Grundlagen des #Arzthaftungsrechts unter Berücksichtigung der neuen gesetzlichen Regelungen des Patientenrechtegesetzes
1. Einleitung
Durch das seit dem 26.02.2013 in Kraft getretene #Patientenrechtegesetz werden nach dem Ziel des Gesetzgebers die Rechte des Patienten, wie sich bereits aus dem Wortlaut der Bezeichnung des Gesetzes herleiten lässt, wesentlich gestärkt. Kernbereich der neu geschaffenen Regelungen sind die für die Arzthaftung bedeutsamen Vorschriften der §§ 630 a bis 630 h BGB. Das Gesetz ist mit dem Vorteil behaftet, dass das bis zu seiner Einführung bestehende Arzthaftungsrecht in weitaus größerem Umfang als in anderen Rechtsgebieten bereits durch umfangreiche Rechtsprechung geprägt ist. Sicherlich weitgehend aus diesem Grunde wird an den neuen gesetzlichen Regelungen teilweise kritisiert, sie würden durch allgemeine Formulierungen lediglich die seit Jahrzehnten entwickelte Rechtsprechung und Rechtswissenschaft nur teilweise zusammenfassen, dabei jedoch nichts zu Gunsten der Patientinnen und Patienten ändern (vgl. Jaeger, Patientenrechtegesetz 2013, 1, 6; Wagner, Kodifikation des Arzthaftungsrechts? VersR 2012, 790, 798 ; vergl. auch Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht 4. Auflage, P 6, 7). Diese Sichtweise berücksichtigt jedoch nicht hinreichend die grundlegenden Unterschiede zwischen einer gesetzlichen Regelung einerseits und der Rechtslehre und Rechtsprechung andererseits. Es mag sein, dass gerade im Arzthaftungsrecht, die neu geschaffenen Regelungen der §§ 630 a bis 630 h BGB ganz wesentlich durch die Rechtslehre und die bisherige Rechtsprechung geprägt sind. Dennoch geht es nunmehr bei diesen Regelungen nicht (mehr) um Rechtslehre oder Rechtsprechung, sondern um Gesetze, welche im Prozess der Gesetzesanwendung nach den maßgeblichen Auslegungskriterien zu behandeln sind. Hierzu gehören insbesondere der Wortsinn, der Bedeutungszusammenhang sowie die Regelungsabsicht des Gesetzgebers. Daneben steht das Streben nach einer gerechten Fallentscheidung, wobei dieses Ziel nur im Rahmen der geltenden Gesetze und anerkannten Rechtsprinzipen und daher auch nur mit Hilfe der genannten Auslegungsregeln oder im Wege einer zulässigen richterlichen Rechtsfortbildung zu verwirklichen ist. Hierbei ist sicherlich bereits vorliegende Rechtsprechung zu berücksichtigen, wobei jedoch vom Gesetz immer wieder der ganz wesentliche Anstoß ausgeht, die Auslegung neu zu durchdenken und neue Gesichtspunkte aufzufinden. Der Richter erwartet vom Gesetz und darf erwarten, dass es ihm im Allgemeinen eine gerechte, oder doch zumindestens unter dem Gerechtigkeits-gesichtspunkt, vertretbare Entscheidung ermöglicht (vgl. K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 7. neu bearbeitete Auflage, S. 349). Für die Rechtsprechung und Rechtslehre besteht daher angesichts der neu geschaffenen Regelungen des Patientenrechtegesetzes der §§ 630 a bis 630 h BGB die spannende Aufgabe unter Berücksichtigung des Rahmens der gesetzlichen Regelung die Patientenrechte zu stärken. Die bereits vorliegende fein ausdifferenzierte Rechtsprechung zum Arzthaftungsrecht ist hierbei besonders hilfreich, da viele Probleme bereits gelöst sind, und die Rechtsfindung sich bei der Umsetzung der Ziele des Gesetzgebers bei Schaffung des Patientenrechtegesetzes, welche im Wesentlichen darin bestehen, die Rechte der Patienten transparenter und für den Patienten günstiger zu gestalten, an der bereits vorliegenden Rechtsprechung und Rechtslehre orientieren kann.
2. Die Regelung des Behandlungsvertrages in § 630 a BGB
In § 630 a Abs. 1 BGB wird nunmehr eindeutig festgestellt, dass es sich beim Abschluss eines Vertrages über die medizinische Behandlung eines Patienten um einen Dienstvertrag handelt. Danach ist die medizinische Behandlung eines Patienten geschuldet, jedoch nicht der Erfolg der Behandlung im Sinne einer Gesundung des Patienten. Neben der medizinischen Behandlung eines Patienten durch den Arzt oder Krankenhausträger kommen auch nicht ärztliche Heilberufe, wie zum Beispiel Heilpraktiker, Hebammen, Entbindungspfleger, Masseure, medizinische Bademeister als Vertragspartner des Behandlungsvertrages in Betracht, wobei nach dem jeweiligen konkreten Vertragsinhalt festzustellen ist, ob eine medizinische Behandlung eines Patienten vorliegt. Vertragsinhalt sind bei Ärzten und Krankenhausträgern diejenigen medizinischen Maßnahmen, die nach den Regeln der ärztlichen Kunst erforderlich sind, um den gewünschten (Heil-) Erfolg zu erreichen. Bei nichtärztlichen Heilberufen ist der konkrete Vertragsinhalt, bezogen auf das Leistungsspektrum des jeweiligen Berufs, zu bestimmen. In der Rechtspraxis wird sich im Verlauf zeigen, ob die nichtärztlichen Heilberufe wie zum Beispiel Logopäden, Ergotherapeuten oder Masseure, welche in der Gesetzesbegründung ausdrücklich genannt werden (BT-Drs. 17/10488, 18), im Hinblick auf Informations- Aufklärungs- und Dokumentationspflichten sowie bei der Beweislast in der Regel zu Gunsten des Patienten mit den Ärzten gleichgestellt werden können.
Nach § 630 a Abs. 2 BGB hat die Behandlung nach dem zum Zeitpunkt der Behandlung bestehenden, allgemein anerkannten fachlichen Standard zu erfolgen, soweit nicht etwas anderes vereinbart ist. Der zugrunde liegende fachliche Standard ist objektiv zu bestimmen und richtet sich danach, welcher Behandlungsgruppe der Behandelnde zuzuordnen ist und welche Anforderungen an diese Behandlungsgruppe gestellt werden. Die Anforderungen an einen Arzt sind deshalb anders, als diejenigen an einen nichtärztlichen Heilberuf. Der medizinische Standard des jeweils zugrunde liegenden Fachgebiets ist auf den Zeitpunkt der Behandlung zu beziehen. Dies bedeutet, dass der Behandelnde den Erkenntnisstand der medizinischen Wissenschaft zur Zeit der Behandlung zugrunde zu legen hat (BGH, NJW 2004, 1452; NJW 2003, 2311; VersR 2001, 646; vgl. Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht, 4. Auflage, B 24 ff., P 13; Wussow/Bremenkamp, Unfallhaftpflichtrecht Kap. 29 Rdn. 19 m. w. N.). Ein Absehen des Behandlers von einer medizinisch gebotenen Vorgehensweise, die sich nach dem medizinischen Standard des jeweiligen Fachgebiets (Facharztstandard) bestimmt, begründet einen ärztlichen Behandlungsfehler, wobei es auch hier auf eine objektive Sichtweise ankommt, mithin subjektive Fähigkeiten des jeweils Behandelnden keine Rolle spielen (BGH, NJW 2003, 2311; OLG Frankfurt, MedR 1995, 75).
