Betriebsübergang
1 Allgemein
Ein Betriebsübergang i.S.d. § 613a BGB ist der Wechsel des Betriebsinhabers durch Rechtsgeschäft. Die Vorschrift des § 613a BGB ist eine Arbeitnehmer-Schutzvorschrift.
Der Regelungsbereich der Vorschrift erstreckt sich auf:
Die Arbeitsverhältnisse im Zeitpunkt des Betriebsübergangs.
Der Schutzbereich der Vorschrift erstreckt sich auf alle im Zeitpunkt des Betriebsübergangs rechtlich bestehenden Arbeitsverhältnisse der Arbeitnehmer. Nicht erfasst werden die Arbeitsverhältnisse der freien Mitarbeiter, arbeitnehmerähnlichen Selbstständigen, Heimarbeitnehmer oder der Leiharbeitnehmer.
Für die Frage, welchem Betrieb oder Betriebsteil ein Arbeitnehmer zugeordnet ist, kommt es zunächst auf den Willen der Arbeitsvertragsparteien an. Liegt ein solcher weder in ausdrücklicher noch in konkludenter Form vor, so erfolgt die Zuordnung grundsätzlich - ebenfalls ausdrücklich oder konkludent - durch den Arbeitgeber aufgrund seines Direktionsrechts (BAG 21.02.2013 - 8 AZR 877/11).
Die Fortgeltung bestehender Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen (siehe den Beitrag "Betriebsübergang - Tarifverträge").
Die Haftung des bisherigen Betriebsinhabers.
Ein Wechsel des Betriebsinhabers liegt nicht vor, wenn sich die Rechtsform oder die Gesellschafter ändern, jedoch wenn Betriebe der öffentlichen Hand privatisiert werden.
Zeitlich ist für die Annahme eines Betriebsübergangs der tatsächliche Übergang und die Nutzung der wesentlichen Betriebsmittel entscheidend. Die Frage, ob die Betriebsmittel unter der Einräumung eines Eigentumsvorbehalts veräußert wurden oder dem Erwerber ein Rücktrittsrecht eingeräumt wurde, ist insofern unerheblich (BAG 15.12.2005 - 8 AZR 202/05).
Die Grundsätze des Betriebsübergangs sind nicht anwendbar, wenn der Betrieb einige Monate unterbrochen wurde. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts wird dabei ein Zeitraum von ca. sechs bis acht Monaten gefordert.
Von diesen Vorschriften abweichende Regelungen gelten für einen Betriebsübergang bei einer Unternehmensumwandlung oder in der Insolvenz.
Die beim Betriebsveräußerer erbrachten Beschäftigungszeiten sind nach einer Entscheidung des BAG bei der Berechnung der Wartezeit als Voraussetzung der Anwendbarkeit des Kündigungsschutzes gemäß § 1 KSchG zu berücksichtigen.
2 Voraussetzungen
Siehe den Beitrag "Betriebsübergang - Voraussetzungen".
3 Unterrichtung der Arbeitnehmer
Der bisherige Arbeitgeber oder der neue Inhaber haben gemäß § 613a Abs. 5 BGB die von einem Übergang betroffenen Arbeitnehmer vor dem Übergang in Textform über die folgenden Themen zu unterrichten:
den Zeitpunkt oder den geplanten Zeitpunkt des Übergangs
den Grund für den Übergang (Rechtsgrund, d.h. Kaufvertrag, Pachtvertrag etc.)
die rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Übergangs für die Arbeitnehmer
Zu den wirtschaftlichen Folgen gehören auch solche Veränderungen, die sich nicht als rechtliche Folge unmittelbar den Bestimmungen des § 613a Abs. 1 - 4 BGB entnehmen lassen (BAG 14.11.2013 - 8 AZR 824/12).
die hinsichtlich der Arbeitnehmer in Aussicht genommenen Maßnahmen
"Maßnahmen" sind alle durch den bisherigen oder neuen Betriebsinhaber geplanten erheblichen Änderungen der rechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Situation der vom Übergang betroffenen Arbeitnehmer. Solche Maßnahmen sind frühestens dann in Aussicht genommen, wenn ein Stadium konkreter Planungen erreicht ist (BAG 10.11.2011 - 8 AZR 430/10).
Neben diesen gesetzlich vorgegebenen Angaben sind nach der Rechtsprechung (BAG 14.12.2006 - 8 AZR 763/05) die Arbeitnehmer über die Identität des Erwerbers sowie den Gegenstand des Betriebsübergangs zu informieren.
