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Tarifvertragliche Bezugnahmeklausel

 Normen 

Gesetzlich nicht geregelt

 Information 

1. Im Arbeitsvertrag

1.1 Allgemein

Die Parteien eines Arbeitsvertrages können vereinbaren, dass sich die Arbeitsbedingungen nach einem oder mehreren Tarifverträgen richten sollen (tarifliche Bezugnahmeklausel). Denn gemäß § 4 Abs. 5 TVG gelten nach Ablauf des Tarifvertrages dessen Rechtsnormen weiter, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden.

Bei einer Verweisung kann auf einen bestimmten Tarifvertrag verwiesen werden (statische Verweisung - Beispiel: "Es gelten im Übrigen die Bestimmungen des TVöD") oder auf einen Tarifvertrag in seiner jeweils geltenden Fassung (dynamische Verweisung). Bei der dynamischen Verweisung sind dabei folgende Formen zu unterscheiden:

  • Die kleine dynamische Bezugnahmeklausel: Es wird auf die jeweils gültige Fassung des konkreten Tarifvertrages verwiesen.

    Beispiel:

    Es gelten die Bestimmungen des TVöD in der jeweils gültigen Fassung.

    Sofern nach Vertragsschluss der Arbeitsvertragsparteien aufgrund der Bezugnahmeklausel mehrere Tarifverträge in Betracht kommen (Tarifpluralität), ist durch ergänzende Vertragsauslegung der entsprechende Tarifvertrag zu ermitteln (BAG 29.6.2011 - 5 AZR 135/09).

    Eine kleine dynamische Verweisung kann über ihren Wortlaut hinaus nur dann als große dynamische Verweisung (Bezugnahme auf den jeweils für den Betrieb fachlich/betrieblich geltenden Tarifvertrag) ausgelegt werden, wenn sich dies aus besonderen Umständen ergibt (BAG 29.08.2007 - 4 AZR 767/06).

  • Die große dynamische Bezugnahmeklausel: Es wird jeweils auf den für den Betrieb geltenden Tarifvertrag in dessen jeweils gültiger Fassung verwiesen.

    Beispiel:

    Es gelten die Bestimmungen des TVöD in der jeweils gültigen Fassung bzw. der für den Bereich Metallgewerbe aktuell geltende Tarifvertrag.

    In kirchlichen Arbeitsverträgen (Kirchenarbeitsrecht) sind dynamische Bezugsklauseln regelmäßig dahin auszulegen, dass das einschlägige kirchenrechtliche System der Arbeitsrechtsetzung insgesamt erfasst werden soll (BAG 28.06.2012 - 6 AZR 217/11).

  • Unproblematisch sind ausdrückliche Bezugnahmeklauseln:

    Beispiel:

    Es gelten die Bestimmungen des TVöD in der jeweils gültigen Fassung einschließlich der ihn ersetzenden Tarifverträge.

1.2 Auslegung der Bezugnahmeklausel

Allgemein gilt der Grundsatz: Wird in einem Arbeitsvertrag ohne weitere Einschränkung auf die Geltung eines bestimmten Tarifvertrags verwiesen, so ist diese Klausel nach der ständigen Rechtsprechung (u.a. BAG 18.04.2007 - 4 AZR 652/05) dahin gehend auszulegen, dass dieser Tarifvertrag in seiner jeweiligen Fassung gelten soll und die Geltung nicht von Faktoren abhängt, die nicht im Vertrag genannt oder sonst für beide Parteien ersichtlich zur Voraussetzung gemacht worden sind.

Dies gilt auch dann, wenn der Arbeitgeber seine Tarifbindung verliert bzw. es zu einem Betriebsübergang kommt (EuGH 27.04.2017 - C-680/15 und C-681/15).

Dabei ist es auch nicht unschädlich, wenn auf einen unwirksamen Tarifvertrag Bezug genommen wird:

"Die Arbeitsvertragsparteien können grundsätzlich auch unwirksame Tarifverträge in Bezug nehmen. Für eine Annahme, sie hätten den Tarifvertrag nur für den Fall seiner Wirksamkeit in Bezug nehmen wollen, müssen sich aus der Auslegung des Arbeitsvertrags besondere Anhaltspunkte ergeben" (BAG 30.08.2017 - 4 AZR 443/15).

Eine Bezugnahmeklausel, die auf konkret bezeichnete Flächentarifverträge in ihrer jeweiligen Fassung verweist, kann ohne besondere Anhaltspunkte nicht ergänzend dahingehend ausgelegt werden, sie erfasse auch später abgeschlossene Haustarifverträge. Es fehlt an der für eine ergänzende Vertragsauslegung erforderlichen planwidrigen Regelungslücke (BAG 12.12.2018 - 4 AZR 123/18).

Ergänzende Vertragsauslegung:

"Voraussetzung für eine ergänzende Vertragsauslegung ist eine Regelungslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit. Allein der Umstand, dass ein Vertrag für eine bestimmte Fallgestaltung keine Regelung enthält, bedeutet noch nicht, dass es sich um eine planwidrige Lücke handelt. Von einer Planwidrigkeit kann nur dann die Rede sein, wenn der Vertrag eine Bestimmung vermissen lässt, die erforderlich wäre, um den ihm zugrunde liegenden Regelungsplan zu verwirklichen, mithin ohne Vervollständigung des Vertrags eine angemessene, interessengerechte Lösung nicht zu erzielen ist. (...) Eine Bezugnahmeklausel, die - zeitdynamisch - auf konkret bezeichnete Tarifverträge verweist, mag im Fall des späteren Übergangs eines Arbeitsverhältnisses auf einen Dritten aus der Sicht einer der Vertragsparteien als "lückenhaft" empfunden werden. Diese Regelungslücke ist jedoch nicht automatisch planwidrig (...). Auch im Bereich des öffentlichen Dienstes kommt es zu Betriebsübergängen und ein Übergang des Arbeitsverhältnisses kraft Gesetzes kommt nicht nur theoretisch in Betracht (...). Insoweit wäre es den Arbeitsvertragsparteien unbenommen gewesen, für solche Fälle eine sog. große dynamische Bezugnahmeklausel (Tarifwechselklausel) in den Vertrag aufzunehmen (BAG 11.12.2019 - 4 AZR 1003/13).