Will der Behandelnde von allgemeinen anerkannten fachlichen Standards abweichen, ist er nach der Regelung des § 630 a Abs. 2 BGB verpflichtet, mit dem Patienten dies vorher zu vereinbaren. Dies gilt insbesondere für Alternative oder neuartige Behandlungsmethoden. Die damit einhergehende Einschränkung der grundsätzlich dem Arzt obliegenden Therapiewahl führt zu Gunsten des Patienten zu mehr Transparenz und fördert auch das Selbstbestimmungsrecht des Patienten über die bei ihm durchgeführte Behandlung (vgl. Giesen, Arzthaftungsrecht, S. 179 ff.). Ob aus der Vorschrift des § 630 a Abs. 2 BGH im Wege der Auslegung zu entnehmen ist, das der Arzt den Patienten, anders als nach der bisherigen herrschenden Meinung (vgl. Martis/Winkhart aaO, A 1222) ungefragt über neue Behandlungsverfahren, welche noch nicht hinreichend untersucht sind oder sich noch in der Erprobung befinden, zu informieren hat ist noch zu klären. Für eine derartige Auslegung spricht, dass der Patient in der Regel gar nicht in der Lage sein wird, nach den Vorgaben der Vorschrift des § 630 a Abs. 2 BGB etwas anderes zu vereinbaren, wenn er über derartige andere Behandlungsmethoden durch den Behandler nicht informiert ist.
Gemäß § 630 a Abs. 1 BGB ist der Patient zur Leistung der vereinbarten Vergütung verpflichtet, soweit nicht ein Dritter zur Zahlung verpflichtet ist. Soweit eine Zahlungspflicht eines Dritten erwähnt ist, ist in erster Linie an die sozialversicherungsrechtlichen Vertragsverhältnisse, wie die gesetzliche Krankenversicherung zu denken. Die private Krankenversicherung soll nicht "Dritter" im Sinne der Vorschrift sein.
Auch wenn das Dienstleistungsrecht keine Gewährleistungsregeln kennt, weil ein Erfolg nicht geschuldet ist, kann unter besonderen Voraussetzungen der Vergütungsanspruch des Behandelnden entfallen, insbesondere bei groben Pflichtverletzungen und/oder bei Unbrauchbarkeit der ärztlichen Dienstleistung (vgl. hierzu im Einzelnen: Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht aaO, R 5 ff. m.w.N.).
3. Informationspflichten gemäß § 630 c BGB
§ 630 c BGB regelt sowohl das Zusammenwirken von Patient und Behandeldem (Abs. 1) als auch die Informationspflichten des Behandelnden, die bisher als therapeutische Aufklärung oder Sicherungsaufklärung (Abs. 2) sowie wirtschaftliche Aufklärung (Abs. 3) bezeichnet wurden.
Gemäß § 630 c Abs. 1 BGB sollen Behandelnder und Patient zur Durchführung der Behandlung zusammenwirken. Diese generalklauselartig ausgestaltete Vorschrift umfasst das gesamte "Compliance" durch Beachtung von bestimmten Geboten im eigenen Interesse des Patienten zur Vermeidung von rechtlichen oder tatsächlichen Nachteilen. Dazu gehören sowohl Offenbarung der für die Behandlung des Patienten bedeutsame Umstände, als auch die Mitwirkung des Patienten am Heilungsprozess, insbesondere Duldung der Untersuchung und der Therapie, Einwilligung, Befolgung ärztlicher Anordnungen und Ratschläge, Einnahme der verordneten Medikamente sowie Vermeidung möglicher Selbstgefährdung. Die Pflicht des Behandelnden besteht darin, dem Patienten soweit wie möglich bei der Wahrnehmung seiner Mitwirkungspflichten behilflich zu sein, wobei hierbei das Selbstbestimmungsrecht des Patienten zu beachten ist. Der Behandelnde hat im Interesse des Patienten darauf zu achten, dessen zeitliche Belastung nicht zu überspannen, mithin dem Patienten Wartezeiten im Wartezimmer, in Krankenhäusern und Notfallambulanzen zu ersparen (Jaeger aaO, Rn. 86). Obwohl es sich nach dem Wortlaut des § 630 c Abs. 1 BGB um eine Sollvorschrift handelt, kann eine Mißachtung von Mitwirkungspflichten im Einzelnen als Verletzung vertraglicher Nebenpflichten aus dem Behandlungsvertrag gewertet werden. Verletzt der behandelnde Arzt zum Beispiel durch eine affektive Einstellung, fehlendes Interesse, fehlende Zuwendung oder mangelhaftem Informationsverhalten, wie übertriebene Autorität (NON-Compliance) in haftungsrelevanter Weise seine vertragliche Nebenpflichten aus dem Behandlungsvertrag können hieraus Schadenersatzansprüche des Patienten abgeleitet werden (vgl. Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, 3. Auflage, § 78, Rn. 4 ff.).
Nach § 630 c Abs. 2 S.1 BGB hat der Behandelnde den Patienten über sämtliche für die Behandlung wesentliche Umstände, insbesondere die Diagnose, die voraussichtliche gesundheitliche Entwicklung, die Therapie und die zu und nach der Therapie zu ergreifenden Maßnahmen aufzuklären.
Neu ist, dass der Behandelnde den Patienten ungefragt über erkennbare Umstände zu informieren hat , welche die Annahme eigener Behandlungsfehler sowie Fehler des vorbehandelnden Arztes begründen, sofern dies zur Abwendung gesundheitlicher Gefahren erforderlich ist (§ 630 c Abs. 2 S. 2 BGB). Diese Information hat der Behandelnde auch auf Nachfrage des Patienten unabhängig davon, ob sie zur Abwendung gesundheitlicher Gefahren erforderlich ist, zu geben. Hierbei wird vom Behandelnden eine rechtliche Wertung nicht verlangt. Versäumnisse bei den Informationspflichten werden ebenfalls erfasst, da diese als Behandlungsfehler zu werten sind, nicht jedoch Aufklärungsversäumnisse gemäß § 630 e BGB. Diese Vorschrift dient im wesentlichen der Aufdeckung von möglichen Behandlungsfehlern.
