Antrag auf isolierte Entscheidung über Sorgerecht oder Umgangsrecht während oder nach dem Scheidungsverfahren ist selbstverständlich nicht mutwillig.

Familie und Ehescheidung
23.10.20064463 Mal gelesen

Es ist mutwillig, ein Sorgerechtsverfahren isoliert nach Abschluss des Scheidungsverfahrens zu beantragen, wenn die Voraussetzungen für eine Regelung des Sorgerechts bereits während des Scheidungsverfahrens vorlagen. (OLG Karlsruhe, Beschluss 5 WF 175/05 vom 10.10.06, FamRZ 2006, 494 f, Nr. 375)

 
Die Entscheidung stellt im Wesentlichen darauf ab, dass eine Regelung des Sorgerechts im Verbund in mehrfacher Hinsicht billiger für die Landeskasse gewesen wäre, einmal, weil der Gegenstandswert des isolierten Verfahrens regelmäßig ? 3.000,00 betrage, (§§ 94 II, 30 KostO), während er im Verbund nur bei ? 900,00 liege (§ 48 III GKG), und weil zum anderen bei Einbeziehung in den Verbund die Degression der Gebührenentwicklung bei steigenden Gegenstandswerten zum Tragen komme. Eine verständige Partei, die die Kosten selber zu tragen hätte, hätte den Antrag im Scheidungsverbund gestellt.

 
Der Hinweis der Ast. Auf die neue Rechtsprechung des BGH in FamRZ 2005, 786, stehe dem nicht entgegen, denn dort sei es um die Geltendmachung zivilprozessualer Folgesachen im Verbund gegangen, hier gehe es um eine FGG-Sache. Der BGH habe in erster Linie auf die Kostenfolgen abgestellt und es für nachvollziehbar und damit nicht mutwillig gehalten, einen zivilprozessualen Anspruch außerhalb der Verbundes mit der regelmäßigen Kostenaufhebung (§ 93a ZPO) geltend zu machen. Da es hier aber umeine FGG-Sache gehe, in der es ebenso in aller Regel zur Kostenaufhebung komme, entfalle das Kostenargument, und es bleibe die überdimensionale Belastung der Landeskasse.

 
Der Entscheidung ist in mehrfacher Hinsicht entgegenzutreten:

 
1.) Zunächst verkürzt OLG Karlsruhe die Begründung des BGH (XII ZB 20/04) sinnentstellend und, wie ich meine, in bedenklicher Weise.

Zwar hat der BGH dem Kostengesichtspunkt breiten Raum gewidmet, dann aber unter II d unter Hinweis auf Art. II Satz 1 GG darauf verwiesen, dass der Gleichheitsgrundsatz mit dem Rechtsstaatsprinzip eine weitgehende Angleichung der Situation der Bemittelten und Unbemittelten erfordere ( BVerfGE 81, 347, 356), in der Praxis aber keine Anhaltspunkte dafür bestünden, dass eine verständige, nicht bedürftige Partei grundsätzlich alle Folgesachen im Verbund geltend mache. Sie werde vielmehr häufig darauf bedacht sein, zunächst mal die Scheidung ohne zusätzliche, vermeidbare Belastung hinter sich zu bringen und erst dann eine Regelung der Folgesachen betreiben.

 
Mit Rücksicht darauf ( also das Gleichheitsgebot und den Rechtsstaatsgrundsatz) bedürfe die Einschränkung des nach § 623 I ZPO bestehenden Wahlrechts einer Partei, eine Folgesache im Verbund oder isoliert geltend zu machen, einer besonderen Rechtfertigung, die indessen aus Kostengesichtpunkten nicht hergeleitet werden könne.

 
Ich ergänze: Außer dem Versorgungsausgleich gibt es keine geborene Folgesache, sondern eine Reihe von Problemen, von denen der Gesetzgeber in § 623 I ZPO sagt, dass die, sofern eine Entscheidung für den Fall der Ehescheidung zu ergehen habe und eine Partei dies beantragt, zur Scheidungsfolgesache würden und in den so genannten Entscheidungsverbund aufgenommen würden.

