Klimaaktivisten Anzeigen: gehen Klimakleber zu weit?

Klimaaktivisten anzeigen? So können Sie gegen Klimakleber vorgehen
30.10.202334 Mal gelesen
Rechtliche Aspekte im Umgang mit Klimaaktivisten: Strafrecht bis zum Zivilrecht, welche rechtlichen Möglichkeiten haben Anwälte bei Schadensersatz und Anzeigen?

Die Kontroverse um Klimaaktivisten: Wann ist eine Anzeige möglich und wann können sie für Staus zur Verantwortung gezogen werden?

 

In den letzten zwei Jahren hat sich die Gruppierung, die sich selbst als "Letzte Generation" bezeichnet, mit teils drastischen Methoden für den Klimaschutz eingesetzt, wobei auch Straftaten nicht ausgeschlossen sind.

 

In jüngster Zeit stellt sich jedoch die Frage, welche Verhaltensweisen tatsächlich strafbar sind und unter welchen Bedingungen Klimaaktivisten, zum Beispiel wegen eines verursachten Staus, zivilrechtlich haftbar gemacht werden können. Das Kammergericht Berlin hat sich am 21. August 2023 (Az.: 3 O ORs 46/23) als eines der wenigen Oberlandesgerichte zur Strafbarkeit bei Straßenblockaden unter Verwendung von Sekundenkleber geäußert, sei es wegen Nötigung (§ 240 Abs. 1 StGB) oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113 StGB).

 

 

Klimaaktivisten anzeigen: Ist ihr Verhalten strafbar?

Das Festkleben von Klimaaktivisten mit Sekundenkleber auf öffentlichen Straßen kann die Strafbarkeit wegen Nötigung (§ 240 Abs. 1 StGB) begründen. Voraussetzung hierfür ist, dass eine Person rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung (Nötigungshandlung) mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung (Nötigungserfolg) genötigt wird. Der Gewaltbegriff ist hierbei problematisch. Der bisher vertretene, umfassende Gewaltbegriff, nach dem bereits rein psychischer Druck seitens des Opfers ausreichte, wurde im Jahr 1995 vom Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 10. Januar 1995 - 1 BvR 718, 719, 722, 723/89) als mit Art. 103 Abs. 2 GG unvereinbar erklärt. 

 

Entscheidend ist daher die sogenannte Zweite-Reihe-Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 20. Juli 1995 - 1 StR 126/95), wonach bei den in erster Reihe stehenden Personen, die sich im Stau befinden, lediglich eine psychische Zwangswirkung vorliegt (da sie theoretisch einfach weiterfahren könnten oder die Klimakleber umfahren könnten). Bei den Personen in der zweiten Reihe ist die Situation jedoch anders, da diese, selbst wenn sie wollten, nicht weiterfahren könnten, da die Fahrzeuge vor ihnen (als "Werkzeuge der Blockierenden" im Sinne von § 25 Abs. 1 Var. 2 StGB) den Weg versperren, und somit liegt physische Gewalt vor - daher kann von Gewalt gesprochen werden.

 

In der weiteren Prüfung der Nötigung müssen sich laut dem Kammergericht Berlin die Gerichte in der Verwerflichkeitsprüfung (§ 240 Abs. 2 StGB) mit der Ankündigung der Blockade durch die Organisation, der Dauer der Blockade, Art und Ausmaß derselben, den Motiven der angeklagten Personen sowie mit Zweck und Zielrichtung der Demonstration in jedem Einzelfall auseinandersetzen und eine Abwägung zwischen den betroffenen Rechtsgütern und Grundrechten vornehmen.

 

Der Strafrechtswissenschaftler Thomas Fischer erklärte gegenüber der Legal Tribune Online (LTO) in Bezug auf die Frage, ob Straßenblockaden strafbar sind, dass sogenannte "Fernziele" der Klimaaktivisten (also die Sensibilisierung für die Klimakrise und die Aufforderung an den Staat und die Bevölkerung, klimaschützende Maßnahmen zu ergreifen) grundsätzlich nicht berücksichtigt werden sollten, da sie nur "Objekte fremder Interessen" darstellen. Relevant sei lediglich das Tatziel, also die gewaltsame Behinderung der Verkehrsteilnehmer bei der Fortbewegung.