§ 630 c Abs. 3 BGB regelt die wirtschaftliche Aufklärungspflicht. Voraussetzung ist, dass der Behandelnde weiß, dass eine vollständige Übernahme der Behandlungskosten durch einen Dritten nicht gesichert ist. Darüber hinaus wird in Erweiterung der bisherigen Rechtsprechung bereits dann eine wirtschaftliche Aufklärungspflicht ausgelöst, wenn sich nach den Umständen hinreichende Anhaltspunkte dafür ergeben, dass eine vollständige Übernahme der Behandlungskosten durch einen Dritten nicht gesichert ist. Der Behandelnde muss den Patienten dann vor Beginn der Behandlung über die voraussichtlichen Kosten der Behandlung in Textform informieren. Geht es um Abrechnungen einer gesetzlichen Krankenversicherung weiß der Behandelnde regelmäßig, ob eine vollständige Übernahme der Behandlungskosten durch einen Dritten gesichert ist oder nicht, wenn er als Arzt selbst mit dem gesetzlichen Krankenversicherer abgerechnet. Besteht für den Patienten eine private Krankenversicherung kommt es auf den jeweiligen Einzelfall an, ob eine Hinweispflicht des Behandelnden auf eine fehlende Sicherung der vollständigen Kostenübernahme durch den Versicherer besteht. Nach Ansicht des BGH genügen Zweifel des Arztes bezüglich der Erstattungsfähigkeit der Behandlungskosten für eine derartige Hinweispflicht (BGH VersR 1983, 443), so etwa bei alternativen Methoden oder naturheilkundlichen Behandlungen (a.A. Martis/Winkart aaO, P 30). Bei einem Verstoß gegen die wirtschaftliche Aufklärungspflicht kann der Patient gegenüber dem Honoraranspruch des Behandelnden mit einem Anspruch in Höhe der bei erfolgtem Hinweis vermeidbaren Mehrkosten aufrechnen.
Nach § 630 c Abs. 4 BGB entfällt nur ausnahmsweise dann die Pflicht zur Information des Patienten wenn besondere Umstände vorliegen welche die Informationspflicht entbehrlich machen, insbesondere wenn die Behandlung unaufschiebbar ist oder der Patient auf die Information ausdrücklich verzichtet hat. Besondere Umstände können in therapeutischer Hinsicht gegeben sein, so z.B. wenn bei Informationserteilung eine konkrete Selbstgefährdung des Patienten vorliegen würde oder der Patient bereits ausreichend informiert ist. Die Anforderungen an die Feststellung der Voraussetzungen für das Eingreifen dieser Ausnahmeregelung müssen zu Gunsten des Schutzes des Patienten jedoch streng sein. Insbesondere sind an die Wirksamkeitsvoraussetzungen eines Verzichts hohe Anforderungen zu stellen. So muss der Patient, welcher auf die Information wirksam verzichtet die Erforderlichkeit der Behandlung sowie deren Chancen und Risiken zutreffend erkannt haben, was im Zweifel der Behandelnde zu beweisen hat.
Versäumnisse im Bereich der therapeutischen- oder Sicherungsaufklärung sind Behandlungsfehler mit der Folge, dass beim Vorliegen grober Behandlungsfehler zu Gunsten des Patienten regelmäßig eine Umkehr der objektiven Beweislast für den ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Behandlungsfehler in der Form der unterlassenen therapeutischen Aufklärung und dem Gesundheitsschaden anzunehmen ist (Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht aaO , A 600 m.w.N.).
4. Die Einwilligung des Patienten gemäß § 630 d BGB
Gemäß § 630 d Abs. 1 ist die vor Durchführung einer medizinischen Maßnahme vom Behandelnden einzuholende Einwilligung des Patienten als vertragliche Hauptleistunspflicht ausgestaltet. Die Einwilligung des Patienten kann ausdrücklich oder konkludent, mündlich oder schriftlich erfolgen. Eine bestimmte Form ist nicht vorgeschrieben. Bei Einwilligungsunfähigkeit ist die Einwilligung eines hierzu Berechtigten einzuholen. Beim Minderjährigen ist grundsätzlich die Einwilligung beider Elternteile erforderlich; im Eil- oder Notfall genügt die Einwilligung des erreichbaren Elternteils (BGH, NJW 88, 2946). Eine Patientenverfügung nach § 1901 a Abs. 1 BGB kann eine Aufklärung nur dann entbehrlich machen, wenn der Patient noch im einwilligungsfähigen Zustand eine Aufklärung erhalten hat. Fehlt es im Hinblick auf die Durchführung einer konkret medizinischen Maßnahme hieran, kann zum Schutz des Patienten eine bloße Patientenverfügung nach § 1901 a Abs. 1 BGB eine Einwilligung nicht ersetzen. Vielmehr muss in derartigen Fällen ein Betreuer prüfen, ob die Festlegungen in der Patientenverfügung auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffen (§ 1901 a Abs. 1, S. 1 BGB). Treffen die Feststellungen einer Patientenverfügung auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation des Patienten nicht zu, hat der Betreuer die Behandlungswünsche oder den mutmaßlichen Willen des Betreuten festzustellen und auf dieser Grundlage zu entscheiden, ob er in eine ärztliche Maßnahme einwilligt oder sie untersagt (§ 1901 a Abs. 2 S. 1 BGB). Bei einem nur relativ indizierten Eingriff mit der Möglichkeit erheblicher Folgen für die zukünftige Lebensgestaltung des einwilligungsunfähigen Erwachsenen oder Minderjährigen steht diesem nach einem Urteil des BGH vom 10.10.2006 (VersR 2007, 66) ein Vetorecht gegen die Einwilligung der gesetzlichen Vertreter zu, wenn eine ausreichende Urteilsfähigkeit beim Einwilligungsunfähigen besteht.
Nach § 630 d Abs. 1 S. 4 BGB darf eine medizinische Maßnahme auch ohne Einwilligung durchgeführt werden, wenn eine Einwilligung für eine unaufschiebbare Maßnahme nicht rechtzeitig eingeholt werden und die medizinische Maßnahme dem mutmaßlichen Willen des Patienten entspricht. Dem Durchführen einer medizinischen Maßnahme auf der Grundlage einer lediglich mutmaßlichen Einwilligung sind demnach enge Grenzen gesetzt, insbesondere bleibt ein Eingriff oder ein erweiterter Eingriff rechtswidrig, wenn er ohne Einwilligung lediglich aufgrund medizinischer Indikation durchgeführt wird. Vielmehr Fordert die mutmaßliche Einwilligung eine Abwendung von schweren gesundheitlichen Schäden vom Patienten. Von einer Rechtmäßigkeit der Handlung des Arztes wird nach einhelliger Ansicht jedenfalls davon ausgegangen, wenn die ärztliche Maßnahme oder die Erweiterung der ärztlichen Maßnahme (Operationserweiterung) vital indiziert ist, d.h. wenn sie zur Abwendung einer akuten Lebensgefahr für den Patienten unumgänglich ist (vgl. Giesen Arzthaftungsrecht, Rn. 239 ff. m.W.N.).
Unter besonderen Voraussetzungen genügt eine mutmaßliche Einwilligung zum Beispiel dann, wenn der unvorhersehbar erst während des Eingriffs zu Tage getretene Befund ohne Operationserweiterung in absehbarer Zeit zum Tode des Patienten führen müsste, eine Unterbrechung des Eingriffs neue gefährliche Komplikationen hervorriefe und ein der Operationserweiterung entgegenstehender Wille des Patienten nicht ernsthaft zu erwarten ist (OLG Frankfurt am Main, NJW 1981, 1322; vgl. Giesen aaO, Rn. 241).
Die bisherige Rechtsprechung zur mutmaßlichen Einwilligung kann daher unter Berücksichtigung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten bei der zum Schutz des Patienten geschaffenen Regelung des § 630 d Abs. 1 S. 4 BGB herangezogen werden.
