Der Urlaubsstau: Drängeln, Nötigen, dann lieber rechts vorbei?

Strafrecht und Justizvollzug
11.07.20084692 Mal gelesen

Die Deutschen drängeln auf der Autobahn - jeder 5. Fährt zu dicht auf. Dabei sind es eher nicht die Sportwagen, sondern Oberklasselimousinen, die durch besondere Ungeduld auffallen. Verkehrspsychologen meinen, dass hier die Anonymität der Straße ausgenutzt wird, um sich endlich einmal auszuleben. Im Urlaubsstress kommen freilich andere Punkte hinzu: quengelnde Kinder, die Zeitnot endlich das Quartier für den ohnehin zu kurzen Urlaub zu erreichen. Und was alle schon immer wussten wurde bereits vor Jahren bewiesen: die schlimmsten Drängler auf der Autobahn sind Mercedes- gefolgt von BMW-Fahrern. (Am "friedlichsten" wird in japanischen Modellen gefahren.)
Dabei entsteht gerade beim ständigen links fahren sowie beim Überholen der LKWs zusätzlicher Stress. Aber - wie sieht es verkehrsrechtlich aus? Darf man Drängeln? Wann wird daraus Nötigung? Welche Strafen drohen?


"Drängeln" gibt es nicht.
Zumindest nicht im verkehrsrechtlichen Sinne. § 4 (1) der StVO regelt den Abstand, der im Verkehr einzuhalten ist: Der Abstand von einem vorausfahrenden Fahrzeug muss in der Regel so groß sein, dass auch dann hinter ihm gehalten werden kann, wenn es plötzlich gebremst wird. Der Vorausfahrende darf nicht ohne zwingenden Grund stark bremsen. In der Praxis, die dann auch Grundlage des Bußgeldkataloges ist heißt das: Mindestabstand = halber Tacho. Werden Sie beispielsweise von der Autobahnpolizei dabei gefilmt, wie sie zu dicht auffahren, kommt es bei der Bemessung des Bußgeldes zum einen auf den Abstand zum voranfahrenden Fahrzeug im Verhältnis zur Geschwindigkeit und zum anderen darauf, ob ein Schaden entstanden ist, an. Die Strafen liegen zunächst im Bereich von bis zu 40 Euro, ab einem Sicherheitsabstand von weniger als einem Viertel Tacho bei schnellerer Fahr von 80km/h kommen gestaffelt Punkte hinzu. Ab Tempo 100 kann je nach Kürze des Sicherheitsabstandes auch ein Fahrverbot verhängt werden. Wer bei 130km/h bis auf 15m auffährt kann so mit 250 Euro, 4 Punkten und 3 Monaten Fahrverbot belegt werden.