Mit dem Urteil BAG 14.11.2013 - 8 AZR 824/12 hat das BAG weitere Grundsätze zum notwendigen Inhalt der Unterrichtung aufgestellt:
Der Inhalt der Unterrichtung richtet sich nach dem Kenntnisstand des Veräußerers und des Erwerbers zum Zeitpunkt der Unterrichtung.
Die Unterrichtsungspflicht erfasst auch die mittelbaren Folgen eines Betriebsübergangs, wenn zwar bei diesen nicht direkt Positionen der Arbeitnehmer betroffen werden, die ökonomischen Rahmenbedingungen des Betriebsübergangs jedoch zu einer so gravierenden Gefährdung der wirtschaftlichen Absicherung der Arbeitnehmer bei dem neuen Betriebsinhaber führen, dass dies als ein wesentliches Kriterium für einen möglichen Widerspruch der Arbeitnehmer gegen den Übergang ihrer Arbeitsverhältnisse anzusehen ist.
Auch eine ggf. bestehende Sozialplanprivilegierung der Betriebserwerberin nach § 112a Abs. 2 BetrVG gehört zum Gegenstand der Informationspflicht.
Sämtliche Informationen können grundsätzlich in einem Standardschreiben verfasst werden, sofern die Besonderheiten einzelner Arbeitsverhältnisse beachtet werden.
4 Widerspruch des Arbeitnehmers
4.1 Allgemein
Der neue Betriebsinhaber tritt mit allen Rechten und Pflichten in die bestehenden Arbeitsverhältnisse ein. Der Arbeitnehmer hat aber gemäß § 613a Abs. 6 BGB das Recht, dem Übergang innerhalb eines Monats nach Zugang der Unterrichtung zu widersprechen. Folge ist, dass das alte Arbeitsverhältnis bestehen bleibt.
Die Widerspruchsfrist beginnt mit einer ordnungsgemäßen Erfüllung der dem Arbeitgeber bzw. Erwerber obliegenden Informationspflicht (s.o.). Eine unterbliebene oder nicht ordnungsgemäße Unterrichtung führt nicht zur Auslösung der Widerspruchsfrist. Dies gilt auch für den Fall, dass die Unterrichtung erst nach dem Betriebsübergang erfolgt (BAG 14.12.2006 - 8 AZR 763/05). Siehe auch den folgenden Gliederungspunkt!
Der Widerspruch kann gegenüber dem bisherigen Arbeitgeber oder dem neuen Inhaber erklärt werden (BAG 24.04.2014 - 8 AZR 369/13).
Das Widerspruchsrecht erfordert nicht das Vorliegen eines sachlichen Grundes. Gemäß dem Urteil BAG 30.09.2004 - 8 AZR 462/03 ist ein kollektiver Widerspruch der Arbeitnehmer aber dann rechtsmissbräuchlich, wenn er anderen Zwecken als der Sicherung arbeitsvertraglicher Rechte und der Beibehaltung des bisherigen Arbeitgebers dient.
Der Arbeitnehmer kann sein Widerspruchsrecht noch wirksam ausüben, auch wenn zum Zeitpunkt der Widerspruchserklärung sein Arbeitsverhältnis bereits beendet ist (BAG 24.07.2008 - 8 AZR 755/07).
4.2 Beginn der Monatsfrist
Aber Achtung: Das BAG hat den Lauf der Frist an das Vorliegen eines rechtswirksamen Betriebsübergangs geknüpft (BAG 25.01.2018 - 8 AZR 309/16):
"§ 613a Abs. 6 Satz 1 BGB knüpft an die in § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB getroffene Bestimmung an, wonach der neue Inhaber im Fall eines Betriebs- oder Betriebsteilübergangs in die Rechte und Pflichten aus den im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen eintritt und setzt damit voraus, dass es zu einem Betriebs- oder Betriebsteilübergang gekommen ist. (...) § 613a Abs. 6 Satz 1 BGB ist aber auch nicht analog in den Fällen anwendbar, in denen der vermeintliche Veräußerer und/oder der vermeintliche neue Inhaber den Arbeitnehmer über einen rechtsirrig angenommenen Betriebsübergang unterrichtet haben. Darauf, ob der Irrtum vermeidbar war, kommt es (...) nicht an."
