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Freizügigkeit in der EU

 Normen 

Art. 45 - 48 AEUV

Verordnung 492/2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union

FreizügG/EU

Art. 11 GG

BT-Drs. 19/21750 (zu den 2021 in kraft getretenen Änderungen)

 Information 

1. EU-Recht

1.1 Allgemein

Arbeitnehmer, die Staatsangehörige eines EU-Mitgliedstaates sind, haben das Recht, in jedem Land der Europäischen Union eine Beschäftigung auszuüben und sich zu diesem Zweck in dem jeweiligen Staat aufzuhalten.

Das Recht der Freizügigkeit ist eng verbunden mit dem Recht auf Anerkennung von Berufsqualifikationen in der EU.

1.2 Rechtsgrundlagen

Primäre Grundlage der Freizügigkeit sind die Art. 45 - 48 AEUV und das FreizügG/EU.

Diese Vorgaben werden durch das sekundäre Gemeinschaftsrecht (u.a. EU-Richtlinien, EU-Verordnungen und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs sowie des Gerichts der Europäischen Union) konkretisiert:

Die wichtigste Verordnung ist die Verordnung 492/2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union. Zudem bestehen u.a. folgende, die Freizügigkeit durch das Sozialversicherungsrecht ergänzende Rechtsgrundlagen:

  • die RL 98/49 zur Wahrung ergänzender Rentenansprüche von Arbeitnehmern und Selbstständigen

  • die Richtlinie 2014/50 über Mindestvorschriften zur Erhöhung der Mobilität von Arbeitnehmern zwischen den Mitgliedstaaten durch Verbesserung des Erwerbs und der Wahrung von Zusatzrentenansprüchen

  • die VO 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit

  • die VO 987/2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit

1.3 Von der Freizügigkeit erfasste Arbeitnehmer

Es besteht eine gesetzliche Definition des europäischen Begriffs des Arbeitnehmers. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist ein Arbeitnehmerverhältnis gekennzeichnet durch folgende Faktoren:

Nicht erfasst werden Arbeitsleistungen im Rahmen einer Rehabilitation etc.

1.4 Sich aus der Freizügigkeit ergebende Rechte

Aus dem allgemeinen Recht der Freizügigkeit ergeben sich die besonderen Rechte für Arbeitnehmer:

  • Der EU-Arbeitnehmer kann in jedem EU-Mitgliedsstaat eine Beschäftigung ausüben.

  • Er kann zu diesem Zweck in alle EU-Mitgliedstaaten einreisen und sich dort frei bewegen.

  • Er kann nach Beendigung einer Beschäftigung in einem anderen als dem Herkunftsland bleiben.

  • Er darf nicht wegen seiner ausländischen Staatsbürgerschaft diskriminiert werden.

Das Recht der Freizügigkeit hat auch Auswirkungen auf das zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber bestehende Rechtsverhältnis. Es besteht ein europäischer Gleichbehandlungsgrundsatz, d.h. der Arbeitgeber hat den Arbeitnehmer wie einen inländischen Arbeitnehmer zu behandeln. Daher hat der Arbeitnehmer auch den gleichen Zugang zur Mitarbeitervertretung etc.

Von besonderer Bedeutung bei der Bearbeitung von Bewerbungen ist das Diskriminierungsverbot des Art. 45 Absatz 2 AEUV. Bei der Bewerbung eines EU-Ausländers auf einen freien Arbeitsplatz in privaten Unternehmen darf die ausländische Staatsangehörigkeit nicht negativ gewertet werden. In vielen Fällen können berechtigte sachliche Gründe wie unzureichende Sprachkenntnisse, mangelnde geeignete Erfahrung usw. der Einstellung eines ausländischen Bewerbers aus dem EU-Raum entgegenstehen. Die Ablehnung allein oder hauptsächlich aufgrund der anderen Staatsangehörigkeit ist auf jeden Fall nicht rechtmäßig.

