§ 50 RVG dürfte verfassungswidrig sein

§ 50 RVG dürfte verfassungswidrig sein
08.09.20102191 Mal gelesen
Der Prozesskosten- oder Verfahrenskostenhilfeanwalt wird mit extrem miserablen Gebühren seitens des Staates abgespeist. Der holt sich von Mandanten, die dazu in der Lage sind, Raten auf die Kosten zu zahlen, das Geld in maximal 48 Monatsraten zurück. Erst wenn aller Staatsaufwand gedeckt ist, zieht der Staat - wenn möglich - auch noch die Differenz zwischen den bisweilen um ein Mehrfaches höheren Wahlanwaltsgebühren und den Verfahrenskostenhilfegebühren ein. Wenn das mit 48 Raten nicht oder nur teilweise zur Deckung der Anwaltsgebühren führt: Wen kümmert´s: Der Anwalt ist dann der Einzige, der noch einen Beitrag zur Schaffung des gleichen Zugangs zum Recht für die Armen geleistet hat, der Staat hat seinen (schäbigen) Aufwand zurück. Soll das richtig sein?

Den im wesentlichen gleichen Zugang zum Recht für die Armen zu gewährleisten, ist Staatsaufgabe.

 

Kein Grundrecht ist stärker geschützt als das Grundrecht auf im Wesentlichen freien Zugang zum Recht für die Armen. Dieses Ergebnis lässt sich aus Artikel 1 Abs. 1 GG (Schutz der Menschenwürde, aus Artikel 2 Abs. 1 GG (BVerfG FamRZ 02, 531), aus Artikel 3 Abs. 1 (BVerfGNVwz 05, 323), aus Artikel 12 Abs. 1, aus Artikel 20 Abs. 3 GG (Rechtsstaatsprinzip, Justizgewährungsanspruch) aus Artikel 19 Abs. 4 GG (Rechtsweggarantie, effektiver Rechtsschutz), aus Artikel 2 Abs. 1, 20 Abs. 3 GG (faires Verfahren) und aus Artikel 103 Abs. 1 GG (Richter, Anspruch auf rechtliches Gehör) herleiten.

 

Es gibt kein Grundrecht, das besser bewehrt wäre.

 

Nochmal: Diesen im wesentlichen freien Zugang zum Recht für die Armen zu sichern ist Staatsaufgabe, und nicht Angelegenheit einer Berufsgruppe, also der Anwaltschaft.

 

Es ist ebenso wenig Aufgabe einer Berufsgruppe, wie es Aufgabe der Bäcker wäre, den Anspruch der Armen auf Brot zu garantieren.

 

Nun hat sich der Staat bei der Erfüllung seiner Aufgabe die Dinge sehr leicht gemacht und die Anwaltschaft als Lotsen auf dem Weg der Armen zum Recht auserkoren. Er hat die Bezahlung der Anwaltschaft vorgenommen.

 

Im Laufe der Zeit haben sich die gesetzlichen Gebühren der Anwaltschaft und die erheblich niedrigeren Prozesskostenhilfegebühren (zum Nutzen des Staates, der damit der Erfüllung seiner ihm obliegenden Aufgabe Geld spart) erheblich auseinander entwickelt.

 

Die Anwälte verdienen, wenn sie Prozesskostenhilfemandate übernehmen, und damit den Staat bei Erfüllung seiner Aufgabe, den Armen zum Recht zu verhelfen, unterstützen, im Verhältnis zu den Wahlanwaltsgebühren immer weniger.

