Weil die Herstellung von Immunglobulinen zur Durchführung der Anti-D-Prophylaxe damals zentral im Bezirksinstitut für Blutspende- und Transfusionswesen in Halle organisiert war, ist der Vorgang auch unter dem Begriff "Hallescher Impfschadenfall" bekannt geworden.
Die DDR traf für die Betroffenen Entschädigungsregelungen. Nach der Wiedervereinigung setzte die Bundesrepublik Deutschland Entschädigungsleistungen im sog. Anti-D-Hilfegesetz vom 2. August 2000 fort. Darin heißt es:
"Frauen, die in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet infolge einer in den Jahren 1978 und 1979 durchgeführten Anti-D-Immunprophylaxe mit den Chargen des Bezirksinstituts für Blutspende- und Transfusionswesen des Bezirkes Halle Nrn. 080578, 090578, 100678, 110678, 120778, 130778, 140778, 150878, 160978, 171078, 181078, 191078, 201178, 211178 und 221278 mit dem Hepatitis-C-Virus infiziert wurden, sowie Kontaktpersonen, die von ihnen mit großer Wahrscheinlichkeit mit dem Hepatitis-C-Virus infiziert wurden, erhalten aus humanitären und sozialen Gründen Krankenbehandlung und eine finanzielle Hilfe."
Zu den Entschädigungsleistungen zählt auch Heil- und Krankenbehandlung. Die Leistungen werden in entsprechender Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes gewährt. Die Kosten hierfür trägt der Bund. Zuständigkeit sind die Behörden des Landes, auf dessen heutigem Gebiet die Anti-D-Immunprophylaxe durchgeführt wurde.
Der Anspruch auf Heilbehandlung betrifft zwar in erster Linie Gesundheitsstörungen, die auf dem Impfschaden selbst beruhen. Ein weitergehender Anspruch auf Heilbehandlung für sonstige Gesundheitsstörungen besteht aber dann, wenn eine Schwerbeschädigung vorliegt. Hierfür muss der Grad der Schädigung mindestens 50 v.H. betragen (§ 10 Abs. 2 BVG). Die Betroffenen können in diesen Fällen die Aufwendungen für eine Krankenversicherung ersparen. Die Durchsetzung dieser Ansprüche gestaltet sich mitunter allerdings sehr schwierig. Die Behörden machen den Betroffenen die Sache nicht immer leicht, wie folgenden Fall zeigt:
Unsere Mandantin hatte im Jahr 1999 die Anerkennung der Schwerbeschädigung beantragt. Gegen die Ablehnung dieses Antrags führte sie Klage. Das Sozialgericht Lüneburg gab ihr im Jahr 2004 recht. Die Berufung des Landes Berlin blieb erfolglos (Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 12.12.2007).
Während des Prozesses wurde die Mandantin aus der Pflichtversicherung der gesetzlichen Krankenversicherung ausgesteuert, weil die Bezugsdauer des Krankengeldes endete. Sie trat der freiwilligen Weiterversicherung bei.
Mit Bescheid vom 26.03.2008 wurde die Schwerbeschädigung anerkannt. Daraufhin beantragte sie uneingeschränkte Heilbehandlung. Auch dieser Antrag wurde abgelehnt, weil sie inzwischen eine freiwillige Krankenversicherung hatte. Diese Entscheidung war auch richtig. Denn das Bundesversorgungsgesetz schließt Heilbehandlungsansprüche für sonstige Gesundheitsbeeinträchtigungen aus, solange eine anderweitige Absicherung besteht. Folgerichtig blieb die von der Mandantin selbst geführte Klage in zwei Instanzen erfolglos. Das Landessozialgericht gab in dem ablehnenden Urteil allerdings den Hinweis, dass eine freiwillige Krankenversicherung gekündigt werden könne. Außerdem könne sie für bereits gezahlte Krankenversicherungsbeiträge Schadensersatz (sog. Amtshaftungsanspruch) verlangen.
Daraufhin kündigte sie unter Vorlage des Bescheides vom 26.03.2008 das Krankenversicherungsverhältnis und beantragte erneut Heilbehandlung. Auch dieser Antrag wurde abgelehnt. Das Landesversorgungsamt bestritt entgegen dem Hinweis der Sozialrichter das Kündigungsrecht. Gegen diesen Bescheid legten wir Widerspruch ein und beantragten zugleich beim Sozialgericht Lüneburg den Erlass eine einstweilige Anordnung mit dem Antrag, das Landesamt zu verpflichten, der Mandantin vorläufig bis zur Rechtskraft einer Entscheidung über den Widerspruch Heilbehandlung zu gewähren. Diese Anordnung wurde umgehend durch Beschluss vom 23.08.2012 erlassen. In den Entscheidungsgründen findet sich der interessante Satz, dass dem Erhalt der körperlichen Unversehrtheit einer durch eine rechtswidrige Maßnahme des DDR Unrechtsstaates zu Schaden gekommene Person die größere Bedeutung beizumessen sei, als dem Interesse des Landes Berlin, durch die Vermeidung von Ausgaben im Sozialbereich die bekanntermaßen hohe Verschuldung zu senken.
Sozialgericht Lüneburg - Beschluss vom 23.08.2012 - S 11 VE 20/12 ER
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