Zu schnell gefahren - Kein Fahrverbot nach Übersehen von Schildern durch kurze Ablenkung

Zu schnell gefahren - Kein Fahrverbot nach Übersehen von Schildern durch kurze Ablenkung
13.09.20103120 Mal gelesen
Wer unwiderlegbar durch eine Unterhaltung mit seinen Mitfahrern abgelenkt war und deswegen die Geschwindigkeitsbegrenzung übersehen hat, kann einem Fahrverbot entgehen - auch wenn die Schilder beidseitig aufgestellt waren. Das geht aus einer Entscheidung des OLG Brandenburg hervor.

Wird die zulässige Höchstgeschwindigkeit innerorts um mindestens 31 km/h und außerhalb geschlossener Ortschaften um mindestens 41 km/h überschritten geht das Gesetz automatisch von einer groben Pflichtwidrigkeit des Fahrers aus. Für solche Fälle ist geregelt, dass ein Fahrverbot zu verhängen ist.

Fahrer machte Augenblicksversagen geltend

Beruft sich der Betroffene jedoch unwiderleglich darauf, das geschwindigkeitsbegrenzende Verkehrszeichen übersehen zu haben, weil er durch eine Unterhaltung mit anderen Fahrzeuginsassen kurzzeitig abgelenkt war, kann ihm der Vorwurf der groben Pflichtwidrigkeit nicht gemacht werden.

Nach Auffassung des Oberlandesgerichts Brandendburg ist dem Fahrer dann in subjektiver Hinsicht nur leichte Fahrlässigkeit vorzuwerfen. Das OLG lehnt sich in seiner Entscheidung (OLG Brandenburg, Beschl. v. 23.7.2009 ? 2 Ss (OWi) 84B/09) auf ein Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs (BGH). 

Danach muss berücksichtigt werden, dass es in Ausnahmefällen Verkehrssituationen gibt, in denen die grundsätzlich gebotene Aufmerksamkeit des Fahrers kurzzeitig abgelenkt wird, ohne dass diese Ablenkung selbst auf einem grob pflichtwidrigen Verhalten des Fahrers beruhe.

Der Betroffene hat die Darlegungslast

Trägt der Betroffene einen solchen Fall des Augenblicksversagens vor, kann seine Fehlleistung nicht zum Anlass für ein Fahrverbot genommen werden. Allerdings hat der Richter aufgrund des Ausnahmecharakters dieser Fallgestaltung nur dann die Pflicht, das Vorliegen einer Ausnahmesituation zu prüfen, wenn entsprechende Anhaltspunkte vom Betroffenen vorgetragen werden.

Im Fall des OLG Brandenburg hatte der Betroffene ausgesagt, durch eine Unterhaltung mit anderen Fahrzeuginsassen abgelenkt gewesen zu sein und deshalb das tempobegrenzende Verkehrschild vor dem Blitzer übersehen zu haben. Vom Amtsgericht, dessen Entscheidung vom OLG auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen hin aufgehoben wurde, war der Fahrer noch zu einem Fahrverbot verurteilt worden. Der Tatrichter hatte der Einlassung des Betroffenen, er habe sich während der Fahrt auf der Bundesautobahn mit anderen im PKW befindlichen Personen unterhalten und müsse aus diesem Grund die Geschwindigkeitsbegrenzung übersehen haben, nicht folgen wollen. Diese Fehlleistung sei nach Ansicht des Amtsrichters zumindest ihrerseits grob pflichtwidrig gewesen, zumal das entsprechende Verkehrszeichen beidseitig an der Fahrbahn aufgestellt war.

Das Oberlandesgericht zeigte sich verständnisvoller. Es weist darauf hin, dass die gebotene Aufmerksamkeit auch dann nur leicht fahrlässig missachtet sein kann, wenn der Verstoß hinter einer beidseitig aufgestellten Beschilderung begangen wird. Der zitierten Grundsatzentscheidung habe ebenso ein Fall zugrunde gelegen, wo das vom Betroffenen übersehende Verkehrsschild beidseitig aufgestellt war. Zudem entspreche es der Lebenserfahrung, dass gerade nach langen Autobahnfahrten eine nachlassende Aufmerksamkeit der Autofahrer gegeben sei, so dass das Übersehen einer Verkehrsanordnung dann nicht zwangsläufig den Vorwurf grob pflichtwidrigen Verhaltens begründe.

Tipp:

Für die Verteidigung ist es wichtig, dass im Rahmen der Akteneinsicht immer auch ein Beschilderungsplan angefordert wird und das die Beschilderung im Bereich vor der Messstelle bei entsprechenden Anhaltspunkten per Film oder Video dokumentiert wird.   

Auch die Messung zu dicht hinter dem geschwindigkeitsreglementierenden Verkehrszeichen durchgeführt wurde (z.B. nach einem Ortseingangsschild) kann das nach Ansicht des OLG Dresden das Absehen vom Fahrverbot rechtfertigen. Demnach sind die Richtlinien der Bundesländer zur Geschwindigkeitsmessung zwar innerdienstliche Vorschriften, sie sichern aber in vergleichbaren Kontrollsituationen die Gleichbehandlung der Verkehrsteilnehmer. Wird eine Geschwindigkeitsmessung entgegen der Richtlinien unmittelbar hinter der Ortstafel eingesetzt, so ist das ein besonderer Tatumstand, der die Ausnahme vom Fahrverbot rechtfertigen kann. Nach der Richtlinie für die polizeiliche Verkehrsüberwachung des sächsischen Staatsministeriums des Innern soll der Abstand zwischen Ortstafel bzw. Verkehrszeichen und Messstele grundsätzlich mindestens 150 m betragen. Ausnahmen von diesem Abstand sind nur in begründeten Ausnahmefällen zulässig.

Auch in Mecklenburg-Vorpommern soll der Abstand zur Messanlage nicht kleiner als 150 m sein.

In der entsprechenden Richtlinie für die Geschwindigkeitsüberwachung in Niedersachsen ist ein Soll-Abstand von 150 m vorgesehen. In Rheinland Pfalz und Hessen z.B. soll bereits ein Abstand von 100m ausreichend sein

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Der Verfasser, Rechtsanwalt Christian Demuth, ist Experte für die persönliche Mobilität auf Rädern. Er berät und vertritt Menschen bei Konflikten mit dem Verkehrsstrafrecht, bei Bußgeldverfahren und bei Problemen rund um die Fahrerlaubnis. Weitere Infos : www.cd-recht.de