Bundesgerichtshof
Urt. v. 30.03.1995, Az.: IX ZR 98/94
Sittenwidrigkeit; Leasingvertrag; Bürgschaft
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 30.03.1995
- Aktenzeichen
- IX ZR 98/94
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1995, 15777
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
Fundstellen
- BB 1995, 1104-1107 (Volltext mit amtl. LS)
- DB 1995, 1394-1397 (Volltext mit amtl. LS)
- MDR 1995, 892-893 (Volltext mit amtl. LS)
- NJ 1995, 446 (amtl. Leitsatz)
- NJW 1995, 1886-1889 (Volltext mit amtl. LS) "Schriftformerfordernis und Sittenwidrigkeit der Leasingvertragssicherungsbürgschaft (DDR-Bürger)"
- VuR 1995, 265 (amtl. Leitsatz)
- WM 1995, 900-904 (Volltext mit amtl. LS)
- ZBB 1995, 297
- ZIP 1995, 812-816 (Volltext mit amtl. LS)
- ZIP 1995, A51 (Kurzinformation)
Amtlicher Leitsatz
1. Zu den Voraussetzungen der Sittenwidrigkeit einer Bürgschaft für Ansprüche aus einem Leasingvertrag.
2. Auch bei einer Bürgschaft ist zunächst gem. §§ 133, 157 BGB der Inhalt des Vertrages auszulegen. In einem zweiten Schritt ist zu prüfen, ob die Erteilung der in einem bestimmten Sinn ausgelegten Bürgschaftserklärung dem Schriftformerfordernis nach § 766 S. 1, § 126 I BGB genügt.
Tatbestand:
Am 30. August 1991 unterzeichnete der Spediteur R. in C. zwei von der Klägerin mit Schreiben vom 31. Oktober 1991 angenommene Formularanträge auf Abschluß von Leasingverträgen über eine Sattelzugmaschine und einen Kippauflieger zum Baustofftransport. Am 17. Oktober 1991 unterschrieb die Beklagte ein Bürgschaftsformular der Klägerin, in dem es nach Nennung der Bürgin und des Leasingnehmers unter der Überschrift "Bürgschafts-Erklärung" heißt:
"Für alle Ansprüche, die der D. A.-L. GmbH ... gegen den Leasing-Nehmer aus dem oben bezeichneten Leasing-Vertrag einschließlich aller Zinsen und Kosten und einschließlich etwaiger Ersatzansprüche wegen Verstoßes gegen Vertragsverpflichtungen zustehen, wird hiermit zugunsten der D. A.-L. GmbH unter Verzicht auf alle Einreden und Einwendungen (§§ 768, 770, 771, 772 und 776 BGB) die selbstschuldnerische, auf eine bestimmte Zeit nicht begrenzte Bürgschaft übernommen. Änderungen und Ergänzungen dieser Bürgschaftserklärung bedürfen der Schriftform.
Sollte eine Bestimmung dieser Bürgschaftserklärung unwirksam sein oder werden, bleiben die übrigen Bestimmungen weiterhin gültig. ..."
In dem Bürgschaftsformular fehlt eine nähere Bezeichnung der Leasingverträge. Insbesondere ist die im oberen Teil enthaltene Rubrik
"Leasing-Vertragsnummer ... vom ..."
nicht ausgefüllt.
Da R. die monatlichen Leasingraten von 6.367,62 DM für die Sattelzugmaschine und 2.076,70 DM für den Kippauflieger - jeweils einschließlich Mehrwertsteuer - für die Monate Dezember 1991, Januar, März und April 1992 schuldig blieb, kündigte die Klägerin die Leasingverträge zum 30. April 1992 und nahm die Beklagte als Bürgin in Anspruch. Mit ihrer Klage begehrt sie deren Verurteilung zur Zahlung von 33.777,28 DM rückständiger Raten und von 71.547,96 DM Schadensersatz.
Das Kreisgericht hat der Klage stattgegeben, das Oberlandesgericht hat sie abgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin die Klageansprüche weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.
I. 1. Das Berufungsgericht meint, die Bürgschaftserklärung sei wegen Formmangels nichtig. Es fehle an einer hinreichenden Bezeichnung der verbürgten Hauptschuld. Der Inhalt der Urkunde biete weder einen Anhalt dafür, daß sich die Beklagte nur für einen bestimmten der beiden Leasingverträge, noch dafür, daß sie sich für beide Verträge habe verbürgen wollen.