1.5 Einschränkungen

Die Arbeitnehmerfreizügigkeit ist eingeschränkt, wenn die in Anbetracht der Besonderheiten der zu vergebenden Stelle erforderlichen Sprachkenntnisse fehlen.

Das Recht auf Freizügigkeit befreit den Arbeitnehmer nicht von der Verpflichtung, den Vorschriften des Aufenthaltsstaates zum Aufenthaltsrecht nachzukommen.

2. Einreise und Aufenthalt in Deutschland

2.1 Rechtsgrundlagen

§ 1 Abs. 2 Nr. 1 des Aufenthaltsgesetzes stellt klar, dass, vorbehaltlich anderer Rege­lung, das Aufenthaltsgesetz für diejenigen Ausländer nicht anwendbar ist, deren Rechtsstellung durch das Freizü­gigkeitsgesetz/EU geregelt ist. Es ist daher geboten, den Anwendungsbereich des Freizügigkeitsgesetzes/EU kon­sistent darzustellen. Dies geschieht in § 1 Absatz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU.

2.2 EU-Bürger

Freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger sowie ihre EU-Familienangehörigen benötigen gemäß § 2 FreizügG/EU für ihre Einreise und ihren Aufenthalt keinen Aufenthaltstitel (Aufenthaltserlaubnis oder Niederlassungserlaubnis). Ihnen wird auch nicht mehr auf Antrag eine Bescheinigung über ihr Aufenthaltsrecht erteilt.

Dieses Aufenthaltsrecht für EU-Angehörige besteht in Deutschland auch für EU-Bürger, die keiner Erwerbstätigkeit nachgehen wollen, sofern sie einen Krankenversicherungsschutz nachweisen können und ein gesichertes Einkommen nachweisen können.

Familienangehörige, die nicht Unionsbürger sind, erhalten eine Aufenthaltskarte.

2.3 Britische Staatsangehörige

Einführung:

Die Rechtsstellung von Staatsangehörigen des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland (im Folgenden: "Briten"), deren Aufenthalt vom Austrittsabkommen erfasst ist, musste nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritan­nien und Nordirland aus der Europäischen Union je nach Fallgruppe unterschiedlich geregelt werden:

  • Für Briten, die zuvor als als Unionsbürger freizügigkeitsberechtigt waren und bis zu zum 31. Dezember 2020 von ihrem Freizügigkeitsrecht Gebrauch gemacht hatten, bestimmt sich die Rechtsstellung vornehmlich nach dem Austrittsabkommen, das als unmittelbar geltendes Recht auch nicht im Bundesrecht umgesetzt werden muss und auch nicht wiederholt werden darf.

  • Für Briten, die erst nach Ablauf des Übergangszeitraums einreisen und sich in Deutschland aufhalten wollen, sieht das Austrittsabkommen keine besonderen Aufenthaltsrechte vor. Für sie gilt - vorbehaltlich etwaiger künftiger Vereinbarungen der Europäischen Union mit dem Vereinigten Königreich - vorerst das für Drittstaatsangehörige geltende Aufenthaltsrecht.

Rechtsgrundlage der Einreise und des Aufenthalts:

Die Rechtsstellung ist im deutschen Recht in § 16 Abs. 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU geregelt.

Das Recht auf Einreise und Aufenthalt ist für britische Staatsangehörige und ihre Familienangehörigen, die von ihrem unionsrechtlichen Freizügigkeitsrecht bis zum 31.12.2020 Gebrauch gemacht haben, sowie für Familienangehörige im Sinne des Freizügigkeitsrechts, die zu dementsprechend berechtigten Briten noch danach nachziehen, im Austrittsabkommen umfassend geregelt. Dieses Recht besteht nach dem Austrittsabkommen, das unmittelbar anwendbares Recht darstellt, bereits kraft Gesetzes.

Gesetzliche Regelungen des Unionsrechts dürfen im Bundesrecht nicht wiederholt werden. Daher wird das Bestehen des Rechts im neuen § 16 Abs. 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU sprachlich vorausgesetzt.

