Landgericht Berlin: Mord durch sog. illegales Autorennen.

Strafrecht und Justizvollzug
28.02.2017902 Mal gelesen
Das Landgericht Berlin hat erstmals nach einem tödlichen Unfall durch ein sog. illegales Autorennen die Beteiligten wegen Mordes verurteilt (LG Berlin, Urt. v. 27.02.2017, AZ: 535 Ks 8/16).

Typischerweise kommen hier folgende Delikte in Betracht. Eine Ordnungswidrigkeit mit Bußgeld von 400,00 EUR, Fahrlässige Tötung und Gefährdung des Straßenverkehrs (beide Straftaten jeweils Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren). Selbst auf Totschlag hätte das Gericht erkennen können (Mindeststrafe 5 Jahre Freiheitsstrafe, in schweren Fällen lebenslänglich). Die Führerscheine der Angeklagten wurden eingezogen, die Fahrerlaubnisse lebenslang entzogen.

Das Gericht verlautbarte in seiner Presseerklärung vom 27.02.2017:

"Die 35. Große Strafkammer des Landgerichts Berlin hat heute den 28-jährigen Hamdi H. und den 25-jährigen Marvin N. wegen Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs zu lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilt. Die Führerscheine der Angeklagten wurden eingezogen, die Fahrerlaubnisse lebenslang entzogen.

Nach Überzeugung der Schwurgerichtskammer haben sich die Angeklagten am 1. Februar 2016 kurz nach Mitternacht bei einem zufälligen Zusammentreffen an einer Ampel auf dem Berliner Kurfürstendamm zu einem spontanen Straßenrennen verabredet. Mit Geschwindigkeiten von bis zu 170 km/h und durchgedrückten Gaspedalen seien sie mit ihren Fahrzeugen den Kurfürstendamm und die sich anschließende Tauentzienstraße entlanggerast und hätten dabei mehrere rote Ampeln missachtet. An der Kreuzung Tauentzienstraße / Nürnberger Straße sei das Fahrzeug des Angeklagten Hamdi H. mit dem Jeep eines 69-Jährigen kollidiert, der noch am Unfallort verstorben sei. Der Angeklagte Marvin N. sei gegen eine steinerne Hochbeeteinfassung gerast und mit seinem Fahrzeug mehrere Meter durch die Luft geflogen, seine Beifahrerin sei dabei verletzt worden.

Der Unfallort habe nach dem Zusammenprall wie ein "Schlachtfeld" ausgesehen, so der Vorsitzende Richter Ralph Ehestädt in seiner mündlichen Urteilsbegründung heute. Die Angeklagten hätten gewusst, was ihr Verhalten für eine Auswirkung auf andere Verkehrsteilnehmer haben könnte und sie hätten diese möglichen Folgen bewusst billigend in Kauf genommen, d.h. sie hätten sich mit dem Tod anderer Verkehrsteilnehmer abgefunden. Damit sei juristisch von einem bedingten Tötungsvorsatz auszugehen. Darüber hinaus hätten die Angeklagten das Mordmerkmal des gemeingefährlichen Tatmittels verwirklicht. Die Angeklagten hätten ihre Autos, schwere und PS-starke Gefährte, nicht mehr unter Kontrolle gehabt und damit eine hohe Anzahl von anderen Verkehrsteilnehmern und Passanten auf dem auch nachts stark frequentierten Kurfürstendamm in Gefahr gebracht. Sie hätten es dem Zufall überlassen, ob und wie viele Menschen durch ihr Verhalten zu Schaden kommen. Gleichsam wies der Vorsitzende darauf hin, dass die Summe der einzelnen konkreten Tatumstände und die Persönlichkeiten der Angeklagten in diesem Fall den Ausschlag gegeben hätten. Der Fall sei nicht vergleichbar mit anderen Vorfällen im Straßenverkehr, die jüngst für Aufsehen gesorgt hatten.

Das Gesetz sieht bei einer Verurteilung wegen Mordes zwingend eine lebenslange Freiheitsstrafe vor (§ 211 StGB).

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Es kann binnen einer Woche mit der Revision zum Bundesgerichtshof angefochten werden.