 

In vielen Fällen wird auch die Frage der Strafbarkeit wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113 Abs. 1 StGB) relevant sein. Diese Norm findet in der Regel Anwendung, da sich Klimaaktivisten gegen staatliches Handeln, nämlich die Räumung der Straße, wehren oder durch das Festkleben auf der Straße die Räumung erschweren. Widerstand im Sinne von § 113 Abs. 1 StGB muss durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt erfolgen. Dabei ist zu betonen, dass der Gewaltbegriff hier enger ist als im Fall der Nötigung und eine physische Kraftentfaltung erfordert, die für die betroffene Person (also die Polizeibeamten) körperlich spürbar sein muss. Das Kammergericht Berlin (siehe oben) entschied, dass die Tatsache, dass die Polizeibeamt*innen knapp eine Minute pro Aktivist*in benötigten, um den Kleber zu entfernen, ein "gewichtiges Indiz für einen gewaltsamen Widerstand" darstellt. Das Gericht zieht dabei einen Vergleich zum Selbstanketten und betont die ähnliche physische Kraftentfaltung in beiden Fällen. 

 

Allerdings muss auch hier, wie bei der Nötigung, eine Einzelfallbewertung der Umstände erfolgen und diese müssen gegeneinander abgewogen werden. Nach Ansicht des Kammergerichts ist es irrelevant, dass das Festkleben in der Regel vor Beginn der Vollstreckungshandlung erfolgt, da die gezielte Widerstandshandlung bis zum Beginn der Vollstreckungshandlung fortwirkt. Ob der Widerstand gezielt ist, muss durch Auslegung des Willens des Täters oder der Täterin festgestellt werden, da es sich auch nur um ein bloßes Ausnutzen eines bereits vorhandenen Hindernisses handeln kann.

 

Andere mögliche, wenn auch eher unwahrscheinliche Straftatbestände, die erfüllt werden könnten, sind:

 

Diese Tatbestände sind jedoch eher unwahrscheinlich, da die Kausalität und der Vorsatz nachgewiesen werden müssen, was in der Regel schwierig sein dürfte. Wie immer kommt es auf den konkreten Einzelfall an.

Eine völlig andere Frage ist, ob die fortschreitende Klimakrise die Straftaten der Klimaaktivisten rechtfertigt. Es könnte argumentiert werden, dass ein Klimanotstand im Sinne von § 34 StGB vorliegt, der durch zahlreiche Berichte von Experten, wie beispielsweise dem UN-IPCC, belegt werden könnte. Es gab bereits einen Fall vor dem Amtsgericht Tiergarten, bei dem ein Richter den Erlass eines Strafbefehls gegen eine Klimaaktivistin abgelehnt hat. Auch hier kommt es auf den Einzelfall an.

 

 

Klimaaktivisten Stau: Machen sie sich wegen eines verursachten Staus schadensersatzpflichtig?

Privatpersonen können unter Umständen Schadensersatzansprüche geltend machen, wenn sie aufgrund eines von Klimaaktivisten verursachten Staus Vermögensschäden erleiden (andere Schäden treten in der Regel nicht auf).

In Betracht kommt beispielsweise ein Schadensersatzanspruch gemäß § 823 Abs. 1 BGB seitens der Anlieger, wenn eine Straße rechtswidrig gesperrt wird. Dies wurde jedoch noch nicht im Zusammenhang mit den Straßenblockaden von Klimaaktivisten entschieden, ist aber theoretisch möglich.

Wenn Privatpersonen aufgrund eines Staus Vermögensschäden erleiden (andere Schäden treten in der Regel nicht auf), können Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 240 StGB oder § 826 BGB in Betracht gezogen werden. 

