Beschuldigter
1 Allgemein
Bezeichnung eines Tatverdächtigen während des Ermittlungsverfahrens.
Im Ermittlungsverfahren überprüft die Staatsanwaltschaft, ob gegen einen Verdächtigen genügend Anlass zur Erhebung einer öffentlichen Klage besteht. Nur in dieser Phase des Verfahrens wird der Verdächtige als Beschuldigter bezeichnet.
Die Beschuldigteneigenschaft setzt - subjektiv - den Verfolgungswillen der Strafverfolgungsbehörde voraus, der sich - objektiv - in einem Willensakt manifestiert. Wird gegen eine Person ein förmliches Ermittlungsverfahren eingeleitet, liegt darin ein solcher Willensakt.
2 Abgrenzung Zeuge - Beschuldigter
Nicht selten entsteht während der Befragung eines Zeugen ein Tatverdacht gegen diesen mit der Folge, dass der vormalige Zeuge von den Ermittlungsbeamten dann als Beschuldigter vernommen wird. Mit der Beschuldigteneigenschaft sind jedoch weitere Rechte verbunden (s.u.). Daher stellt sich die Frage, ab wann der Zeuge zum Beschuldigten wird. Der BGH hat dazu in der Entscheidung BGH 03.07.2007 - 1 StR 3/07 wie folgt Stellung genommen:
Der § 136 StPO zugrunde liegende Beschuldigtenbegriff vereinigt subjektive und objektive Elemente.
Die Abgrenzung beurteilt sich danach, wie sich das Verhalten des ermittelnden Beamten nach außen, insbesondere in der Wahrnehmung des davon Betroffenen darstellt. Dabei ist zwischen verschiedenen Ermittlungshandlungen wie folgt zu differenzieren:
Strafprozessuale Eingriffsmaßnahmen, die nur gegenüber dem Beschuldigten zulässig sind, sind Handlungen, die ohne Weiteres auf den Verfolgungswillen der Strafverfolgungsbehörde schließen lassen. Aber auch Eingriffsmaßnahmen, die an einen Tatverdacht anknüpfen, begründen grundsätzlich die Beschuldigteneigenschaft des von der Maßnahme betroffenen Verdächtigen, weil sie regelmäßig darauf abzielen, gegen diesen wegen einer Straftat strafrechtlich vorzugehen.
Anders liegt es bei Vernehmungen. Bereits aus §§ 55, 60 Nr. 2 StPO ergibt sich, dass im Strafverfahren auch ein Verdächtiger im Einzelfall als Zeuge vernommen werden darf, ohne dass er über die Beschuldigtenrechte belehrt werden muss.
Der Vernehmende darf dabei auch die Verdachtslage weiter abklären. Da er nicht gehindert ist, den Vernommenen mit dem Tatverdacht zu konfrontieren, sind hierauf zielende Vorhalte und Fragen nicht zwingend ein hinreichender Beleg dafür, dass der Vernehmende dem Vernommenen als Beschuldigten gegenübertritt. Der Verfolgungswille kann sich jedoch aus dem Ziel, der Gestaltung und den Begleitumständen der Befragung ergeben.
Ob die Strafverfolgungsbehörde einen solchen Grad des Verdachts auf eine strafbare Handlung für gegeben hält, dass sie einen Verdächtigen als Beschuldigten vernimmt, unterliegt ihrer pflichtgemäßen Beurteilung.
3 Vernehmung des Beschuldigten
Erhält der Beschuldigte die Ladung zu einer polizeilichen Vernehmung, so muss er dieser nicht nachkommen. Sofern sich in der Praxis das Verfahren noch am Beginn befindet, teilt der Strafverteidiger der Polizeidienststelle das Nichterscheinen des Beschuldigten bei gleichzeitiger Beantragung der Akteneinsicht mit. Aufgrund der dadurch gewonnen Erkenntnisse wird dann ggf. eine schriftliche Einlassung erstellt.
Der Strafverteidiger hat grundsätzlich kein Anwesenheitsrecht bei der polizeilichen Vernehmung, die Anwesenheit sollte jedoch beantragt werden und kann ihm daraufhin gestattet werden. Bei jugendlichen Beschuldigten steht dem/den Sorgeberechtigten ein Anwesenheitsrecht zu.
Der Beschuldigte hat einer richterlichen Vernehmung Folge zu leisten. Sie kann bei einem Nichterscheinen durch einen Vorführungsbefehl vollstreckt werden.