5. Die Aufklärungspflichten nach § 630 e BGB
§ 630 e BGB normiert die Selbstbestimmungsaufklärung oder Eingriffs- und Risikoaufklärung des Patienten. Diese Aufklärungspflicht ist wie bisher eine vertragliche Hauptpflicht.
Nach § 630 e Abs. 1 BGB ist der Behandelnde verpflichtet, den Patienten über sämtliche für die Einwilligung wesentliche Umstände aufzuklären. Beispielhaft werden genannt, Art, Umfang, Durchführung, zu erwartende Folgen und Risiken der Maßnahme sowie ihrer Notwendigkeit, Dringlichkeit, Eignung und Erfolgsaussichten im Hinblick auf die Diagnose oder die Therapie. Hierzu gehören der Befund und die sich hieraus ergebende Prognose sowie auch zu erwartende Schmerzen während und nach der Behandlung, Anpassung-und Gewöhnungsschwierigkeiten bei Implantaten oder Intensität und Dauer einer Nervschädigung (Vgl. Jaeger aaO, Rdn. 223 m.w.N.; Martis/Winkhart aaO, A 560, 569).
Art und Weise sowie Umfang der Aufklärung richten sich nach dem jeweiligen Einzelfall. Nach bisheriger Rechtsprechung musste der Patient lediglich "im Großen und Ganzen" darüber aufgeklärt werden, worin er einwilligt (BGH NJW 2011, 1088). Auch wenn die Vorschrift des § 630 e Abs. 1 BGB die bisherige Rechtslage "weitestgehend wiedergibt" (Vgl. Martis/Winkart aaO, P42) erscheint fraglich ob die Aufklärungspflicht in der bisherigen Form immer noch unverändert aufrechterhalten werden kann. Eine bloße Aufklärung "im Großen und Ganzen" braucht nicht immer mit der vom Gesetz geforderten Aufklärung über "wesentliche Umstände" übereinstimmen. Vielmehr können für den Patienten wesentliche Umstände der ärztlichen Behandlung, deren Folgen und Risiken auch in Einzelheiten liegen, welche über einen Aufklärungsbereich "im Großen und Ganzen" hinausgehen. Es ist hier die Pflicht des Behandelnden die Interessen des Patienten in der konkreten Situation besonders genau zu berücksichtigen. Auf Fragen oder Bedenken des Patienten sollte der Behandelnde bei der Aufklärung auch dann eingehen, wenn es sich um Umstände handelt, welche für den Behandelnden aus seiner Sicht eher untergeordnete Bedeutung haben. Bereits nach bisherigem Recht wird davon ausgegangen, dass die Aufklärung umso intensiver ausfallen muss, je höher die Risiken des Eingriffs und je wahrscheinlicher oder gravierender die Folgen eines Fehlschlags für den Patienten sind (Wussow/Bremenkamp aaO, Rdn. 53 m.w.N.) Eine besonders umfassende Aufklärung ist zum Beispiel bei zweifelhafter Operationsindikation wegen hohen Misserfolgsrisikos, Aussicht auf nur vorübergehenden Erfolg oder Gefahr einer deutlichen Verschlechterung nach der Behandlung erforderlich. Ebenso bei nicht unmittelbar der Heilung dienenden Eingriffen, wie zum Beispiel kosmetischen Operationen (vgl. Palandt, BGB, 73. Auflage, 2014, § 630 e BGB, Rn. 5 m.w.N.).
Auf alternative Behandlungsmethoden ist hinzuweisen, wenn mehrere medizinisch gleichermaßen indizierte und übliche Methoden zu wesentlich unterschiedlichen Belastungen, Risiken oder Heilungschancen führen können. Dieses Aufklärungserfordernis entspricht der bisherigen Rechtsprechung und ist sachgerecht, da der Patient selbst prüfen können muss, was er an Belastungen und Gefahren im Hinblick auf möglicherweise unterschiedliche Erfolgschancen auf sich nehmen will (BGH, NJW 2007, 2774 = VersR 2007, 1373). Über Außenseiter- und Neulandmethoden muss der Behandelnde grundsätzlich lediglich auf Nachfrage des Patienten aufklären. Nach der Neuregelung der Aufklärungspflicht über Behandlungsalternativen gemäß § 630 e Abs. 1 S. 3 BGB dürfte es jedoch im Einzelfall geboten sein, dem Behandelnden jedenfalls dann eine ungefragte Aufklärungspflicht über Außenseiter- und Neulandmethoden aufzuerlegen, wenn sich diese Methoden als Behandlungsalternative anbieten (a.A. BGH VersR 1988, 179; 2006, 1073).
Nach § 630 e Abs. 2 S.1 Nr. 1 BGB ist nunmehr zu Gunsten des Patienten eindeutig geregelt, dass die Aufklärung mündlich zu erfolgen hat. Lediglich ergänzend kann auf Unterlagen Bezug genommen werden, die der Patient in Textform erhält. Die mündliche Aufklärung des Patienten erfordert ein persönliches Gespräch zwischen Behandelndem und Patient, der auch Gelegenheit zu Rückfragen haben soll. Nach der Rechtsprechung kann auch bei allgemein üblichen leichten Eingriffen mit Einwilligung des Patienten die Aufklärung im Rahmen eines Telefongesprächs erfolgen, wenn der Behandelnde sich davon überzeugen kann, dass der Patient die Aufklärung verstanden hat (BGH NJW 2010, 2430; Martis/Winkart aaO, P45). Neu ist jedoch, dass die Aufklärung auch bei geringfügigen Eingriffen nicht allein in Textform erfolgen kann.
Die Aufklärung darf neben dem Behandelnden auch durch eine Person erfolgen, die über die zur Durchführung der Maßnahme notwendige Ausbildung verfügt. Zum Beispiel kann der Chefarzt die Aufklärung an einen nachgeordneten Arzt delegieren, welcher jedoch nach seiner Ausbildung dazu befähigt sein muss, den Eingriff selbst vorzunehmen. Dies entspricht der bisherigen strengen Rechtsprechung des BGH zu den Anforderungen an die Delegation der Aufklärungspflicht (BGH NJW 1974, 604; BGH NJW-RR 2007, 310).
Nach § 630 e Abs. 2 S.1 Nr. 2 u. 3 BGB muss die Aufklärung so rechtzeitig erfolgen, dass der Patient seine Entscheidung über die Einwilligung wohlüberlegt treffen kann (Nr.2), sie und muss für den Patienten verständlich sein (Nr.3). Der Behandelnde hat aufzuklären, sobald der Eingriff konkret indiziert ist, dann aber so frühzeitig wie möglich und jedenfalls so rechtzeitig, dass der Patient noch im Besitz seiner Erkenntnisfreiheit ist und bis zum Eingriff ohne Entscheidungsdruck in einer unter Berücksichtigung der Umstände ausreichenden Bedenkzeit sein Selbstbestimmungsrecht wahren kann (BGH NJW 94, 3010). Eine Aufklärung kann, außer in Sonderfällen welche aus medizinischen Gründen einen dringend Eingriff erfordern, bis zu einem Tag vor dem Eingriff ausreichend sein. Eine Aufklärung erst am selben Tag des Eingriffs ist jedoch nicht mehr rechtzeitig. Je nach den Umständen des Einzelfalles muss eine Aufklärung auch noch früher als einen Tag vor dem Eingriff erfolgen. Der Schutz des Selbstbestimmungsrecht des Patienten erfordert zum Beispiel, dass ein Arzt, der einem Patienten eine Entscheidung über die Duldung eines operativen Eingriffs abverlangt und für diesen Eingriff bereits ein Termin bestimmt, ihm schon zu diesem Zeitpunkt auch die Risiken aufzeigt, die mit diesem Eingriff verbunden sind (BGH VersR 2003, 1441).
