Sperrzeit
1 Einführung
Gemäß § 159 SGB III ruht der Anspruch des Arbeitnehmers auf das Arbeitslosengeld, wenn der Arbeitnehmer sich versicherungswidrig verhält. Ein die Anordnung einer Sperrzeit begründendes versicherungswidriges Verhalten liegt gemäß § 159 Abs. 1 SGB III in den folgenden Fällen vor:
bei Arbeitsaufgabe
bei Arbeitsablehnung
bei unzureichenden Eigenbemühungen
bei Ablehnung einer beruflichen Eingliederungsmaßnahme
bei Abbruch einer beruflichen Eingliederungsmaßnahme
bei Meldeversäumnis
bei verspäteter Arbeitsuchendmeldung
2 Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe
2.1 Voraussetzungen der Verhängung einer Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe
- a)
Der Arbeitnehmer hat sich versicherungswidrig verhalten:
Der Arbeitslose hat das Beschäftigungsverhältnis gelöst oder durch ein arbeitsvertragswidriges Verhalten Anlass für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses gegeben:
Der Arbeitnehmer hat das Arbeitsverhältnis selbst gekündigt.
oder
Der Arbeitnehmer hat durch sein Verhalten den Anlass zu einer personenbedingten Kündigung oder einer außerordentlichen Kündigung gegeben.
oder
Das Arbeitsverhältnis wurde durch einen Aufhebungsvertrag beendet.
Der Arbeitnehmer hat dadurch das Entstehen der Arbeitslosigkeit verschuldet oder zumindest mitverschuldet, d.h. er hat dadurch vorsätzlich oder grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt.
- b)
Das versicherungswidrige Verhalten des Arbeitnehmers kann nicht durch einen wichtigen Grund gerechtfertigt werden.
2.2 Wichtiger Grund
2.2.1 Allgemein
Die Verhängung einer Sperrzeit ist ausgeschlossen, wenn das versicherungswidrige Verhalten durch einen wichtigen Grund gerechtfertigt werden kann.
Wichtig sind alle Gründe, die es für den Arbeitslosen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung seiner Interessen mit denen der Gemeinschaft der Beitragszahler unzumutbar erscheinen lassen, einen Sperrzeitsachverhalt zu vermeiden. Der Arbeitslose braucht sie weder zu kennen noch anzugeben.
Die von der Arbeitsagentur u.a. anerkannten wichtigen Gründe sind als Beispiele in den "Fachlichen Weisungen der Arbeitsagentur zu § 159 SGB III" aufgeführt (https://www3.arbeitsagentur.de/web/wcm/idc/groups/public/documents/webdatei/mdaw/mdyx/~edisp/l6019022dstbai407897.pdf).
Ein wichtiger Grund liegen danach insbesondere vor, wenn a) die vom Arbeitnehmer erwartete oder verlangte Arbeit gegen gesetzliche Bestimmungen, tarifrechtliche Regelungen oder die guten Sitten verstoßen würde, b) die Entlohnung der Beschäftigung sittenwidrig ist, c) Insolvenz des Arbeitgebers eingetreten ist, d) erheblicher psychischer Druck, Mobbing oder sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz vorlag, e) die Arbeit dem Arbeitslosen nach seinem Leistungsvermögen nicht zumutbar ist, f) der Arbeitnehmer zur Vermeidung einer personenbedingte Kündigung das Arbeitsverhältnis durch Aufhebungvertrag ohne Entlassungsentschädigung zum gleichen Zeitpunkt beendet hat (s.u.), g) eine doppelte Haushaltsführung erforderlich wird und daher der Unterhalt, die weitere Versorgung oder Pflege von Angehörigen des Arbeitslosen nicht gesichert ist, oder h) eine Ausbildungsstelle oder berufsvorbereitende Maßnahme vom Auszubildenden wegen fehlender Eignung aufgegeben wird.
