Das Bundesverfassungsgericht, das Unterhaltsrecht und der Bundesgerichtshof

Das Bundesverfassungsgericht, das Unterhaltsrecht und der Bundesgerichtshof
18.02.20111743 Mal gelesen
Das Bundesverfassungsgericht hat am 25.1.2011 den Bundesgerichtshof abgewatscht und Teile dessen Unterhaltsrechtsprechung als verfassungswidrige Anmaßung gesetzgeberischer Befugnisse bezeichnet. Ich versuche darzustellen, warum, und versuche, Hintergründe auszuleuchten.

Mit einer Entscheidung vom 25.01.2011 (1 BvR 918/10), veröffentlicht erst nach Ausscheiden der Richterin des Bundesverfassungsgerichts Hohmann-Dennardt am 11.02.2011, hat das Bundesverfassungsgericht die sogenannte Drittelrechtsprechung des Bundesgerichtshof nicht etwa schlicht für verfassungswidrig erklärt. In der Pressenotiz bereits wird der Bundesgerichtshof quasi verprügelt, wie selten einmal ein Gericht in der Bundesrepublik Deutschland vom Bundesverfassungsgericht behandelt worden ist. Dem BGH wird vorgeworfen, gesetzgeberische Grundentscheidungen durch eigene Gerechtigkeitsvorstellungen zu ersetzen. Die Rechtsprechung lasse sich mit keiner der anerkannten Auslegungsmethoden rechtfertigen. Sie laufe dem klaren Gesetzeswortlaut des § 1578 Abs. 1 S. 1 BGB zuwider und widerspreche dem Zweck des § 1578 Abs. 1 S. 1. BGB.

Mein Kommentar:

Nach bisherigem Recht und nach dem Wortlaut des neu gefassten § 1578 Abs. 1 S. 1 BGB bestimmt sich der unterhaltsrechtliche Bedarf des auf Unterhalt angewiesenen geschiedenen Ehegatten nach den ehelichen Lebensverhältnissen.

Es entspricht den Denkgesetzen, dass die ehelichen Lebensverhältnisse nur geprägt werden konnten bis zum Ende der Ehe, und dass irgendwelches Geschehen nach Beendigung der Ehe nicht mehr eheprägend sein kann.

Über diese Denkgesetze hat sich der Bundesgerichtshof hinweggesetzt und in den Fällen, in denen der unterhaltspflichtige Mann sich ein zweites Mal verheiratet hat und daraus eine durch Geburt eines weiteren Kindes resultierende weitere Unterhaltspflicht gegenüber dieser "neuen Mutter" entstanden war oder er lediglich nichtehelich ein Kind gezeugt hatte, sodass daraus ein Unterhaltsanspruch der Freundin aus § 1615 l Abs. 2 BGB resultierte, erklärt, die daraus entstehenden Unterhaltspflichten beeinflussten im Nachhinein die ehelichen Lebensverhältnisse. Der Bundesgerichtshof hat diese Kunst, die Wirklichkeit zu verändern, mit dem Begriff der "wandelbaren ehelichen Lebensverhältnisse" überschrieben. Wäre das Thema nicht so ernst, müsste man es Hokus-Pokus nennen.

Was waren die Motive? Man muss sich bitte vergegenwärtigen, dass Unterhalt für geschiedene Frauen heute nur noch bei guten bis exzellenten wirtschaftlichen Verhältnissen des geschiedenen Ehemannes überhaupt eine Rolle spielt.

Wenn ein Mann Unterhaltspflichten für zwei Kinder in der zweiten Altersgruppe zu tragen hat, schuldet er also Nettounterhalt von € 544,00, muss er bei einem Selbstbehalt von

€ 1.050,00 gegenüber der Frau und unter Zurechnung einer Pauschale für berufsbedingten Aufwand von nur € 50,00 brutto € 2.550,50 verdienen, damit er auf netto € 1.644,00 gelangt und nach Abzug des Kindesunterhalts von € 544,00 auf seinen Selbstbehalt von € 1.050,00 plus Pauschale für berufsbedingten Aufwand gleich € 1.100,00 kommt.

Die Rechtsprechung zum Frauenunterhalt kann man also getrost Rechtsprechung für die privilegierten Kreise nennen, Rechtsprechung "entre nouz".

Wie wirkt sich das aus?

