Europäischer Gerichtshof: Provider müssen illegale Seiten sperren-das freie Internet ist gefährdet!

Internet, IT und Telekommunikation
28.03.2014385 Mal gelesen
Sollen Internet-Provider dazu gezwungen werden, illegale Film-Portale im Web zu blockieren? Der Europäische Gerichtshof urteilte heute: Ja, das ist rechtens. Rechtsanwalt Christian Solmecke von der Kölner Anwaltskanzlei WILDE BEUGE SOLMECKE kritisiert das heute ergangene EuGH Urteil vom 27.03.2014 (C-314/12). Es bedroht das freie Internet, begünstigt einen Provider-”Flickenteppich” und öffnet einstweiligen Verfügungen der Medienbranche Tür und Tor.

Viele Webportale im Ausland - üblicherweise mit .to-Domain - bieten ihren Besuchern alle aktuellen Kinofilme und TV-Serien kostenfrei zum Anschauen auf dem PC-Bildschirm an. Natürlich handelt es sich bei diesen Angeboten um illegale Raubkopien.

Da es meist nicht möglich ist, an die Betreiber der Filmportale heranzutreten, kam bei den Rechteinhabern der Gedanke auf, die entsprechenden Seiten bei den lokalen Internet-Providern sperren zu lassen. Konkret wollten bereits 2013 der Constantin Film Verleih sowie eine Produktionsgesellschaft in Österreich erreichen, dass ein lokaler Provider den Zugang zur inzwischen abgestellten Website kino.to blockiert, da die Besucher hier kostenlos Filme ohne Zustimmung der Rechteinhaber streamen können.

Der Europäische Gerichtshof urteilte heute: Ja, Internet-Provider können dazu gezwungen werden, den Zugriff ihrer Nutzer auf ganz konkrete illegale Portale zu sperren. Die Provider sind in diesem Fall Vermittler zu Webseiten, die das Urheberrecht verletzen. Der EuGH wog dabei das Recht auf Eigentum der Filmverleiher mit der unternehmerischen Freiheit des Providers und der Informationsfreiheit der Anwender ab.

IT-Experte und Rechtsanwalt Christian Solmecke von der Kölner Anwaltskanzlei WILDE BEUGE SOLMECKE: "Ich bin gegen Netzsperren: Wenn sich so eine Rechtsprechung durchsetzt, dann haben wir bald einen diffusen Provider-Flickenteppich in Deutschland. Es wird dann Internet-Zugangsknoten geben, die nicht von der Medienindustrie abgemahnt worden und auch weiterhin noch alles durchleiten dürfen, andere Provider wiederum bieten dann nur noch ein eingeschränktes Internet an."

Rechtsanwalt Solmecke sieht auch die Gefahr des Missbrauchs: "Zu beachten ist auch, dass sich dann solche Sperren auch im Eilverfahren mit dem Instrument der einstweiligen Verfügung durchsetzen lassen. Mitunter stellt sich erst Jahre später heraus, dass solche Entscheidungen fehlerhaft waren - so lange bliebe dann eine Internetseite zu Unrecht gesperrt. Letztlich könnte man mit diesem Argument auch Provider verbieten, bestimmten Tauschbörsen Traffic durch ihre Netze zu leiten oder Tauschbörsen ganz zu filtern. Das kann und darf aber nicht der Sinn eines freien Internets sein."

Im Übrigen gibt es Netzsperren bereits in Deutschland: Solmecke: "Für jugendgefährdende Inhalte sind Netzsperren in Deutschland ohnehin schon möglich. Bekanntheit in Zusammenhang erzielte Anfang 2000 die Bezirksregierung Düsseldorf mit ihren Sperrverfügungen gegen Nazi-Seiten. Die Sperren haben bis heute Bestand. Ein Gesetz, das mit Sperrverfügungen den Zugang zu kinderpornographischen Schriften erschweren wollte, wurde 2011 wieder aufgehoben. Letztlich hat sich meist herausgestellt, dass Provider nicht zielgenau und in zu großem Umfang sperren. Da sämtliche Provider Deutschlands angegangen werden müssen und außerdem eine Umgehung relativ simpel möglich ist, haben sich Sperrverfügungen in der Vergangenheit nicht bereit flächig durchsetzen können."