 

Nun hat das Bundesverfassungsgericht, angestiftet von dem federführenden Richter Prof. Dr. Gaier, neuerdings erklärt, die Finanzierung des im Wesentlichen freien Zugangs zum Recht müsse für den Staat noch möglich sein. Er hat damit die Differenz zwischen den gesetzlichen Gebühren und den Prozesskostenhilfegebühren gerechtfertigt, was für sich genommen schon bedenklich ist, weil Rechtsanwälte auch Menschen sind: Denen ist menschliches jedenfalls nicht fremd, was bedeutet, dass sie mit dem selben Arbeitsaufwand lieber mehr als weniger verdienen, und was damit auch das Risiko einschließt, dass Rechtsanwälte, die schlechter bezahlt werden, auch weniger motiviert sind, gute Arbeit abzuliefern. (Siehe dazu hier im Jbei Anwalt24 den weiteren Ausatz des Autors: Fußnoten zu den Bemerkungen des Richters des Bundesverfassunsgerichts Prof. Dr. Gaier zur Prozesskostenhilfe)

(Ich höre jetzt schon im Hintergrund wieder, dies stelle eine Verunglimpfung der Anwaltschaft dar, dieser Berufsgruppe seien doch schon Flügel gewachsen und faktisch befinde sich jeder Anwalt auf dem Weg zu Himmel, so lieb, fromm und gut sei dieser Typ Mensch.

Ich sage: Das ist er genauso wenig wie die Hausärzte, die im Interesse ihres eigenen Geldbeutels zwischenzeitlich Patienten durchaus notwendige/sinnvolle Behandlungen verweigern, weil sie die aufgrund der gesetzlichen Regelung am Jahresende ganz oder teilweise aus der eigenen Tasche finanzieren müssten)

 

Das ist aufgrund der Entwicklung, die das Armenrecht über das Prozesskostenhilferecht bis heute genommen hat, auch deshalb bedenklich, weil in der Praxis die Prozesskostenhilfe/Verfahrenskostenhilfe nur in drei Rechtsfeldern vorkommt: Das eine ist das Arbeitsrecht (wo allerdings die Rechtsschutzversicherung zwischenzeitlich die Bedeutung der Prozesskostenhilfe zurückgedrängt hat); das andere ist das Mietrecht, wofür ähnliches gilt wie für das Arbeitsrecht, und das dritte ist das Familienrecht, wo derzeit regional unterschiedlich zwischen 50% und 80% aller Verfahren zu den Bedingungen von Prozesskostenhilfe betrieben werden mit dem Ergebnis, dass die zu Bedingungen von Prozesskostenhilfe tätigen Anwälte auch zwischen 50 % und 80 % aller Fälle nur mit Bruchteilen die Wahlanwaltsgebühren abgespeist werden.

 

Dies führt dazu, dass Großkanzleien sich mit Abscheu von dem Gebiet des Familienrechts abgewendet haben, und dass das Familienrecht in einem bedeutendem Umfang zu einer Domäne des Typs Rechtsanwalts geworden ist, der diesen Beruf im Nebenberuf ausübt, häufig genug sozusagen aus dem Wohnzimmer heraus. Und dies wiederum sind häufig genug die anwaltlichen Kolleginnen.

 

In den kleinen und mittleren Sozietäten ist das Familienrecht signifikant häufig den angestellten Rechtsanwältinnen übertragen, weil man denen nicht zutraut, sich mit Haut und Haaren der Kanzlei zu verschreiben, weil man denen unterstellt, dass die andere Prioritäten setzen, nicht akquirieren können in dem Umfange, in dem das Männer tun.

 

Man überlässt die Tätigkeit also dort denen, die man auch nicht zu Partnern macht. Das heisst: Der Umstand, dass

 

a)      die Prozesskostenhilfegebühren in aller Regel nur noch Bruchteile der gesetzlichen Gebühren ausmachen, dass

b)      die Prozesskostenhilfe ganz überwiegend das Gebiet des Familienrechts dominiert,

 

hat bereits zu Selektion geführt: Signifikant deutlich hat sich auf anwaltlicher Seite alles, was auf Karriere und Geld verdienen als wichtige Faktoren kapriziert ist, vom Familienrecht verabschiedet.

  

II.