 Altes Recht:

Nehmen wir an, ein Mann habe nach Abzug der Pauschale für berufsbedingten Aufwand und unter Berücksichtigung seines Anreizsiebtels und nach Zahlung des Kindesunterhalt noch ein bereinigtes Netto von € 5.333,00.

Dann läge der ehegeprägte Unterhaltsbedarf der Ehefrau bei der Hälfte gleich € 2.666,50,

würde aber begrenzt durch die sogenannte Sättigungsgrenze mit 3/7tel von € 5.100,00 (dem obersten Einkommensbetrag der Düsseldorfer Tabelle) und € 2.185,00.

Zieht man von € 5.333,00 die € 2.185,00 ab, verbleiben dem geschiedenen Mann beachtenswerte € 3.148,00. Hat er mit seiner Freundin oder neuen Ehefrau ein Kind gezeugt, hätte das Kind einen Unterhaltsanspruch von € 416,00, und es verblieben ihm € 2.732,00. Davon hätte er Unterhalt zu zahlen in Höhe von 3/7tel gleich € 1.170,00, und ihm verblieben € 1.562,00.

Das wurde als richtig und gerecht empfunden aus zwei vernünftigen, nachvollziehbaren Gründen:

Die geschiedene Frau hat keine Möglichkeit, das nacheheliche Verhalten Ihres Mannes in irgendeiner Weise zu steuern.

Unterstellt man dem Mann wie seiner Freundin /2. Frau Kopfsteuerung, und 2011 sollte man das tun dürfen, jedenfalls in Zentraleuropa, wusste er, dass er aus seiner Ehe heraus seiner geschiedenen Frau zum Unterhalt verpflichtet ist und dass sein ihm verbleibendes Resteinkommen beschränkt war, dass jede durch Widerverheiratung oder Zeugung eines Kindes begründete Unterhaltspflicht das ihm verbleibende Budget schmälern würde, und wusste sie, dass, wenn sie sich mit einem geschiedenen Mann einlässt, sie es mit einem (unterhaltsrechtlich) verschuldeten Mann zu tun habe. Krass, aber auf den Punkt gebracht: Sie muss ja nicht mit dem Mann in die Kiste steigen, so wenig, wie er dazu gezwungen wird.

Da wird dann aber gefaselt vom Recht auf eine neue Familie. Das nimmt dem Herrn aber niemand, er soll nur verpflichtet sein, die Konsequenzen seines eigenen Verhaltens zu tragen, wie das eigentlich immer und überall im Leben Erwachsener sein sollte. Mehr wird ihm nicht zugemutet.

Derartige Konsequenz beim Handeln und Hinnahme der Folgen unüberlegten Handelns  mochte nun aber der Bundesgerichtshof Männern der gehobenen Einkommensschichten   nicht zumuten. Die alte Frau soll mit in die Verantwortung gezogen werden, wenn der alte Mann sich noch mal verheiratet und / oder vermehrt. Das heisst nach "wandelbare eheliche Verhältnisse" und hört sich, aus dem Munde des BGH, wichtig an, obwohl es Quatsch ist: Das Verhältnis des Mannes mit einer weiteren Frau hat in einem Rechtskreis, dem die Vielehe unbekannt ist, nichts mit ehelichen Verhältnisses zu tun.

Die Irrlehre  des BGH:

€ 5.333,00 Manneseinkommen werden um den Kindesunterhalt des neuen Kindes von € 416,00 reduziert auf € 4.917,00. Die € 4.917,00 werden durch drei geteilt. Damit verbleibt dem geschiedenen Ehemann ein Selbstbehalt von € 1.639,00, die Freundin bekommt € 1.639,00, und die geschiedene Ehefrau statt € 2.185,00 nur noch € 1.639,00.

Die ehelichen Lebensverhältnisse, die dem Gesetz folgend der Maßstab für den Unterhaltsbedarf der geschiedenen Ehefrau sein sollen, spielen ersichtlich keine Rolle mehr. Die geschiedne Frau wird in die Haftung genommen für das promiske Verhalten ihres Exmannes.

Völlig zu Recht hat das Bundesverfassungsgericht dem Bundesgerichtshof unmissverständlich Arroganz, Überheblichkeit, Anmaßung vorgeworfen. Die Überheblichkeit dieses 12. Senats, sich quasi gesetzgeberische Bedeutung zuzumessen, zieht sich wie ein roter Faden durch die Rechtsprechung dieses Senats.

