Fristlose Kündigung im Arbeitsrecht (Rüter & Pape Rechtsanwälte für Arbeitsrecht in Frankfurt am Main)

Arbeit Betrieb
22.09.20101482 Mal gelesen
Wann kann der Arbeitsvertrag außerordentlich fristlos gekündigt werden? - Rüter & Pape Rechtsanwälte für Arbeitsrecht in Frankfurt am Main

Außerordentliche fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses

 

Allgemeines

 

§ 626 Abs. 1 BGB räumt sowohl dem Arbeitgeber als auch dem Arbeitnehmer das Recht ein, das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung der Kündigungsfrist (bzw. des im Wege der Befristung vereinbarten Beendigungszeitpunkts) zu kündigen, sofern ein wichtiger Grund vorliegt, der es dem Kündigenden auch nach Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und Abwägung der Interessen beider Vertragsteile unzumutbar macht, das Arbeitsverhältnis nicht einmal bis zum Ablauf der Kündigungsfrist (bzw. des vereinbarten Beendigungszeitpunkts) fortzusetzen.

 

Nach § 626 Abs. 2 BGB muss die Kündigung dann innerhalb von 2 Wochen nach Bekanntwerden des wichtigen Grundes erfolgen. Lässt derjenige, der an sich zur außerordentlichen Kündigung berechtigt wäre, diese Frist verstreichen, so wird vermutet, dass ihm die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist. Er kann dann wegen dieses Sachverhalts allenfalls noch ordentlich kündigen.

 

Die außerordentliche Kündigung wird regelmäßig fristlos ausgesprochen. Sie beendet das Arbeitsverhältnis dann sofort mit Zugang der Kündigung.

 

Die außerordentliche Kündigung kann aber auch mit einer Kündigungsfrist ausgesprochen werden (sog. außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist), muss dann aber ausdrücklich als außerordentliche Kündigung bezeichnet werden, um Abgrenzungsschwierigkeiten zur ordentlichen Kündigung (mit Kündigungsfrist) zu vermeiden. Die Dauer der Auslauffrist steht im Ermessen des Kündigenden; je mehr sie sich aber der Kündigungsfrist für eine ordentliche Kündigung nähert, desto fragwürdiger ist es allerdings, ob die Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist tatsächlich unzumutbar ist (mit der Folge, dass nur eine ordentliche Kündigung in Betracht kommt). Nur bei der außerordentlichen Kündigung von Arbeitnehmern, denen (tarif-)vertraglich nicht mehr ordentlich gekündigt werden kann, muss die Auslauffrist der Kündigungsfrist entsprechen, die gelten würde, wenn der Arbeitnehmer ordentlich kündbar wäre.

 

Der Kündigungsempfänger ist übrigens nicht verpflichtet, die gewährte Auslauffrist zu akzeptieren: Lehnt er sie ab, endet das Vertragsverhältnis mit sofortiger Wirkung.

 

Da es also auch außerordentliche Kündigungen mit Auslauffrist gibt, muss der Kündigende in seiner Kündigungserklärung eindeutig zu erkennen geben, ob er außerordentlich mit Auslaufrist oder ordentlich mit einschlägiger Kündigungsfrist kündigen will. Bestehen insoweit Zweifel, dann gilt die Kündigung als ordentliche, da der Kündigende ebenso gut von einer ordentlichen Kündigung ausgegangen sein und hierbei lediglich die Kündigungsfrist falsch berechnet haben könnte.

 

Die außerordentliche Kündigung muss (wie jede Kündigung) gemäß § 623 BGB schriftlich erfolgen. Die Begriffe "außerordentliche Kündigung" oder "wichtiger Grund" muss der Erklärende nicht gebrauchen; ausreichend - aber auch erforderlich - ist, dass der Kündigungsempfänger erkennen kann, dass das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund außerordentlich gekündigt werden soll.

 

Die Kündigungsgründe müssen in dem Kündigungsschreiben übrigens nicht mitgeteilt werden (Ausnahme: Die Kündigung eines Berufsausbildungsverhältnisses muss nach Ablauf der Probezeit gemäß § 15 Abs. 3 BBiG begründet werden, sonst ist sie bereits deshalb unwirksam).

 

Besteht ein Betriebsrat, muss er vor Ausspruch der Kündigung nach § 102 Abs. 1 BetrVG angehört werden. Der Betriebsrat hat für seine Stellungnahme 3 Tage Zeit - vor Ablauf dieser Frist darf die Kündigung nicht ausgesprochen werden, es sei denn, der Betriebsrat hat bereits vorher abschließend Stellung genommen.