2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Überprüfung nicht stand. Das Berufungsgericht hat die Auslegungsgrundsätze für eine Bürgschaft und § 766 BGB rechtsfehlerhaft angewandt.
Auch bei einer Bürgschaft ist zunächst gemäß §§ 133, 157 BGB der Inhalt des Vertrages auszulegen. In einem zweiten Schritt ist zu prüfen, ob die Erteilung der in einem bestimmten Sinn ausgelegten Bürgschaftserklärung dem Schriftformerfordernis nach § 766 Satz 1, § 126 Abs. 1 BGB entspricht (BGH, Urt. v. 13. Oktober 1994 - IX ZR 25/94, WM 1994, 2233, 2235; MünchKomm-BGB/Pecher, 2. Aufl. § 766 Rdn. 3).
a) Eine Bürgschaftserklärung gemäß § 765 BGB muß neben dem Verbürgungswillen die Person des Gläubigers und des Hauptschuldners sowie die fremde Schuld, für die gebürgt werden soll (Hauptschuld), in einer wenigstens individuell bestimmbaren Weise bezeichnen (BGH, Urt. v. 14. November 1991 - IX ZR 20/91, WM 1992, 177, 178) [BGH 14.11.1991 - IX ZR 20/91].
Die Beklagte hat zugunsten der Klägerin für alle Ansprüche, die dieser "gegen den Leasing-Nehmer aus dem oben bezeichneten Leasingvertrag ... zustehen", die Bürgschaft übernommen. Nach der Behauptung der Klägerin, deren Richtigkeit mangels anderweitiger Feststellungen des Berufungsgerichts vom Revisionsgericht zu unterstellen ist, war der Beklagten bei Abgabe der Bürgschaftserklärung bekannt, daß der Leasingnehmer R. über Sattelzugmaschine und Kippauflieger zwei Leasingverträge mit der Klägerin geschlossen hatte und daß sich die Bürgschaft auf die Ansprüche der Klägerin aus beiden Verträgen, die eine wirtschaftliche Einheit bildeten, beziehen sollte. Wenn die Beklagte unter diesen Umständen das Bürgschaftsformular unterschrieb, ist nach Treu und Glauben und der Verkehrssitte davon auszugehen, daß sie zugunsten der Klägerin die Bürgschaft für die (künftige) Schuld von R. aus beiden Leasingverträgen übernehmen wollte. In diesem Sinn hat die Klägerin die Bürgschaftserklärung der Beklagten verstanden und durch Entgegennahme der Urkunde angenommen. Demzufolge ist nach § 765 BGB ein Bürgschaftsvertrag mit diesem Inhalt zustande gekommen.
b) Die Bürgschaftserklärung der Beklagten wurde in der notwendigen Schriftform erteilt. Das Formerfordernis, das den Bürgen warnen und vor nicht ausreichend überlegten Erklärungen sichern soll (BGHZ 121, 224, 229), gilt für alle wesentlichen Teile einer Bürgschaftserklärung. Außer dem Willen, für eine fremde Schuld einzustehen, muß die Urkunde die Bezeichnung des Gläubigers, des Hauptschuldners und der verbürgten Hauptschuld enthalten. Diese Bestandteile brauchen sich allerdings nicht zweifelsfrei aus dem Wortlaut der Erklärung zu ergeben. Eine unklare oder mehrdeutige Formulierung schadet nicht, wenn sich Zweifel im Wege der Auslegung beheben lassen. Dabei dürfen auch außerhalb der Urkunde liegende Umstände herangezogen werden, sofern für den Willen in dem erforderlichen Umfang ein zureichender Anhaltspunkt in der Urkunde besteht, der Inhalt der Bürgschaftsverpflichtung also dort irgendwie seinen Ausdruck gefunden hat (vgl. BGH, Urt. v. 3. Dezember 1992 - IX ZR 29/92, WM 1993, 239, 240 [BGH 03.12.1992 - IX ZR 29/92]; v. 21. Januar 1993 - IX ZR 90/92, WM 1993, 544, 545). Bleiben trotz einer entsprechenden Auslegung nicht auszuräumende Zweifel, auf welche Hauptschuld sich die Bürgschaft bezieht, gehen diese zu Lasten des Gläubigers (BGH, Urt. v. 5. Januar 1995 - IX ZR 101/94, WM 1995, 331 [BGH 05.01.1995 - IX ZR 101/94]).