Ich erwähne hier nur die Entscheidung XI ZR 343/99 vom 13.06.2001 mit dem berühmten Paradigmenwechsel weg von der unterhaltsrechtlichen Anrechnungsmethode hin zur unterhaltsrechtlichen Differenzmethode, von der der Bundesgerichtshof in der Entscheidung vom 05.09.2001 mit dem Aktenzeichen XII ZR 108/00 erklärt hat, diese seine Entscheidung habe quasi gesetzesändernde Qualität (mit der Begründung hat es eine Entscheidung des Oberlandesgerichts München aufgehoben, das sich doch tatsächlich erdreistet hatte, schon vor dem 13.06.2001 zu judizieren wie der Bundesgerichtshof seit dem 13.06.2001: Das empfand die Vorsitzende, Frau Meo-Micaela Hahne, wohl als empörend, als Blasphemie.

Ich erwähe eine weitere Entscheidung, nämlich die vom 12.04.2006 XII ZR 240/03, wo der Bundesgerichtshof erklärt hat, der Geschiedenenunterhalt sei befristbar: So stehe es im Gesetz, um dann am 18.11.2009 in XII ZR 65/09 darzulegen, dass mit der Unterhaltsrechtsreform zum 01.01.2008, was die Befristbarkeit von Geschiedenenunterhalt angehe, gar keine Gesetzesänderung erfolgt sei. Die "Rechtsänderung" sei vielmehr schon von ihm, dem Bundesgerichtshof, mit der Entscheidung vom 12.04.2006 herbeigeführt worden.

Nebenbei: Diese unglaubliche richterliche Überheblichkeit hat keinen Autor hier im Lande veranlasst, mal laut zu werden und darauf hinzuweisen, dass die gesetzgebende Gewalt in unserem Land immer noch vom Parlament, vom Volk, ausgeht, dass dies  ein Rechtsstaat, kein Richterstaat, ist.

Wie kann es dazu kommen?

Das Unterhaltsrecht (das alte wie das neue) wimmelt nur so von unbestimmten Rechtsbegriffen wie Billigkeit, Unbilligkeit, grober Unbilligkeit, gibt also dem Richter ein Ermessen an die Hand, das nahezu unendlich ist. Man produziert in Berlin eine weiche Masse, und hofft, die Rechtsprechung werde der während des Trockenvorgangs schon eine Form geben. Das heisst: Durch schludrige Gesetzesarbeit provoziert die ministerielle Gesetzgebungsmaschinerie in Berlin die Einmischung der Gerichte (und beschimpft das Bundesverfassungsgericht, wenn es am Ende des Prozesses die gesetzgeberische Schludrigkeit herausstreicht)

Für das richterliche Ermessen gilt, was kluge Leute schon mal gesagt haben: Der Richter entscheidet dann nach bestem Wissen und Gewissen, aber es gibt halt niemanden, der bestimmt, wie weit das Gewissen des Richters sein darf, und wie umfangreich sein Wissen sein müsste.

Thorsten Kraul hat in "Die Welt" vom 15.02.2011 vortrefflich formuliert:

"Die Anmaßung konnte sich der Bundesgerichtshof, immerhin die letzte Instanz in Fällen des Bürgerlichen Gesetzbuchs, erlauben, weil das zugrunde liegende Ehe- und Familienrecht schwammig formuliert ist. Das Gesetz ist kein Handlungsleitfaden, sondern nur noch Auslegungsware."

Ich habe schon während der Gesetzesberatungen sämtliche Mitglieder des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages vor den gesetzgeberischen Ungereimtheiten, vor der Verwendung der unbestimmten Rechtsbegriffe, davor, dass das Bundesverfassungsgericht der Anwendung neuen Rechts auf alte Ehen die verfassungswidrige Qualifikation der sogenannten "unechten Rückwirkung" umhängen könne, gewarnt, habe gewarnt vor der Gefahr, dass insbesondere intelligente Frauen, das Risiko kalkulierend, nach Scheitern einer Ehe die volle wirtschaftliche Verantwortung für sich selbst tragen und die Betreuungsarbeit für das Kind leisten zu müssen und damit vor langfristig zu absolvierenden 70-Stundenwochen zu stehen, zum Anlass nehmen würden, die Konsequenz ziehen und sich jeder Schwangerschaft verweigern mit der Folge, dass Kinderkriegen in Deutschland in ein reines Unterschichtsgeschehen umschlage, vorübergehend den Menschen mit Migrationshintergrund überlassen werde.