Zur Gewährleistung der Einheitlichkeit des Vorgehens bei der Umsetzung des Austrittsabkommens durch die einzelnen verbliebenen Mitgliedstaaten der Europäischen Union werden durch die neue Regelung keine über das Austrittsabkommen hinausgehenden Rechte gewährt.

3. Europäische Arbeitsbehörde

Die Europäische Union hat mit der "Verordnung (EU) 2019/1149 zur Errichtung einer Europäischen Arbeitsbehörde" die Europäische Arbeitsbehörde (European Labour Authority - ELA) errichtet.

Die Behörde verfolgt gemäß Art. 1 der VO das Ziel, einen Beitrag zur Unterstützung der EU-Mitgliedstaaten bei der wirksamen Anwendung und Durchsetzung des Unionsrechts im Bereich der grenzüberschreitenden Arbeitskräftemobilität wie auch im Hinblick auf die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit zu leisten.

Sie hat grundätzlich ihren Sitz in der slowakischen Hauptstadt Bratislava. Aber: Die ELA hat ihre Tätigkeit zunächst seit Mitte Oktober 2019 in Brüssel aufgenommen und sie wird bis zum Jahr 2024 ihre volle Kapazität mit circa 140 Beschäftigten in Bratislava erreichen.

Die ELA soll in Ergänzung zu den bisherigen europäischen Maßnahmen Informationen für Einzelpersonen und Unternehmen bereitstellen, den mitgliedstaatlichen Informationsaustausch wie auch Kontrollmaßnahmen koordinieren, die Arbeitnehmermobilität analysieren und etwaige Risiken bewerten sowie als Vermittlerin im Falle grenzüberschreitender Streitigkeiten zwischen den betreffenden Behörden der Mitgliedstaaten agieren.

Auch die Koordination des europäischen Job-Netzwerkes EURES und die Unterstützung der Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten bei der Bekämpfung nicht angemeldeter Erwerbstätigkeit gehören zum Tätigkeitsfeld der neuen EU-Behörde.

4. Niederlassungsfreiheit

4.1 Allgemein

Die Niederlassungsfreiheit ist eine Unterform der Freizügigkeit.

4.2 Abgrenzung zur Dienstleistungsfreiheit

Die wirtschaftliche Tätigkeit in einem anderen Land als dem Herkunftsland ist entweder der Niederlassungsfreiheit oder der Dienstleistungsfreiheit zuzuordnen. Dabei ist die Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 56 AEUV gegenüber der Niederlassungsfreiheit bzw. gegenüber den anderen Grundfreiheiten nachrangig (subsidiär).

In der Dienstleistungs-Richtlinie ist auch die Niederlassungsfreiheit geregelt.

4.3 Inhalt der Freizügigkeit

Natürliche und juristische Personen, die Staatsangehörige eines EU-Mitgliedstaates sind bzw. ihren Sitz in einem Mitgliedstaat haben, haben das Recht, in jedem Land der Europäischen Union eine dauerhafte selbstständige Beschäftigung auszuüben und sich zu diesem Zweck in dem jeweiligen Staat aufzuhalten. Dies wird als Niederlassungsfreiheit bezeichnet.

Rechtsgrundlage der Niederlassungsfreiheit ist Art. 49 AEUV. Es wird unterschieden zwischen

  • der primären Niederlassungsfreiheit (Art. 49 Absatz 1 Satz 1 AEUV): Die Person lässt sich vollständig in dem anderen Mitgliedssaat nieder.

    und

  • der sekundären Niederlassungsfreiheit (Art. 49 Absatz 1 Satz 2 AEUV): Das Hauptunternehmen bleibt in dem Ursprungs-Mitgliedsstaat, es wird nur eine Zweigniederlassung, Tochtergesellschaft etc. gegründet.