In der von der Beklagten unterzeichneten Bürgschaftsurkunde sind Gläubiger und Hauptschuldner eindeutig benannt. Lediglich die Hauptschuld ist nicht genau angegeben, weil die beiden Leasingverträge, aus denen die Klägerin die verbürgten Ansprüche ableitet, entgegen dem Wortlaut der Bürgschaftserklärung nicht durch Verwendung des Plurals und Angabe der Vertragsnummern näher bezeichnet sind. Dies macht die Erteilung der Bürgschaftserklärung indessen nicht formunwirksam. Vielmehr gibt die Urkunde selbst einen geeigneten Hinweis auf die verbürgte Schuld. Unstreitig hatte R. der Klägerin seinerzeit nur Angebote zum Abschluß von zwei Leasingverträgen unterbreitet. Andere Leasingverträge zwischen R. und der Klägerin gab es nicht. Der Beklagten war bekannt, daß sie für die Ansprüche der Klägerin aus den beiden Verträgen die Bürgschaft leisten sollte. Sie kannte deshalb den Inhalt der (künftigen) Hauptschuld. Der Gegenstand der Hauptverbindlichkeit ist jedenfalls ansatzweise in der Bürgschaftsurkunde dadurch zum Ausdruck gekommen, daß die Bürgschaft für alle Ansprüche der Klägerin gegen R. aus einem Leasingvertrag übernommen worden ist. Das Fehlen der Angabe der Vertragsnummern ist für sich genommen bedeutungslos, weil beiden Vertragsparteien klar war, um welche Verträge es sich handelte. Der Gebrauch der Einzahl (Leasingvertrag) steht der Formwirksamkeit ebenfalls nicht entgegen. Er ist als falsa demonstratio für ein Leasingverhältnis zu verstehen, das beide wirtschaftlich eng zusammenhängenden Leasingverträge umfaßte. Daß von den Vertragsparteien gebrauchte unbewußte Falschbezeichnungen dem Formerfordernis genügen, ist insbesondere für § 313 BGB anerkannt, dem in erster Linie ebenfalls eine Warnfunktion zukommt (vgl. BGHZ 87, 150, 152 ff) [BGH 25.03.1983 - V ZR 268/81]. Es bestehen keine Bedenken, diese Rechtsprechung auf § 766 BGB zu übertragen (vgl. BGH, Urt. v. 2. Februar 1989 - IX ZR 99/88, WM 1989, 559, 561; MünchKomm-BGB/Pecher aaO. § 766 Rdn. 3a).
II. 1. Nach Auffassung des Berufungsgerichts ergibt sich die Nichtigkeit der Bürgschaft ferner aus § 138 Abs. 2 (gemeint ist ersichtlich Abs. 1) BGB. Es führt aus, das von der Beklagten übernommene Risiko sei für sie kaum abschätzbar gewesen. Trotz des beachtlichen Bürgschaftsbetrages habe das Bürgschaftsformular die Höhe der Hauptforderung nicht bezeichnet; auch die für einen Laien nur schwer verständliche Berechnungsgrundlage für die Leasingsverbindlichkeiten sei in der Erklärung nicht ausgewiesen. Vor allem fehle jede Begrenzung der gesicherten Verbindlichkeiten. Da ferner bürgschaftsrechtliche Schutzvorschriften abbedungen seien, werde deutlich, daß die Beklagte neben dem Hauptschuldner praktisch wie eine Teilhaberin habe haften sollen, ohne ein erkennbares wirtschaftliches Interesse an der (Mit-)Tragung des Unternehmerrisikos zu haben. Die Leasingverbindlichkeiten überstiegen die wirtschaftlichen Verhältnisse der Beklagten bei weitem. Selbst eine geschäftlich erfahrene Person hätte Bedeutung und Ausmaß des übernommenen Risikos bei der Kürze des zur Unterzeichnung der Bürgschaftserklärung führenden Vorgesprächs kaum abschätzen können. Für die Beklagte, die als Bürgerin der ehemaligen DDR innerhalb nur eines Jahres nach der Wiedervereinigung kaum über marktwirtschaftliche Spezialkenntnisse habe verfügen können, sei dieses Risiko offensichtlich völlig undurchschaubar gewesen. Bei dieser ausgeprägten Überlegenheit der Klägerin, die sich selbst berühme, eines der größten deutschen Leasingunternehmen zu sein, dränge sich der Schluß auf, daß sie sich zur Durchsetzung ihrer eigenen wirtschaftlichen Interessen über vorvertragliche Rücksichtspflichten hinweggesetzt habe, um die geschäftliche Unerfahrenheit der Beklagten auszunutzen.
