Staatsanwaltschaft beantragte Aufhebung der Immunität von Bundespräsident Wulff – Rücktritt

Kredit und Bankgeschäfte
17.02.2012580 Mal gelesen
Seit Dezember 2011 zieht sich die Affäre um den Christian Wulff hin. Seine Anwälte betreiben seit Wochen faktisch Strafverteidigung, keine Aufklärung. Der Antrag der Staatsanwaltschaft ist beispiellos in der Geschichte der Bundesrepublik.

Am 16. Februar 2012 beantragte die Staatsanwaltschaft Hannover die Aufhebung der Immunität von Christian Wulff, um Ermittlungen wegen Vorteilsannahme und Vorteilsgewährung einzuleiten. Kurz zuvor hatte die niedersächsische Staatskanzlei die Akten über die Finanzierung des Nord-Süd-Dialogs sowie über die Bürgschaftszusage an den Filmunternehmer Groenewold an die Staatsanwaltschaft übergeben. Die Staatsanwaltschaft Berlin prüft weiter die Aufnahme von Ermittlungen, hat aber noch keinen Antrag auf Aufhebung der Immunität gestellt. Die Opposition im niedersächsischen Landtag will Mitte Februar eine Klage beim Staatsgerichtshof  Niedersachsen einreichen, sie sieht in den Auskünften zur Finanzierung des Nord-Süd-Dialogs eine Täuschung des Parlaments.

Der Wortlaut der Erklärung der Staatsanwaltschaft Hannover:

"Nach umfassender Prüfung neuer Unterlagen und der Auswertung weiterer Medienberichte sieht die Staatsanwaltschaft Hannover nunmehr zureichende tatsächliche Anhaltspunkte (§ 152 Abs. 2 StPO) und somit einen Anfangsverdacht wegen Vorteilsannahme bzw. Vorteilsgewährung. Sie hat deshalb bei dem Präsidenten des Deutschen Bundestages die Aufhebung der Immunität des Bundespräsidenten beantragt.

Diese Entscheidung hat die Staatsanwaltschaft Hannover unabhängig nach intensiver kollegialer Beratung getroffen. Weisungen vorgesetzter Behörden hat es nicht gegeben.

Aufgabe der angestrebten Ermittlungen ist es, den Sachverhalt in einem förmlichen Verfahren zu erforschen. Nach dem gesetzlichen Auftrag (§ 160 Abs. 2 StPO) hat die Staatsanwaltschaft dabei nicht nur die zur Belastung, sondern auch die zur Entlastung dienenden Umstände zu ermitteln. Selbstverständlich gilt auch nach Bejahung des Anfangsverdachts die Unschuldsvermutung.

Über die Aufhebung der Immunität befindet der Deutsche Bundestag. Die Staatsanwaltschaft Hannover ist deshalb aus rechtlichen Gründen an weiteren Stellungnahmen gehindert."

Ebenso wie jeder Bundestagsabgeordnete genießt auch der Bundespräsident strafrechtliche Immunität. Er kann wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung nur dann verfolgt werden, wenn der Bundestag vorher zustimmt. Bereits die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens ist ohne die Genehmigung nicht zulässig, dies erklärt den letzten Absatz der Erklärung.

Der Antrag auf Aufhebung der Immunität muss von der Staatsanwaltschaft beim Bundestag gestellt werden. Darüber muß das Plenum des Bundestags entscheiden.

Seit Dezember 2011 ist bekannt, daß Christian Wulff sein Privathaus im Jahr 2008 als niedersächsischer Ministerpräsident nach eigenen Angaben mit Hilfe eines Privatkredits der Ehefrau seines Freundes Egon Geerkens finanziert habe. Wegen dieses Kredites wurde er vor dem niedersächsischen Landtag mit Fragen zu seinen Geschäftsbeziehungen zu Egon Geerkens konfrontiert. Er hatte bei einer Befragung des Landtages verschwiegen, daß dieser Kredit mittelbar doch über Herrn Geerkens gelaufen war.

Nach einem langjährigen Verfahren hat der Spiegel das Recht erhalten, Einsicht in das Grundbuch des privatfinanzierten Hauses des Bundespräsidenten zu nehmen, letztinstanzlich durch Beschluß des BGH am 17. August 2011 (Az. V ZB 47/11). Naturgemäß ist es wahrscheinlich ist, daß Wulff seit Beginn des Verfahrens Kenntnis von der Recherche des Spiegel hatte.

