischen den EU-Mitgliedsländern und Drittstaaten, wobei die Staaten des Europäischen Wirtschaftsraums aufgrund gesonderter Vereinbarungen wie EU-Mitgliedsstaaten zu behandeln sind.

Gemäß Art. 66 AEUV kann der Rat der Europäischen Union gegenüber Drittstaaten aus politischen Gründen Wirtschaftssanktionen erlassen.

Die in Art. 63 Absatz 2 AEUV geregelte bestehende Freiheit des Zahlungsverkehrs wird teilweise der Kapitalverkehrsfreiheit zugeordnet, teilweise als eigenständige, fünfte EU-Grundfreiheit angesehen. Zweck dieser Grundfreiheit ist die Sicherstellung des freien Binnenmarkts bei der Erbringung der Gegenleistung (Zahlung des Kaufpreises) im Waren- und Dienstleistungsverkehr.

2. Einschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit

Beschränkungen der Kapitalverkehrsfreiheit sind Maßnahmen oder Bestimmungen, die den Kapitalverkehr zwischen den Mitgliedstaaten selbst und zwischen den Mitgliedstaaten und Drittstaaten beeinträchtigen.

Die grundsätzliche Freiheit des Kapitalverkehrs kann aus folgenden Gründen / durch folgende Vorschriften eingeschränkt werden:

  1. a)

    Aus den in Art. 65 AEUV gesetzlich geregelten Gründen:

    • durch nationales Steuerrecht:

      Steuerpflichtige, bei denen der Wohnort und der Kapitalanlageort auseinander fallen, dürfen unterschiedlich besteuert werden. Denn auch innerhalb der Europäischen Union gilt das Souveränitätsprinzip, nach dem die Staaten über die Besteuerung der ihnen zugänglichen Steuerquellen souverän entscheiden. Als Konsequenz müssen Abgrenzungsfragen zwischen ihnen durch völkerrechtliche Verträge, d.h. Doppelbesteuerungsabkommen geregelt werden.

      Diese Bestimmung ist, da sie eine Ausnahme vom Grundprinzip des freien Kapitalverkehrs darstellt, eng auszulegen. Sie kann somit nicht dahin verstanden werden, dass jede Steuerregelung, die zwischen Steuerpflichtigen nach ihrem Wohnort oder nach dem Staat ihrer Kapitalanlage unterscheidet, ohne Weiteres mit dem Vertrag vereinbar wäre.

      Die nach Art. 65 Abs. 1 Buchst. a) AEUV zulässigen Ungleichbehandlungen müssen daher von den nach Art. 65 Abs. 3 AEUV verbotenen Diskriminierungen unterschieden werden. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs kann eine nationale Steuerregelung wie die im Ausgangsverfahren streitige aber nur dann als mit den Vertragsbestimmungen über den freien Kapitalverkehr vereinbar angesehen werden, wenn die von ihr vorgesehene Ungleichbehandlung Situationen betrifft, die nicht objektiv miteinander vergleichbar sind, oder durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses (Gemeinwohl) gerechtfertigt ist.

      • Zulässig ist danach z.B. eine Regelung, die es einer in diesem Mitgliedstaat wohnenden und dort unbeschränkt steuerpflichtigen Person nicht gestattet, Verluste aus der Veräußerung von unbeweglichem Vermögen, das in einem anderen Mitgliedstaat belegen ist, von den im erstgenannten Mitgliedstaat zu versteuernden Einkünften aus beweglichem Vermögen in Abzug zu bringen, während dies unter bestimmten Voraussetzungen möglich wäre, wenn sich das unbewegliche Vermögen im erstgenannten Mitgliedstaat befände (EuGH 07.11.2013 - C 322/11).

      • Unzulässig ist eine Regelung, nach der eine Steuerbefreiung nicht für die Dividenden gilt, die in diesem Mitgliedstaat ansässige Gesellschaften an einen Investmentfonds ausschütten, der in einem Drittstaat ansässig ist, sofern es zwischen dem betreffenden Mitgliedstaat und dem Drittstaat eine vertragliche Verpflichtung zur gegenseitigen Amtshilfe gibt, die es den nationalen Steuerbehörden ermöglicht, die Auskünfte zu überprüfen, die der Investmentfonds eventuell übermittelt (EuGH, 10.04.2014 C 190/12).

    • zum Schutz vor Zuwiderhandlungen gegen innerstaatliche Rechts- und Verwaltungsvorschriften

    • wenn der Zweck der Vorschrift nur in der Regelung der näheren Umstände des freien Kapitalverkehrs besteht

    • zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (insbesondere Vorschriften gegen Terrorismus, Drogenhandel, Geldwäsche)

    Allgemein gefasst kann die Freiheit durch Gesetze eingeschränkt werden, deren Schutzzweck außerhalb der Kapitalverkehrsfreiheit liegt. Dabei ist gemäß Art. 65 Absatz 3 AEUV immer ein Willkür- sowie Umgehungsverbot zu beachten.

    Durch einzelstaatliche Maßnahmen darf weder eine willkürliche Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des Kapitalverkehrs ausgeübt werden.

  2. b)

    Aus den von der Rechtsprechung entwickelten Gründen:

    • Die Bestimmung soll formal unterschiedslos für in- und EU-ausländischen Kapital- und Zahlungsverkehr gelten.

