Kausalität
Gesetzlich nicht geregelt.
1 Allgemein
Als Kausalität wird der ursächliche Zusammenhang zwischen einer Rechtsgutsverletzung und dem Verletzungserfolg bzw. dem Schadenseintritt bezeichnet.
Die Kausalität ist Voraussetzung einer Schadensersatzpflicht: Die Haftung des Schädigers setzt voraus, dass seine Handlung bzw. sein Unterlassen ursächlich für den Verletzungserfolg und die entstandenen Schäden war.
Haben mehrere selbstständige Ursachen zum Erfolg geführt und wäre der Erfolg bei jeder eingetreten (kumulative Kausalität), ist jede Ursache als kausal anzusehen.
2 Kausalitätstheorien
Die Haftung des Schädigers wird dabei durch verschiedene Kausalitätsstufen begrenzt:
- a)
Die erste Stufe wird nach der Äquivalenztheorie ermittelt: Danach ist eine Ursache für den Erfolg kausal, wenn sie nicht hinweggedacht (bzw. bei Unterlassungsdelikten hinzugedacht) werden kann, ohne dass auch der Erfolg entfiele.
Diese Kausalitätslehre wird im Straf- und Bußgeldrecht angewandt. Nach dieser Theorie sind alle Bedingungen (Ursachen) einander gleich (Gleichwertigkeit aller Bedingungen), daher auch die ebenfalls verwendete Bezeichnung "Bedingungstheorie".
Die "uferlose" Ausdehnung wird durch die strafrechtliche Schuld bzw. die Vorwerfbarkeit im Ordnungswidrigkeitenrecht eingeschränkt.
- b)
Die durch die Äquivalenztheorie erfolgende weite Erfassung wird auf einer zweiten Stufe durch die Anwendung der Adäquanztheorie weiter eingegrenzt:
Adäquat ist im Sinne dieser Theorie nicht jede Ursache (Bedingung), die den eingetretenen Erfolg verursacht hat, sondern nur solche Ursachen, die dem Verantwortlichen billigerweise zugerechnet werden können. Das ist in der Regel dann der Fall, wenn die Ursache nach der "Lebenserfahrung" einen Erfolg herbeiführt.
Diese Kausaltheorie wird zur Begründung der Kausalität im Zivilrecht angewandt (da das Zivilrecht z.B. im Rahmen der Gefährdungshaftung auch eine Haftung ohne Verschulden kennt), im Strafrecht wird sie von der Rechtsprechung abgelehnt.
Allerdings spielt die Adäquanz auch im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht eine Rolle: Nach ständiger Rechtsprechung des BGH sind Abweichungen des tatsächlichen vom vorgestellten Kausalverlauf nur dann für die rechtliche Bewertung bedeutungslos, wenn sie sich innerhalb der Grenzen des nach allgemeiner Lebenserfahrung Voraussehbaren halten und keine andere Bewertung der Tat rechtfertigen (BGH 14.03.2000 - X ZR 199/97).
- c)
Letztendlich wird die Haftung durch die Lehre vom Schutzzweck der Norm begrenzt: In dem Schaden muss sich genau die Gefahr verwirklicht haben, vor der die Norm schützen soll.
Dies gilt auch für die Rechtsanwaltshaftung, die sich nach dem Schutzzweck der Norm grundsätzlich nur auf vermögensrechtliche Angelegenheiten (und nicht auf immaterielle Schäden) erstreckt (BGH 15.01.2009 - IX ZR 166/07, BGH 09.07.2009 - IX ZR 88/08).
Bedeutsam wird die Lehre vom Schutzzweck der Norm insbesondere auch bei der Beurteilung der Ursächlichkeit von geltend gemachten Folgeschäden. Sie sind nur dann noch dem Schädiger zuzurechnen, wenn noch ein innerer Zusammenhang zur ursprünglichen Schädigungshandlung besteht und der Schaden nicht zufällig eingetreten ist.
3 Kausalitätserscheinungsformen
3.1 Hypothetische Kausalität
Als hypothetische oder überholende Kausalität wird eine Ursache bezeichnet, die ohne das schädigende Ereignis später denselben Erfolg herbeigeführt hätte.
Beispiel:
Der Fahrer eines PKW wird bei einem Verkehrsunfall getötet. Er war unheilbar an Krebs erkrankt und hatte nur noch eine dreimonatige Lebenserwartung.
Hypothetische Kausalverläufe sind nur in Ausnahmefällen zu berücksichtigen und dann auch nicht bei der Zurechnung des Verletzungserfolges, sondern bei der Zurechnung des Schadensumfangs.
3.2 Doppelte Kausalität
Doppelte Kausalität wird angenommen, wenn mehrere unabhängig voneinander gesetzte Bedingungen zusammenwirken, die zwar auch für sich allein zur Erfolgsherbeiführung ausgereicht hätten, die tatsächlich aber alle in dem eingetretenen Erfolg wirksam geworden sind.