Der Privatkredit wurde schließlich durch einen Kredit bei der BW-Bank abgelöst. Auch bezüglich des Zustandekommens des Kredites bei der BW-Bank schien der Bundespräsident es mit der Wahrheit nicht so genau zu nehmen: Die BW-Bank widersprach der Darstellung des Bundespräsidenten in dem TV-Interview nach Medienberichten. Demnach kam der Vertrag für ein langfristiges Darlehen zur Finanzierung des Einfamilienhauses nicht bereits Ende November 2011 zustande, wie es Wulff am Mittwoch bei ARD und ZDF beteuert hatte. Denn im November hätten sich die Bank und Wulff nur mündlich geeinigt. Die von Wulff behauptete "Handschlagqualität" reiche jedoch nach Auskunft der Bank nicht aus, um den Vertrag wirksam werden zu lassen. "Ein Kreditvertrag mit Verbrauchern bedarf der Schriftform", so die Bank. Einen schriftlichen Vertrag schickte das Geldinstitut erst am 12. Dezember an Wulff. Er unterschrieb am 21. Dezember und damit rund eine Woche nach den ersten Medienberichten über seine Hausfinanzierung. Ein Verbraucherkreditvertrag bedarf nach § 492 BGB der Schriftform, erst dann ist der Vertrag "zustandegekommen".

Am 12.Dezember 2011 hat Wulff nach Informationen der FAZ sowie der SZ versucht, die BILD-Zeitung von einer Veröffentlichung der Informationen abzuhalten. Im Anschluss an diese Veröffentlichungen hat die Chefredaktion des Boulevardblatts in einer eigenen eigene Stellungnahme bestätigt, daß der Bundespräsident persönlich den Chefredakteur Kai Diekmann anzurufen versucht habe. Als es nicht gelang, den auf Dienstreise befindlichen Diekmann zu erreichen, "hinterließ der Bundespräsident eine längere Nachricht auf der Handy-Mailbox des Chefredakteurs. Der Bundespräsident zeigte sich darin empört über die Recherchen zu dem Hauskredit und drohte u.a. mit strafrechtlichen Konsequenzen für den verantwortlichen BILD-Redakteur."

Nach Informationen der SZ soll Wulff dem Bild-Chefredakteur den "endgültigen Bruch" mit dem Springer-Verlag angedroht haben. Für ihn und seine Frau sei "der Rubikon überschritten", habe Wulff sich ereifert. Nach der Veröffentlichung der BILD zum Hauskredit habe sich der Bundespräsident dann wieder beim Chefredakteur für seine Entgleisungen entschuldigt.

Eine Handhabe, gegen die Veröffentlichungen vorzugehen, hatte der Bundespräsident nicht. Dies hätte ihm als Volljurist eigentlich bekannt sein müssen: Die weitreichende Freiheit der Wortberichterstattung bei Personen des öffentlichen Lebens hat am 8. Dezember 2011 das BVerfG wieder einmal durch Beschluß bekräftigt (Beschl. v. 08.12.2011, Az. 1 BvR 927/08). Ein Politiker oder Prominenter darf nicht darauf vertrauen, dass private Ereignisse von öffentlichem Interesse nicht von den Medien aufgegriffen werden. Alles andere wäre mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung unvereinbar, sodaß ein Berichtsverbot ausscheidet.

Die Information über eine Nachricht auf einer Mailbox ist im Übrigen kein Verstoß gegen § 201 StGB (Schutz des nicht öffentlich gesprochenen Wortes). Wer auf Anrufbeantworter spricht, der nimmt in Kauf, dass auch Dritte die Nachricht hören. Eine aufgezeichnete Nachricht auf einer Mailbox ist etwas anderes, als wenn unerlaubt ein Gespräch mitgehört und aufgezeichnet wird.

Am 30. Januar 2012 wurde auch noch bekannt, daß entgegen Wulffs Aussage am 28. Februar 2010 vor dem niedersächsischen Landtag, es habe zu Egon Geerkens in den letzten zehn Jahren keine geschäftlichen Beziehungen gegeben, Geerkens langjähriger Mandant und bis 2007 auch Vermieter der Kanzleiräume der Anwaltsozietät Dr. Funk, Prof. Dr. Tenfelde und Partner war. Dort war Wulff mehr als 15 Jahre tätig, stand auf dem Briefkopf und war bis 2011 freier Mitarbeiter. Manche Staatsrechtler sehen darin einen weiteren Verstoß gegen die niedersächsische Verfassung.