5. Zusatzrenten

Die Europäische Union hat die "Richtlinie 2014/50 über Mindestvorschriften zur Erhöhung der Mobilität von Arbeitnehmern zwischen den Mitgliedstaaten durch Verbesserung des Erwerbs und der Wahrung von Zusatzrentenansprüchen" verabschiedet. Ziel dieser Richtlinie ist es, die Mobilität von Arbeitnehmern zwischen den Mitgliedstaaten weiter zu erleichtern, indem die Möglichkeiten für Anwärter auf Zusatzrentenansprüche zum Erwerb und zur Wahrung solcher Zusatzrentenansprüchen als Teil der betrieblichen Altersversorgung verbessert werden.

6. In einem anderen Mitgliedstaat als dem Wohnsitzstaat bezogene Rente

Mit der Entscheidung EuGH 14.03.2019 - C 174/18 hatte der EuGH über die Zulässigkeit der Kürzung von Steuervergünstigungen aufgrund der Einbeziehung einer von einem anderen EU-Mitgliedsstaat gezahlten Rente zu entscheiden:

"Art. 45 AEUV ist dahin auszulegen, dass er der Anwendung einer Steuerregelung eines Mitgliedstaats wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegensteht, die bewirkt, dass ein in diesem Staat wohnhaftes Ehepaar, bei dem ein Ehegatte eine Pension in einem anderen Mitgliedstaat bezieht, die in dem ersten Mitgliedstaat aufgrund eines bilateralen Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung steuerfrei ist, einen Teil der von diesem Mitgliedstaat gewährten Steuervergünstigungen einbüßt."

 Siehe auch 

Ausländischer Arbeitnehmer

Berufsqualifikationen in der EU

Dienstleistungs-Richtlinie

Dienstleistungsfreiheit in der EU

Europäische Union

Freizügigkeit in der EU

Grundfreiheiten in der EU

Kapitalverkehrsfreiheit in der EU

EuGH 23.04.2009 - Rs. C-544/07 (Ungleiche einkommenssteuerrechtliche Behandlung der Krankenkassenbeiträge)

EuGH 06.06.2000 - Rs. C-281/98 (Regionaler Sprachtest ohne sachliche Beziehung zur Stelle darf die Bewerbung nicht behindern)

EuGH 07.05.1998 - Rs. 6 C-350/96 (Geschäftsführer eines Unternehmens kann seinen Wohnsitz in einem anderen EU-Mitgliedstaat unterhalten)

EuGH 23.02.1994 - Rs. C-419/92 (in einem anderen Mitgliedsland erworbene Berufserfahrung ist der Inlandsberufserfahrung gleichzusetzen)

EuGH 03.06.1986 - Rs. C-139/85 (Freizügigkeit auch wenn neben der Arbeitstätigkeit ergänzend öffentliche Mittel in Anspruch genommen werden müssen)

Cremer: Passive Dienstleistungsfreiheit und Freizügigkeit oder Heirat in Dänemark für ein Leben in Deutschland; Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht - NVwZ 2010, 494

Fehrenbacher: Die Freizügigkeitsregelungen im Rahmen der EU-Erweiterung und ihre ausländerrechtlichen Folgen; Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik - ZAR 2004, 22

Hailbronner: Neue Richtlinie zur Freizügigkeit der Unionsbürger; Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik - ZAR 2004, 259

Hamdan: Das Grundrecht auf Freizügigkeit nach Art. 11 GG; Juristische Arbeitsblätter - JA 2019, 165

Höfler: Die Unionsbürgerfreiheit. Ansprüche der Unionsbürger auf allgemeine Freizügigkeit und Gleichheit unter besonderer Berücksichtigung sozialer Rechte; 1. Auflage 2009

Schoch: Das Grundrecht der Freizügigkeit; Jura 2005, 34

Scheuing: Freizügigkeit als Unionsbürgerrecht; Europa und Recht - EuR 2003, 744

Schlegel: Arbeitnehmerfreizügigkeit für EU-8 seit Mai 2011; Arbeit und Recht - AuR 2011, 384