Genau die Leute in der Politik, die jetzt mehr oder weniger ungefragt ihre Bedenken äußern, von Nachbesserungsbedar reden, von der Notwendigkeit der Nachjustierung bei Altehen, Frau Ute Granold, Frau Leutheusser-Schnarrenberger, Herr Greis, haben sich völlig ignorant gezeigt, empört geradezu, dass da jemand aus der Provinz sich in parlamentarische Vorgänge einmische, obwohl man doch nur am Parlamentssitz über das notwendige Wissen und die notwendige Einsicht verfüge.

Wir werden jetzt auch wieder die Damen und Herren Lehrbuchautoren und Kommentarherausgeber hören, die es auch immer schon gewusst haben, dummerweise, ohne ihre Kritik in die Lehrbücher und die Kommentare zu schreiben. (Konnten sie ja schlecht, denn die haben das neue Unterhaltsrecht ja laut beklatscht, war dessen Inkrafttreten doch Voraussetzung dafür, dass sie neue Lehrbücher, Kommentare schreiben und Seminare veranstalten konnten, ein gigantisches Geschäft - nebenbei: Auch für die Mitglieder des XII. Senats: Der ist zwar so überlastet, dass der Gesetzgeber die Revisions-Nichtzulassungsbeschwerde zunächst mal nur suspendiert und mit dem neuen FamFG vollständig eliminiert hat, aber es reicht, um als Herausgeber und Autoren von einem halben Dutzend Büchern zum Unterhaltsrecht aufzutreten und von Fortbildungsseminar zu Fortbildungsseminar zu tingeln. (Weder vergebens noch umsonst, versteht sich)

Die "Immer-schon-alles-Wisser" haben jetzt wieder Hochkonjunktur: In den nächsten Wochen[1] werden wir Familienrechtler überschwemmt werden mit Seminarangeboten über "die neue Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Unterhalt bei Wiederverheiratung des unterhaltspflichtigen Ehegatten", und zwar werden wir dort als Vortragende genau die Damen und Herren wieder finden, die - ich sagte es - es eigentlich schon immer gewusst haben, nur "vergessen" haben, die Kritik an Gesetz und Rechtsprechung auch zu formulieren.

Die meisten Juristen sind angepasste Feiglinge, wobei ich Richtern zugute halte, dass das Bundesverfassungsgericht nichts ausgelassen hat, um denen die Lust an einem Normenkontrollverfahren nach Artikel 100 GG zu nehmen, indem es gegen den Verfassungswortlaut die Zulässigkeit eines Vorlagebeschlusses davon abhängig gemacht hat, dass der inhaltlich und umfänglich die Qualität einer verfassungsrechtlichen Dissertation habe.(Siehe mein Editorial im Heft 46 der NJW 2009).

Rechtsanwälte sind zu überzeugungslosen Dienstleistungsverkäufern verkommen die kein Problem damit haben, eben für den Unterhaltsanspruch einer Frau zu streiten und zehn Minuten vor demselben Richter mit den Argumenten, die ihm gerade sein Gegner im ersten Verfahren entgegengehalten hat, die Unterhaltsansprüche der ihm gegenüber sitzenden Ehefrau gegen seinen Mandanten als gesetzwidrigen Unsinn zu geißeln. (Nicht ohne Grund konsultiert man den Arzt, aber nimmt sich einen Anwalt.)

Wieder zurück zum Thema: Ich glaube nicht, dass dies die letzte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum "neuen Unterhaltsrecht" war.

Ich gehe davon aus, dass wir in den nächsten Wochen zumindest noch eine Entscheidung zu lesen bekommen werden zur Frage der "unechten Rückwirkung" des neuen Rechts oder der Rechtsprechung des BGH zum neuen Recht auf Altehen, also bezogen auf die Problematik, dass Frauen, die nach langer Ehe und Übernahme der Rolle als Hausfrau und Mutter ihrem Leben nach einer Scheidung keine entscheidende Wende mehr geben können, in geradezu menschenverachtender  Weise vom neuen Unterhaltsrecht in den Orkus der Armseligkeiten gestoßen werden, der Problematik, dass eine solche Gesetzesanwendung in der Lebenswirklichkeit dieses Landes ausnahmslos Frauen benachteiligt und Männern nützt.

Ich gestatte mir den Hinweis, dass ich wesentliche Teile der Kritik, die das Bundesverfassungsgericht jetzt übt, schon lange veröffentlicht habe, unter anderem auf