    • Sie ist erforderlich, um zwingenden Erfordernissen des Gemeinwohls gerecht zu werden.

3. Bargeldloser Zahlungsverkehr

Seit dem Start von SEPA (Single Euro Payments Area) im Januar 2008 wird nicht mehr zwischen nationalen und grenzüberschreitenden Zahlungen unterschieden. SEPA steht für den einheitlichen Euro-Zahlungsverkehrsraum, in dem alle Zahlungen wie inländische Zahlungen behandelt werden. Im grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr ist der einheitliche Binnenmarkt damit verwirklicht.

Verpflichtend sind alle Überweisungen und Lastschriften als SEPA-Überweisung bzw- SEPA-Lastschrift geführt. Damit wurden die innerstaatlichen Kontonummern und Bankleitzahlen durch die IBAN und den BIC ersetzt.

4. Kapitalmarktunion

Die Europäischen Union plant die Schaffung einer Kapitalmarktunion zur Schaffung tiefer und besser integrierter Kapitalmärkte in den 28 Mitgliedstaaten. Dabei prüft die Kommission Möglichkeiten um der Fragmentierung der Finanzmärkte entgegenzuwirken, die Finanzquellen zu diversifizieren, die grenzübergreifenden Kapitalflüsse zu stärken und den Zugang vor allem kleiner und mittlerer Unternehmen zu Finanzmitteln zu verbessern:

  • Verbesserter Zugang zu Finanzierungen für alle Unternehmen in Europa und Investitionsvorhaben, insbesondere Start-ups, KMU und langfristige Projekte.

  • Verstärkung und Diversifizierung der Finanzierungsquellen von Investoren in der EU und aller Welt.

  • Effektiveres Funktionieren der Märkte, sodass Verbindungen zwischen Investoren und denen, die Finanzmittel benötigen, sowohl innerhalb der Mitgliedstaaten als auch grenzübergreifend, effizienter und effektiver werden.

5. Deutsches Erbrecht

Die EU-Kommission hat im November 2015 Deutschland aufgefordert, seine Erbschaftsteuervorschriften über besondere Versorgungsfreibeträge mit dem EU-Recht in Einklang bringen.

Die deutschen Steuerbehörden können überlebenden Ehepartnern oder Lebenspartnern eines Verstorbenen nur dann einen besonderen Versorgungsfreibetrag gewähren, wenn entweder der Erbe oder der Erblasser oder beide in Deutschland steuerpflichtig waren. Überlebenden Ehepartnern oder Lebenspartnern steht dieser Versorgungsbeitrag nicht zu, wenn sie in Deutschland befindliche Vermögenswerte oder Investitionen erben, der Erblasser und der Erbe jedoch in einem anderen Mitgliedstaat steuerpflichtig sind.

Nach Auffassung der EU-Kommission handelt es sich dabei um eine ungerechtfertigte Einschränkung des freien Kapitalverkehrs, da der Wert des Nachlasses gemindert werde, wenn die Kriterien bezüglich der Steuerpflicht nicht erfüllt sind. Zudem könnte dies Staatsangehörige anderer EU-Staaten davon abhalten, ihr Kapital in Vermögenswerte in Deutschland zu investieren. Falls die EU-Kommission binnen zwei Monaten keine zufriedenstellende Antwort erhält, kann sie Deutschland vor dem EuGH verklagen.

 Siehe auch 

Dienstleistungsfreiheit in der EU

Freizügigkeit in der EU

Grundfreiheiten in der EU

Kapitalertragsteuer

Warenverkehrsfreiheit in der EU

Zinsen

Zinsen - Sicherstellung der Besteuerung

BFH 29.08.2012 - I R 7/12 (Vorrang der Niederlassungsfreiheit vor der Kapitalverkehrsfreiheit)

EuGH 08.11.2007 - C-379/05 (Doppelbesteuerungsabkommen und Kapitalverkehrsfreiheit)

EuGH 03.10.2006 - C 452/04 (Abgrenzung einer gewerbsmäßigen Kreditvergabe als Dienstleistung bzw. Warenverkehrsfreiheit)

EuGH 15.07.2004 - Rs C 242/03 (Kapitalverkehrsfreiheit und Freibeträge bei einem Erwerb von Gesellschaftsanteilen)

Assies/Beule/Heise/Strube: Handbuch des Fachanwalts Bank- und Kapitalmarktrecht; 3. Auflage 2012

Hindelang: Direktinvestitionen und die Europäische Kapitalverkehrsfreiheit im Drittstaatenverhältnis; Juristenzeitung - JZ 2009, 829

Rapp-Jung/Bartosch: Das neue VW-Gesetz im Spiegel der Kapitalverkehrsfreiheit. Droht wirklich ein neues Vertragsverletzungsverfahren?; Betriebs-Berater - BB 2009, 2210

Schubert: Der Diskriminierungsschutz der Organvertreter und die Kapitalverkehrsfreiheit der Investoren im Konflikt; Zeitschrift für Wirtschaftsrecht und Insolvenzpraxis - ZIP 2013, 289

Schwintowsky: Bankrecht; 4. Auflage 2014

Wachter: Freibeträge bei beschränkter Erbschaftssteuerpflicht und europäische Kapitalverkehrsfreiheit; Internationales Steuerrecht - ISTR 2004, 361