Recht des Silvesterkrachers: Nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch bei Verursachung eines Brandes durch Abfeuern einer Feuerwerksrakete

Recht des Silvesterkrachers: Nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch bei Verursachung eines Brandes durch Abfeuern einer Feuerwerksrakete
03.12.2015249 Mal gelesen
Wird in der Silvesternacht eine Feuerwerksrakete von einem Nachbargrundstück abgeschossen und richtet Schaden am Grundstück oder Gebäude des anderen Nachbarn an, so hat dieser einen Ausgleichsanspruch. Wie gestaltet sich juristisch das Silvesterrecht?

Das Silvesterrecht hat nach der Feststellung des Leitenden Regierungsdirektors Wolfgang Kunz, die dieser in der NJW 2009, 3766 ff. getroffen hat, noch keinen Eingang in die juristische Literatur gefunden. Auch das Standardnachschlagewerk des Juristen, der Palandt, kenne das Wort nicht, obwohl Silvester der letzte Tag des Jahres im gregorianischen Kalender seit 1582 sei. Hiermit gedachte man an den Todestag des Papstes Silvester I. (? 31. Dezember 335). Der Liturgische Kalender führt den Tag seit 813 auch als dessen Namenstag. Das gesamte Team der Kanzlei Dr. Schulte und Partner Rechtsanwälte mbB möchten dem Defizit der Berichterstattung durch juristische Beiträge und deren Veröffentlichung des Rechts des Silvesterkrachers weiteren Vorschub leisten.

 

Wie gestaltet sich das Recht des Silvesterkrachers juristisch?

Wird in der Silvesternacht eine Feuerwerksrakete von einem Nachbargrundstück abgeschossen und richtet Schaden am Grundstück oder Gebäude des anderen Nachbarn an, so hat dieser einen Ausgleichsanspruch, der auf eine angemessene Entschädigung in Geld gerichtet ist. Sogar Einbußen von Erträgen, die das geschädigte Grundstück erleiden muss, sind vom Verursacher zu ersetzen.

(Leitsatz des Gerichts)

OLG Stuttgart, Urt. v. 20.03.2008 - 10 U 219/07, r s 2009, 432

 

Einleitung:

Leider ist es zu Silvester nicht ungewöhnlich, dass abgefeuerte Raketen sich zu Querschlägern entwickeln. Manchmal geht es gut, manchmal entsteht ein Brand. Dies geschah auch im vorliegenden Fall. Selbst wenn dem Verursacher kein schuldhaftes Verhalten oder eine Fahrlässigkeit nachgewiesen werden kann, ergibt sich eine Pflicht zum Ersatz des Schadens schon aus der Tatsache, dass Verursacher und Opfer Nachbarn sind.

 

Sachverhalt (verkürzt):

Kläger und Beklagte sind Nachbarn. Der Beklagte hatte vor dem von ihm bewohnten Haus eine Leuchtrakete in einen Schneehaufen gesteckt und gezündet. Die Rakete stieg zunächst ca. 5 m gerade nach oben, schwenkte dann zur Seite und drang durch eine Spalte von ca. 67 bis 87 mm Durchmesser zwischen der verkleideten Außenwand und dem Dach einer ca. 12 m entfernten Scheune ein. In dieser explodierte die Rakete und setzte das gesamte Gebäude in kürzester Zeit in Brand.

Das erstinstanzliche Gericht hatte die Klage noch abgewiesen, da der Beklagte nicht fahrlässig gehandelt habe. Die kleine Spalte, durch die die Rakete in das Gebäudeinnere eingedrungen sei, sei für den Beklagten nicht erkennbar gewesen und auch Kenntnis von deren Existenz besaß er nicht. Die Tatsache, dass die Rakete in einen Schneehaufen gesteckt wurde, kann eine fahrlässige Betätigung des Feuerwerks nicht begründen. Auch handelte es sich um ein erlaubtes Feuerwerk und auch der Zeitpunkt des Abbrennens entsprach den erlaubten Zeiträumen. Sämtliche dem Beklagten möglichen Vorsichtsmaßnahmen habe dieser eingehalten. Man muss nicht damit rechnen, dass nach einem problemlosen Start die Rakete plötzlich gänzlich die Richtung wechselt und horizontal in ein Gebäude eindringt.


Kommentierte Entscheidungsgründe: 

Die gegen das erstinstanzliche Urteil gerichtete Berufung des Klägers hatte Erfolg.

Ein Schadensersatzanspruch des Klägers mag nicht wegen schuldhaften Verhaltens des Beklagten gegeben sein, er ist aber jedoch bereits gegeben, weil Kläger und Beklagte Nachbarn sind. Allein aus dieser Tatsache ist der eine Nachbar dem anderen zum Ersatz des Schadens verpflichtet. Es handelt sich hier um einen sog. "nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch" nach § 906 Abs. 2 BGB analog.