 

Der wichtige Kündigungsgrund

 

Eine Kündigung, gleich ob ordentlich oder außerordentlich, soll kein vergangenes Fehlverhalten bestrafen, sondern nur weitere Störungen des Arbeitsverhältnisses in der Zukunft unterbinden. Eine (außerordentliche) Kündigung kommt daher überhaupt nur in Betracht, wenn aufgrund des Fehlverhaltens auch in Zukunft mit erheblichen Belastungen des Arbeitsverhältnisses zu rechnen ist (sog. Negativprognose). Sind dagegen keine weiteren Störungen zu befürchten, so bedarf es keiner (außerordentlichen) Kündigung.

 

Die außerordentliche Kündigung ist das schärfste Mittel, mit dem der Arbeitgeber auf eine Verfehlung des Arbeitnehmers reagieren kann. Deshalb ist eine außerordentliche Kündigung nur zulässig, wenn mildere Maßnahmen (Abmahnung, Versetzung, einverständliche Abänderung des Vertrags, außerordentliche Änderungskündigung oder ordentliche Kündigung) nicht geeignet sind, das Vertragsverhältnis störungsfrei fortzusetzen (sog. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit). Als vorrangiges milderes Mittel kommt vor allem die Abmahnung oder die ordentliche Kündigung unter Einhaltung der Kündigungsfrist in Betracht. Es gilt nämlich folgendes Stufenverhältnis: Würde der Kündigungssachverhalt bereits keine ordentliche Kündigung rechtfertigen (weil z. B. eine Abmahnung genügt hätte), so kann er erst recht keine außerordentliche Kündigung rechtfertigen.

 

Die Abmahnung hat demnach 2 wesentliche Funktionen:

 

Einmal im Zusammenhang mit der Negativprognose, denn wer bereits eine einschlägige Abmahnung mit Kündigungsandrohung erhalten und dennoch erneut eine ähnliche Vertragsverletzung begangen hat, der gibt zu erkennen, dass er sich auch zukünftig nicht vertragsgerecht verhalten wird.

 

Zum anderen im Zusammenhang mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, denn die Abmahnung ist als Reaktion des Arbeitgebers auf eine Pflichtverletzung des Arbeitnehmers ausreichend, wenn zu erwarten ist, dass der Arbeitnehmer sich die Abmahnung als Warnung dienen lassen und die Pflichtverletzung sich in Zukunft nicht weiter negativ auf das Arbeitsverhältnis auswirken wird. Umgekehrt ist eine Abmahnung kein milderes Mittel und damit vor Ausspruch einer (außerordentlichen) Kündigung entbehrlich, wenn eine Verhaltensänderung des Arbeitnehmers trotz Abmahnung nicht erwartet werden kann oder es sich um eine derart schwere Pflichtverletzung handelt, dass der Arbeitnehmer die Rechtswidrigkeit seines Handelns ohne weiteres erkennen und deshalb nicht ernsthaft erwarten kann, dass der Arbeitgeber dieses Verhalten duldet.

Liegt hiernach objektiv ein außerordentlicher Kündigungsgrund vor, so bedeutet dies noch nicht, dass die außerordentliche Kündigung auch tatsächlich wirksam ist. Es muss nämlich zusätzlich noch geprüft werden, ob es dem Arbeitgeber nach Abwägung aller relevanten Umstände des konkreten Sachverhalts nicht doch zuzumuten ist, zumindest die einschlägige Kündigungsfrist abzuwarten. Dann nämlich wäre jedenfalls die ordentliche Kündigung ein milderes Mittel, um angemessen auf die Vertragsstörung zu reagieren. Entscheidend kommt es stets auf die Umstände des Einzelfalls an. Es gibt keine absoluten Kündigungsgründe, bei deren Vorliegen eine außerordentliche Kündigung stets wirksam wäre. Vielmehr sind sämtliche arbeitsvertraglich relevanten Umstände bei der Interessenabwägung zu berücksichtigen, z. B. 

  • Art und Schwere der Vertragsstörung;
  • Folgen der Vertragsstörung, vor allem die betrieblichen und wirtschaftlichen Auswirkungen für den Arbeitgeber;
  • die Dauer der Betriebszugehörigkeit des Arbeitnehmers, vor allem die Dauer des störungsfreien Verlaufs des Arbeitsverhältnisses (sog. Vertrauenskapital);
  • ein etwaiges Verschulden des Arbeitnehmers;
  • die Folgen einer außerordentlichen Kündigung für den Arbeitnehmer, vor allem die Gefahr der Verhängung einer Sperrzeit nach § 144 SGB III oder die schwere Vermittelbarkeit des Arbeitnehmers auf dem Arbeitsmarkt ob seines Alters.