In Bezug auf die Nötigung ist jedoch noch unklar, ob staubedingte Vermögensschäden erfasst werden, da ein solcher Fall (soweit uns bekannt) noch nicht entschieden wurde. 

Bei § 826 BGB muss die Sittenwidrigkeit begründet werden, was hohe Hürden mit sich bringt. Das unmittelbare Ziel (Verkehrsbehinderung) und das Mittel (Blockade) müssen angesichts des entstandenen Schadens unverhältnismäßig sein, um Sittenwidrigkeit zu begründen. Die ehrenhafte Zielsetzung (Klimaschutz, Art. 20a GG) könnte die Einzelfallbewertung beeinflussen. 

Es muss auch nachgewiesen werden, dass die Klimaaktivisten den Vorsatz zur Schädigung der Vermögenswerte der Verkehrsteilnehmer aufgrund des Staus hatten. In der Regel wird nur ein Eventualvorsatz angenommen, da der Bundesgerichtshof im Jahr 1989 entschieden hat, dass es ausreicht, wenn den Tätern die Art und Richtung der Schadensfolgen sowie mögliche Schädigungen Dritter bewusst sind und diese billigend in Kauf genommen werden.

Auch hier muss abgewartet werden, wie sich die Rechtsprechung entwickelt und vereinheitlicht.

 

 

Lohnt es sich, gegen Klimaaktivisten vorzugehen?

Im Falle einfacher Straßenblockaden ist eine strafrechtliche Anzeige durch Privatpersonen in der Regel nicht erforderlich, da die Polizeibehörden in der Regel vor Ort sind und die Personalien bei einem Anfangsverdacht (§ 152 Abs. 2 StPO) an die Staatsanwaltschaft weitergeben, die dann Ermittlungen einleitet. Bei hinreichendem Tatverdacht (§ 170 StPO) kann dann eine öffentliche Klage erhoben werden.

Im Zivilrecht lohnt sich eine Klage auf Schadensersatz, wenn ein Vermögensschaden genau beziffert werden kann. Es hängt daher von den Umständen des Einzelfalls ab.

 

Haben Sie Fragen zum Thema Klimaaktivismus?

Falls Sie strafrechtliche Ermittlungen im Zusammenhang mit Klimaprotesten gegen sich haben, beispielsweise wegen Nötigung (§ 240 StGB) oder Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113 StGB), stehen wir Ihnen gerne zur Verteidigung zur Verfügung.

Wenn Sie als Privatperson aufgrund eines durch Klimakleber verursachten Staus Vermögensschäden erlitten haben, können wir Ihnen helfen, diese Ansprüche durchzusetzen.

Zögern Sie nicht, uns per E-Mail zu kontaktieren oder in unserer Kanzlei anzurufen!

 

Dieser Artikel ist stark vereinfacht und dient lediglich zu Informationszwecken. Eine individuelle Beratung mit einem Rechtsanwalt ist zu empfehlen! 

 

 

Quellen

 

(MüKo BGB, § 826, Rn. 9-11, 8. Auflage 2020) Link: https://beck-online.beck.de/?vpath=bibdata/komm/MuekoBGB_8_Band7/BGB/cont/MuekoBGB.BGB.p826.glII.gl2.gla.glaa.htm 

 

https://rechtsanwaltkaufmann.de/allgemeinrecht/klimaaktivisten-pro-contra-anzeigen

 

DFR - BVerfGE 92, 1 - Sitzblockaden II (unibe.ch)

 

VIS Berlin - 3 ORs 46/23 - 161 Ss 61/23 3 ORs 46/23 | KG Berlin 3. Strafsenat | Beschluss | Anforderungen bei Würdigung eines Geständnisses; Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte bei .

 

BGH, 16.11.1962 - 4 StR 337/62 - dejure.org

 

Wolters Kluwer Online - BGH, 26.06.1989 - II ZR 289/88 - Konkursausfallgeld; Schadensersatzanspruch; Bundesanstalt für Arbeit (wolterskluwer-online.de)