2. Auch diese Ausführungen sind von Rechtsirrtum beeinflußt.
a) Ein Rechtsgeschäft ist nach § 138 Abs. 1 BGB nur nichtig, wenn es nach seinem aus der Zusammenfassung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu entnehmenden Gesamtcharakter im Zeitpunkt des Vertragsschlusses den guten Sitten widerspricht. Daß der Inhalt des Vertrages nur den Bürgen in erheblichem Umfang belastet, stellt für sich die Wirksamkeit der Bürgschaft nicht in Frage. Ihr Sinn besteht grundsätzlich allein darin, dem Gläubiger eine Sicherung für bestimmte Ansprüche gegen den Hauptschuldner zu gewähren. Die vom Bürgen eingegangene Verpflichtung ist auch nicht bereits rechtlich zu mißbilligen, weil er bei Abgabe der Bürgschaftserklärung nicht die Einkünfte oder das Vermögen zur Erfüllung der Schuld hatte, für die er bürgen soll. In der Regel vermag jede unbeschränkt geschäftsfähige Person zu erkennen, daß sie mit einer Bürgschaft ein erhebliches persönliches Risiko eingeht, die Tragweite ihres Handelns entsprechend einzuschätzen und danach ihre Entscheidung zu treffen (vgl. BGHZ 125, 206, 210).
Nach der neuen Rechtsprechung von Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 89, 214; Beschl. v. 5. August 1994, WM 1994, 1837 [BVerfG 05.08.1994 - 1 BvR 1402/89]) und Bundesgerichtshof (BGHZ 125, 206; BGH, Urt. v. 24. Februar 1994 - IX ZR 227/93, WM 1994, 680; vgl. auch Urt. v. 26. April 1994 - XI ZR 184/93, WM 1994, 1022 [BGH 26.04.1994 - XI ZR 184/93]) kann ein Bürgschaftsvertrag jedoch gemäß § 138 Abs. 1 BGB nichtig sein, wenn der Bürge sich in einem Umfang verpflichtet, der seine im Zeitpunkt des Vertragsschlusses bestehenden oder zu erwartenden Einkommens- und Vermögensverhältnisse weit übersteigt, und wenn er durch weitere, zu einem unerträglichen Ungleichgewicht der Vertragsparteien führende Umstände in einer dem Gläubiger zurechenbaren Weise zusätzlich erheblich belastet wird. Solche Belastungen können sich insbesondere daraus ergeben, daß der Gläubiger die Geschäftsunerfahrenheit oder eine seelische Zwangslage des Bürgen ausnutzt oder auf andere Weise ihn in seiner Entscheidungsfreiheit unzulässig beeinträchtigt (BGHZ 125, 206, 210). Die Umstände, die zur Nichtigkeit des Vertrages nach § 138 Abs. 1 BGB führen, hat der Bürge zu beweisen (BGHZ 125, 206, 217).
Nur ausnahmsweise, in besonders gelagerten krassen Fällen, kann die Bürgschaft schon wegen des Umfangs der Verpflichtungen sittenwidrig sein. Das kommt dann in Betracht, wenn die Verbindlichkeiten, für die der Bürge einstehen soll, so hoch sind, daß bereits bei Vertragsschluß feststeht und dem Gläubiger bekannt ist oder sich ihm aufdrängen muß, der Bürge werde bei einer Verwirklichung des Risikos auch bei günstigster Prognose mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Forderung des Gläubigers nicht einmal zu erheblichen Teilen tilgen können (vgl. BGHZ 125, 206, 211).