 
Das OLG Karlsruhe nimmt also mal eben einer Partei, nur weil die auf Prozesskostenhilfe angewiesen ist, ein ihr vom Gesetzgeber gewährtes Wahlrecht.

 
2.) Im Eifer, den Hüter des Staatsschatzes zu geben, hat das OLG Karlsruhe eine juristische Grundregel verletzt, nämlich die, im Gesetzestext weiterzulesen, und dann auch weiterzudenken, wenn möglich, unter Beobachtung der Logik.

 Folgesachen nach § 621 I Z1, 2 und 3 ZPO werden nach Maßgabe des § 621 II ZPO auch dann Gegenstand des Verbundes, wenn Fragen gemeinschaftlicher Kinder nicht für den Fall der Scheidung anhängig gemacht werden und keine Behandlung im Verbund beantragt wurde. Ob Sie es bleiben, hängt von den Ehegatten ab. Jeder von ihnen kann ihre Abtrennung von der Scheidungssache beantragen.

 
§ 623 II Satz 2 ZPO:

Auf Antrag eines Ehegatten trennt das Gericht eine Folgesache nach den Nummern 1 bis 3 von der Scheidungssache ab. Ein Antrag auf Abtrennung einer Folgesache nach Nummer 1 kann mit einem Antrag auf Abtrennung einer Folgesache nach § 621 Abs. 1 Nr. 5 und Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 verbunden werden. Im Fall der Abtrennung wird die Folgesache als selbstständige Familiensache fortgeführt; § 626 Abs. 2 Satz 2 gilt entsprechend.

 Die Ablehnung der beantragten Abtrennung unterliegt der sofortigen Beschwerde. Das Gericht ist verpflichtet, dem Antrag stattzugeben (hM, OLG Stuttgart RR 03, 796, OLG Hamm FamRZ 01, 1229 und 554, OLG Düsseldorf FamRZ 00, 841 m.w.N., OLG München FamRZ 00, 166) das Rechtschutzbedürfnis für die Abtrennung ist nicht zu prüfen. Der andere Ehegatte hat kein Widerspruchsrecht. (so nahezu wörtlich nachzulesen bei Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 63. Auflage, Anmerkung 4 zu § 623 ZPO).

 
Das Oberlandesgericht Düsseldorf (3. Familiensenat) (FamRZ 00, 841)hat ausgeführt:

 
"Aus dem Wortlaut der Vorschrift folgt, dass in den genannten Fällen eine Abtrennung vorzunehmen ist ("trennt ab"), dass dem Gericht also insoweit keine Ermessensentscheidung eingeräumt worden ist. Gerade darin unterscheidet sich § 623 II S.2 ZPO von der bloßen "Möglichkeit", eine Folgesache nach § 628 ZPO abzutrennen. Auch aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich kein Hinweis darauf, das Gericht könne trotz eines entsprechenden Antrages eines Ehegatten unter bestimmten Voraussetzungen von einer Abtrennung absehen. Wird also ein Antrag auf Abtrennung gestellt, so "muss" das Gericht die Antragsfolgesachen abtrennen, ist eine Abtrennung also zwingend vorgeschrieben."

 Das Gericht hat keinen Spielraum, keinen Finger breit Ermessen, muss auch  - wegen Sinn- und Bedeutungslosigkeit  - kein rechtliches Gehör gewähren.

 Es hat auf Antrag einer Partei abzutrennen. Wenn die Ast. des Sorgerechtsverfahrens den Antrag während des laufenden Scheidungsverfahrens gestellt hätte, hätte das Familiengericht die Sache in den Verbund nehmen und auf Antrag wieder abtrennen müssen. Das OLG Karlsruhe müsste der wirtschaftlich unbemittelten Partei auch das Antragsrecht nach § 623 II Satz 2 ZPO aus Gründen der Staatsräson zum Zwecke der Schonung der Staatskasse absprechen, um seine Entscheidung halten zu können.