 

Wir greifen aber hier nicht den Umstand an, dass schon die Differenz zwischen den gesetzlichen Gebühren und den Prozesskostenhilfegebühren verfassungswidrig ist (auch wenn das Hr. Prof. Dr. Gaier nicht so sieht, weil er im Karlsruher Wolkenkuckucksheim überhaupt nicht verstehen kann, dass das anwaltliche Volk nach Brot schreit, während man doch Kuchen essen könne).

 

Wir richten den Fokus auf die Verfassungswidrigkeit des § 50 Abs. 1 RVG in Verbindung mit § 122 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, die darin besteht, dass der Anwalt oder die Anwaltschaft, die zu Prozesskostenhilfebedingungen tätig geworden ist, sozusagen "der letzte Depp im Dorf" ist: Erst kassiert der Staat, kompensiert seinen Aufwand, und übrig bleibt der Anwalt, der dann am Ende als Einziger noch einen wirtschaftlichen Beitrag zum Zugang zum Recht für die Armen erbracht hat.

  

Nun wendet wieder einmal die richterliche Majestät ein, die Anwaltschaft müsse doch froh sein, dass es so etwas wie Prozesskostenhilfe oder Verfahrenskostenhilfe gebe, weil der Staat ein potenter Schuldner sei, der Mandant hingegen nicht.

 

Das ist ? mit Verlaub ? das dümmste aller denkbaren Argumente, weil nicht wir es sind, die die Mandanten aussuchen, sondern es die Mandanten sind, die im Familienrecht mit umfassendem Anwaltszwang auf anwaltliche Hilfe angewiesen sind.

 

Der Staat also zwingt den Mandanten zur Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe, und hat dementsprechend unter Beobachtung der Artikel 1, Artikel 2, Artikel 3, Artikel 19, Artikel 20, Artikel 130 Grundgesetz (siehe oben) dafür zu sorgen, dass die im Rahmen des Zugangs zum Recht auf anwaltliche Hilfe angewiesenen Mandanten denn auch von der Bezahlung der Anwälte, auf deren Hilfe sie angewiesen sind, freigestellt werden.

 

Es ist also keine Gnade gegenüber der Anwaltschaft, sondern die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, die aus dem Grundgesetz einerseits und dem Anwaltszwang andererseits folgt.

 

Nochmal: Hat dann der Staat mit 48 Raten seinen eigenen Aufwand gedeckt, ist der Prozesskostenhilfeanwalt der letzte, der dann noch einen eigenen wirtschaftlichen Beitrag zur Realisierung des Rechts der Armen auf im wesentlichen freien Zugang zum Recht geleistet hat.

 

Und dann sind wir wieder beim Bäcker angelangt: Warum in drei Teufels Namen der Anwalt (die Anwaltschaft) als Berufsgruppe in einer Größenordnung von jährlich etwa einer Milliarde Euro eigene Leistungen zum Zugang zum Recht für die Armen erbringen soll, während Edeka, Aldi nicht gezwungen werden, zur Entlastung der Sozialhilfe Brot, Gemüse und Erbsensuppe zur Hälfte des Einstandspreises abzugeben, ist unter Beobachtung des Grundgesetzes nicht zu erklären.

  

III.

 

Die arrogante Erklärung auch des Amtsgerichts, kein Anwalt müsse das Prozesskostenhilfemandat übernehmen, und wenn er es übernehme, müsse er sich halt damit abfinden, dass die Gesetze so seien, wie sie sind, ist aus zwei Gründen allenfalls dümmlich:

 

1.)

Zunächst einmal sollten studierte Menschen ? und dazu zähle ich Richter ? über so viel Bildung verfügen, dass sie sich noch an die Schulzeit erinnern und beispielsweise den kategorischen Imperativ von Kant im Kopfe haben:

 

"Richte die Maxime Deines Verhaltens so ein, dass sie zur Maxime des Verhaltens aller werden kann."