Bei der richterlichen Vernehmung ist das Anwesenheitsrecht des Strafverteidigers ausdrücklich in §§ 168c StPO geregelt. Der Strafverteidiger ist insofern über den Termin zu benachrichtigen. Wird gegen diese Benachrichtigungspflicht verstoßen, so kann nach der Rechtsprechung des BGH das Protokoll zwar nicht mehr als richterliches Protokoll gemäß § 251 Abs. 1 StPO in die Hauptverhandlung eingebracht werden, jedoch als Niederschrift über eine andere Vernehmung gemäß § 251 Abs. 2 StPO verwendet werden.
Mit § 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO wurde die Möglichkeiten der Verlesung von Protokollen nichtrichterlicher Vernehmungen von Zeugen, Sachverständigen oder Mitbeschuldigten oder von Urkunden, die eine von diesen Personen stammende schriftliche Erklärung enthalten, moderat erweitert:
Zuvor konnten solche nichtrichterlichen Vernehmungsprotokolle und Urkunden einvernehmlich nur dann verlesen werden, wenn der Angeklagte einen Strafverteidiger hat und der Staatsanwalt, der Strafverteidiger und der Angeklagte damit einverstanden sind. Nunmehr ist eine einvernehmliche Verlesung auch dann möglich, wenn der Angeklagte nicht verteidigt ist und die Verlesung lediglich der Bestätigung eines Geständnisses dient. Will ein Gericht eine Verurteilung auf die geständige Einlassung des Angeklagten stützen, muss es von deren Richtigkeit überzeugt sein. Es hat deshalb stets zu untersuchen, ob das abgelegte Geständnis mit dem Ermittlungsergebnis zu vereinbaren ist, ob es in sich stimmig ist und ob es die getroffenen Feststellungen trägt (vgl. BGH 15.04.2013 - 3 StR 35/13). Hier dient es daher der Verfahrensvereinfachung und -beschleunigung, wenn Zeugen, Sachverständige und Mitbeschuldigte, deren Angaben nach dem Ergebnis der Ermittlungen das Geständnis stützen, nicht in jedem Fall unmittelbar in der Hauptverhandlung vernommen werden müssen. Ob das Gericht bei Vorliegen des Einvernehmens des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft von der Verlesungsmöglichkeit des § 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO Gebrauch macht, oder ob es eine unmittelbare Vernehmung in der Hauptverhandlung für geboten hält, ist am Maßstab der Amtsaufklärungspflicht im Einzelfall zu entscheiden.
Mit §§ 168c StPO wird dem Strafverteidiger und der Staatsanwaltschaft nach der Vernehmung des Beschuldigten Gelegenheit gegeben, sich zu erklären oder Fragen an den Beschuldigten zu stellen. Dabei kann der Richter, der die Vernehmung leitet, ungeeignete oder nicht zur Sache gehörende Fragen wie auch bei Vernehmungen des Angeklagten in der Hauptverhandlung zurückweisen.
Zur Vermeidung eines Beweisverwertungsverbots ist der Beschuldigte vor Beginn der Vernehmung wie folgt zu belehren:
Er ist darüber zu belehren, welche Tat ihm zur Last gelegt wird.
Er ist darüber zu belehren, dass er ohne Nachteile die Aussage verweigern kann.
Er ist darüber zu belehren, dass er jederzeit einen von ihm gewählten Verteidiger befragen kann.
Wurde der Beschuldigte zunächst als Zeuge vernommen und ist insofern eine Beschuldigtenvernehmung unterblieben, so ist der Beschuldigte zu Beginn der Beschuldigtenvernehmung auf die Nichtverwertbarkeit seiner früheren Aussagen hinzuweisen (BGH 18.12.2008 - 4 StR 455/08).
Der Beschuldigte soll bereits in der ersten Vernehmung gemäß § 136 StPO auf die Möglichkeit des Täter-Opfer-Ausgleichs hingewiesen werden.
Eine der Folgen einer richterlichen Vernehmung ist, dass gemäß § 254 StPO durch die Protokollerstellung ein nach der richterlichen Vernehmung widerrufenes Geständnis als Beweismittel in den Prozess eingebracht werden kann.
