BGH: GmbH-Geschäftsführer können sich auf Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) berufen

BGH: GmbH-Geschäftsführer können sich auf Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) berufen
27.04.2012364 Mal gelesen
Nach einer Grundsatzentscheidung des BGH fällt auch der Geschäftsführer einer GmbH in den Schutzbereich des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG), BGH Urteil vom 23. April 2012 - II ZR 163/10.


Der BGH hat entschieden, dass ein auf bestimmte Dauer bestellter Geschäftsführer einer GmbH, der nach Ablauf seines Vertrages nicht als Geschäftsführer weiterbeschäftigt wird, in den Schutzbereich des Allgmeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) fällt, BGH Urteil vom 23. April 2012 - II ZR 163/10 (Vorinstanzen: LG Köln Urteil vom 27. November 2009 - 87 O 71/09 ; OLG Köln Urteil vom 29 Juli 2010 - 18 U 196/09).

I. Sachverhalt

Der Kläger war bis zum Ablauf seiner Amtszeit am 31. August 2008 der medizinische Geschäftsführer der beklagten Kliniken der Stadt Köln, einer GmbH. Die Anteile an dieser Gesellschaft werden von der Stadt Köln gehalten. In dem mit einer Laufzeit von fünf Jahren abgeschlossenen Dienstvertrag des Klägers war vereinbart, dass die Vertragsparteien spätestens 12 Monate vor Vertragsablauf mitteilten, ob sie zu einer Verlängerung des Vertragsverhältnisses bereit waren. Der Aufsichtsrat der GmbH beschloss im Oktober 2008, das Anstellungsverhältnis mit dem im Zeitpunkt der (regulären) Vertragsbeendigung 62 Jahre alten Kläger nicht über den 31. August 2008 hinaus fortzusetzen und besetzte die Stelle des medizinischen Geschäftsführers stattdessen mit einem 41-jährigen Mitbewerber.

Der Kläger ist der Auffassung, dass ihm der Neuabschluss seines Dienstvertrags sowie die weitere Bestellung als Geschäftsführer nur aus Altersgründen versagt worden seien und dass diese Entscheidung gegen das Altersdiskriminierungsverbot des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) verstoße. Er hat mit dieser Begründung Ersatz seines materiellen und immateriellen Schadens verlangt.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das OLG hat ihr im Wesentlichen stattgegeben, jedoch statt des beantragten Schadens i.H.v. EUR 110.000,- nur EUR 36.000,- zugesprochen. Gegen dieses Urteil haben beide Parteien Revision eingelegt.

II. BGH Urteil vom 23. April 2012 - II ZR 163/10

Der BGH hat die Entscheidung des Berufungsgerichts, der Kläger sei in unzulässiger Weise wegen seines Alters benachteiligt worden, bestätigt. Es stellte fest, dass nach § 6 Abs. 3 AGG das Gesetz Anwendung auf Geschäftsführer einer GmbH finde, soweit es um den Zugang zu dem Geschäftsführeramt und um den beruflichen Aufstieg gehe. In dem Beschluss, den Kläger nach dem Auslaufen seiner Bestellung nicht weiter als Geschäftsführer zu beschäftigen, hat der Senat eine Entscheidung über den Zugang zu dem Amt gesehen. Weiter hat der Zweite Senat die Beweislastregel des § 22 AGG angewendet. Danach müsse der Bewerber nur Indizien beweisen, aus denen sich eine Diskriminierung ergebe. Das Unternehmen habe dann zu beweisen, dass der Bewerber nicht wegen seines Alters oder aus anderen Gründen benachteiligt worden sei.

Vorliegend hatte der Aufsaichtsratsvorsitzende gegenüber der Presse erklärt, dass der Kläger wegen seines Alters nicht weiterbeschäftigt worden sei. Man habe wegen des "Umbruchs auf dem Gesundheitsmarkt" einen Bewerber gewählt, der das Unternehmen "langfristig in den Wind stellen" könne. Das hat der Senat als ausreichend für die Beweislastumkehr nach § 22 AGG angesehen. Die Beklagte habe den damit ihr obliegenden Gegenbeweis nicht geführt. Zudem, so der Zweite Senat, war die Diskriminierung des Klägers wegen seines Alters nicht aus den im AGG vorgesehenen Gründen gerechtfertigt.