Ist das dann Nötigung?
Das bayrische OLG sah 1990 im Verhalten eines dauerlichthupenden Fahrers, der mit 110 km/h bis auf 2m an einen Motorradfahrer heranfuhr und ihm dann 49m in diesem Abstand folgte keine Nötigung. Auch das kurze Drängeln auf der Autobahn mit ca. 120km/h wurde 1991 vom OLG Hamm nicht als Nötigung angesehen,- obwohl die Anzeige durch zwei Polizisten erfolgt war. Ob Drängeln zur Nötigung wird hängt zum einen von der Intensität, dann aber auch von der Dauer des Vorgangs ab. Eine weitere Voraussetzung ist, dass tatsächlich (physische oder im Verkehr eher möglich) "psychische Gewalt" ausgeübt wird. Das heißt, der fraglich Genötigte muß sich bedroht gefühlt haben und genötigt gefühlt haben, etwas zu tun, was er zunächst nicht beabsichtigt hatte. So erzielten wir unlängst einen Freispruch für eine Mandantin, die wiederholt auf der Autobahn mit Lichthupe dicht aufgefahren und dabei von der Polizei gefilmt worden war. Die Zeugin aus dem voranfahrenden Auto wurde anhand des Videos identifiziert und vorgeladen. Sie konnte sich an den Vorfall nicht erinnern und gab an in solchen Situationen eben auszuweichen, das belaste sie in der Regel nicht.. Da sie sich nicht genötigt gefühlt hatte, lag auch keine Nötigung vor - ganz gleich, was die hinterherfahrenden Polizeibeamten dachten und aufzeichneten.
Empfinden Sie, dass ein anderer Fahrer Sie im Verkehr nötigt, ist folgendes zu bedenken. Sie müssen sich nicht nur das Kennzeichen sondern auch den Fahrer einprägen. (Denn der Fahrer begeht die Nötigung und nicht das Fahrzueug... Der Halter hat damit nichts zu tun...) Vielleicht photographiert ihr Beifahrer den Fahrer. Notieren Sie sich Zeugen und machen Sie sich gleich ein Erinnerungsprotokoll mit Ablauf der Situation, Entfernungen, Geschwindigkeit usw.. Sind sie allein ohne Zeugen, wird es sehr schwer, die Nötigung zu beweisen (Aussage gegen Aussage...). Dennoch können Sie natürlich Anzeige erstatten.  Das Urteil fällt in jedem Fall ein Fachgericht - also wo es solche gibt - ein Verkehrsgericht unter Würdigung der Umstände des Einzelfalles. Interessant ist, dass insbesondere das Ausbremsen aber auch Schneiden anderer PKWs häufiger als Nötigung verurteilt werden als das dichte Auffahren. Bringen Sie sich also nicht im Vorfeld durch ein "Anbremsmanoeuver" in Teufels Küche. Grundsätzlich kann Nötigung auch im innerstädtischen Verkehr vorliegen. Es wird dort jedoch ein noch strengeres Maß angelegt. Hier kommt es eher beim Drängeln an Parkplätzen zu Verurteilungen, wenn etwa ein PKW-Fahrer versucht einen "Parkplatzreservierer" mit dem Kühler zu verscheuchen.

In welcher Höhe sind Strafen zu erwarten?
Bei Nötigung bis zu drei Jahre Freiheitsstrafe verhängt werden. In der Regel und vor allem bei erstmals "erwischten" Fahren fällt das Strafmaß mit einer Geldstrafe - sobald aber fahrlässige Straßenverkehrsgefährdung im Spiel ist auch Entzug der Fahrerlaubnis - milder aus.
Den am letzten Freitag im Hamburger Abendblatt beschrieben Fahrlehrer, der mit 200km-7h auf seinem Motorrad über eine längere Strecke jeweils bis auf 10-18m heranfuhr, könnten 2 Monate Fahrverbot, 400 Euro Geldbuße und 4 Punkte in Flensburg erwarten. 

Wenn´s gar nicht vorangeht - rechts vorbei?
Das hängt sicher von den Umständen ab. Zunächst gibt es einige Konstellationen, v.a. innerorts, aber auch bei Kolonnenbildung auf der Autobahn, in denen das rechts Überholen sogar gestattet ist. Das unerlaubte rechts Überholen innerorts ist mit einem Bußgeld von 30, bei Sachbeschädigung mit 35 Euro belegt. Außerorts ist die Strafe mit 50 Euro und drei Punkten etwas unangenehmer. Werden Sie jedoch des "Überholens bei unklarer Verkehrslage mit Gefährdung oder Sachbeschädigung" überführt, kann die Strafe mit 125 Euro, 4 Punkten, 1 Monat Fahrverbot und in Einzelfällen sogar einer Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren (§ 315c StGB) betragen.

Was heißt das für Sie?

Der Vorwurf der Nötigung ist ernst zu nehmen, Sie sollten sich anwaltlich beraten lassen. Nach der Akteneinsicht erst sollten Sie sich zur Sache äußern. Bei Nötigung im Verkehrs sollten Sie unbedingt einen Fachanwalt für Verkehrsrecht konsultieren.

Wurden Sie selbst genötigt, können Sie Anzeige bei der Polizei erstatten. Alles weitere hängt von der Beweislage ab.(s.o.)

Werden Sie von hinten bedrängt, btremsen Sie auf keinen Fall ab: auch so verstoßen Sie gegen das Abstandsgebot - und nötigen selbst...
 

Wieimmer, wenn Sie anders als der "Idealfahrer" fahren, droht natürlich dem Drängler beim Unfall eine Quote, d.h. ihm kann mindestens eine Teilschuld zugesprochen werden.

Dieser Text war Grundlage eines Interviews, in dem Fachanwalt Roman Becker auf MDR-Jump am 8.7.2008 Rede und Anwort stand.