Ausführliches Statement zum Websperren-Urteil des EuGH

Das Interessante an diesem Urteil ist, dass die Sperrung nicht an der Website selbst erfolgt sondern bei dem Internetzugangsanbieter, also z. B bei der Deutschen Telekom, die mich ins Internet rein lässt. Die soll künftig gewisse Webseiten nicht mehr durchleiten und das bedeutet dass wir ein gefiltertes Internet bekommen könnten. Dies gilt jedenfalls dann, wenn sich die Medienindustrie durchsetzt und viele illegale Webseiten auf diese Weise ausfiltern lässt.

Verhängen von Websperren ist für Provider nicht zumutbar

Aus Sicht der Filmindustrie kann ich natürlich das Begehren nachvollziehen, dass man gewisse Internetseiten sperren möchte. Allerdings wird es der Medienindustrie auch ziemlich leicht gemacht. Denn man muss nicht bei der Quelle ansetzen - also der Verbreitung selbst. Man muss nicht mehr recherchieren, wo denn die eigentlichen Täter von kino.to sitzen. Vielmehr kann man bei Dritten ansetzen nämlich den Zugangsanbietern - den Providern - und denen hübsch die Webseiten mitteilen. Und plötzlich sind die Provider in Streitigkeiten verwickelt, von denen sie möglicherweise keine Ahnung haben. denn die Provider sagen, was ist kino.to - keine Ahnung, wir sind Technikdienstleister jetzt müssen die plötzlich beurteilen, was legal und was illegal ist. Das ist aus meiner Sicht gerade für Provider kaum zumutbar.

Auch legale Webseiten können irrtümlich gesperrt werden

Wenn sich dieses Urteil durchsetzt, kann ich mir vorstellen, dass jetzt die ersten Filmproduktionsgesellschaften Hunderte von Seiten zusammen tragen - auf denen z.B. ein illegaler Kinofilm zu finden ist - und diese Seiten dann den Providern melden, damit diese dann geblockt werden. Das ist natürlich eine sehr einfache Methode. Denn die Recherchen zum Ermitteln eines Einzigen waren bislang sehr aufwändig.

Aber da stellen sich natürlich Folgefragen: Muss der Provider das jetzt alles nachrecherchieren, muss der selber zusehen, haben die überhaupt die Rechte an den Filmen, muss er die Sachen runterladen etc.? Das kann ja gigantische Ausmaße annehmen. Sicherlich wird auch die eine oder andere Seite dabei sein, die vielleicht gar nicht illegal war. Die große Gefahr liegt darin begründet, dass jetzt auch gefiltert wird, was eigentlich hätte online bleiben dürfen.

Umsetzung ist aufwändig für die Medienindustrie

Provider müssen nach Aufforderung und wohl auch Darlegung der Rechte sperren. Das ist natürlich eine aufwändige Geschichte für die Medienindustrie. Denn sie müssen zu jedem Provider gehen, der Menschen ins Internet lässt und da wird es alleine in Deutschland hunderte Internetzugangsknoten geben. Im Zweifel muss man dann übers Ausland gehen, wenn man gewisse Seiten noch erreichen will, die hier gesperrt sind.

Websperren sind kontraproduktiv

Wie kontraproduktiv solche Sperrungen sind hat sich in der Vergangenheit immer wieder gezeigt, falls versucht worden ist etwas zu sperren. Das fing schon 2001 an. Da wurden die ersten Sperrverfügungen der Bezirksregierung Düsseldorf erlassen. Die bestehen übrigens auch bis heute gegen Naziseiten. Dann gab es ein Speerverfügungsgesetz gegen kinderpornografische Schriften. Da sind die Menschen hier in Deutschland auf die Straßen gegangen, so dass 2011 das Gesetz wieder auf gehoben worden ist. Alles was irgendwie nur nach Zensur riechen könnte wird hier ziemlich negativ aufgenommen Zensur ist nicht ganz das richtige Wort. Es geht hier um Sperrungen von illegalen Inhalten an der Quelle. Dies war bislang nicht möglich.

Fazit:

Aus meiner Sicht sind diese Websperren nicht praktikabel. Die Sperrverfügungen sind leicht zu umgehen, von jedem der ein bisschen technische Ahnung hat. Die greifen also nicht und beschränken die Provider erheblich in ihren Tätigkeiten. Sie können auch zu fehlerhaften Sperren führen. Denn die Seitenbetreiber werden erst gar nichts davon mitbekommen. Sie merken höchstens, dass plötzlich der Traffic - also die Zugriffszahlen in einem Land - rapide runter brechen. Ich gehe davon aus, dass immer mal wieder falsch gesperrte Seiten dabei sind, wenn das hier Schule macht. Ich gehe fest davon aus, dass die Medienindustrie dieses Urteil für weitere Sperrverfügungen nutzen wird.