4.3 Verwirkung des Widerspruchsrechts
Das Widerspruchsrecht kann wegen Verwirkung ausgeschlossen sein. Die Tatsache, dass der Gesetzgeber eine Widerspruchsfrist eingeführt hat, schließt eine Anwendung der allgemeinen Verwirkungsgrundsätze nicht aus, weil jedes Recht nur unter Berücksichtigung der Grundsätze von Treu und Glauben ausgeübt werden kann. Als ein Umstand, der das Vertrauen des bisherigen Arbeitgebers in die Nichtausübung des Widerspruchsrechts rechtfertigen kann, muss gelten, wenn der Arbeitnehmer über die Beendigung seines Arbeitsverhältnisses dadurch disponiert hat, dass er einen Aufhebungsvertrag mit dem Betriebserwerber geschlossen oder eine von diesem nach dem Betriebsübergang erklärte Kündigung hingenommen hat (BAG 17.10.2013 - 8 AZR 974/12).
Daneben hat das BAG nun auch eine widerspruchslose Weiterarbeit als Verwirkungsgrund anerkannt:
"Wurde der Arbeitnehmer zwar nicht ordnungsgemäß iSv. § 613a Abs. 5 BGB unterrichtet, aber im Rahmen einer Unterrichtung nach § 613a Abs. 5 BGB von dem bisherigen Arbeitgeber und/oder dem neuen Inhaber über den mit dem Betriebsübergang verbundenen Übergang seines Arbeitsverhältnisses unter Mitteilung des Zeitpunkts oder des geplanten Zeitpunkts sowie des Gegenstands des Betriebsübergangs und des Betriebsübernehmers (grundlegende Informationen) in Textform in Kenntnis gesetzt und über sein Widerspruchsrecht nach § 613a Abs. 6 BGB belehrt, führt eine widerspruchslose Weiterarbeit bei dem neuen Inhaber über einen Zeitraum von sieben Jahren regelmäßig zur Verwirkung des Widerspruchsrechts" (BAG 21.12.2017 - 8 AZR 700/16).
5 Aufhebungsvertrag mit dem Betriebsveräußerer und befristeter Arbeitsvertrag mit dem Betriebserwerber
Das BAG hat zur Zulässigkeit eines Aufhebungsvertrags und dem Abschluss eines befristeten Arbeitsvertrages folgende Grundsätze aufgestellt (BAG 25.10.2012 - 8 AZR 575/11):
Zulässigkeit eines Aufhebungsvertrags:
Grundsätzlich ist es dem Arbeitnehmer unbenommen, mit dem Betriebsveräußerer einen Aufhebungsvertrag zu schließen.
§ 613a BGB wird jedoch umgangen, wenn der Aufhebungsvertrag die Beseitigung der Kontinuität des Arbeitsverhältnisses bei gleichzeitigem Erhalt des Arbeitsplatzes bezweckt, weil zugleich ein neues Arbeitsverhältnis vereinbart oder zumindest verbindlich in Aussicht gestellt wurde.
In diesem Fall ist der Aufhebungsvertragnichtig.
Bezüglich der Wirksamkeit des mit dem Betriebserwerbers abgeschlossenen befristeten Arbeitsvertrages ist wie folgt zu unterscheiden:
Der Aufhebungsvertrag war wirksam abgeschlossen:
Das Arbeitsverhältnis kann befristet werden, auch § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG steht dem Abschluss einer sachgrundlosen Befristung (siehe Befristetes Arbeitsverhältnis - Zulässigkeit) mit dem Betriebserwerber nicht entgegen.
Der Aufhebungsvertrag ist nichtig:
Die Identität der Arbeitgeber wird gewahrt, da der Erwerber in Bezug auf das Arbeitsverhältnis Rechtsnachfolger des Betriebsveräußerers geworden ist, ein befristeter Arbeitsvertrag ist unzulässig.
6 Übergang eines Betriebsteils
Ein Betriebsteilübergang liegt vor, wenn ein neuer Rechtsträger eine bestehende wirtschaftliche Einheit unter Wahrung ihrer Identität fortführt Dabei muss es um eine auf Dauer angelegte Einheit gehen, deren Tätigkeit nicht auf die Ausführung eines bestimmten Vorhabens beschränkt ist. Um eine solche Einheit handelt es sich bei jeder hinreichend strukturierten und selbstständigen Gesamtheit von Personen und/oder Sachen zur Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mit eigenem Zweck. Den für das Vorliegen eines Übergangs maßgebenden Kriterien kommt je nach der ausgeübten Tätigkeit und je nach den Produktions- oder Betriebsmethoden unterschiedliches Gewicht zu. Ohne Bedeutung ist, ob das Eigentum an den eingesetzten Betriebsmitteln übertragen worden ist. So hat das BAG die Übernahme von Kindertagesstätten einer Gemeinde durch einen Betreiber- und Personalgestellungsvertrag als Betriebsteilübergang anerkannt (BAG 20.03.2014 - 8 AZR 1/13).