b) Für eine derartige Annahme fehlt es im Streitfall an hinreichenden Feststellungen des Berufungsgerichts. Es hat nicht festgestellt, wie hoch das übernommene Risiko bei Eingehung der Bürgschaftsverpflichtung war, und hat nicht näher begründet, weshalb die Leasingverbindlichkeiten die wirtschaftlichen Verhältnisse der Beklagten bei weitem überstiegen. Seine Annahme, es habe jede Begrenzung der gesicherten Verbindlichkeiten gefehlt, trifft nicht zu. Bei einem Finanzierungsleasing mit - wie hier - fest bestimmter Mietzeit sind die Ansprüche des Leasinggebers grundsätzlich durch die Summe der vereinbarten Leasingraten (hier für die Sattelzugmaschine 43 x 6.367,62 = 273.807,66 DM; für den Kippauflieger 64 x 2.076,70 = 132.908,80 DM) - gegebenenfalls zuzüglich des kalkulierten Restwerts - beschränkt. Ein Schadensersatzanspruch des Leasinggebers infolge einer vom Leasingnehmer - etwa wegen Zahlungsverzugs - schuldhaft verursachten Kündigung des Leasinggebers ist durch dieses Erfüllungsinteresse bei vertragsgemäßer Beendigung begrenzt (vgl. BGHZ 95, 39, 46, 55 f [BGH 12.06.1985 - VIII ZR 148/84]; Palandt/Putzo, BGB 54. Aufl. Einf. v. § 535 Rdn. 52; Graf von Westphalen, Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke - Leasing Rdn. 92). Ein Bürge, der sich verpflichtet hat, für alle Ansprüche des Leasinggebers aus einem Leasingvertrag einzustehen, wird kaum jemals für das volle Erfüllungsinteresse aufzukommen haben. Bei einer schuldhaften Vertragsverletzung des Leasingnehmers, die zumeist in der Nichtzahlung der vereinbarten Raten bestehen wird, ist der Leasinggeber dem Bürgen nach Treu und Glauben verpflichtet, gegenüber dem Leasingnehmer diejenigen Schritte zu ergreifen, die er ohne den Bürgschaftsvertrag zur Wahrung seiner eigenen Interessen unternommen hätte, um den ihm durch die Vertragsverletzung entstehenden Schaden möglichst gering zu halten. So darf er im Fall eines Zahlungsverzugs des (zahlungsunfähigen) Leasingnehmers im Verhältnis zum Bürgen nicht unabsehbare Zeit, etwa gar bis zum Ablauf der Vertragsfrist, zuwarten, bis er von den ihm zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln, insbesondere einer Kündigung, Gebrauch macht. Andernfalls kann er nach Treu und Glauben gehindert sein, von dem Bürgen mehr zu verlangen, als ihm bei einer (fristlosen) Kündigung des Leasingvertrages in angemessener Zeit zugestanden hätte. Bei einer solchen Kündigung hätte er einen Anspruch auf die rückständigen Raten (vgl. BGHZ 95, 39, 59 f) [BGH 12.06.1985 - VIII ZR 148/84] und ab Beendigung des Vertrages auf Ersatz des Nichterfüllungsschadens gehabt (vgl. BGHZ 82, 121, 129 f [BGH 28.10.1981 - VIII ZR 302/80]; BGH, Urt. v. 10. Oktober 1990 - VIII ZR 296/89, WM 1990, 2043, 2045). Bei der Berechnung dieses Anspruchs sind die ausstehenden Leasingraten angemessen abzuzinsen und vom Leasinggeber ersparte laufzeitabhängige Aufwendungen abzusetzen (vgl. BGHZ 111, 237, 242 f; BGH, Urt. v. 10. Oktober 1990 aaO.). Ferner ist der Leasinggeber verpflichtet, die zurückgegebene Leasingsache bestmöglich zu verwerten und den Verwertungserlös regelmäßig bis zu 90 % auf seine Schadensersatzforderung anzurechnen (vgl. BGHZ 95, 39, 56 f [BGH 12.06.1985 - VIII ZR 148/84]; BGH, Urt. v. 26. November 1986 - VIII ZR 354/85, WM 1987, 288, 290). Im Streitfall sind darüber hinaus von dem Leasingnehmer geleistete Kautionen (38.890 DM für die Sattelzugmaschine; 17.310 DM für den Kippauflieger) zu dessen Gunsten zu berücksichtigen. Welchen berechtigten Ansprüchen der Klägerin die Beklagte bei Vertragsschluß aufgrund der Leasingverträge im für sie ungünstigsten Fall ausgesetzt sein konnte, hätte das Berufungsgericht anhand der einschlägigen Rechtsprechung, gegebenenfalls mit Hilfe eines Sachverständigen, unter Anwendung von § 287 ZPO feststellen müssen.