 
3.) Letztlich ist auch einmal die ganz profane, leider wahrscheinlich deshalb, weil so wenig vornehm, selten bis nie angestellte Überlegung anzustellen, was denn solche Entscheidungen für den Rechtsanwalt, die die Arbeit hat und von seiner Arbeit lebt, bedeutet.

 Die Anwaltsgebühren in einem gewöhnlichen Fall, in dem der Versorgungsausgleich durchgeführt wird, ? 400,00 Unterhalt eingeklagte werden, und ein Sorgerechtsantrag gestellt ist, sehen bei Prozesskostenhilfe-Bedingungen wie folgt aus, einmal, ohne dass die Sorgerechtsfrage abgetrennt wurde, einmal nach Abtrennung:

 Gegenstandswerte:

 

Verbund

Isolierte

Verfahren

   

Scheidung

?   4.000,00

 

Versorgungsausgleich

?   1.000,00

 

Unterhalt

?   4.800,00

 

Sorgerecht

?      900,00

? 3.000,00

 

? 10.700,00

 

 
Die Berechnungen sehen wie folgt aus:

 

Gebühren VV

Intakter

Verbund

Verbund nach

Abtrennung

Sorgerecht

abgetrennt

Nr. 3100

?    319,80

?    314,60

?    245,70

Nr. 3104

?    295,20

?    290,40

?    226,80

Nr. 7002

?      20,00

?      20,00

?      20,00

Summe

?    635,00

?    625,00

?    492,50

 

Die beigeordneten Prozessbevollmächtigten verdienen ohne Abtrennung für ein Verbundverfahren mit Sorgerecht ? 635,00, ohne Sorgerecht darin ? 625,00, würden also die verantwortungsvolle Bearbeitung eines Sorgerechtsvorgangs für ? 10,00 erledigen müssen, was schlechterdings als Qualitätsarbeit nicht erledigt werden kann, es sei denn, zu Lasten der Anwalts, dessen Aufgabe es aber nicht ist, den Menschen dieses Landes auf seine Kosten den Zugang zum Recht zu eröffnen. Bei Licht betrachtet ist deshalb die Entscheidung des OLG Karlsruhe auch Ausdruck tiefer Missachtung der im Familienrecht tätigen Rechtsanwälte, Ausdruck einzigartiger Rücksichtslosigkeit, zugleich auch der dritte Verfassungsverstoß in einer einzigen Entscheidung.

 Ich transponiere den Leitsatz der Entscheidung desBVerfG  1 BvR 46/05 vom 23.8.05[1]:


 Die durch Art. 12 GG geschützte Freiheit, den Anwaltsberuf auszuüben, ist untrennbar mit der Freiheit verbunden, eine angemessene Vergütung zu fordern.

  1. Das Ziel der Schonung öffentlicher Kassen ist bei der Gebührenregelung der Prozesskostenhilfe bereits berücksichtigt und kann daher nicht die Verweigerung der vom Gesetz bewilligten Wahlrechte oder der auf Antrag zu beschließenden Abtrennung einer Folgesache rechtfertigen, (was zu zwei selbständig abzurechnenden Verfahren führte), um so den Aufwand der Landeskasse für Prozesskostenhilfe-Vergütungen gering zu halten.

 Das BVerfG hat nämlich vorsorglich auch erklärt:

 
Die Gerichte.waren nicht gehindert, bei der Auslegung des Gesetzes die Bedeutung der Berufsfreiheit des Beschwerdeführers zu beachten...die Berufsfreiheit ist auch dann berührt, wenn sich eine Maßnahme zwar nicht auf die Berufstätigkeit selbst bezieht, aber in einem so engen Zusammenhang mit der Ausübung des Berufs steht, dass sie objektiv eine berufsregelnde Tendenz hat.

  

Eckhard Benkelberg

Rechtsanwalt und zugleich

Fachanwalt für Familienrecht

www.famrecht.de

 

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[1]FamRZ 2006, 24 ff (betreffend den Gegenstandswert in Scheidungssachen bei beiderseitiger Prozesskostenhilfe)