Die Vernehmung des Beschuldigten kann gemäß § 136 Abs. 4 StPO in Bild und Ton aufgezeichnet werden (Audio-visuelle Vernehmung). Sie ist aufzuzeichnen, wenn
dem Verfahren ein vorsätzlich begangenes Tötungsdelikt zugrunde liegt und der Aufzeichnung weder die äußeren Umstände noch die besondere Dringlichkeit der Vernehmung entgegenstehen,
Hinweis:
Die Vernehmung ist ferner nicht aufzuzeichnen, wenn die "besondere Dringlichkeit" der Aufzeichnung entgegensteht. Eine Vernehmung kann sich nach der Gesetzsbegründung (BT-Drs. 18/12785) als besonders dringlich erweisen, wenn sie etwa direkt am Tatort oder dessen Umkreis vorgenommen werden muss und die technischen Möglichkeiten der audiovisuellen Aufzeichnung aufgrund der Eilsituation nicht gegeben sind. Erfasst werden dabei ebenfalls Fälle, in denen man besonders schnell eine Aussage des Beschuldigten benötigt, dieser aber Gründe aufführt, nicht vor der Kamera auszusagen zu wollen.
oder
die schutzwürdigen Interessen von Beschuldigten, die erkennbar unter eingeschränkten geistigen Fähigkeiten oder einer schwerwiegenden seelischen Störung leiden, durch die Aufzeichnung besser gewahrt werden können.
Die Anwendung dieser Regel auf minderjähige Beschuldigte erfolgt durch den Verweis auf § 58 Abs. 2 StPO.
4 Einlassung zum Tatvorwurf
Gemäß §§ 163a, 136 StPO hat der Beschuldigte das Recht, sich nicht zur Tat einzulassen. Die Vor- und Nachteile einer Einlassung sind mit dem Strafverteidiger sorgfältig abzuwägen. Für eine Einlassung spricht u.a., dass sie in der Regel strafmildernd berücksichtigt wird. Zudem kann mit ihr der Gang des Verfahrens bestimmt werden. Ist die Staatsanwaltschaft von einem anderen Gang des Verfahrens überzeugt, so muss sie dies beweisen.
Nachteile einer Einlassung können sein, dass der Beschuldigte ggf. zu früh ein Geständnis abliefert, falls die Staatsanwaltschaft ihm die Tatbegehung/-beteiligung möglicherweise nicht hätte beweisen können.
Die Einlassung kann auch schriftlich formuliert werden mit dem Vorteil, dass sie sorgfältig von dem Strafverteidiger und dem Beschuldigten erstellt werden kann und so vermieden wird, dass sich der Beschuldigte durch Aufregung in Widersprüche verstrickt, wie dies z.B. bei einer Einlassung während einer Vernehmung der Fall sein könnte.
5 Unzulässige Vernehmungsmethoden
Gemäß § 136a StPO darf bei der (polizeilichen, richterlichen oder staatsanwaltlichen) Vernehmung des Beschuldigten auf dessen Freiheit der Willensentschließung/Willensbetätigung nicht durch unzulässige Vernehmungsmethoden eingewirkt werden. Das Gesetz nennt dabei beispielhaft die Misshandlung, Ermüdung, körperliche Eingriffe, Verabreichung von Mitteln, Täuschung oder Hypnose. Im Einzelnen gilt Folgendes:
Bei der Frage der Ermüdung ist auf einen objektiven Ermüdungszustand des Beschuldigten abzustellen. Allein aufgrund der Vernehmung zur Nachtzeit kann noch nicht eine Ermüdung bejaht werden.
Unzulässig ist es, einem Suchtkranken das Suchtmittel bzw. einer ansonsten kranken Person die erforderlichen Medikamente über längere Zeit vorzuenthalten.
Unzulässig ist nicht jede Form der Täuschung. Die Grenze liegt bei der Benutzung/Andeutung von Unwahrheiten. Zulässig ist jedoch die Anwendung von List, die Verwendung von Fangfragen/Suggestivfragen oder die Ausnutzung eines (nicht von der Vernehmungsperson hervorgerufenen) Irrtums.
Bei folgenden Zwangsmitteln bestehen gesetzlich vorgegebene Einschränkungen:
Zwang darf angewendet werden, soweit das Strafverfahrensrecht dies zulässt, d.h. nur zu dem nach der StPO vorgesehenen Zweck.
Die Drohung mit einer unzulässigen Maßnahme ist verboten. Dies ist gegeben, wenn die vernehmende Person dem Beschuldigten einen Nachteil in Aussicht stellt. Die Information über zulässige Konsequenzen (z.B. Abschiebung) ist jedoch erlaubt.
Das Versprechen eines gesetzlich vorgesehenen Vorteils ist zulässig. Dabei kommt es darauf an, ob der Vernehmende einen Einfluss auf den Vorteil hat, d.h. ihn tatsächlich gewähren kann.
Die in der Vernehmung gewonnenen Ergebnisse unterliegen nur dann einem Beweisverwertungsverbot, wenn ein Verstoß gegen die Vorgaben des § 136a StPO vorlag und dieser Verstoß ursächlich für die gewonnene Aussage war.