Wulffs Anwalt gab an, Wulff habe seit 1994 keine Einkünfte in der Kanzlei erzielt. Dies ist aber als lebensfremde Darstellung anzusehen, da regelmäßig niemand seinen Namen und Kontakte für ein Unternehmen ohne Gegenleistung zur Verfügung stellt.

Zudem sei Wulff  laut seiner Anwälte kein Partner der Kanzlei gewesen, sodaß er in den Mietvertrag nicht einbezogen sei. Ein Anwalt haftet aber in dieser Konstellation wie ein Partner. Dies nennt man Scheinsozietät - da ein Mandant nicht wissen kann, wie die Rechtsbeziehungen der Anwälte untereinander ausgestaltet sind, haften alle Anscheinspartner wie Sozien.

Nach dem "Rauswurf" seines Sprechers  Olaf Glaeseker, gegen den inzwischen ermittelt wird, Berichten über diverse Privaturlaube bei Unternehmerfreunden auf Mallorca und in Florida, Begleitung von Unternehmerfreunden bei Reisen und über Staatshilfen für den Partymanager Manfred Schmidt könnte letztendlich der Sylt-Urlaub mit David Groenewold nun das vielzitierte Fass zum Überlaufen bringen. Angeblich soll das Geld für die Hotelübernachtung erst von Groenewold ausgelegt und dann von Wulff in bar entrichtet worden sein.

Es gibt nicht wenige Stimmen von bekannten Verfassungsrechtlern, die in diesen Vorfällen bereits Gesetzesverstöße sehen. Es war zu erwarten, daß die Ermittlungen im engen Umfeld des Präsidenten einen Anfangsverdacht ergeben würden.

Das scheibchenweise Einräumen von bereits Bekanntem über Rechtsanwälte, Pro-Forma-Entschuldigungen, persönliche Beteuerungen in Interviews, denen dann wieder neue Enthüllungen mit rechtsanwaltlicher Stellungnahme folgen, zeugte von suboptimalem Krisenmanagement und eskalierte die Situation zunehmend.

Zur vielzitierten Würde des Amtes des Bundespräsidenten gehört auch, daß dieser erkennt, wann er diesem nicht mehr dienen, sondern nur noch schaden kann. Der Rubikon, die vielzitierte Grenze, ist spätestens dann und unabhängig von der Art der Verfehlungen überschritten, wenn der Bürger weghört, umschaltet, oder sich empört, sobald der Bundespräsident erscheint oder spricht. Diese Zerrüttung dürfte mittlerweile eingetreten sein.

Jedenfalls erscheint das gesamte Verhalten des Bundespräsidenten eines Staatsoberhauptes unwürdig, das in der Tradition von Persönlichkeiten wie Theodor Heuss oder Richard von Weizäcker steht. In diesem Amt geht es um mehr als nur um die Rechtslage oder Formaljurismus - es geht um Moral und Anstand.

Den Zeitpunkt, sich in Würde aus seinem Amt zu verabschieden, hat Christian Wulff längst verpasst", schreibt die "Westdeutsche Allgemeine Zeitung". Unabhängig vom Ausgang des Verfahrens erschüttere die Affäre Wulff "das Ansehen des Staates nach innen und das Renommee Deutschlands nach außen".

Ob Wulff bei einem Rücktritt seine Pension in Höhe von 199.000,00 EUR erhält ist fraglich. Denn ein Rücktritt aus persönlichen Gründen läßt den Pensionsanspruch nicht entstehen. Der Anspruch entsteht lediglich , wenn der Rücktritt aus politischen oder gesundheitlichen Gründen erfolgt.

Die herrschende juristische Meinung sagt aus, daß Gründe, die im privaten Verhalten des Präsidenten liegen, wohl  keine politischen Gründe im Sinne des Gesetzes über die Ruhebezüge des Bundespräsidenten sind. Diese müßten vielmehr solche seien, die unmittelbar mit der Ausübung des Amtes des Bundespräsidenten zusammenhängen.

Allerdings gibt es in der Frage des Ehrensoldes für zurückgetretene Bundespräsidenten bisher keine Staatspraxis und kaum juristische Kommentierung.

Rechtsanwalt Holger Hesterberg

Bundesweite Tätigkeit. Mitgliedschaft im DAV

Mail:kanzlei@anwalthesterberg.de