Steuerhinterziehung im Disziplinarverfahren gegen Beamte und Soldaten: Ist die steuerliche Selbstanzeige als Milderungsgrund zu berücksichtigen?

Staat und Verwaltung
09.06.20132080 Mal gelesen
Das Bundesverwaltungsgericht in einem Urteil vom 28. Juli 2011 entschieden, dass die Beweggründe für die Selbstanzeige entscheidendes Gewicht haben, wenn eine steuerliche Selbstanzeige als Milderungsgrund im Disziplinarverfahren berücksichtigt werden soll.

Die Leitsätze lauten:

  • Bei außerdienstlichen Steuerhinterziehungen kommt bei einem Hinterziehungsbetrag in siebenstelliger Höhe die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis oder die Aberkennung des Ruhegehalts in Betracht.
  • Auch bei enormer Höhe des Hinterziehungsbetrags kann die höchste Disziplinarmaßnahme nicht verhängt werden, wenn der Milderungsgrund der freiwilligen Offenbarung (Selbstanzeige aus freien Stücken) eingreift.
  • Dies gilt bei einer Selbstanzeige aus Furcht vor Entdeckung nur dann, wenn weitere mildernde Umstände von erheblichem Gewicht hinzutreten.

Aus den Entscheidungsgründen

In dem Fall ging es um einen sehr hohen Hinterziehungsbetrag von mehr als 1,2 Millionen EUR. Ein Regierungsdirektor hatte in den Steuererklärungen für die Jahre 1991 bis 2000, die er auch für seine Ehefrau erstellte, bewusst nicht angegeben, dass diese 1990 von Ihrem Vater ein unversteuertes Barvermögen in Höhe von etwa 5,4 Millionen DM geerbt hatte. Ferner hatte er eigene unversteuerte Vermögenswerte in Höhe von etwa 410.000 DM verschwiegen, die er teils geerbt, teils durch eine Tätigkeit im Ausland verdient hatte. Einen auf Initiative des Finanzamts vereinbarten Besprechungstermin am 27. November 2002 nahmen die Eheleute nicht wahr. Am 28. November 2002 erstatteten sie über ihren Steuerberater Selbstanzeige. Das Finanzamt setzte daraufhin die Steuern neu fest. Der Hinterziehungsbetrag von insgesamt rund 1.233.320,00 €. wurde nebst Zinsen und Zuschlägen fristgerecht beglichen. Das Finanzamt stellte das nach der Selbstanzeige eingeleitete Ermittlungsverfahren im Oktober 2004 ein. Bereits im Mai 2003 war der Beamte in den Altersruhestand getreten.

Das Land Nordrhein-Westfalen leitete im Februar 2006 wegen der Steuerhinterziehungen ein Disziplinarverfahren ein und erhob im Januar 2007 Disziplinarklage. Das Verwaltungsgericht entschied, dass dem Beamten das Ruhegehalt abzuerkennen sei. Das Oberverwaltungsgericht wies die Berufung zurück. Das Verwaltungsgericht habe dem Beamten zu Recht das Ruhegehalt aberkannt, weil dieser als Beamter untragbar geworden sei. Entscheidendes Gewicht komme der exorbitanten Größenordnung des Hinterziehungsbetrages zu. Außerdem habe der Beamte sein Fehlverhalten zehn Jahre lang fortgesetzt. In könne weder entlasten, dass die Steuerpflicht größtenteils das Vermögen seiner Ehefrau betroffen habe noch dass er bei pflichtgemäßem Verhalten die Steuerhinterziehungen seines verstorbenen Schwiegervaters hätte offen legen müssen. Auch die Selbstanzeige des Beamten sei trotz der dadurch erwirkten Straffreiheit nicht geeignet, um von der Aberkennung des Ruhegehalts abzusehen. Eine derartige Selbstanzeige stelle einen mildernden Umstand von erheblichem Gewicht dar, wenn sie der Beamte aus freien Stücken und nicht aus Furcht vor Entdeckung abgegeben habe. Selbst dann könne sie jedoch eine Fortsetzung des Beamtenverhältnisses nicht rechtfertigen, wenn die Steuerhinterziehung wie im vorliegenden Fall durch einen extrem hohen Hinterziehungsbetrag geprägt sei. Daher könne dahingestellt bleiben, ob die Selbstanzeige des Beklagten trotz des vereinbarten Besprechungstermins im Finanzamt noch als freiwillig angesehen werden könne.

