Untersuchungshaft, Festnahme - richtig reagieren, Anwalt kontaktieren !

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12.07.2018441 Mal gelesen
Was tun im Falle der Untersuchungsahft, der vorläufigen Festnahme? Wann dürfen diese erfolgen? Wie kann ein Haftbefehl außer Vollzug gesetzt werden ? Gilt das Recht der freien Anwaltswahl auch, wenn ein Pflichtverteidiger benötigt wird?

                                          Untersuchungshaft - Festnahme:
Bedeutung - Voraussetzungen - Rechte des Beschuldigten - Wahl des Verteidigers / Pflichtverteidigers

1) Was bedeutet "vorläufige Festnahme"?

Eine vorläufige Festnahme erfolgt durch die Polizei, wenn ein ein richterlicher Haftbefehl (noch) nicht vorliegt, dessen Voraussetzungen aber nach einer ersten Überprüfung durch die Polizei gegeben sein könnten.
Die vorläufige Festnahme ist ausdrücklich durch die Polizei zu erklären, der Beschuldigte ist auch über deren Grund zu informieren. Ein Beschuldigter muß dann mit der Polizei mitkommen, andernfalls er sich des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte strafbar machen könnte. Er hat diese Pflicht auch dann, wenn er sich nicht schuldig fühlt.
Eine Aussage muß er hingegen nicht machen.

Der Beschuldigte ist, sofern nicht eine Freilassung noch durch die Polizei erfolgt, spätestens am Tag nach der Festnahme dem Ermittlungsrichter vorzuführen.
Der Richter entscheidet sodann, ob er gegen einen Beschuldigten einen Untersuchungshaftbefehl erläßt.

2) Welche Voraussetzungen hat "Untersuchungshaft"?

Es müssen vorliegen ein dringender Tatverdacht sowie ein Haftgrund.

dringender Tatverdacht

Dieser liegt vor, wenn die Wahrscheinlichkeit, daß ein Beschuldigter eine Tat begangen hat oder daran teilgenommen hat, groß ist. Dabei ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu wahren, so daß der erhobene Vorwurf grundsätzlich eine nicht unerhebliche Straftat betrifft.

Haftgründe:

Darüber hinaus muß ein sog. "Haftgrund" vorliegen. Haftgründe sind Fluchtgefahr, Verdunkelungsgefahr oder Wiederholungsgefahr.

-- Fluchtgefahr

Fluchtgefahr liegt vor, wenn davon ausgegangen wird, daß ein Beschuldigter sich einem Strafverfahren eher entziehen wird als daß er sich diesem stellt. Fluchtgefahr kann auch bei einem festen Wohnsitz sowie guten familiären und beruflichen Verhältnissen vorliegen, wenn eine hohe Strafe zu erwarten ist. Wann eine "hohe" Strafe erwartet wird, kann in verschiedenen Gerichtsbezirken unterschiedlich beurteilt werden, dafür sind vertiefte Rechtsprechungskenntnisse erforderlich.

Auch darf berücksichtigt werden, ob ein Beschuldigter (evtl. zusätzlich) einen Wohnsitz im Ausland hat. Dazu zählt auch ein Wohnsitz im benachbarten Ausland wie z.B. in Österreich.

-- Verdunkelungsgefahr

Verdunkelungsgefahr liegt vor, wenn das Verhalten eines Beschuldigten den dringenden Verdacht begründet, daß er auf Zeugen einwirken wird oder dies bereits getan hat, oder auch auf sachliche Beweismittel einwirkt, und dadurch die Ermittlungen erschwert werden.

-- Wiederholungsgefahr

Wiederholungsgefahr ist als Haftgrund zulässig, wenn Sexualstraftaten, schwere Körperverletzungsdelikte, schwere Vermögensdelikte wie Einbruchsdiebstahl, Bandendiebstahl und Raubdelikte, Brandstiftung vorgeworfen werden, aber auch Delikte nach dem Betäubungsmittelgesetz, insbesondere wenn Gegenstand des Vorwurfs nicht mehr geringe Mengen von Drogen sind.

Voraussetzung für die Zugrundelegung des Haftgrundes Wiederholungsgefahr ist, daß bestimmte Tatsachen die Gefahr begründen, daß ein Beschuldigter vor einer rechtskräftigen Aburteilung weitere erhebliche Straftaten gleicher Art begehen wird.

3) Was bedeutet "Außervollzugsetzung eines Haftbefehls"?

Immer wieder wird in Zeitungen oder anderen Medien darüber berichtet, daß zwar gegen einen Beschuldigten ein Haftbefehl erlassen wurde, dieser aber sofort oder einige Zeit später z.B. gegen eine Kaution außer Vollzug gesetzt wurde.

Diese Möglichkeit der Außervollzugsetzung besteht, wenn als Haftgrund Fluchtgefahr oder Verdunkelungsgefahr angenommen wurden. Voraussetzung ist, daß "weniger einschneidende Maßnahmen die Erwartung hinreichend begründen, daß der Zweck der Untersuchungshaft auch durch sie erreicht werden kann."
Typische Auflagen für die Außervollzugsetzung sind eine regelmäßige Meldepflicht bei der Polizei, Abgabe von Personalausweis und Reisepaß, die Anweisung, den Wohnort nicht zu verlassen, auf Ladungen der Ermittlungsbehörden bei diesen zu erscheinen oder auch eine Sicherheitsleistung (vulgo: Kaution).
Im Falle des Haftgrundes Verdunkelungsgefahr ergeht darüber hinaus üblicherweise die Auflage, zu anderen Mitbeschuldigten, Zeugen oder Sachverständigen keinen Kontakt zu haben.