1.3 Gleichstellungsabrede

Nach der früheren Rechtsprechung waren bei Tarifgebundenheit des Arbeitgebers an arbeitsvertraglich in Bezug genommene Tarifverträge Bezugnahmeklauseln in aller Regel als sogenannte Gleichstellungsabreden auszulegen, deren - nicht ausdrücklich niedergelegter, aber durch Auslegung festgestellter - vertraglicher Zweck es allein war, die nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer ebenso zu stellen wie die tarifgebundenen. Dies führte bei einem Wegfall der Tarifgebundenheit auf Arbeitgeberseite dazu, dass die in das Arbeitsverhältnis einbezogenen Tarifverträge nur noch statisch in der Fassung zum Zeitpunkt des Endes der Tarifgebundenheit anzuwenden waren.

Bei Arbeitsverträgen, die nach dem Inkrafttreten der Schuldrechtsreform zum 1. Januar 2002 abgeschlossen wurden ("Neuverträge"), hat das BAG seine Rechtsprechung zur Gleichstellungsabrede aufgegeben. Es versteht die Klausel nun, wenn keine Anhaltspunkte für einen hiervon abweichenden Vertragswillen bestehen, ihrem Wortlaut entsprechend als unbedingte dynamische Verweisung (BAG 24.02.2010- 4 AZR 691/08).

2. Im Tarifvertrag

Tritt ein Tarifvertrag, der dynamisch auf einen anderen verweist, in das Stadium der Nachwirkung nach § 4 Abs. 5 TVG ein, so endet die Dynamik. Aus der dynamischen wird eine statische Verweisung auf den anderen Tarifvertrag in der Fassung, die er bei Ablauf des verweisenden Tarifvertrages hat. Denn: Bei einer dynamischen Verweisung in einem Tarifvertrag auf eine andere tarifliche Regelung ist der verweisende Tarifvertrag selbst unvollständig. Er wird erst durch die in Bezug genommenen Regelungen vervollständigt. Diese sind der Sache nach Teil der Normen des verweisenden Tarifvertrages. Die Nachwirkung ist darauf beschränkt, bis zum Abschluss einer anderen Abmachung den bisherigen materiell-rechtlichen Zustand für das Arbeitsverhältnis beizubehalten.

Daher führt die Nachwirkung dazu, dass der in Bezug genommene Tarifvertrag genauso wie der Bezug nehmende lediglich so weiter gilt, wie dieser bei seinem Ablauf galt. Davon ist jedenfalls dann auszugehen, wenn der in Bezug genommene Tarifvertrag zum Zeitpunkt des Ablaufs keine zukünftigen Änderungen vorsah und erst später, im Nachwirkungszeitraum, abgeschlossene Tarifverträge zu einer Änderung führen.

Unerheblich ist, ob die Tarifvertragsparteien eine dynamische Verweisung vereinbart haben. Der Geltungswille der Tarifvertragsparteien endet regelmäßig mit Ablauf des Tarifvertrages. Die Rechtswirkungen der Nachwirkung folgen aus dem Gesetz. Etwas anderes kann gelten, wenn dem verweisenden Tarifvertrag der Wille zu entnehmen ist, dass die Bezug nehmende Klausel auch dann als dynamische zu verstehen sein soll, wenn der Tarifvertrag abgelaufen ist (BAG 29.01.2008 - 3 AZR 426/06).

3. Verpfllichtung im Tarifvertrag zur Bezugnahmeklausel

"Die Tarifvertragsparteien können Ansprüche aus den zwischen ihnen vereinbarten tariflichen Inhaltsnormen nicht davon abhängig machen, das die tarifgebundenen Arbeitsvertragsparteien eine vertragliche Bezugnahme auf die für den Arbeitgeber jeweils gültigen Tarifverträge vereinbaren. Eine solche "arbeitsvertragliche Nachvollziehung" von Tarifverträgen als Anspruchsvoraussetzung umgeht die gesetzlich angeordnete unmittelbare Wirkung der Rechtsnormen eines Tarifvertrags nach § 4 Abs. 1 TVG sowie das in § 4 Abs. 3 TVG verankerte Günstigkeitsprinzip und ist daher unwirksam" (BAG 13.05.2020 - 4 AZR 489/19).

 Siehe auch 

Allgemeinverbindlichkeit eines Tarifvertrages

Arbeitskampf

Auslegung

Betriebsrat

Betriebsübergang - Tarifverträge

Betriebsverfassung

Eingruppierung

Firmentarifvertrag

Gewerkschaften

Günstigkeitsprinzip

Mindestlohn

Öffnungsklausel - Tarifvertrag

Streik

Tarifautomatik - öffentlicher Dienst

Tarifregister

Bayreuther: Vorbehaltlose dynamische Bezugnahmeklausel nach einem Betriebsübergang - Neues vom EuGH; Neue Juristische Wochenschrift - NJW 2017, 2158

Tiling: Zum Umgang mit Bezugnahmeklauseln in kirchlichen Arbeitsverträge in der Situation des Betriebsübergangs; Zeitschrift für Tarif-, Arbeits- und Sozilrecht - ZTR 2017, 11 - 15