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Sittenwidrigkeit

Normen

§ 138 BGB

§§ 817 ff. BGB

§ 826 BGB

§ 13 KSchG

§ 228 StGB

Information

1 § 138 Abs. 2 BGB: Wucher

1.1 Voraussetzungen

§ 138 Abs. 2 BGB ist ein Spezialtatbestand zu Absatz 1 und daher vor diesem zu prüfen!

Voraussetzungen des Wuchers sind:

  • Objektiv muss ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung vorliegen.

  • Weiterhin ist (subjektiv) erforderlich, dass der Wucherer eine bei seinem Vertragspartner vorliegende gesetzlich genannte Schwächesituation (Zwangslage, Unerfahrenheit, Mangel an Urteilsvermögen oder erhebliche Willensschwäche) ausgenutzt hat.

    Ein absichtliches Handeln ist nicht erforderlich, Kenntnis des Missverhältnisses und der Schwächesituation ist ausreichend.

    In der Entscheidung BGH 23.06.2006 - V ZR 147/05 hat der BGH zu den Voraussetzungen des Mangels an Urteilsvermögen Stellung genommen: Dieser ist insbesondere gegeben, wenn dem Betroffenen die Fähigkeit fehlt, sich durch vernünftige Beweggründe leiten zu lassen. Dazu zählt die Unfähigkeit, die für und gegen ein konkretes Rechtsgeschäft sprechenden Gründe zu erkennen und die beiderseitigen Leistungen vor diesem Hintergrund sachgerecht zu bewerten. Der Betroffene ist nicht in der Lage, Inhalt und Folgen des Rechtsgeschäfts zu erkennen. Hintergrund ist häufig Verstandesschwäche, geringer Bildungsstand oder hohes Alter.

    Kein Mangel an Urteilsvermögen liegt hingegen vor, wenn der Betroffene zwar in der Lage war, die Vor- und Nachteile des Rechtsgeschäfts sachgerecht zu bewerten, aber diese Fähigkeiten vor dem Vertragschluss nicht eingesetzt hat. Der Wuchertatbestand soll weder vor einer unrichtigen Einschätzung der Wirtschaftlichkeit eines Rechtsgeschäfts noch vor enttäuschten Spekulationen schützen.

In dem der obigen Entscheidung zugrunde liegenden Fall hatte der Käufer für ein ruinenhaftes Herrenhaus in Ostdeutschland 300.000,00 DM bezahlt, nach einem Gutachten war das Objekt 10.000,00 DM wert.

Nach der Entscheidung BGH 29.06.2007 - V ZR 1/06 kann die Sittenwidrigkeit auch dann gegeben sein, wenn die benachteiligte Vertragspartei das Missverhältnis kannte. Denn insbesondere bei Vorliegen einer Zwangslage ist der Vertragspartei das Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung in der Regel bewusst. Sie sieht sich aber durch ihre Notlage zu dem Abschluss des Rechtsgeschäfts gezwungen oder ist aufgrund ihrer verminderten psychischen Widerstandsfähigkeit nicht in der Lage, den Abschluss zu verweigern.

1.2 Folgen

Im Zivilrecht führt die Sittenwidrigkeit eines Rechtsgeschäfts zu dessen Nichtigkeit, eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung kann nach § 826 BGB zu einer Schadensersatzpflicht führen. Verstößt der Empfänger einer Leistung durch die Annahme gegen die guten Sitten, so ist er gemäß § 817 BGB zur Herausgabe verpflichtet, ferner tritt die verschärfte Haftung des § 819 BGB ein.

Verstößt die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses gegen die guten Sitten, so kann der Arbeitnehmer den Verstoß unabhängig von den Vorschriften des KSchG geltend machen.

Im Strafrecht führt ein Verstoß gegen die guten Sitten zur Unwirksamkeit einer rechtfertigenden Einwilligung.

1.3 Unterfall: Sittenwidrige Vergütung

Erreicht die Arbeitsvergütung nicht einmal zwei Drittel eines in dem Wirtschaftszweig üblicherweise gezahlten Tarifentgelts, liegt eine ganz erhebliche, ohne Weiteres ins Auge fallende und regelmäßig nicht mehr hinnehmbare Abweichung vor, für die es einer spezifischen Rechtfertigung bedarf. Dasselbe gilt, wenn bei fehlender Maßgeblichkeit der Tarifentgelte die vereinbarte Vergütung mehr als ein Drittel unter dem Lohnniveau, das sich für die auszuübende Tätigkeit in der Wirtschaftsregion gebildet hat, bleibt. Von der Üblichkeit der Tarifvergütung kann ohne Weiteres ausgegangen werden, wenn mehr als 50 % der Arbeitgeber eines Wirtschaftsgebiets tarifgebunden sind oder wenn die organisierten Arbeitgeber mehr als 50 % der Arbeitnehmer eines Wirtschaftsgebiets beschäftigen (BAG 18.11.2015 - 5 AZR 814/14).