Damit habe der Kläger Anspruch auf Ersatz seines Vermögensschadens und auf Entschädigung wegen seines immateriellen Schadens.

Aufgrund von Fehlern bei der Feststellung des Schadens hat der Senat das angefochtene Urteil teilweise aufgehoben und die Sache insoweit an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

III. Kommentar

Der für das Gesellschaftsrecht zuständige Zweite Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat mit diesem Urteil erstmals die Gelegenheit wahrgenommen, zur Auslegung des am 18. August 2006 in Kraft getretenen Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) Stellung zu nehmen.

Die Entscheidung schafft in erster Linie Klarheit darüber, in welchem Umfang das Altersdiskriminierungsverbot des AGG auf Organmitglieder Anwendung findet. Bislang fehlte hierzu eine einschlägige, höchstrichterliche Rechtsprechung.

Allerdings dürften mit dieser Entscheidung dennoch zwei zentrale Fragen der Diskriminierung von Organmitgliedern ungelöst bleiben:

1. Problematik von Gremienentscheidungen

Nach wie vor dürfte fraglich sein, welche Anforderungen an den Nachweis eines diskriminierenden Motivs bei Gremienentscheidungen zu stellen sind. Schließlich entscheiden bei Organmitgliedern typischerweise Gremien über den Anstellungsvertrag. Diskriminierende Motive einzelner Mitglieder dürften kein ausreichendes Indiz für die unzulässige Motivation des Gesamtgremiums sein. Als Beweiserleichterung greift zwar auch hier § 22 AGG. Jedoch dürfte es in diesem Zusammenhang konsequent sein, zumindest Indizien für die zur Erfüllung des jeweiligen Mehrheitserfordernisses notwendige Anzahl von Aufsichtsratsmitgliedern zu verlangen. M.a. W. kann eine Diskriminierung nur dann vorliegen, wenn die entscheidungserhebliche Mehrheit der Mitglieder ein diskriminierendes Motiv hat.

2. Problematik des sog. "Motivbündels"

Noch nicht absehbar ist zudem, welche Bedeutung zukünftig dem Argument des sog. "Motivbündels" zukommen wird. Es dürfte zutreffend sein, dass eine verbotene Benachteiligung bereits dann vorliegt, wenn das Gremium aus einem "Motivbündel" heraus gehandelt hat und die verbotene Motivation gegenüber anderen zulässigen Motiven nicht unbedeutend war. Voraussetzung ist jedoch, dass die weiteren Motive des Bündels gerade nicht diskriminierend i.S.d. § 1 AGG sind, da dieses Problem anderenfalls obsolet wäre.

IV. Fazit

Es ist momentan noch offen, ob zukünftig derart geringe Anforderungen an den Nachweis diskriminierender Motive bei Gremienentscheidungen zu stellen sein werden. Insbesondere bei größeren Gremien dürfte es nahezu immer möglich sein, bei einem der Mitglieder einen Hinweis auf ein nach § 1 AGG unzulässiges Motiv zu finden. Dies dürfte nach der bisher überwiegenden Auffassung jedoch nicht für die erforderliche Kausalität zwischen diskriminierendem Motiv und benachteiligender Entscheidung genügen.

Die Praxis wird sich daher zunächst darauf einzustellen haben, die Anstellungsbedingungen bei GmbH-Geschäftsführern, die nicht oder nicht bestimmend an der Gesellschaft beteiligt sind, - vorsorglich - am Verbot der Altersdiskriminierung gemäß § 1 AGG zu messen.

(Anm. des Verfassers: Zum Zeitpunkt der Anfertigung dieses Beitrags lagen die Entscheidungsgründe des BGH im Volltext noch nicht vor.)

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Ansprechpartner: Dr. Alexander Pfohl, LL.M., Rechtsanwalt, Schindhelm Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Hannover