Grenzüberschreitende Jagd auf Verkehrssünder - Ein EU-Schuss der nach hinten losgeht ?

Staat und Verwaltung
23.03.20081492 Mal gelesen

Auch im Jahr 2008 ist es nicht zur Umsetzung des EU-Rahmenbeschusses zur Vollstreckung von Bußgeldern gekommen und deutsche Autofahrer können Bußgeldbescheide aus dem Ausland noch bis frühestens Anfang 2009 getrost beiseite legen (außer Österreich - hier besteht ein aktives Vollstreckungsabkommen). Gleichwohl bläst Brüssel schon zur neuen Attacke auf Verkehrssünder. So hat die Europäische Kommission hat am 19.März 08 den Vorschlag für eine Richtlinie vorgelegt, die darauf abzielt, die Ermittlung von Halteranschriften und die Identifizierung von Fahrern europaweit zu vereinfachen. Dies soll vor allem über eine Harmonisierung von technischen Geräten und Verwaltungsverfahren, die bei der Feststellung von Verkehrsverstößen eingesetzt werden, gelingen.
Mit anderen Worten: Es geht um eine Vereinheitlichung technischer Standards und des Datenaustausches. So erklärte denn auch EU-Verkehrskommissar Jacques Barrot, dass es insbesondere um die elektronische Übermittlung der Verkehrsdelikte innerhalb der EU gehe. 

Die Verbesserung der Verkehrsicherheit ist ohne Zweifel ein hehres Ziel der EU Kommission. Doch ist die Frage berechtigt, ob es nicht stark zu Lasten eines effektiven Rechtsschutzes geht, wenn künftig massenweise Bußgeldbescheide ins Ausland übermittelt und dort vollstreckt werden können. Zwar geht es bei den Kommissionsplänen ausschließlich um die unfallträchtigsten Arten von Verkehrsdelikten: Geschwindigkeitsüberschreitungen, Rotlichtverstöße, Trunkenheit im Verkehr und Nichtanschnallen, wobei Bußgelder zudem erst ab einer Höhe der Geldbuße von 70 Euro beigetrieben werden können; dennoch droht ein rechtliches Chaos. Verhindern könnte dies nur ein einheitlicher Bußgeldkatalog und ein europäisches Verkehrszentralregister. Weder das eine noch das andere sind jedoch geplant und wären auch gar nicht durchsetzbar. Die Normsetzung in diesem Bereich ist Angelegenheit der Einzelstaaten. Und in denen gibt es sehr unterschiedliche Vorstellungen davon, wie ein Verkehrsdelikt sanktioniert werden muss. Müssen hier zu Lande zum Beispiel bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung von 20 km/h gerade mal bis zu 35 Euro berappt werden, verlangen die Italiener mindestens 110 Euro, die Ungarn bitten mit bis zu 240 Euro zur Kasse und Norwegen verlangt sogar 395 Euro.

In einigen EU-Ländern gibt es bei Verkehrsverstößen zudem die Halterhaftung, während es bei uns in Deutschland das rechtsstaatliche Verdikt gilt, dass im fließenden Verkehr nur der Fahrer für einen Verkehrsverstoß zur Verantwortung gezogen werden darf. Diesem ist verfassungsrechtlich garantiert, dass er sich ohne Nachteile, auf sein Aussage- und Zeugnisverweigerungsrecht berufen kann.
Ein Mechanismus im europaweiten Austausch von Halterdaten und der Vollstreckung von Bußgelbescheiden aus dem Ausland beinhaltet meines Erachtens somit auch die Gefahr, dass das wichtige Täterprinzip unterhöhlt wird. Der Betroffene kann sich nämlich nur im Reiseland selbst gegen den Vorwurf zur Wehr setzen. Doch wer nimmt seine Interessen dann im Ausland schon wahr? Bei der Umsetzung des EU-Vorschlags wäre man also gut beraten unbedingt auf die uneingeschränkte Fortgeltung des Täterprinzips zu achten. Auch die Erlangung effektiven Rechtsschutzes muss für die Betroffenen ohne Umwege möglich sein. Andernfalls drohen der EU bei den Autofahrern erhebliche Vertrauensverluste in die Rechtsstaatlichkeit der Gesetzgebung und damit in die Idee Europa an sich.

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Der Verfasser, Christian Demuth, ist als Rechtsanwalt nahezu ausschließlich auf dem Gebiet des Verkehrsstraf- und Bußgeldrechts tätig.