Zum Erfordernis der Verständlichkeit der Aufklärung ist maßgeblich, dass die Aufklärung nicht nur sprachlich, sondern auch inhaltlich nachvollziehbar sein muss, insbesondere ist es erforderlich, die Aufklärung je nach dem Zustand des Patienten in leichter Sprache durchzuführen. Je nach Lage des Einzelfalles können auch Wiederholungen oder die Zuhilfenahme eines Dolmetschers erforderlich sein.
§ 630 e Abs. 2 S. 2 BGB bringt die wesentliche Neuerung, dass Abschriften von Unterlagen die der Patient im Zusammenhang mit der Aufklärung unterzeichnet hat dem Patienten auszuhändigen sind. Diese Pflicht besteht unabhängig von einer entsprechende Nachfrage des Patienten. Der Begriff des "Aushändigen" ist nach dem allgemeinen Sprachgebrauch weit zu verstehen. Ein persönliches Übergeben im Sinne eines "in die Hand geben" ist grundsätzlich nicht erforderlich. Vielmehr genügt auch eine Übersendung. Zu welchem Zeitpunkt die Unterlagen auszuhändigen sind ist im Gesetz nicht geregelt. Allerdings dürfte es im Interesse des Patienten liegen die Unterlagen jedenfalls vor Durchführung der geplanten Behandlung zu erhalten, wenn der zeitliche Rahmen dies ermöglicht (aA. Martis/Winkart aaO, P 57: Übergabe der Abschriften zusammen mit dem Entlassungsbrief). Liegt ein Verstoß gegen diese Aushändigungspflicht vor, kann dies zur Umkehr der Beweislast im Hinblick auf handschriftlich eingefügte Passagen in einem vom Patienten unterzeichneten Aufklärungsbogen führen (Martis/Winkart aaO, P55).
Gemäß § 630 e Abs. 3 BGB bedarf es der Aufklärung des Patienten nur ausnahmsweise dann nicht, wenn besondere Umstände vorliegen, insbesondere wenn die Maßnahme unaufschiebbar, der Patient auf die Aufklärung ausdrücklich verzichtet hat oder wenn beim Patienten ausreichende Vorkenntnisse oder eine Voraufklärung durch einen anderen Arzt, etwa den Hausarzt, erfolgte. Bezüglich der hierfür erforderlichen strengen Voraussetzungen wird auf die Ausführungen zu der Vorschrift des § 630 c BGB verwiesen.
Nach § 630 e Abs. 4 BGB ist bei einwilligungsunfähigen Patienten gemäß § 630 d Abs. 1 S. 2 BGB die Einwilligung eines hierzu Berechtigten einzuholen und dieser aufzuklären. Gegebenenfalls ist eine Betreuung des Patienten einzurichten.
Nach § 630 e Abs. 5 BGB ist auch der einwilligungsunfähige Patient entsprechend seinem Verständnis aufzuklären, soweit dieser aufgrund seines Entwicklungsstandes und seiner Verständnismöglichkeiten in der Lage ist, die Erläuterung aufzunehmen und soweit dies seinem Wohl nicht zuwider läuft. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen hat der Behandelnde vor Beginn der Behandlung festzustellen, wobei ihm ein Bewertungs- bzw. Beurteilungsspielraum zusteht. Ob der Behandelnde sein dahingehendes Ermessen sachgerecht ausgeübt hat, kann durch ein Gericht überprüft werden. Hierbei erscheint es sachgerecht dem Gericht eine umfassende Überprüfungsmöglichkeit einzuräumen (a.A. Nebendahl, MedR 2009, 197).
6. Dokumentation der Behandlung nach § 630 f BGB
Die in § 630 f BGB vorgesehene Dokumentation des Behandelnden dient primär dem therapeutischen Interesse des Patienten. Die gesetzliche Normierung der Dokumentationspflicht in § 630 f BGB bringt einige Neuerungen zu Art und Weise sowie Umfang der Dokumentation. Auch wenn die Dokumentation nach bisheriger, in der Literatur nicht einhellig geteilten, Rechtsprechung nicht dazu dient, dem Patienten Beweise für Schadenersatzansprüche in einem späteren Arzthaftungsprozess zu verschaffen (BGH NJW 1993, 2375; Martis/Winkhart aaO, Rn. D 205, P 74; aA. Laufs/Uhlenbruck aaO, § 59 Rdn. 5) sind die Neuerungen zur Dokumentationspflicht des § 630 f BGB zumindest geeignet, dem Patienten eine verbesserte Beweisführung zu ermöglichen.
Gemäß § 630 f Abs. 1 S. 1 BGB bestehen verschärfte Pflichten des Behandelnden bei der Dokumentationsführung. Von Bedeutung ist, dass der Behandelnde die Patientenakte in Papierform oder elektronisch in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Behandlung zu führen hat. Streitig ist, wie der Passus "in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Behandlung" zu verstehen ist. Nach einer Ansicht genügt eine Dokumentation "ohne schuldhaftes Zögern" mithin "unverzüglich" im Sinne von § 121 Abs. 1 BGB, wobei die Rechtsprechung regelmäßig ein maximales Zeitfenster von vierzehn Tagen vorsieht (vgl. Palandt aaO, § 121 BGB, Rn. 3 m.w.N.). Nach anderer Ansicht ist für eine Dokumentation "in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Behandlung" erforderlich, dass die Dokumentation sogleich nach der jeweiligen Behandlung erfolgt ("ereignisnah"), mithin noch am selben Tag der Behandlung. Bei mehreren Behandlungsschritten soll die Dokumentation jedenfalls aber noch an dem Tag zu erfolgen haben, an dem der Eingriff insgesamt beendet worden ist. Auch der Zeitpunkt der Dokumentation ist in der Patientenakte festzuhalten (Spickhoff, Patientenrechte und Patientenpflichten, VersR 2013, 267). Ob ein derart enges Zeitfenster für die Dokumentation immer praxistauglich ist, muss sich noch erweisen. Vernünftigerweise wird auch hier im jeweiligen Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände zu entscheiden sein, ob eine Dokumentation, welche in zeitlich größerem Abstand zur Behandlungsmaßnahme erfolgte, noch Beweiskraft hat (Vgl. zur Beweiskraft eines einen Monat nach dem Eingriff erstellten OP Berichts: OLG Naumburg, GesR 2012, 310).