Das Bundesverwaltungsgericht hob das Urteil des Oberverwaltungsgerichts auf und verwies die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurück, weil die getroffenen Feststellungen, insbesondere zu dem Motiven, die den Beamten zur Erstattung der Selbstanzeige bewogen hatten, nicht ausreichten.

In der Begründung des Urteils legt das Bundesverwaltungsgericht zunächst dar, dass die Steuerhinterziehung ein außerdienstliches Dienstvergehen sei, weil sie keinen Bezug zu der früheren dienstlichen Tätigkeit des Beamten aufweise. Außerdienstliches Verhalten könne nur dann ein Dienstvergehen sein, wenn es im konkreten Einzelfall besonders geeignet ist, Achtung und Vertrauen in einer für das Amt oder das Ansehen des öffentlichen Dienstes bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen. Weil sich die gesellschaftlichen Anschauungen über die Stellung der Beamten gewandelt haben, sei außerdienstliches Fehlverhalten nicht generell geeignet, das Ansehen des Beamtentums in disziplinarrechtlich bedeutsamer Weise zu beeinträchtigen. Von Beamten werde kein wesentlich anderes Sozialverhalten erwartet, als von anderen Bürgern. Das außerdienstliches Verhalten müsse entweder einen Dienstbezug haben, d.h. Zweifeln begründen, ob der Beamte seine innerdienstlichen Pflichten beachten wird, oder ob das Vertrauen der Bevölkerung in das Beamtentum als Sachwalter einer stabilen und gesetzestreuen Verwaltung beeinträchtigt werden kann.

Für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme komme es in erster Linie auf die Schwere des Dienstvergehens an. Das Persönlichkeitsbild des Beamten sei angemessen zu berücksichtigen. Ferner soll berücksichtigt werden, in welchem Umfang das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit beeinträchtigt worden ist. Des weiteren sei das Schuldprinzip sowie der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Die Schwere beurteile sich nach objektiven Handlungsmerkmalen wie Eigenart und Bedeutung der Dienstpflichtverletzungen, den besonderen Umständen der Tatbegehung sowie Häufigkeit und Dauer eines wiederholten Fehlverhaltens, nach subjektiven Handlungsmerkmalen wie Form und Gewicht des Verschuldens des Beamten, den individuellen Beweggründen sowie den unmittelbaren Folgen für den dienstlichen Bereich und für Dritte. Das Dienstvergehen sei je nach Schwere einer der gesetzlich vorgesehenen Disziplinarmaßnahmen zuzuordnen. Davon ausgehend komme es darauf an, ob Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild und zum Umfang der Vertrauensbeeinträchtigung im Einzelfall derart ins Gewicht fallen, dass eine andere als die durch die Schwere des Dienstvergehens indizierte Maßnahme geboten ist.

Die Disziplinarmaßnahme für außerdienstliche Steuerhinterziehungen ohne dienstlichen Bezug sei wegen der Variationsbreite der möglichen Verfehlungen, insbesondere wegen der sehr unterschiedlichen Hinterziehungsbeträge, grundsätzlich nach den Umständen des jeweiligen Falles festzulegen. Ist der Umfang der hinterzogenen Steuern besonders hoch oder sind mit der Steuerhinterziehung zusätzliche Straftatbestände oder andere nachteilige Umstände mit erheblichem Eigengewicht verbunden, soll eine Zurückstufung angemessen sein. Ein sechsstelliger DM-Betrag sei außergewöhnlich hoch. Davon ausgehend komme die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis bzw. die Aberkennung des Ruhegehalts in Betracht, wenn der Hinterziehungsbetrag wie im vorliegenden Fall einen siebenstelligen Euro-Betrag erreiche.

Die Strafbefreiung aufgrund einer Selbstanzeige stelle nicht automatisch einen Milderungsgrund dar. Denn sie diene vorrangig dem fiskalischen Interesse an der Erschließung unbekannter Steuerquellen. Dieses Interesse könne dem Persönlichkeitsbild des Beamten, welches bei der Bemessung ebenfalls zu berücksichtigen sei, nicht zugeordnet werden. Das Gewicht einer Selbstanzeige hänge deshalb in erster Linie davon ab, ob darin Elemente des Persönlichkeitsbilds zum Ausdruck kommen.