2.2.2 Kündigung des Arbeitnehmers
Es kommt nicht zur Verhängung einer Sperrzeit, wenn der Arbeitgeber zum gleichen Beendigungszeitraum eine wirksame betriebsbedingte Kündigung oder personenbedingte Kündigung ausgesprochen hätte und dem Arbeitnehmer das Abwarten der arbeitgeberseitigen Kündigung nicht zuzumuten war. Diese Ansicht wurde zuletzt mit dem Urteil BSG 12.07.2006 - B 11a 47/05 bestätigt.
Ein wichtiger Grund ist daneben u.a. dann gegeben, wenn der Arbeitnehmer sich Mobbinghandlungen nur durch eine Kündigung entziehen konnte. Jedoch muss es insofern bereits zu gesundheitlichen Auswirkungen bei dem Arbeitnehmer gekommen sein.
Sofern ein Kraftfahrer das Arbeitsverhältnis kündigt, weil sein Arbeitgeber von ihm dauerhaft eine nicht unerhebliche Überschreitung der Lenkzeiten fordert, ist nach der Entscheidung BSG 06.02.2003 - B 7 AL 72/01 die Verhängung einer Sperrzeit für den Bezug des Arbeitslosengeldes insoweit zulässig, als der Arbeitnehmer nicht zuvor einen zumutbaren Versuch unternommen hat, um die arbeitsrechtliche Situation zu bereinigen.
2.2.3 Wechsel von einem unbefristeten in ein befristetes Arbeitsverhältnis
Kündigt der Arbeitnehmer ein unbefristetes Arbeitsverhältnis, um ein befristetes Arbeitsverhältnis einzugehen (das dann nicht verlängert wird), so forderte die frühere Rechtsprechung, dass der Arbeitnehmer in dem befristeten Arbeitsverhältnis eine konkrete Aussicht auf die Übernahme in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis gehabt haben musste.
Diese Voraussetzung wird seit der Entscheidung BSG 12.07.2006 - B 11a AL 57/05 nicht mehr verlangt. Jedoch fordert die Rechtsprechung nunmehr, dass das neue (befristete) Arbeitsverhältnis mit einem höheren Gehalt oder einer besseren Möglichkeit zur beruflichen Weiterentwicklung verbunden war (oder ein sonstiger ähnlicher sachlicher Grund zur Aufgabe der unbefristeten Beschäftigung gegeben war).
2.2.4 Gerichtlicher Vergleich
Grundsätzlich löst nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts der Arbeitnehmer das Beschäftigungsverhältnis, wenn er einen zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses führenden Vergleich schließt.
Dabei ist diese Lösung des Beschäftigungsverhältnisses durch einen wichtigen Grund gerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer nach Erhebung einer Kündigungsschutzklage im arbeitsgerichtlichen Verfahren einen gerichtlichen Vergleich schließt und dadurch das Ende des Beschäftigungsverhältnisses nicht zeitlich vorverlegt wird. Dies gilt auch dann, wenn die vereinbarte Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit der Zahlung einer Abfindung verknüpft wird (BSG 17.10.2007 - B 11a AL 51/06).
Dabei ist die Sperrzeitunschädlichkeit einer Abfindung nicht nur auf Fälle einer bereits ausgesprochenen oder der drohenden objektiv rechtmäßigen betriebsbedingten Kündigung beschränkt: Ein wichtiger Grund kann auch dann vorliegen, wenn die Beteiligten im Rahmen des eingeleiteten gerichtlichen Verfahrens die Beendigung des Arbeitsverhältnisses / Beschäftigungsverhältnisses einvernehmlich außer Streit stellen und keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass mit dem abgeschlossenen Vergleich zulasten der Versichertengemeinschaft manipuliert werden soll (BSG s.o.).
2.2.5 Aufhebungsvertrag
Der Abschluss eines Aufhebungsvertrages berechtigt die Behörde dann nicht zur Verhängung einer Sperrzeit, wenn der Arbeitgeber zum Ausspruch einer betriebsbedingten Kündigung berechtigt gewesen wäre (BSG 12.07.2006 - B 11a AL 47/05).