(Aktenzeichen: 535 Ks 8/16)"

Auch wenn dieses noch nicht rechtskräftige Urteil das "Gerechtigkeitsempfinden" der Öffentlichkeit bedient, wirkt die Begründung erkennbar konstruiert. Der Gesetzgeber hat bereits Strafnormen geschaffen, die für ein derartiges Fehlverhalten (siehe oben) maßgeschneidert sind. Der Straftatbestand Mord greift hier nicht, bzw. das Gericht läßt offen, ab wann ein Sachverhalt in den Bereich "Mord" übergeht. Es handelte sich schon nicht um ein Rennen, denn dies ist stets eine organisierte Motorsportveranstaltung (siehe für die verschiedenen Definitionen Wikipedia). Es war ein spontanes Kräftemessen nach einem Ampelstopp, unüberlegt, die Angeklagten kannten sich nicht. Läge versuchter Mord vor, wenn solche Verkehrsteilnehmer bei Erreichen der zulässigen Höchstgeschwindigkeit vorschriftsmäßig den Vorgang abgebrochen hätten?

Das Oberlandesgericht Stuttgart (Beschl. v. 25.04.2016 - 4 Ss 212/16) hatte schon in einem anderen Fall festgestellt, daß der strenge Gesetzesvorbehalt des Art. 103 Abs. 2 GG es der Rechtsprechung verbiete, Tatbestände im Wege richterlicher Rechtsfortbildung etwa durch die Bildung von Analogien oder die Verschleifung von Tatbestandsmerkmalen zu begründen oder zu verschärfen (BGH, Beschluss vom 11. September 2014 - 4 ARs 12/14, juris unter Bezugnahme u. a. auf BVerfGE 71, 108 ff.). Die Auslegung eines Gesetzes findet ihre Grenze in dem noch möglichen Wortsinn (Göhler, OWiG, 15. Auflage, § 3 Rn. 6; Fischer, StGB, 62. Auflage, § 1 Rn. 24, jeweils m. w. N.). Soweit auf den Willen des Gesetzgebers abgestellt werden solle, müsse dieser im Gesetz einen hinreichend bestimmten Ausdruck gefunden haben.

Vorliegend greifen hier die Spezialgesetze der Verkehrsstraftaten. Es ist schon der sogenannte bedingte Vorsatz fraglich (Billigende Inkaufnahme). Die Angeklagten lebten beide noch bei Ihren Eltern, ihre Fahrzeuge waren nach deren Äußerungen ihr Leben. Es kann daher schon nicht davon ausgegangen werden, daß diese die Zerstörung ihrer Autos billigend in Kauf genommen hatten. Es muß davon ausgegangen werden, daß den Angeklagten gar nicht in den Sinn kam, daß ein Unfall passieren könnte. Grundsätzlich hat sich hier eine typische Gefahr des Straßenverkehrs verwirklicht, die jeder Verkehrsteilnehmer kennt und mit der Teilnahme am Straßenverkehr in Kauf nimmt. Ein gemeingefährliches Tatmittel stellt außerdem auf eine über den Tötungserfolg hinausgehende Gefährdung Dritter ab, die ihren Ursprung in der Ausführungsart der Tötung hat. Gemeingefährlich ist ein Mittel, wenn es durch seine Anwendung im Einzelfall eine Gefahr für eine unbestimmte Anzahl anderer Personen mit sich bringt. Auch darauf muß sich der Vorsatz des Täters beziehen.

Bejaht hat der Bundesgerichtshof dies bisher bei Amokfahrten oder einer Geisterfahrt auf der Autobahn ohne Licht. Sie bemerken schon: In diesen Fällen hat der Täter anders als bei dem gestrigen Urteil des Landgerichtes Berlin gerade keinen Kontrollverlust über sein Fahrzeug erlitten.

Nun wird der BGH erneut unter Beweis stellen müssen, daß er seiner ständigen Rechtsprechung folgt.

Dieser Fall zeigt exemplarisch das grundsätzliche Problem des Mord-Paragrafen. Unklar sei, was einen Mord eigentlich ausmache. "Für die meisten Laien gilt heute noch: Mord, das ist die überlegte, vorsätzliche Tötung - Totschlag, das ist die Tötung im Affekt", sagte Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) auf einer Tagung des Deutschen Anwaltvereins im Jahre 2014. Geplant ist eine Reform der Mord- und Totschlagparagrafen. Geht es nach dem Minister für Justiz und Verbraucherschutz, sollen die §§ 211 und 212 StGB noch vor der nächsten Bundestagswahl geändert werden.

 

Rechtsanwalt Holger Hesterberg

Bundesweite Tätigkeit. Mitgliedschaft im Deutschen Anwaltverein.

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