Liegt objektiv eine schwerwiegende Vertragsverletzung und damit an sich ein außerordentlicher Kündigungsgrund vor, so kann die außerordentliche Kündigung demnach gleichwohl unwirksam sein, weil die umfassende Interessenabwägung ergibt, dass im Einzelfall das Interesse des Arbeitnehmers an der Einhaltung der Kündigungsfrist das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Vertragsbeendigung überwiegt:

 

So kann ein und derselbe Verstoß gegen arbeitsvertragliche Pflichten die außerordentliche Kündigung eines jungen, noch nicht lange beschäftigten Arbeitnehmers rechtfertigen, während die außerordentliche Kündigung bei einem älteren Mitarbeiter, der seit vielen Jahren beanstandungsfrei beschäftigt ist, unwirksam sein kann.

 

Eine außerordentliche Kündigung ist also nur wirksam, wenn 

  1. der Arbeitnehmer seine arbeitsvertraglichen Pflichten verletzt und hierdurch eine erhebliche Vertragsstörung verursacht hat,
  2. die die Prognose rechtfertigt, dass auch bis zum Ablauf der Kündigungsfrist mit Störungen des Arbeitsverhältnisses zu rechnen ist,
  3. die so schwerwiegend ist, dass keine anderen milderen Mittel zur Verfügung stehen, um die Vertragsstörung für die Zukunft zu beheben,
  4. und die es schließlich auch nach Berücksichtigung aller Umstände des konkreten Einzelfalls und einer umfassenden Abwägung der beiderseitigen Interessen für den Arbeitgeber unzumutbar macht, zumindest noch die Kündigungsfrist abzuwarten.
 

Sachverhalte, die eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen können, sind: 

  • beharrliche Arbeitsverweigerung;
  • eigenmächtiger Urlaubsantritt;
  • vorsätzliche erhebliche Überschreitung des gewährten Urlaubs;
  • Alkoholgenuss während der Arbeitszeit;
  • außerdienstliches Verhalten, wenn es Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis hat (z. B. bei Angestellten des öffentlichen Dienstes);
  • Beleidigungen, Tätlichkeiten oder Belästigungen;
  • verbotene Konkurrenztätigkeit;
  • Nebentätigkeit während der Arbeitsunfähigkeit, sofern der Heilungsprozess des Arbeitnehmers hierdurch beeinträchtigt wird;
  • strafbare Handlungen im dienstlichen Bereich (Diebstahl, Unterschlagung, Spesenbetrug).
 

Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB

 

Nach § 626 Abs. 2 BGB muss die außerordentliche Kündigung dem Kündigungsempfänger innerhalb von 2 Wochen nach Bekanntwerden des Kündigungssachverhalts schriftlich zugehen. Der Betroffene hat nämlich ein berechtigtes Interesse daran, zeitnah zu erfahren, ob die Gegenseite sein Fehlverhalten zum Anlass einer außerordentlichen Kündigung nehmen wird oder nicht. Die Kündigung muss innerhalb der 2 Wochen zugehen; der Ausspruch der Kündigung innerhalb dieser Frist genügt also nicht. Versäumt der Kündigungsberechtigte die 2-Wochen-Frist, so kann er wegen dieses Sachverhalts jedenfalls nicht mehr außerordentlich kündigen.

 

Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgeblichen Tatsachen sichere und möglichst vollständige Kenntnis erlangt hat.

 

Die Kenntnis Dritter muss sich der Arbeitgeber nur zurechnen lassen, wenn diese selbst zum Ausspruch einer Kündigung berechtigt sind, also etwa Prokuristen, Personal- oder Abteilungsleiter.

Die Frist beginnt nicht, solange der Kündigungsberechtigte den Sachverhalt noch mit der gebotenen Eile aufzuklären versucht. So kann der Arbeitgeber etwa bei Straftaten zunächst den Abschluss eines staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens abwarten. Bei Dauertatbeständen, bei denen fortlaufend neue kündigungsrelevante Tatsachen entstehen (z. B. unentschuldigtes Fernbleiben von der Arbeit für mehrere Tage), beginnt die Frist erst mit dem Ende der Fehlzeit.

 

Die Frist des § 626 Abs. 2 BGB verlängert sich nicht um die Dauer für das Anhörungsverfahren vor dem Betriebsrat. Der Arbeitgeber muss spätestens am 10. Tag nach Kenntniserlangung des kündigungsrelevanten Sachverhalts das Anhörungsverfahren vor dem Betriebsrat einleiten, damit dieser die ihm gemäß § 102 Abs. 2 S. 3 BetrVG zustehende 3-Tage-Frist zur Stellungnahme auszunutzen kann.

 

Bei Arbeitnehmern mit besonderem Kündigungsschutz (z. B. Schwangere oder Schwerbehinderte) muss der Arbeitgeber den Antrag auf behördliche Zulässigerklärung bzw. Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung innerhalb der Frist des § 626 Abs. 2 BGB stellen. Liegt die Zustimmung dann vor (auch nach Ablauf der 2-Wochen-Frist), muss er die Kündigung unverzüglich aussprechen.

  

RA Marco Pape

Rüter & Pape Rechtsanwälte

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Stand: 01.03.2012