Ein klassischer Schadensersatzanspruch gemäß § 823 Abs. 1 BGB, i.V.m. § 67 VVG wegen des Startens der Feuerwerksrakete aus einem Schneehaufen wurde vom Gericht abgelehnt. Es sei bereits keine Pflichtverletzung, wenn der Beklagte die Rakete aus einem Schneehaufen abfeuert, obwohl die Empfehlung des Herstellers ein Abfeuern aus einer leeren Flasche empfiehlt.

Das Gericht hatte sogar das Kriminaltechnische Institut des zuständigen Landeskriminalamts beauftragt, ein Gutachten zu erstellen. Danach muss der Start einer Rakete aus einem Schneehaufen nicht zwingend zu einer Abweichung in der vorgesehenen Flugbahn führen. Insbesondere konnte der Kläger nicht beweisen, dass im konkreten Fall eine unsachgemäße Befestigung oder Ausrichtung der Rakete in den Schneehaufen vorgelegen hat. Zwischen den Parteien war auch unstreitig, dass die Rakete zunächst 5 m senkrecht in die Höhe gestiegen ist und erst dann plötzlich und unerwartet die Richtung komplett änderte.

Auch einen Verstoß gegen die sog. "Verkehrssicherungspflicht" hat das Gericht nicht festgestellt. Unbestritten wurde die Rakete mit nötigem Abstand abgefeuert, und auch der Standort war so gelegen, dass im Allgemeinen mit einer Gefährdung von nachbarrechtlichem Eigentum nicht gerechnet werden konnte. Außerdem sind in der Silvesternacht die Anforderungen an die Verkehrssicherungspflicht beim Abbrennen von Feuerwerkskörpern herabgesetzt. In der Silvesternacht ist es zulässig und in allen Städten und Gemeinden üblich, nicht erlaubnispflichtige Feuerwerkskörper zu zünden. Auch dieser seit Langem ausgeübte Brauch muss bei der Beurteilung der Sachlage herangezogen werden.

Auch die mehr oder weniger zufällige Tatsache, dass gerade ein kleiner "Schlitz" in der Seitenwand der in Brand gesetzten Scheune vorhanden war und die Rakete genau durch diesen geflogen ist, konnte von dem Beklagten nicht vorausgesehen werden. Damit rechnen musste er ebenfalls nicht. Alles in allem war dem Beklagten deshalb zunächst keine Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht vorzuwerfen.

Allerdings besteht nach Auffassung des Gerichtes ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB analog.

Es mag sein, dass die Möglichkeit eines nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs letztlich vom Zufall abhängen kann, ob eine Feuerwerksrakete von einem privaten Grundstück oder einer öffentlichen Straße abgefeuert wird. Nach der Rechtsprechung des BGH ist für diesen Anspruch jedoch nur eine grundstücksspezifische Einwirkung von außen erforderlich. Ob die Einwirkung nicht nur von einem bestimmten Grundstück, sondern auch von anderen Grundstücken oder von öffentlichen Straßen und Plätzen ausgehen kann, ist dabei unerheblich. Maßgeblich ist die Entscheidung des Nutzers oder Eigentümers eines Grundstücks und damit der von seinem Willen getragene konkrete Tathergang, also, ob die Einwirkung von seinem Grundstück im Rahmen seiner privatwirtschaftlichen Nutzung tatsächlich ausgegangen ist.

Das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart hat nur dem Grunde nach entschieden und hinsichtlich der Höhe des zu ersetzenden Schadens an das erstinstanzliche Landgericht zurückverwiesen.

 

Fazit:

Wie wir sehen, gibt es also Fälle, wo es völlig egal ist, ob jemand schuldhaft handelt oder fahrlässig ist, oder ob er sämtliche ihm möglichen Vorsichtsmaßnahmen ergreift und besonnen handelt. Selbst wenn sämtliche Vorsichtsmaßnahmen eingehalten werden und möglicherweise die Feuerwerksrakete ohne seine Schuld fehlerhaft funktioniert, muss man seinem Nachbarn den zu ersetzenden Schaden zahlen. Das Gericht geht in seinen Erwägungen davon aus, dass ansonsten der geschädigte Nachbar auf den Kosten des Schadens sitzenbleibt, obwohl er mit deren Verursachung nichts zu tun hat. Konsequent weitergedacht muss man also in der Silvesternacht fernab von jeglicher Zivilisation sein Feuerwerk abbrennen, um nicht zufällig einen Schaden zu verursachen und ersatzpflichtig zu sein.

 

V.i.S.d.P.:

 

Kim Oliver Klevenhagen

Rechtsanwalt und Fachanwalt

für Bank- und Kapitalmarktrecht

 

Pressekontakt:

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