Verstößt die Entgeltabrede gegen § 138 BGB, schuldet der Arbeitgeber gemäß § 612 Abs. 2 BGB die übliche Vergütung (BAG 22.04.2009 - 5 AZR 436/08).

Hinweis:

Zur Angemesssenheit einer Ausbildungsvergütung siehe den Beitrag "Berufsausbildungsverhältnis".

2 § 138 Abs. 1: Allgemeine Sittenwidrigkeit

2.1 Allgemein

Sittenwidrig handelt, wer gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt.

Die Sittenwidrigkeit eines Rechtsgeschäfts kann sich aus seinem Inhalt oder aus dem Gesamtcharakter ergeben.

  • Ist der Inhalt sittenwidrig, verlangt die Rechtsprechung zusätzlich einen subjektiven Tatbestand: Der sittenwidrig Handelnde muss Kenntnis über die die Sittenwidrigkeit begründenden Umstände haben, bei grob fahrlässiger Unkenntnis wird diese Kenntnis vermutet.

  • Der Gesamtcharakter ist sittenwidrig: Die sittenwidrig handelnden Parteien müssen die Umstände, aus denen sich die Sittenwidrigkeit ergibt, kennen. Vermutungen greifen nicht ein.

In beiden Fällen ist es nicht nötig, dass die Kenntnis sich auch auf die Sittenwidrigkeit erstreckt!

In dem Urteil BGH 29.06.2005 - VIII ZR 299/04 erklärte der BGH einen Kaufvertrag wegen der zum Vertragsschluss führenden, als sittenwidrig zu beurteilenden Geschäftspraktik für nichtig.

2.2 Wucherähnliches Rechtsgeschäft

Aufgrund der Tatsache, dass das Ausnutzen der Schwächesituation nur sehr schwer beweisbar ist, hat die Rechtsprechung das wucherähnliche Rechtsgeschäft entwickelt:

  • Objektiv ist auch hierfür ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung erforderlich.

  • Zudem muss mindestens ein weiterer Umstand hinzukommen, der den Vertrag bei Zusammenfassung der subjektiven und der objektiven Merkmale als sittenwidrig erscheinen lässt.

    Dies ist insbesondere der Fall, wenn eine verwerfliche Gesinnung des Begünstigten hervorgetreten ist. Ist das Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung besonders grob, lässt bereits dies den Schluss auf eine verwerfliche Gesinnung des Begünstigten zu.

Die Rechtsprechung hat zum Vorliegen eines besonders auffälligen Missverhältnisses für die einzelnen Rechtsbereiche Grundsätze aufgestellt:

3 Sittenwidrige vorsätzliche Schädigung

Die in § 826 BGB geregelte vorsätzliche sittenwidrige Schädigung ist ein Auffangtatbestand.

Voraussetzung ist, dass ein Schädiger in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich Schaden zufügt hat, d.h. durch ein sittenwidriges Verhalten einer Person einer anderen Person eine auszugleichende Vermögenseinbuße entstanden ist.

Zur Begründung der Sittenwidrigkeit des § 826 BGB genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde vertragliche Pflichten oder das Gesetz verletzt oder bei einem anderen einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage tretenden Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. So begründet die Mitwirkung eines Dritten an dem Vertragsbruch einer Partei für sich genommen nicht den objektiven Tatbestand der Sittenwidrigkeit; es müssen vielmehr besondere Umstände hinzutreten, die sein Verhalten als sittenwidrige Schädigung erscheinen lassen. In dem Eindringen des Dritten in die Vertragsbeziehungen muss ein besonderes Maß an Rücksichtslosigkeit gegenüber dem Geschädigten hervortreten. Dies ist nach der Rechtsprechung des BGH etwa der Fall, wenn der Dritte eine Vertragspartei zum Vertragsbruch verleitet, kollusiv mit ihr zusammenwirkt oder die Verletzung vertraglicher - beispielsweise gesellschaftsrechtlicher - Treuepflichten bewusst unterstützt. Erforderlich ist die positive Kenntnis des Dritten von der Existenz der vertraglichen Bindung; die unbewusste Beteiligung an einem Vertragsbruch rechtfertigt das Urteil der Sittenwidrigkeit nicht (BGH 15.10.2013, Az.: VI ZR 124/12).

4 Sittenwidrigkeit im Sinne des UWG

Die Sittenwidrigkeit als Tatbestandsmerkmal des unlauteren Wettbewerbs ist mit dem Inkrafttreten der UWG-Reform im Juli 2004 aufgegeben worden. Der Ausdruck "Gute Sitten" wurde durch den Ausdruck "Unlauterbarkeit" ausgetauscht.

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