Nach den §§ 630 f Abs.1 S. 2 u. 3 BGB ist neu, dass Berichtigungen und Änderungen von Eintragungen in der Patientenakte nur zulässig sind, wenn neben dem ursprünglichen Inhalt erkennbar bleibt, wann sie vorgenommen worden sind. Sinn und Zweck dieser Regelung ist die Patientenakte fälschungsicherer zu gestalten. Da die Patientenakte auch elektronisch geführt werden kann und gemäß § 630 f Abs. 1 S. 3 BGB auch für diesen Fall sicherzustellen ist, dass neben Berichtigungen und Änderungen von Eintragungen der ursprüngliche Inhalt erkennbar bleiben muss, sind die Computerprogramme entsprechend anzupassen oder zur Sicherheit die Patientenakte in Papierform zu führen. Darüber hinaus hat die Vorschrift Einfluss auf den Beweiswert der Patientenakte. Insbesondere wird einer Dokumentation, welche nicht den Vorschriften des §§ 630 f Abs. 1 S. 2 u. 3 BGB entspricht kein bzw. kein voller Beweiswert mehr zukommen (Martis/Winkhart aaO, P 80).
§ 630 f Abs. 2 BGB regelt den Umfang der Dokumentationspflicht. Danach sind sämtliche aus fachlicher Sicht für die derzeitige und künftige Behandlung wesentlichen Maßnahmen und deren Ergebnisse aufzuzeichnen, insbesondere die Anamnese, Diagnose, Untersuchungen, Untersuchungsergebnisse, Befunde, Therapien und ihre Wirkungen, Eingriffe und ihre Wirkungen, Einwilligungen und Aufklärungen. Der Umfang der Dokumentationspflicht in § 630 f Abs. 2 BGB ist daher grösser, als bisher von der Rechtsprechung gefordert. Bisher bestand keine Verpflichtung, Einwilligungen und Aufklärungen in der Patientenakte zu dokumentieren, wobei dies jedoch in der Praxis durchaus schon gehandhabt wurde. Die Dokumentation muss darüber hinaus das Dokumentierte in hinreichend klarer Form darstellen, mithin lesbar sein. Hierbei genügt die Lesbarkeit durch einen Fachmann, wobei auch stichwortartige Beschreibungen, Kürzel und Symbole verwendet werden können (BGH NJW 1993, 2375; Martis/Winkhart aaO, D 210 m.w.N.; Laufs/Uhlenbruck aaO, § 59 Rdn. 11). Eine Verpflichtung, die Patientenakte so zu führen, dass ein durchschnittlicher Patient sie auch lesen kann, ist aus der Vorschrift des § 630 f BGB zumindest nicht unmittelbar zu entnehmen und wird auch bisher überwiegend abgelehnt (vgl. aaO; sowie auch Jäger, aaO, Rn. 308).
7. Einsichtsrecht in die Patientenakte gemäss § 630 g BGB
§ 630 g Abs. 1 u. 2 BGB regelt als Ausfluss des Rechts des Patienten auf informationelle Selbstbestimmung die Pflicht des Behandelnden zur Gewährung von Einsicht in die Original-Patientenakte. Einsichtsberechtigt ist in erster Linie der Patient, jedoch auch ein evtl. vorhandener gesetzlicher Vertreter oder einer Bevollmächtigter. Verlangt der Patient die Einsicht, ist diese unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern, in der Regel in einer Frist zwischen drei und vierzehn Tagen zu gewähren. Eine Ablehnung der Einsichtnahme, welche nur möglich ist, wenn erhebliche therapeutische Gründe oder erhebliche Rechte Dritter entgegenstehen, muss der Behandelnde begründen. Rechte Dritter könnten einem Einsichtrecht zum Beispiel entgegenstehen bei Behandlung eines minderjährigen Patienten unter Einbeziehung der Eltern, wenn sensible Informationen über die Eltern und deren Persönlichkeit in der Patientenakte verzeichnet sind. Grundsätzlich hat die Einsicht in die Patientenakte gemäß § 811 BGB dort zu erfolgen, wo sich die Akte befindet. Beim Vorliegen eines wichtigen Grundes kann die Einsichtnahme jedoch auch an einem anderen Ort verlangt werden. Darüber hinaus kann der Patient gemäß § 630 d Abs. 2 BGB auch zusätzlich zum Einsichtnahmerecht elektronische Abschriften von der Patientenakte verlangen.
Die Kosten für die Einsichtnahme gemäß § 630 g Abs. 1 S. 3 BGB i.V.m. § 811 Abs. 2 BGB derjenige zu tragen, welcher die Einsichtnahme verlangt, wobei der Behandelnde die Einsichtnahme von einem Vorschuss des Patienten oder einer Sicherheit für die Kosten der Einsichtnahme abhängig machen kann. Kosten für die Einsichtnahme werden insbesondere dann anfallen, wenn der Behandelnde dem Patienten die Akte in Kopie übersendet, was zwar in § 630 d Abs. 1 BGB nicht explizit geregelt ist, jedoch in den allermeisten Fällen so gehandhabt wird.
Nach § 630 g Abs. 2 BGB hat der Patient beim Verlangen elektronischer Abschriften der Patientenakte hierfür die Kosten zu tragen, wobei hier allein eine Erstattungspflicht geregelt ist. Der Patient braucht die Kosten in diesem Fall nicht vorlegen und es steht ihm auch eine Aufrechnungsmöglichkeit mit Schadenersatzansprüchen zu. Der Patient, welcher auf eine Abschrift der Patientenakte angewiesen ist jedoch gut beraten, die zur Erlangung dieser Abschrift erforderlichen relativen geringen Kosten zu tragen, eher er Gefahr läuft, die Patientenakte mangels Kostentragung nicht zeitnah und gegebenenfalls erst nach Durchführung eines gerichtlichen Klageverfahrens zu erhalten.
Gemäß § 630 g Abs. 3 BGB steht das Einsichtrecht nach dem Tod des Patienten seinen Erben zur Wahrnehmung der vermögensrechtlichen Interessen zu. Gleiches gilt für die nächsten Angehörigen des Patienten, soweit sie immaterielle Interessen geltend machen. Die Rechte sind ausgeschlossen, soweit der Einsichtnahme der ausdrückliche oder mutmaßliche Wille des Patienten entgegensteht. Entgegen der bisherigen Rechtslage, wonach geprüft werden musste, ob der Patient mit der Aufhebung der ärztlichen Schweigepflicht mutmaßlich einverstanden gewesen wäre, wird diese Bereitschaft des Erblassers nunmehr vermutet, kann jedoch vom Behandler begründet widerlegt werden (Jäger aaO; OLG München, VersR 2009, 982).
8. Beweislast bei Behandlungs- und Aufklärungsfehlern nach § 630 h BGB
Mit der Vorschrift des § 630 h BGB werden die bereits bestehenden Rechtsprechungsgrundsätze zur Beweislastverteilung im Arzthaftungsprozess gesetzlich geregelt. Hierbei bleiben erweiterte Auslegungsmöglichkeiten erhalten. Auch Neuentwicklungen weiterer partieller Beweislastumkehrungen oder Beweiserleichterungen werden entgegen teilweise vertretener Ansicht (Spickhoff, aaO, 267, 279; Katzenmeier, MedR 2012, 576; a.A. Thole, MedR 2013, 145) nicht abgeschnitten.