Auch beim Erwerb eines Betriebsteils ist es erforderlich, dass die wirtschaftliche Einheit ihre Identität wahrt. Daher muss eine Teileinheit des Betriebes auch bereits beim früheren Betriebsinhaber die Qualität eines Betriebsteils gehabt haben. Schon beim bisherigen Betriebsinhaber muss eine selbstständig abtrennbare organisatorische Einheit gegeben sein, mit der innerhalb des betrieblichen Gesamtzwecks ein Teilzweck verfolgt wurde. Das Merkmal des Teilzwecks dient zur Abgrenzung der organisatorischen Einheit; im Teilbetrieb müssen aber nicht andersartige Zwecke als im übrigen Betrieb verfolgt werden.
Ergibt die Gesamtbetrachtung eine identifizierbare wirtschaftliche und organisatorische Teileinheit, so muss diese beim Erwerber im Wesentlichen unverändert fortbestehen. Im Rahmen der Gesamtbetrachtung können wesentliche Änderungen in der Organisation, der Struktur und im Konzept einer Identitätswahrung entgegenstehen. Allerdings muss der übertragene Unternehmens- oder Betriebsteil seine organisatorische Selbstständigkeit beim Betriebserwerber nicht vollständig bewahren, es genügt, dass dieser die funktionelle Verknüpfung zwischen den übertragenen Produktionsfaktoren beibehält und es ihm derart ermöglicht wird, diese Faktoren zu nutzen, um derselben oder einer gleichartigen wirtschaftlichen Tätigkeit nachzugehen (BAG 17.12.2009 - 8 AZR 1019/08).
7 Übergang eines Leiharbeitsverhältnisses
Mit der Entscheidung EuGH 21.10.2010 - C 242/09 wurde der Arbeitgeberbegriff bei einem Betriebsübergang ausgeweitet. Danach kann bei einem Übergang eines einem Konzern angehörenden Unternehmens auf ein Unternehmen, das diesem Konzern nicht angehört, als Veräußerer auch das Konzernunternehmen angesehen werden, zu dem die Arbeitnehmer ständig abgestellt waren, ohne jedoch mit diesem durch einen Arbeitsvertrag verbunden gewesen zu sein, obwohl es in diesem Konzern ein Unternehmen gibt, an das die betreffenden Arbeitnehmer durch einen Arbeitsvertrag gebunden waren.
Folge ist, dass auch die Arbeitsverhältnisse der Arbeitnehmerüberlassung auf den Erwerber übergehen
8 Übergang der betrieblichen Altersvorsorge
Die Anwartschaften der betrieblichen Altersversorgung sind bei einer Insolvenz für die Vergangenheit nicht zu übernehmen. In der Pressemitteilung zu der Entscheidung BAG 26.01.2021 - 3 AZR 139/17 heißt es:
"Der Erwerber eines Betriebs(teils) in der Insolvenz haftet nach § 613a Abs. 1 BGB für Ansprüche der übergegangenen Arbeitnehmer auf Leistungen der betrieblichen Altersversorgung nur zeitanteilig für die nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zurückgelegte Dauer der Betriebszugehörigkeit. Für die Leistungen, die auf Zeiten bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens beruhen, haftet er auch dann nicht, wenn für diesen Teil der Betriebsrente nach dem Betriebsrentengesetz der Pensions-Sicherungs-Verein (PSV) - der gesetzlich bestimmte Träger der Insolvenzsicherung - nicht vollständig eintritt."
9 Prozessrecht
Der Betriebsübergang hat folgende Auswirkungen auf einen laufenden Prozess (BAG 09.12.2008 - 1 ABR 75/07):
Im Urteilsverfahren finden die §§ 265, 325 ZPO entsprechende Anwendung. Der Betriebsübergang hat daher auf das Urteilsverfahren grundsätzlich keinen Einfluss. Der Rechtsstreit wird gegen den alten Arbeitgeber fortgesetzt. Der neue Arbeitgeber bedarf zu einer Übernahme des Prozesses der Zustimmung des Gegners.
Im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren tritt dieser automatisch und in jeglicher Hinsicht in die prozessuale Stellung des bisherigen Betriebsinhabers ein.
10 Tarifverträge
Der Betriebsübergang kann auch Auswirkungen auf die Geltung eines Tarifvertrages haben.