Diese Rechtsprechung wurde mit dem Urteil BSG 02.05.2012 - B 11 AL 6/11 R dahin gehend erweitert, dass bei einem Aufhebungsvertrag mit einer Abfindungsvereinbarung, die sich in der Höhe in den Grenzen des § 1a Abs. 2 KSchG hält, die Prüfung der Rechtmäßigkeit der drohenden Arbeitgeberkündigung entfällt und sich der Arbeitnehmer auf einen wichtigen Grund berufen kann, wenn keine Anhaltspunkte (z.B. offenkundig rechtswidrige Kündigung) für eine Gesetzesumgehung zulasten der Versichertengemeinschaft vorliegen.
Eine Sperrzeit steht zudem dem Anspruch auf Arbeitslosengeld nach dem Ende des Beschäftigungsverhältnisses auch dann nicht entgegen, wenn der Arbeitnehmer zuvor unwiderruflich für die gesetzlich vorgesehene Zeit der Sperrzeit von der Arbeit freigestellt war. Denn:
Die Sperrzeit beginnt mit dem Tag nach dem Ereignis, das die Sperrzeit begründet. Die Beschäftigungslosigkeit ist unabhängig vom Bestehen eines Arbeitsverhältnisses im Sinne des Arbeitsrechts durch die tatsächliche Nichtbeschäftigung des Versicherten gekennzeichnet. Die unwiderrufliche Freistellung des Arbeitnehmers mit Fortzahlung von Arbeitsentgelt ist ein typisches Beispiel für die rechtliche Möglichkeit der Arbeitslosigkeit bei fortbestehendem Arbeitsverhältnis (BSG 25.04.2002 - B 11 89/01).
3 Sperrzeit bei der Ablehnung mehrerer Beschäftigungsangebote
Gleichzeitiger Zugang der Beschäftigungsangebote:
Das BSG hat die Frage, wie die Ablehnung mehrerer Beschäftigungsangebote zu bewerten ist, wie folgt beantwortet:
"Bei mehreren Beschäftigungsangeboten, die in einem so engen zeitlichen Zusammenhang durch die Arbeitsagentur ergehen, dass sie der arbeitslosen Person gleichzeitig vorliegen und diese hierauf zu reagieren hat, ist von einem einheitlich zu betrachtenden Lebenssachverhalt auszugehen. Reagiert der Arbeitslose in einer solchen Situation gar nicht, muss auch dies nach allgemeiner Lebensanschauung als eine einheitliche Verhaltensweise gewertet werden. Infolgedessen kann auch nur eine Sperrzeit verwirklicht werden, wenn dieses Verhalten als versicherungswidrig zu beurteilen ist. Ein solches versicherungswidriges Verhalten darf nicht mehrfach sanktioniert werden" (BSG 03.05.2018 - B 11 AL 2/17 R).
Belehrung über die Folgen:
"Der Eintritt einer zweiten und dritten Sperrzeit bei Arbeitsablehnung mit einer Dauer von sechs oder zwölf Wochen setzt voraus, dass der Arbeitslose vorab über die jeweiligen individuellen leistungsrechtlichen Folgen der jeweiligen Pflichtverletzung belehrt worden ist" (BSG 27.06.2019 - B 11 AL 14/18 R).
4 Sperrzeit bei verspäteter Arbeitssuchendmeldung
Versicherungswidriges Verhalten liegt nach § 159 Abs 1 Satz 2 Nr 7 SGB III vor, wenn die oder der Arbeitslose der Meldepflicht nach § 38 Abs 1 SGB III nicht nachgekommen ist (Sperrzeit bei verspäteter Arbeitsuchendmeldung). Nach § 38 Abs 1 Satz 1 SGB III sind Personen, deren Ausbildungs- oder Arbeitsverhältnis endet, verpflichtet, sich spätestens drei Monate vor dessen Beendigung persönlich bei der Agentur für Arbeit arbeitsuchend zu melden.