Sie habe entscheidendes Gewicht, wenn der Beamte den Milderungsgrund der freiwilligen Offenbarung erfüllt. Dieser Milderungsgrund liege vor, wenn der Beamte das Dienstvergehen vor seiner Aufdeckung aus eigenem Antrieb ohne Furcht vor konkreter Entdeckung vorbehaltlos und vollständig offenlegt. Er greife nicht mehr ein, wenn der Beamte das Dienstvergehen offenbart, weil er bereits mit gegen ihn gerichteten Ermittlungen rechnet. Durch die freiwillige Offenbarung zeige der Beamte, dass er sein Fehlverhalten bereue und aus innerer Einsicht entschlossen sei, sich künftig rechtstreu zu verhalten. Sein Persönlichkeitsbild erscheine in einem günstigeren Licht, sodass die Erwartung gerechtfertigt sei, dass die von ihm verursachte Ansehensschädigung wettgemacht werden könne. Die Umkehr des Beamten aus freien Stücken führe selbst bei schwerwiegenden innerdienstlichen Pflichtenverstößen regelmäßig zur Bestimmung einer Disziplinarmaßnahme, die um eine Stufe niedriger liege als die durch die Schwere des Dienstvergehens indizierte Maßnahme. Dies gelte nur dann nicht, wenn dem Milderungsgrund erschwerende Umstände von ganz erheblichem Gewicht entgegenstehen. Dazu gehöre eine enorme Schadenshöhe bei Vermögens- und Abgabedelikten nicht, wenn der Beamte seine Bereitschaft zur Wiedergutmachung des Schadens gezeigt hat und dazu in der Lage sei . Die Fähigkeit zur Wiedergutmachung des Schadens sei  im Allgemeinen wegen des Einsatzes der Dienst- oder Versorgungsbezüge zu bejahen

Einer Selbstanzeige, die der Beamte nur aus Furcht vor Entdeckung abgibt, komme dagegen naturgemäß nur ein geringeres Gewicht zu und zwar unabhängig davon, ob der Beamte dadurch Straffreiheit erlange. Hier werde der Beamte weniger aus innerer Einsicht als vielmehr in dem Bestreben tätig, die nachteiligen Folgen seines Fehlverhaltens so gering als möglich zu halten. Daher hänge es vom Hinzutreten weiterer, dem Persönlichkeitsbild zuzuordnenden mildernden Umständen ab, welche Disziplinarmaßnahme angemessen sei . Bei einer Steuerhinterziehung im siebenstelligen Bereich könne die höchste Disziplinarmaßnahme angezeigt sein, wenn im Einzelfall Erschwerungsgründe vorliegen, denen keine solch gewichtigen Milderungsgründe gegenüberstehen, dass eine Gesamtbetrachtung noch den Schluss rechtfertigt, der Beamte sei noch tragbar. Je gravierender die Erschwerungsgründe in ihrer Gesamtheit zu Buche schlagen, desto gewichtiger müssen die Milderungsgründe sein. Den Milderungsgründen darf nicht unabhängig von ihrem Gewicht unter Verweis auf die Größenordnung des Hinterziehungsbetrags jede entscheidungserhebliche Bedeutung abgesprochen werden.

Ein beachtlicher Milderungsgrund, der die Dienstentfernung oder die Aberkennung des Ruhegehalts bei Fehlen besonderer Erschwerungsgründe ausschließe, liege darin, dass der Beamte nach der Selbstanzeige aus Furcht vor Entdeckung den Schaden alsbald ausgeglichen, nämlich die zu seinen Gunsten hinterzogenen Steuern innerhalb der ihm gesetzten Frist entrichtet und dadurch Straffreiheit erlangt habe. Gleiches gelte, wenn der Beamte durch seine Mitwirkung die Aufklärung des Dienstvergehens ermöglicht oder erheblich vereinfacht hat Auch könne zugunsten des Beamten zu berücksichtigen sein, dass er sich nicht selbst bereichert, sondern Dritten auf deren Drängen ungerechtfertigte Vorteile verschafft habe.

Weil das Oberverwaltungsgericht allein die enorme Größenordnung der Steuerhinterziehungen aber nicht die Frage, ob der Beamte die Selbstanzeige aus freien Stücken oder bereits aus Furcht vor Entdeckung abgegeben habe, berücksichtigt hat, sei dies aufzuklären, weshalb die Sache zurückverwiesen wurde.

Bundesverwaltungsgericht - U.v. 28. Juli 2011 - BVerwG 2 C 16.10

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