Im ersten Halbjahr dieses Jahres ist die Zahl der schweren Unfälle und auch der Unfalltoten erstmals wieder gestiegen. Allein die Anzahl der Rotlichtverstöße soll mit einem 14%igen Anstieg einen wesentlichen Anteil daran gehabt haben. Während Verkehrspsychologen schärfere Kontrollen fordern, denkt der Bundesverkehrsminister über eine Verschärfung der Strafen nach: So ist eine Verdopplung der Geldstrafen und damit wohl auch der Punkte in Flensburg im Gespräch.
Das Magazin "Kontraste" stellte eine geringe Schuldeinsicht bei "Rotlichtsündern" fest .
Während bei einigen der dort gezeigten Fälle ganz offensichtlich "einfach bei dunkelorange" gefahren wurde, kennt der Verkehrsanwalt aus der täglichen Praxis Grenzfälle, in denen die "Schuldfrage" nicht so eindeutig ist. Dies findet sich auch in veröffentlichten Gerichtsurteilen wieder.
Gründe, die vor Gericht nicht anerkannt wurden
Eine Alltagssituation: die Ampel zeigt grün, man fährt über die Haltelinie in die Kreuzung ein, muß dann verkehrsbedingt stoppen (z.B. weil andere Abbieger die Kreuzung blockieren). Steht die Ampel dann bei der tatsächlichen Passage der Kreuzung bereits länger als eine Sekunde auf "Rot", liegt sogar ein qualifizierter Rotlichtverstoß vor. - Obwohl man bei Grün über die Linie fuhr. Der BGH befand, dass in dieser Situation die Kreuzung zu einem besonders gefährlichen Zeitpunkt tatsächlich passiert werde (BGH Az: 4StR 61/99).
Quetscht sich ein Fahrer von der "Geradeausspur" vor die Abbieger, weil er noch in der Rotlichtphase bemerkt hat, dass er in der falschen Spur steht, und überfährt dabei die Haltelinie (gewissermaßen aus Platzgründen), begeht er auch damit einen Rotlichtverstoß, der u. U. als "qualifizierter Verstoß" mit einem einmonatigen Fahrverbot geahndet werden kann.
Ein anderer Fahrer wurde von der nächsten, bereits auf "Grün" stehenden Ampel irritiert und fuhr daher zu früh los. Vor Gericht fand der Fahrer kein Erbarmen.
Aus heutiger Sicht fast humorvoll wirkt die Argumentation eines Fahrers, der zwar an einer Ampel bei "Rot" hielt, aber wieder los fuhr, weil er glaubte, die Ampel sei auf "Grün" umgesprungen. Er entschuldigte sich damit, ein über die Freisprechanlage geführtes Telefonat habe ihn abgelenkt. Die Strafe: 250 DM Bußgeld und ein Monat Fahrverbot. (OLG Düsseldorf 5Ss (Owi) 10/98).
Ein weiterer Fahrer, der vor Inkrafttreten des "Handyverbotes" beim Telefonieren ohne Freisprechanlage überfuhr, wurde sogar härter bestraft, weil er angesichts der damals schon laufenden Diskussion mit einer Ablenkung durch das Telefonat hatte rechnen müssen, diese also bewusst in Kauf nahm (OLG Celle Az 333 Ss 38/01).
Auch kein Erbarmen fand ein Fahrer, der zwar bei roter Ampel halten wollte, aber nicht mit dem Automatikgetriebe des Mietwagens nicht zurechtkam. Während das Amtsgericht es zunächst bei einer Geldstrafe beließ, hielt das OLG Bayern keinen Ausnahmetatbestand für gegeben und urteilte härter. Es sei eine "grobe Pflichtwiedrigkeit" mit einem Fahrzeug unterwegs zu sein, welches man nicht vollständig beherrsche (OLG Bayern 1 ObWi 501/00).
Argumente, die vor Gericht Gehör fanden:
Der für das Strafmaß ausschlaggebende Unterschied zwischen dem "einfachen" und "qualifizierten" Rotlichtverstoß ist die Zeit seit dem Umspringen der Ampel. Zeigt die Ampel bei Überqueren der Haltelinie bereits eine Sekunde Rot, liegt der mit Fahrverbot zu ahndende "qualifizierte Rotlichtverstoß" vor. Hier ergeben sich Ansatzpunkte für Ihren Fachanwalt für Verkehrsrecht.
So wird beispielsweise die Zeitmessung durch Abschätzung eines Polizisten als Zeugen auch dadurch nicht ausreichend glaubhaft, dass dieser "21,22, 23 .." gezählt hat (OLG Bayern 1 ObOWi 272/95).