Gemäß § 630 h Abs. 1 BGB wird ein Fehler des Behandelnden vermutet, wenn sich ein allgemeines Behandlungsrisiko verwirklicht hat, das für den Behandelnden voll beherrschbar war und das zur Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit des Patienten geführt hat. Während nach der allgemeinen Regelung des § 280 Abs. 1 S. 2 BGB beim Vorliegen eines Fehlers alleine das Verschulden vermutet wird, wird nach § 630 h Abs. 1 BGB bereits die Frage der Pflichtverletzung (Fehler des Behandelnden) widerlegbar vermutet. Dies gilt jedoch nicht für die Kausalität zwischen dem schuldhaft verursachten Behandlungsfehler und dem Eintritt des Primärschadens.
Bei voll beherrschbaren Risiken handelt es sich um Risiken, die aus objektiver Sicht aus einem Bereich stammen, dessen Gefahren medizinisch ausgeschlossen werden können und müssen (Vgl. Martis/Winkhart aaO V 302 m.w.N.; Laufs/Uhlenbruck aaO § 109 Rdn. 1). Ob in Zukunft zu Gunsten des Patienten im Einzelfall eine weitestgehende Minimierung von medizinischen Gefahren bereits für das Vorliegen eines voll beherrschbaren Risikos als ausreichend angesehen werden kann, wird sicherlich die Rechtsentwicklung zeigen.
Von besonderer Bedeutung sind beherrschbare Risiken im hygienischen Bereich, beim Einsatz medizinisch-technischer Apparate sowie bei der Organisation und Koordination des Behandlungsbetriebs (Laufs/Uhlenbruck aaO, § 109 Rdn. 1; Wussow/Bremenkamp aaO, Rdn. 40.). Voll beherrschbare Gefahren kommen insbesondere beim Vorliegen von Hygienemängel bei der Verabreichung von Infusionen, bei Operationen, beim Zurücklassen von Fremdkörpern im Operationsbereich oder beim Auftreten von Lagerungs- und Transportschäden (vgl. die Nachweise bei Martis/Winkhart, aaO, V 302 m.w.N.)in Betracht. Bei der Beurteilung, ob ein voll beherrschbares Risiko vorliegt, ist neben den besonderen Umständen des Einzelfalles zu berücksichtigen, dass sich der im Zeitablauf generell ansteigende allgemeine medizinische und technische Fortschritt auch positiv auf die volle Beherrschbarkeit der medizinischen Risiken auswirkt. Beweispflichtig für das Vorliegen eines voll beherrschbaren Risikos ist der Patient, wobei teilweise ein Anscheinsbeweis möglich ist (BGH VersR 2005, 1238; 2012, 363 m.w.N.; Jaeger aaO, Rn. 356; Wussow/Bremenkamp aaO, Rdn. 39).
Bei der Beachtung von Hygienestandards ist besonders das Infektionsschutzgesetz (IfsG) sowie die KRINKO-Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts zu berücksichtigen. Hygienemängel, welche bei Missachtung dieser Regelungen auftreten, stammen in der Regel aus einem voll beherrschbaren Bereich. Im Vordringen ist die Ansicht, dass die Normen des IfSG nicht nur dem Schutz der Gesundheit der Bevölkerung im Allgemeinen, sondern auch dem Schutz des einzelnen Patienten im Rahmen der konkreten Behandlung dienen. Dem einzelnen Patienten steht nach dieser Ansicht auch ein Einsichtsrecht in die nach dem IfsG zu erstellende Dokumentation zu (Martis/Winkhart aaO, P 98 m.w.N.).
Nach § 630 h Abs. 2 S. 1 BGB hat der Behandelnde zu beweisen, dass er eine Einwilligung gemäß § 630 d BGB eingeholt und entsprechend den Anforderungen des § 630 e BGB aufgeklärt hat. Der Umfang dieser Beweislast erstreckt sich auf alle Tatsachen aus denen sich die erforderliche Aufklärung für die durchgeführte oder unterlassene Behandlung und die Einwilligung dazu ergeben. Dazu gehört auch der Beweis, dass die Aufklärung entbehrlich war oder zu keinem anderen Ergebnis geführt hätte. Auf die Informationspflichten nach § 630 c BGB erstreckt sich die Beweislastverteilung jedoch nicht.
§ 630 h Abs. 2 S. 2 BGB betrifft bei unzureichender Aufklärung durch den Behandelnden die Fälle der hypothetischen Einwilligung des Patienten. Fehlt eine wirksame Einwilligung entfällt die Kausalität für die Gesundheitsverletzung, wenn der Patient bei ordnungsgemäßer Aufklärung die Einwilligung in die Maßnahme erteilt hätte. Darlegungs- und beweisbelastet für diesen hypothetischen Kausalverlauf ist der Behandelnde, welcher substantiiert vortragen muss, warum der Patient eingewilligt hätte.
An den vom Behandelnden zu führenden Nachweis der hypothetischen Einwilligung sind regelmäßig strenge Anforderungen zu stellen (vgl. Martis/Winkhart aaO, A 2200), wobei die bloße Möglichkeit, dass sich der Schaden bei Vermeidung des Behandlungsfehlers oder bei ordnungsgemäßer Aufklärung in gleicher Weise eingestellt hätte für den vom Behandelnden zu führenden Nachweis nicht ausreicht.
Der Patient kann diesem Vortrag des Behandelnden entgegensetzen, dass er sich bei ordnungsgemäßer Aufklärung aus seiner Sicht in einem echten Entscheidungskonflikt befunden hätte, aus dem heraus die behauptete Ablehnung der Einwilligung im damaligen Zeitpunkt verständlich erscheint. Im Arzthaftungsprozess genügt der Patient seiner dementsprechenden Darlegungslast, wenn er dem Gericht einen derartigen Entscheidungskonflikt plausibel macht, wobei an die hierfür erforderlichen Darlegungen des Patienten keine hohen Anforderungen zu stellen sind. Im Zweifel ist der Patient durch das Gericht mündlich anzuhören (BGH VersR 2005, 694; 2007, 999).
Nach § 630 h Abs. 3 BGB führt ein Verstoß gegen die Pflicht zur Dokumentation einer medizinisch gebotenen wesentlichen Maßnahme samt Ergebnis zu der Vermutung, dass die dokumentationspflichtige Maßnahme unterblieben und von dem Behandelnden nicht getroffen worden ist. Die Vorschrift erleichtert dem Patienten den ihm obliegenden Beweis des behaupteten Behandlungsfehlers, der durch den Dokumentationsmangel erschwert wird (vgl. Palandt aaO Rn. 6, m.w.N.). Die Vermutung greift nur ein, solange die Dokumentationspflicht zeitlich besteht. Nach Ablauf der Aufbewahrungspflicht gemäß § 630 f Abs. 3 BGB (10 Jahre nach Abschluss der Behandlung) kann die Vermutungswirkung des § 630 h Abs. 3 BGB allenfalls in Fällen eingreifen, in denen der Patient vor Ablauf der Aufbewahrungsfrist von seinem Einsichtrecht gemäß § 630 g BGB Gebrauch gemacht hat und ihm auch nach Ablauf der Aufbewahrungsfrist noch eine vollständige Kopie der Patientenakte vorliegt.