 

In einfachem, nachvollziehbarem Deutsch: Wenn alle Anwälte die Konsequenz aus der arroganten Rechtsmeinung zögen, man müsse ja als Anwalt kein Prozesskostenhilfemandat übernehmen, dann stünde in Deutschland die Rechtssprechung in weiten Teilen still. Die Familienrichter vor allem könnten Dauerurlaub nehmen oder Däumchen drehen.

 

Was also kalkuliert der Staat, der hofft, dass Rechtssprechung dennoch funktioniert? Richtig, mit Dummheit der Anwaltschaft, die Prof. Dr. Gaier als Bereitschaft zu "Ehrentätigkeit" umschreibt.

 

Recht aber, das nur funktioniert, wenn sich genügend Dumme finden lassen, ist das Gegenteil von Recht.

 

2.)

Wenn aber alle sich so verhielten, wie sie sich vernünftiger Weise verhalten sollten, weil es keinen vernünftigen Grund dafür gibt, das Rechtsanwälte auf eigene Kosten zur Verwirklichung von Staatsaufgaben in Massen beitragen, müsste die Justiz dazu übergehen, die Rechtsanwälte pflichtbeizuordnen.

 

Für diesen Fall hat selbst das Bundesverfassungsgericht die Frage offen gelassen, ob dann nicht eine Staatspflicht bestehe zur gesetzlichen Vergütung als Kompensation für die faktische und rechtliche Dienstverpflichtung im Interesse der Allgemeinheit. (darüber kann es vor dem Hintergrund, dass selbst die gesetzlichen Gebühren seit 1994 nicht mehr gestiegen sind, im Familienrecht sogar durch den Wegfall der Beweisgebühr unter anderem und durch das relative Absinken der Löhne, womit der Gegenstandswerte gesunken ist, abgerutscht sind, überhaupt keinen Zweifel geben). Kurz: Verfassungswidrig ist der Umstand, dass über die Einziehung von Raten zuerst der Staat sich bedient und für die Anwaltschaft nur das übrig lässt, was dann vielleicht noch bleibt, im schlechten Fall nichts, mit dem Ergebnis, dass der Anwalt der einzige ist und bleibt, der wirtschaftlich einen Beitrag zur Rechtsverwirklichung für Arme geliefert hat. Der eigentlich pflichtige Staat wischt sich den Mund am Tischtuch ab.

  

IV.

 

Ich weiss, dass es Richtern nicht leicht gemacht wird, die Meinung zu äußern, ein Gesetz sei verfassungswidrig, um dann das Verfahren auszusetzen und die Sache nach Artikel 100 Grundgesetz dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen. Ich verweise auf mein "Editorial" aus dem Heft 46 der NJW 2009.

 

Dennoch erwarte ich von einem königlichen Richter zumindest die Freiheit, selbst zu denken und dies bitte folgerichtig.

 

Wer als Familienrichter insbesondere Wert darauf legt, dass ihm selbstständig denkende, gleichberechtigte und sozusagen gleichwertige Rechtsanwälte gegenüber treten, der sollte vor dem geschilderten rechtlichen Hintergrund nicht zögern, in unserem Sinne zu entscheiden.

 

Meines Erachtens bedarf es einer Richtervorlage nicht.

 

Eine verfassungskonforme Auslegung des § 50 RVG gebietet durchaus nicht die Lesart, dass nur das an die Anwaltschaft abgeführt werden könne, was übrig bleibt, wenn 48 Raten eingezogen sind und die Justizkosten gedeckt sind. Da ist nur die Rede davon, dass, auch nachdem Beträge eingezogen sind, die den Aufwand der Justiz decken, noch weitere Beträge einzuziehen sind bis zu einer Höhe der Differenz zwischen der Wahlanwaltsvergütung und den Prozesskostenhilfegebühren. Mit dem "Decken" ist nur der ausreichende Betrag, nicht die Verwendung der Mittel gemeint.