Das BSG hat den Zeitpunkt des maßgeblichen sperrzeitbegründenden Ereignisses wie folgt festgelegt (BSG 30.08.2018 - B 11 AL 2/18 R):
Über seinen Wortlaut hinaus setzt § 159 Abs 1 Satz 2 Nr 7 SGB III als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal ein Verschulden des Arbeitsuchenden voraus. (...) Ein Verschulden ist zu bejahen, wenn der Arbeitnehmer nach seinem individuellen Vermögen fahrlässig in Unkenntnis über die ihm auferlegte Obliegenheit war und sich fahrlässig nicht unmittelbar nach dem Zeitpunkt der Kenntnis über die Beendigung des Versicherungspflichtverhältnisses bei der zuständigen Agentur für Arbeit gemeldet hat. (...) Das Ereignis i.S.d. § 159 Abs 2 Satz 1 SGB III, das den Lauf der einwöchigen Sperrzeit bei verspäteter Arbeitsuchendmeldung in Gang setzt, ist nicht bereits die verspätete Arbeitsuchendmeldung, sondern (erst) der Eintritt der Beschäftigungslosigkeit.
5 Folgen einer verhängten Sperrzeit
5.1 Allgemeine Konsequenzen
Die Verhängung einer Sperrzeit hat gemäß § 159 Abs. 3 - 6 SGB III für den betroffenen Arbeitnehmer folgende Konsequenzen:
Der Arbeitnehmer erhält für eine Dauer zwischen einer und zwölf Wochen der Arbeitslosigkeit kein Arbeitslosengeld.
Die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes wird um mindestens 25 % gekürzt.
Bei den Beiträgen zur gesetzlichen Krankenversicherung ist wie folgt zu unterscheiden:
Für den ersten Monat der Sperrzeit werden von der Arbeitsagentur keine Beiträge gezahlt. Der Versicherte hat jedoch einen Anspruch auf Nachleistung gemäß § 19 Abs. 5 SGB V.
Mit Beginn des zweiten Monats bis zum Ende der Sperrzeit werden die Beiträge von der Arbeitsagentur übernommen (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 SGB V i.V.m. § 20 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB V).
Die Versicherungspflicht in der gesetzlichen Pflegeversicherung richtet sich nach § 20 SGB XI.
Es werden keine Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung gezahlt. Der Versicherungsnehmer kann sich jedoch freiwillig versichern.
5.2 Dauer der Sperrzeit
Entscheidend für die Dauer der Sperrzeit sind die in den § 159 Abs. 3 - 6 SGB III aufgeführten Ursachen.
Beispiel:
Die Dauer der Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe beträgt grundsätzlich zwölf Wochen. Liegt eine der in § 159 Abs. 3 S. 2 SGB III aufgeführten Tatsachen vor, so kann sie auf bis zu drei Wochen verkürzt werden.
Die in § 159 Abs. 4 SGB III geregelte Dauer der Sperrzeit bei Arbeitsablehnung, Ablehnung oder Abbruch einer beruflichen Eingliederungsmaßnahme richtet sich allein nach der Anzahl der versicherungswidrigen Verhaltensweisen.
Bei einer Maßnahmeablehnung ist die Restdauer der Maßnahme nicht ausschlaggebend für die weitere Entwicklung des Versicherungsfalles, weil oftmals gerade der unmittelbar bevorstehende Abschluss einer beruflichen Eingliederungsmaßnahme (z.B. wegen einer Prüfung) die Wiedereinstellungschancen entscheidend erhöht. Bei einer Ablehnung einer von vornherein nur befristeten Beschäftigung besteht die grundsätzliche Möglichkeit der weiter gehenden Beschäftigung durch eine Verlängerung des Arbeitsverhältnisses, sodass die Restdauer der Beschäftigung auch insoweit nicht für die Dauer der Sperrzeit ausschlaggebend sein soll.
Um den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu wahren, richtet sich die Dauer der Sperrzeit danach, ob es sich um das erste, zweite oder dritte versicherungswidrige Verhalten handelt.