Nach § 630 h Abs. 4 BGB wird bei unzureichender Befähigung eines Behandelnden für die von ihm vorgenommene Behandlung vermutet, dass die mangelnde Befähigung für den Eintritt der Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit des Patienten ursächlich war. Die Befähigung ist am objektivierten Standard gemäß § 630 a Abs. 2 BGB zu messen. Die Regelung betrifft insbesondere Behandelnde, die sich noch in der Ausbildung befinden, Ärzte im Praktikum, Medizinstudenten "im praktischen Jahr" oder für eine selbständig durchzuführende Operation noch nicht ausreichend qualifizierte Assistenzärzte. Darüber hinaus werden auch Behandelnde erfasst, welche für die Anwendung neuer Behandlungsmethoden auf ihrem Fachgebiet noch nicht genügend Erfahrung haben oder außerhalb ihres Fachgebiets tätig werden. Da die medizinische Behandlung, welche in unmittelbarer Beziehung zur Gesundheit des Patienten steht, als ein sehr hohes Rechtsgut anzusehen ist und der Behandelnde als wissenschaftlich Sachkundiger in besonderem Umfang gehalten ist dem Kranken zu helfen (Laufs/Uhlenbruck aaO, § 1 Rdn.1), muss der Behandelnde oder die ihn unterstützende Organisation, wie z.B. ein Krankenhaus, dafür sorgen, dass der Facharztstandard eingehalten wird. Kann der geschuldete Standard durch das vorhandene Personal einer Klinik nicht gewährleistet werden, muss der Patient in eine leistungsfähige Klinik verlegt werden (BGH VersR 2005, 408; Jaeger aaO Rdn. 432).
Die Vermutungswirkung des § 630 h Abs. 4 BGB greift nach bisherigen Rechtsprechung jedoch nicht ein, wenn bei mangelnder Befähigung des Behandelnden eine nach dem jeweiligen Einzelfalles zu beurteilende ausreichende Aufsichtsführung durch einen Facharzt zur Gewährleistung des Facharztstandards erfolgt (vgl. zur Aufsichtsführung durch den Facharzt, Martis/Winkhart aaO, A 116 ff.).
In § 630 h Abs. 5 S. 1 BGB ist die bekannteste Beweislastumkehr beim Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers geregelt. Liegt ein grober Behandlungsfehler vor und ist dieser grundsätzlich geeignet, einer Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit der tatsächlich eingetretenen Art herbeizuführen, wird vermutet, dass der Behandlungsfehler für diese Verletzung ursächlich war. Die Voraussetzungen, welche zur Annahme eines groben Behandlungsfehler führen, können vom Patienten allerdings nicht immer bewiesen werden. Dies bedeutet für den Ausgang einer Arzthaftungsstreitigkeit jedoch oft keinen Nachteil für den Patienten, da eine Haftung des Behandelnden beim Vorliegen aller anderen Haftungsvoraussetzungen bereits bei einfachem Behandlungsfehler gegeben ist und der Nachweis des Ursachenzusammenhangs zwischen der Primärverletzung und des Behandlungsfehlers oft, in der Regel im Zivilprozess durch Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens, bewiesen werden kann.
Der Begriff des groben Behandlungsfehlers ist in der gesetzlichen Regelung nicht definiert, ergibt sich jedoch aus der Rechtsprechung, wonach ein Fehler dann grob ist, wenn der Behandelnde eindeutig gegen bewährte medizinische Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse verstoßen und einen Fehler begangen hat, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Behandelnden schlechterdings nicht unterlaufen darf (Martis/Winkhart aaO, G 161, m.w.N. aus der umfangreichen Rechtsprechung). Da ein objektiv-typisierender Fahrlässigkeitsbegriff herrscht, können generell eingerissene Nachlässigkeiten den Behandelnden nicht entlasten. Auch kommt es nicht darauf an, ob steuerbare räumliche oder personelle Engpässe die gebotene Behandlung erschwert haben (Wussow/Bremenkamp aaO, Rdn. 20 m.w.N.)
Eine grundsätzliche Eignung des groben Behandlungsfehlers zur Herbeiführung der eingetretenen Schädigung im Sinne von § 630 h Abs. 5 S. 1 BGB liegt bereits dann vor, wenn der grobe Behandlungsfehler generell als geeignete Ursache in Betracht kommt, mithin der Kausalzusammenhang mit dem Schaden als möglich erscheint. Umgekehrt stellt die Rechtsprechung darauf ab, dass die Vermutungswirkung nur dann entfällt, wenn jeglicher haftungsbegründende Kausalzusammenhang zwischen dem groben Behandlungsfehler und dem Eintritt des Primärschadens "gänzlich unwahrscheinlich" ist (BGH, VersR 1989, 80; BGH, NJW 2005, 427; Martis/Winkhart, aaO, P 107).
Wann im Einzelfall ein Behandlungsfehler als "grob" zu bezeichnen ist, ist nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalles zu entscheiden, wobei den Patienten hier die Beweislast trifft. Bei der Beurteilung eines Behandlungsfehlers als "grob" handelt es sich zwar um eine juristische Wertung, die dem Tatrichter, beim Landgericht i.d.R. in Kammerbesetzung, obliegt. Die wertende Entscheidung des Gerichts muss aber auf ausreichenden tatsächlichen Feststellungen beruhen, die sich auf die medizinische Bewertung des Behandlungsgeschehens durch einen vom Gericht beauftragten objektiven medizinischen Sachverständigen stützen und auf dieser Grundlage die juristische Gewichtung des ärztlichen Vorgehens als grob behandlungsfehlerhaft zu tragen vermögen (Martis/Winkhart aaO, G 172 f.).
Nach § 630 h Abs. 5 S. 2 BGB greift die Beweislastumkehr für den Kausalzusammenhang zwischen einem einfachen Behandlungsfehler und dem Eintritt des Primärschadens auch dann ein, wenn es der Behandelnde unterlassen hat, einen medizinisch gebotenen Befund rechtzeitig zu erheben oder zu sichern, soweit der Befund mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Ergebnis erbracht hätte, das Anlass zu weiteren Maßnahmen gegeben hätte, und wenn das Unterlassen solcher Maßnahmen grob fehlerhaft gewesen wäre. Zu dieser Vorschrift ist von Bedeutung, dass nach der Rechtsprechung des BGH (VersR 2011, 1148 = NJW 2011, 2508; VersR 2011, 1400 = NJW 2011, 3441; VersR 2010, 115) die Voraussetzungen "Verkennung des hinreichend wahrscheinlichen Befundes als Fundamental" sowie die Bewertung "Nichtreaktion auf den Befund als grob fehlerhaft" nicht kumulativ vorliegen brauchen (vgl. hierzu Martis/Winkhart aaO, P 109 f.).
Grobe Behandlungsfehler können neben dem Bereich der Behandlung an sich, bei der Diagnose, der Therapie und der Organisation vorliegen. Auch kann die Verletzung der Pflicht des behandelnden Arztes zur therapeutischen Aufklärung (Sicherungsaufklärung) als grober Behandlungsfehler gewertet werden (Martis/Winkhart aaO, G 297 ff.). Auch ist es möglich bei mehreren einfachen Behandlungsfehlern, etwa bei einer gestaffelten Behandlung im Rahmen einer Gesamtbetrachtung, das ärztliche Vorgehen zusammen zu sehen und deshalb als grob fehlerhaft zu bewerten. Es ist dann Sache des Behandlers darzulegen und zu beweisen, dass die festgestellten einfachen Behandlungsfehlers einzeln oder insgesamt den Primärschaden nicht herbeigeführt haben.