Leistungskürzungen beim Alg 2 rechtmäßig?

Sozialrecht
20.03.20081127 Mal gelesen

Wer gegen eine in § 31 Abs. 1 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) umschriebene Pflicht verstößt dem drohen harte Strafen, welche den sowieso bescheidenen Rahmen empfindlich einschränken.

Bei den über 25 Jahre alten Hilfeempfängern wird die Regelleistung zunächst in einer ersten Stufe um 10% für drei Monate gekürzt. Bei einem wiederholtem Verstoß dann um weitere 60% für weitere drei Monate, bis hin zur vollständigen Einstellung.

Bei den unter 25 Jahre alten Hilfeempfängern kann die Leistung bei einem Verstoß unmittelbar um 100% reduziert werden, so dass dann nur noch die Kosten für Unterkunft und Heizung übernommen werden.

 

Die Sanktion wird durch die ARGE'n mittels Absenkungsbescheid ausgesprochen.

Dieser Bescheid stellt einen Verwaltungsakt dar, gegen den das Rechtmittel des Widerspruchs zulässig ist. Der Widerspruch hat aufschiebende Wirkung, das heißt, dass die Sanktion nicht sofort durchgeführt werden kann, sondern erst, wenn der Bescheid rechtskräftig geworden ist oder aber durch sozialgerichtliches Urteil als rechtmäßig festgestellt wurde.

 

Verstöße gegen die in § 31 Abs. 1 SGB II genannten Pflichten werden zunächst durch den Arbeitsvermittler oder den Fallmanager festgestellt. Daraufhin muss derjenige, gegen den eine Sanktion verhängt werden soll, zunächst angehört werden. Erst danach darf die Sanktion verhängt werden. Die Verhängung der Sanktion erfolgt durch die Mitteilung des Arbeitsvermittlers / Fallmanagers an die Abteilung für Leistungsgewährung. Diese Trennung vom "Ob" der Sanktion zum "Wie" der Sanktion birgt vielfache Probleme und Missverständnisse, die eine Sanktion angreifbar machen.

 

Im Rahmen der anwaltlichen Praxis zeigt sich deutlich, dass die Voraussetzungen für eine Sanktion nach § 31 Abs. 1 SGB II nicht vorliegen bzw. vorgelegen haben.

Nach § 31 Abs. 1 Nr. 1 b) SGB II darf beispielsweise eine Sanktionierung erfolgen, wenn der Hilfeempfänger die in der Eingliederungsvereinbarung festgelegte Pflicht nicht erfüllt. Im Rahmen der Eingliederungsvereinbarung muss der Hilfeempfänger aber bereits auf mögliche Rechtsfolgen hingewiesen worden sein. Ist die schon die Rechtsfolgenbelehrung falsch, dann darf nicht sanktioniert werden. Teilweise kommt es sogar vor, dass nur bei dem ersten Treffen mit dem Arbeitsvermittler / Fallmanager eine Eingliederungsvereinbarung getroffen wurde, danach - teilweise über Monate lang - nur noch Folgevereinbarungen, mit denen auf die erste Eingliederungsvereinbarung verwiesen wird. Eine solche formelhafte Bezugnahme kann eine zeitnahe Rechtsfolgenbelehrung daher nicht ersetzen. Auch hier ist eine Sanktion im Einzelfall nicht mehr möglich.

 

Eine Rechtsfolgenbelehrung darf auch nicht einfach nur den Gesetzestext wiederholen. Sie muss sich vielmehr konkret, eindeutig und verständlich, verbindlich und rechtlich zutreffend mit den unmittelbaren Auswirkungen eines Verstoßes auseinandersetzen und dem Hilfeempfänger mögliche Konsequenzen vor Augen führen (so auch: SG Aurich, Beschluss v. 29.08.2006, S 15 AS 339/06 ER).

 

Der wohl häufigste Fall einer Absenkung der Regelleistung erfolgt, weil ein Hilfeempfänger einen vom Arbeitsvermittler / Fallmanager bestimmten Gesprächstermin nicht wahrnimmt (§ 31 Abs. 2 SGB II).

Eine Aufforderung der zuständigen ARGE an den Hilfeempfänger stellt zunächst wieder einen Verwaltungsakt dar, welcher dem Hilfeempfänger bekannt gegeben werden muss (§ 37 Abs. 1 SGB X).

Ein schriftlicher Verwaltungsakt  gilt bei Übermittlung durch die Post am dritten Tage nach der Aufgabe bei der Post als bekanntgegeben (§ 31 Abs. 2 Satz 1 SGB X). Diese Regel stellt eine gesetzliche Vermutung dar, dass ein bei der Post aufgegebener Verwaltungsakt innerhalb von drei Tagen den Hilfeempfänger erreicht hat.

Aber diese Vermutung gilt nur, wenn der Verwaltungsakt dem Hilfeempfänger auch zugegangen ist (§ 37 Abs. 2 Satz 2, 1. Halbsatz SGB X). Im Zweifel muss die ARGE den Zugang beweisen, wobei Zugang bedeutet, dass die Einladung so in den Machtbereich des Hilfeempfängers gelangt ist, dass nach der Verkehrssitte erwartet werden kann, dass der Hilfeempfänger Kenntnis nehmen kann.

Das ist dann der Fall, wenn die Einladung dem Hilfeempfänger in dessen Briefkasten geworfen oder direkt übergeben wird. Zugang liegt dann nicht mehr vor, wenn der Brief bspw. im Treppenhaus auf die Stufen oder vor die Wohnungstür gelegt worden ist.

 

Für den Hilfeempfänger reicht aus, dass er den Zugang bestreitet (bitte möglichst schriftlich!). Dann muss die ARGE beweisen (!), dass den Hilfeempfänger das Einladungsschreiben erreicht hat.

Sofern dann keine Postzustellungsurkunde vorhanden ist oder das sog. mobile Fallmanagement unterwegs war, ist dieser Nachweis so gut wie ausgeschlossen.

 

Die Rechtsanwälte Stüwe & Kirchmann raten dringend, jeden Sanktionsbescheid bzw. schon im Rahmen der Anhörung einen Sanktionsbescheid überprüfen zu lassen.

Wir wissen wovon wir reden, zumal Rechtsanwalt Kirchman von 2005 bis 2006 bei der ARGE Wuppertal rechtsberatend tätig war und die dort auftretenden Rechtsprobleme zu Genüge kennt. Insofern ist es bezeichnnend, dass es interne Weisungen gibt, wonach bei Widerspruch gegen einen Bescheid die weitere Rechtsverfolgung eingestellt werden soll.

Einzelne ARGE'n sind sich sehr wohl der Rechtswidrigkeit ihrer Entscheidungen bewußt!