Auch die Zeitmessung durch Betrachten des Sekundenzeigers der Armbanduhr ist unzureichend, da hierbei nicht gleichzeitig Ampel, Fahrzeug und Uhr im Auge behalten werden können (AG Frankfurt-Höchst,Js 87315.1/95-Hö9 a OWi).
Auch die Umstände können ihrem Fachanwalt für Verkehrsrecht Raum zur Argumentation geben, wobei es jedoch stets sehr auf die genauen Details des Einzelfalls ankommt, welche von verschiedenen Gerichten unterschiedlich eingeschätzt werden.
Ein Autofahrer hielt an einer bereits "Rot" zeigenden Fußgängerampel für 10-15 Sekunden, um Fußgänger passieren zu lassen und überfuhr seine Ampel dann aus "Unachtsamkeit", jedoch ohne andere Verkehrsteilnehmer zu gefährden, weil er "gedanklich schon auf Parkplatzsuche war".
Das OLG Stuttgart hielt hier eine Geldstrafe für ausreichend und verhängte kein Fahrverbot (3 Ss 6/2000).
Im Winter immer wieder aktuell: Eine Fahrerin rutschte 1,95 (!!) Sekunden nach Umspringen der Ampel von "Gelb" auf "Rot" bei spiegelglatter Fahrbahn in eine Kreuzung. Da diese frei war, entschloss sie sich, eine Vollbremsung und das sich aus dieser wahrscheinlich ergebende Schleudern zu vermeiden - und fuhr weiter. Sie kam mit einer Geldbuße davon (OLG Dresden 2Ss (OWi) 84/98).
Diese Fälle zeigen, dass es Raum zur Argumentation geben kann. Sie garantieren aber auch bei ähnlicher Konstellation nicht den Erfolg.
Ein weiteres Beispiel, in dem das Fahrverbot vermieden werden konnte, ähnelt dem ersten geschilderten Fall: Ein Fahrer wollte nach links abbiegen, konnte aber aufgrund des Rückstaus auf der Kreuzung nur mit den Vorderrädern die Haltelinie überqueren - und tat dies. Nachdem die Ampel auf "Rot" umsprang, was er aus seiner Position gut sehen konnte, wurde die Fahrbahn frei und er bog wie beabsichtigt nach links ab. Da die Vorderräder die Haltlinie bereits bei "Grün" überfahren hatten, konnte kein "qualifizierter" Rotlichtverstoß vorliegen. Es wurde vom OLG das bereits verhängte Fahrverbot wieder aufgehoben, die Geldbuße war jedoch zu zahlen (OLG Köln Ss 129/98 (B)).
Was heiß das für Sie?
Es geht um Ihren Führerschein (Fahrverbot).
Daher sollten Sie vor jeglichen Einlassungen oder Stellungnahmen bereits mit dem Anhörungsbogen eine Beratung beim Fachanwalt für Verkehrsrecht in Anspruch nehmen.
Keinesfalls sollten Sie glauben, dass Sie mit der Stellungnahme "Ich bin nicht bei Rot gefahren", die Angelegenheit erledigen könnten. Juristisch heißt dies nämlich "Ich bin gefahren, aber nicht bei Rot" und damit geben Sie zu, der Fahrer gewesen zu sein. Und damit geht es dann konkret um IHREN Führerschein (Fahrverbot, Geldbuße, Punkte).
In seltenen Fällen wird es darum gehen, ob die Ampel tatsächlich rot war. (z.B. bei Anzeigen durch Zeugen oder nach Unfällen).
Meist geht es darum, ob ein qualifizierter Rotlichtverstoß und damit die Grundlage für ein Fahrverbot vorliegen. Hierfür benötigt Ihr Anwalt Akteneinsicht mit allen auch allen Ihnen erinnerlichen Details.
Grundsätzlich geht die verkehrspolitische Diskussion dahin, "Rotlichtsünder" als rücksichtslose Fahrer ohne Sinn für die dem Schutz der Allgemeinheit dienenden Verkehrsregeln darzustellen. Es ist damit zu rechnen, dass die Verkehrsgerichte bereits vor der geforderten Verschärfung der Gesetze härter urteilen werden.
Da Rotlichtverstöße aber nicht immer "bewusst in Kauf genommen" werden, sollten Sie mit Ihrem Anwalt prüfen, ob und in welcher Form Sie Einspruch einlegen können.
KEINESFALLS sollten Sie einen Rotlichtverstoß mit eiligen Terminen oder Zeitnot begründen, wie einige der Fahrer im "Kontraste"-Beitrag. Dies führt mit Sicherheit nicht zu einer nachsichtigen Haltung des Gerichtes.