Der Außervollzugsetzung eines Haftbefehls gehen häufig intensive Verhandlungen des Strafverteidigers mit der Staatsanwaltschaft voraus, welche hohes taktisches Geschick erfordern.

4) Rechte des Beschuldigten, insbesondere Recht der freien Wahl des Anwalts, auch des Pflichtverteidigers

- Grundsätzliches

Ein Beschuldigter ist unverzüglich über den gegen ihn erhobenen Vorwurf zu belehren und über die ihm zustehenden Rechte.

Er hat das Recht, Angaben zur Sache und zu seiner Person zu machen, aber insbesondere hat er das Recht, zu allem zu schweigen.
Dieses Schweigerecht sollte er auf jeden Fall vor der Beratung mit einem Strafverteidiger wahrnehmen.

Er hat das Recht, sich unverzüglich mit einem von ihm zu wählenden Verteidiger in Verbindung zu setzen.

Es ist ihm die Gelegenheit zu geben, unverzüglich einen Angehörigen oder nahen Vertrauten zu benachrichtigen, so daß er auch diese bitten kann, sich um einen Strafverteidiger für ihn zu kümmern.

Er hat das Recht auf Einräumung einer angemessenen Frist, innerhalb derer er einen von ihm gewählten Anwalt als Pflichtverteidiger benennen kann.

- freie Anwaltswahl / Pflichtverteidigerbeiordnung

Auf das Recht der freien Anwaltswahl sollte auf keinen Fall verzichtet werden. Dieses Recht, sich einen Anwalt seines Vertrauens zu wählen, hat jeder Beschuldigter, auch jener, welcher auf einen Pflichtverteidiger angewiesen ist. Auch der Pflichtverteidiger darf durch einen Beschuldigten selbst gewählt werden. Dieses ganz wesentliche Recht eines Beschuldigten soll sicherstellen, daß er zumindest eine Person an seiner Seite hat, der er vollständig vertraut.

Im Falle der Anordnung von Untersuchungshaft schreibt das Gesetz vor, daß ein Beschuldiger sich nicht selbst verteidigen kann, er muß einen Verteidiger an seiner Seite haben.
In der Praxis ist es daher üblich, daß im Termin vor dem Haftrichter dieser den Beschuldigten fragt, ob er einen Verteidiger benennen will oder der Richter ihm direkt einen Pflichtverteidiger beiordnen soll. Viele Beschuldigte fühlen sich überfordert, sind angesichts der großen Aufregung, welche mit der Haft verbunden ist, kaum in der Lage, klare Gedanken zu fassen oder sie verläßt völlig der Mut, noch irgend etwas bewirken zu können undstimmen zu, daß der Richter ihnen einen Anwalt beiordnet.

Davon kann nur dringend abgeraten werden.

- Problem: Pflichtverteidiger kann nicht gekündigt werden

Es wird immer wieder die irrige Meinung angetroffen, daß ein Pflichtverteidiger, welcher vom Gericht beigeordnet wurde, jederzeit gekündigt werden könne, durch einen neuen Pflichtverteidiger ersetzt werden könne. Dies ist leider so nicht der Fall. Nur der Wahlverteidiger kann jederzeit gekündigt werden, nicht der Pflichtverteidiger.

Die Beiordnung eines Pflichtverteidigers kann nur durch das Gericht aufgehoben werden. Dafür ist erforderlich, daß das Vertrauensverhältnis zwischen Pflichtverteidiger und Mandanten völlig zerrüttet ist. Dies ist nur bei schwerwiegenden Vorfällen gegeben. Allein der Umstand, daß ein Pflichtverteidiger seinen Mandanten nicht oder nur sehr selten besucht, die Akten nicht in dem Umfang mit ihm bespricht, wie dieser es sich erwartet, die Anregungen des Mandanten nicht aufnimmt oder ähnliche Dinge, die große Verärgerung auslösen können, reichen nicht, damit der Pflichtverteidiger von seiner Aufgabe entbunden wird.

Die Wahrscheinlichkeit, daß ein Beschuldigter an den Pflichtverteidiger, welcher ihm durch den Haftrichter beigeordnet wurde, das gesamte Verfahren gebunden ist, ist somit überragend groß.

-- Fazit:

Am besten ist, wenn ein Beschuldigter sich möglichst schnell nach seiner vorläufigen Festnahme, möglichst noch vor dem Termin beim Haftrichter mit einem Verteidiger in Verbindung setzt.
Aber auch dann, wenn er dies nicht getan hat, sollte er sein Recht auf freie Anwaltswahl im Termin vor dem Haftrichter nicht aufgeben, sondern die Nerven bewahren und sich eine Frist von mindestens 1 Woche, besser noch von 10 Tagen einräumen lassen, um einen Strafverteidiger seiner Wahl und seines Vertrauens benennen zu können.
Wenn er niemanden kennt, sollte er seine Angehörigen oder einen Vertrauten bitten, sich um einen Strafverteidiger zu kümmern.

Wichtig ist, daß es sich dabei um einen Fachanwalt für Strafrecht handelt, da nur dieser die entsprechenden Kenntnisse und Kompetenzen hat.

Gern stehe ich Ihnen mit meiner auf jahrzehntelange Tätigkeit gründenden Erfahrung als Strafverteidigerin zur Verfügung - sowohl als Wahlverteidigerin als auch als Pflichtverteidigerin.