Ist ein bestimmter Schaden durch mehrere gleichzeitig oder nebeneinander wirkende Umstände verursacht worden und hätte jede dieser Ursachen für sich allein ausgereicht, um den ganzen Schaden herbeizuführen, dann sind nach der Rechtsprechung des BGH (u.a. BGH 20.02.2013 - VIII ZR 339/11) sämtliche Umstände als rechtlich ursächlich zu behandeln, obwohl keiner von ihnen als "conditio sine qua non" qualifiziert werden kann. In diesen Fällen bedarf es einer entsprechenden Modifikation der Äquivalenztheorie, weil der eingetretene Schadenserfolg ansonsten auf keine der tatsächlich wirksam gewordenen Ursachen zurückgeführt werden könnte.
3.3 Abgebrochene Kausalität
Der Täter setzt eine Ursache für den eingetretenen Erfolg, aber noch ehe diese Ursachenkette den Erfolg herbeiführen kann, führt eine andere Ursachenreihe den Erfolg selbstständig herbei. Mangels Ursachenzusammenhang kann der Täter für den Erfolg nicht bestraft werden, selbst wenn dieser später durch Fortwirken der zuerst gesetzten Ursache auch eingetreten wäre.
Beispiel:
A hat beschlossen seinen reichen Onkel B zu töten, um vorzeitig an das Erbe zu gelangen. Er schüttet B heimlich ein tödlich wirkendes Gift ins Glas. B trinkt das Glas ganz aus. Doch bevor das Gift zu wirken beginnt, rutscht B auf dem frisch gebohnerten Fußboden aus und trifft so unglücklich mit dem Kopf auf, dass er augenblicklich verstirbt. A hat hier keine im Erfolg fortwirkende Bedingung für den Tod des B gesetzt. Er ist aber wegen versuchten Mordes aus Habgier strafbar.
3.4 Unterbrechung des Kausalzusammenhangs
Eine andere Problematik ergibt sich, wenn Dritte oder der Verletze selbst durch das Schadensereignis einen weiteren Schaden verursachen (sogenannte Unterbrechung des Kausalzusammenhangs).
Die Beurteilung der weiteren schädigenden Handlung erfordert eine Abwägung: Sie kann dem Erstverursacher dann zugerechnet werden, wenn dieser durch seine Schadensverursachung den zweiten Ursachenverlauf herausgefordert hat und die Handlung des Dritten / des Verletzten als verhältnismäßig beurteilt werden kann.
Der Schädiger haftet nicht für therapiebedingte Primärschäden, d.h. für Schäden, die erst dadurch entstehen, dass sich nach einem Unfall der im juristischen Sinn Nichtbetroffene in ärztliche Behandlung begibt und durch Falschbehandlung eine Gesundheitsverletzung erleidet. Es fehlt dann der haftungsrechtliche Zurechnungszusammenhang, weil Unfall und Gesundheitsverletzung nur in einem äußeren, gleichsam zufälligen Zusammenhang stehen (OLG Celle 20.01.2010 - 14 U 126/09).
Kommt es zu einem selbstschädigendem Verhalten des Verletzten kann die Zurechnung der erstschädigenden Handlung dann entfallen, wenn der Verletzte in abwegiger, völlig ungewöhnlicher und unsachgemäßer Weise in den Fortgang der Dinge eingegriffen hat (OLG Saarbrücken 19.08.2011 - 8 W 182/11).
3.5 Abweichung vom Kausalverlauf
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (so u.a. BGH 15.02.2011 - 1 StR 676/10) "liegt eine wesentliche, den Vorsatz ausschließende Abweichung des tatsächlichen vom vorgestellten Kausalverlauf vor, wenn diese sich nicht mehr in den Grenzen des nach allgemeiner Lebenserfahrung Voraussehbaren hält und aufgrund eines insoweit veränderten Unrechtsgehalts eine andere rechtliche Bewertung der Tat erfordert."
4 Schadensanfälligkeit bei dem Geschädigten
Eine beim Geschädigten bzw. bei der geschädigten Sache bereits bestehende Schadensanfälligkeit (nicht völlige Unversehrtheit) ist nach der neueren Rechtsprechung zu berücksichtigen:
"Es ist vielmehr auch das Risiko in die Betrachtung miteinzubeziehen, das durch die bereits vorhandene Erkrankung für die künftige berufliche Situation des Geschädigten bestanden hat (...). Dementsprechend ist eine Verdienstausfallrente auf die voraussichtliche Dauer der Erwerbstätigkeit des Geschädigten, wie sie sich ohne das haftungsbegründende Ereignis gestaltet hätte, zu begrenzen; hierbei sind Anhaltspunkte für eine vom gesetzlich vorgesehenen Normalfall abweichende voraussichtliche Entwicklung zu berücksichtigen" (BGH 31.05.2016 - VI ZR 305/15).