Auch zu den Vermögensverhältnissen der Beklagten im Zeitpunkt der Bürgschaftsübernahme hat das Berufungsgericht nähere Feststellungen nicht getroffen. Insbesondere ist es nicht darauf eingegangen, daß die Beklagte Grundvermögen besitzt. Reichte dieses zur Tilgung der Bürgschaftsschuld aus, kann eine Sittenwidrigkeit des Bürgschaftsvertrages grundsätzlich nicht mit wirtschaftlicher Überforderung der Beklagten begründet werden (vgl. BGH, Urt. v. 6. Juli 1993 - XI ZR 201/92, WM 1993, 1504, 1505) [BGH 06.07.1993 - XI ZR 201/92]. Im übrigen stellt das Berufungsgericht nicht fest, daß der Klägerin eine Vermögenslosigkeit der Beklagten bekannt war oder sich ihr hätte aufdrängen müssen.
Daß in der Bürgschaftsurkunde die Höhe der Hauptforderung und die Berechnungsgrundlage für die Leasingverbindlichkeiten nicht ausgewiesen sind, ist hier unter dem Gesichtspunkt einer Sittenwidrigkeit des Bürgschaftsvertrages von untergeordneter Bedeutung. Die gesicherte Hauptschuld war mit dem Hinweis auf sämtliche Verbindlichkeiten des Leasingnehmers aus zwei bestimmten Leasingverträgen inhaltlich hinreichend individualisiert, der Höhe nach bestimmbar und von der Beklagten im wesentlichen zu übersehen, sofern sie sich - was ihr grundsätzlich zuzumuten war - die Vertragsurkunden hätte aushändigen und erläutern lassen. Der Vereinbarung eines festen Höchstbetrages der Bürgschaft bedurfte es nicht. Der Bundesgerichtshof hat es bislang als hinreichend betrachtet, wenn die Bürgschaft für alle Ansprüche des Gläubigers gegen den Hauptschuldner aus einer - bankmäßigen Geschäftsverbindung ohne betragsmäßige Begrenzung durch Allgemeine Geschäftsbedingungen übernommen wurde (vgl. BGH, Urt. v. 6. Dezember 1984 - IX ZR 115/83, WM 1985, 155, 156; v. 7. November 1985 - IX ZR 40/85, ZIP 1986, 85, 86; v. 17. März 1994 - IX ZR 102/93, WM 1994, 784 [BGH 17.03.1994 - IX ZR 102/93]; v. 17. März 1994 - IX ZR 174/93, WM 1994, 1064, 1068). Er hat angenommen, auch in diesen Fällen ergebe sich die nähere Ausgestaltung des den Bürgen treffenden Haftungsrisikos aus § 767 BGB. Diese Rechtsprechung hat Kritik erfahren (vgl. Horn, Festschrift für Franz Merz 1992 S. 217, 220 m.w.N.; E. Schmidt, EWiR 1994, 521, 522 zu 4; Tiedtke EWiR 1994, 761 f). Im Streitfall geht es nicht um eine derartige Globalbürgschaft. Vielmehr hat die Beklagte die Bürgschaft für die Ansprüche aus zwei bestimmten Verträgen übernommen. Für solche Einzelbürgschaften wird auch von den Kritikern der Rechtsprechung zur Globalbürgschaft eine betragsmäßige Begrenzung der Bürgschaft nicht verlangt, selbst wenn der Betrag der Hauptschuld noch nicht abschließend feststeht (vgl. Horn aaO. S. 222; Reinicke/Tiedtke JZ 1986, 426, 428). Hier ist der Sicherungszweck eindeutig bestimmt und der Bürge dadurch hinreichend geschützt, daß er den Rechtsgrund kennt und den Umfang der Hauptschuld und damit seines maximalen Bürgenrisikos wenigstens einigermaßen sicher absehen kann (vgl. auch MünchKomm/Pecher aaO. § 765 Rdn. 12; Graf von Westphalen aaO. - Bürgschaft Rdn. 22).
Eine Sittenwidrigkeit der Bürgschaft ist auch nicht ohne weiteres aus der Abbedingung bürgschaftsrechtlicher Schutzvorschriften herzuleiten. Die von der Beklagten unterzeichnete Bürgschaftserklärung enthielt von der Klägerin vorformulierte Vertragsbedingungen im Sinn von § 1 Abs. 1 AGB und unterliegt deshalb der Überprüfung anhand des AGB-Gesetzes. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist es grundsätzlich nicht zu beanstanden, daß der Bürge auf die Rechte aus den §§ 770 und 776 BGB verzichtet (vgl. BGHZ 78, 137, 141 ff; 95, 350, 357 ff [BGH 19.09.1985 - III ZR 214/83]; BGH, Urt. v. 24. November 1980 - VIII ZR 317/79, WM 1981, 5, 6 f; v. 12. Dezember 1985 - IX ZR 47/85, WM 1986, 257, 258). Auch wenn man insoweit und zu § 768 BGB eine andere Auffassung vertreten und die Verzichte ganz oder teilweise für unwirksam halten wollte (vgl. Reinicke/Tiedtke, Kreditsicherung 3. Aufl. S. 105 ff; Ulmer/Brandner/Hensen, AGBG 7. Aufl. AnfG Anh. §§ 9-11 Rdn. 261 f; Graf von Westphalen aaO. - Bürgschaft Rdn. 50 ff, 84 ff; aber auch Graf Lambsdorff/Skora, Handbuch des Bürgschaftsrechts Rdn. 222, 225, 226, 228), wäre dies nach § 6 Abs. 1, 2 AGBG für den Bürgschaftsvertrag im übrigen ohne Bedeutung (vgl. BGH, Urt. v. 7. November 1985 - IX ZR 40/85, WM 1985, 95, 97; auch v. 16. Oktober 1986 - III ZR 92/85, WM 1986, 1466). Es handelt sich um inhaltlich von dem übrigen Vertragstext trennbare, aus sich heraus verständliche Regelungen, die jeweils einer gesonderten Wirksamkeitsprüfung zugänglich sind (vgl. in diesem Zusammenhang BGHZ 106, 19, 25 f; 107, 185, 190 f; 109, 197, 203; BGH, Urt. v. 16. Januar 1992 - IX ZR 113/91, WM 1992, 391, 392 f; Ulmer/Brandner/Hensen aaO. § 6 Rdn. 12).
Schließlich hat das Berufungsgericht nicht hinreichend begründet, daß die Klägerin eine Unerfahrenheit der Beklagten in zu beanstandender Weise ausgenutzt hat. Allein der Umstand, daß die Beklagte Bürgerin der ehemaligen DDR war und die Bürgschaft etwa ein Jahr nach der Wiedervereinigung und der Einführung der Marktwirtschaft übernommen hat, läßt für sich genommen nicht den Schluß darauf zu, daß die Beklagte sich über das damit verbundene Risiko nicht hinreichend im klaren war. Dies hängt von ihrer Vorbildung, ihrer Stellung im Wirtschaftsleben und anderen Faktoren ab, zu denen das Berufungsurteil sich nicht verhält. Die Revision weist im übrigen zutreffend darauf hin, daß die Beklagte selbst vorgetragen hat, bei Unterzeichnung der Bürgschaftsurkunde den Vertreter der Klägerin gefragt zu haben, ob sie die Raten bezahlen müsse, falls der Leasingnehmer dazu nicht in der Lage sein sollte. Auch dies spricht dafür, daß der Beklagten jedenfalls im Kern bewußt war, welches Risiko sie mit einer Bürgschaft übernahm.
Danach läßt sich mit den Ausführungen des Berufungsgerichts eine Sittenwidrigkeit der Bürgschaft nicht hinreichend begründen.
III. Das Berufungsurteil kann demzufolge keinen Bestand haben. Die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
1. Dies wird zunächst den von der Klägerin angetretenen Beweis für ihre Behauptung zu erheben haben, die Beklagte habe bei Unterzeichnung der Bürgschaft gewußt, daß R. zwei Leasingverträge abgeschlossen (genauer: zwei Angebote auf Abschluß von Leasingverträgen abgegeben) habe und daß sie sich für dessen Verbindlichkeiten aus beiden Verträgen verbürgen sollte.
Kann die Klägerin den Beweis erbringen, wird der Frage einer Sittenwidrigkeit der Bürgschaft weiter nachzugehen sein. Es bedarf einer Feststellung des Bürgenrisikos und einer Aufklärung der im Zeitpunkt der Erteilung der Bürgschaftserklärung bestehenden oder zu erwartenden Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Beklagten. Ferner werden Feststellungen zu deren Geschäftserfahrenheit und zu den Beweggründen zu treffen sein, die sie zur Übernahme der Bürgschaft veranlaßt haben. Je nach dem Ergebnis dieser Feststellungen kann im Rahmen der erforderlichen Gesamtabwägung auch einer Ungewißheit über die Höhe der Bürgenverpflichtung und der Abbedingung bürgschaftsrechtlicher Schutzvorschriften Gewicht beizumessen sein. Bedeutung kommt insbesondere der Behauptung der Beklagten zu, der Vertreter der Klägerin habe das Bürgenrisiko verkleinert, indem er auf ihre Frage nach einer Einstandspflicht geantwortet habe, er sehe nicht, daß die Klägerin an die Beklagte herantreten müsse, nach einem Jahr könnte die Bürgschaft erloschen sein, und darüber hinaus erklärt habe, er kenne den Vertragspartner des Leasingnehmers, von ihm seien täglich gewinnbringende Aufträge zu erwarten, er sehe da keine Gefahr für die Beklagte. Ein solches Verhalten kann unter Umständen geeignet sein, bei einem geschäftlich unerfahrenen Bürgen den Eindruck zu erwecken, er habe nichts Ernsthaftes zu befürchten, und ihn so daran hindern, die mit einer Bürgschaftsübernahme verbundenen rechtlichen und wirtschaftlichen Folgen zu erkennen und das Für und Wider der mit ihnen verbundenen Belastungen eigenständig abzuwägen (vgl. BGH, Urt. v. 24. Februar 1994 - IX ZR 227/93, WM 1994, 680, 684). Insoweit kann auch eine Haftung aus Verschulden bei Vertragsschluß in Betracht kommen.
2. Vermag die Klägerin nicht zu beweisen, daß die Beklagte sich für die Verbindlichkeiten aus beiden Leasingverträgen verbürgen wollte, wird zu prüfen sein, ob diese - wie ihrem Vorbringen in der mündlichen Verhandlung vom 9. März 1994 (GA 184) zu entnehmen sein dürfte - wenigstens die Bürgschaft für die Schulden aus dem Leasingvertrag über den Kippauflieger übernehmen wollte. Träfe dies zu, ist zu fragen, ob die Klägerin einen solchen Vertragsantrag angenommen hat. Dies ist auch dann nicht von vornherein auszuschließen, wenn die Klägerin davon ausging, die Beklagte wolle für die Verbindlichkeiten aus beiden Leasingverträgen bürgen. Denn eine bloße Erweiterung der Annahme gegenüber dem Angebot kann unter Umständen dahin zu verstehen sein, daß der Antrag angenommen und ein neues, die Erweiterung enthaltendes Angebot abgegeben werde (RG JW 1931, 1181, 1183; Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts 15. Aufl. § 162 II, S. 996; Palandt/Heinrichs, BGB 54. Aufl. § 150 Anm. 2). Der neue Antrag wäre von der Beklagten nicht angenommen worden. Vielmehr wäre ein Bürgschaftsvertrag dann nur in bezug auf den Leasingvertrag über den Kippauflieger zustande gekommen. Die Wirksamkeit der Erteilung der Bürgschaftserklärung scheiterte nicht an dem Formerfordernis des § 766 Satz 1 BGB. Ungeachtet des Fehlens der genauen Bezeichnung des Leasingvertrages böte der Wortlaut der Bürgschaftsurkunde einen ausreichenden Anhaltspunkt dafür, daß die durch diesen Leasingvertrag begründete Schuld verbürgt werden sollte.
Hat die Beklagte die Bürgschaft für Verbindlichkeiten aus nur einem Leasingvertrag übernommen, war das Bürgenrisiko erheblich geringer. Dies kann für die Beurteilung einer Sittenwidrigkeit der Bürgschaft von Bedeutung sein.