Stoppt ACTA Aktionstag – Internet-Protestkultur oder sich bahnbrechender Volkswille?

Internet, IT und Telekommunikation
16.02.2012365 Mal gelesen
Deutschland wird das internationale Urheberrechtsabkommen zunächst nicht unterschreiben. Die Politik hadert mit der neuen Internetkultur.

Das Anti-Counterfeiting Trade Agreement, kurz ACTA, (dt. Anti-Produktpiraterie-Handelsabkommen) ist ein geplantes multilaterales Handelsabkommen auf völkerrechtlicher Ebene. Die teilnehmenden Nationen bzw. Staatenbünde wollen mit ACTA internationale Standards im Kampf gegen Produktpiraterie und Urheberrechtsverletzungen etablieren. In Deutschland wird es deshalb entsprechend der englischen Bezeichnung auch häufig als Anti-Piraterie-Abkommen bezeichnet. Es verfolgt auf internationaler Ebene ähnliche Intentionen wie das in den USA heftig umstrittene Stop Online Piracy Act (SOPA) (Quelle: Wikipedia).

Die freie Enzyklopädie Wikipedia hatte in den USA ihre Seite jüngst für 24 Stunden abgeschaltet. Der 11. Februar 2012 wurde zum ACTA-Aktionstag ausgerufen. Friedliche Demonstrationen in vielen der betroffenen Staaten sind in Planung. Hinzu kommen zahlreiche kreative Aktionen.

Das Abkommen muß durch die Parlamente ratifiziert werden. Noch 5 Staaten, darunter auch Deutschland, müssen zustimmen. Angestoßen wurde der völkerrechtliche Vertrag durch Japan und die USA. In dem internationalen Handelsabkommen ACTA zwischen der EU, den USA, Japan und acht weiteren Staaten, geht es prinzipiell darum, internationale Standards gegen Urheberrechtsverletzungen und Produktpiraterie durch Maßnahmen jedes teilnehmenden Staates durchzusetzen.

Die bekannte Kritik gegen ACTA ist die Vermutung, ACTA könne sich auf die Meinungsfreiheit im Internet auswirken und zu Zensur führen. ACTA fördere die Einführung von Netzsperren. Das Recht auf Privatkopie sei durch neue Straftatbestände aufgehoben. Die Durchsetzung von Urheberrechten solle nicht auf Provider u.a. abgewälzt oder von diesen überwacht werden.

Viele Regelungen von ACTA existieren schon im deutschen Urheber- und Markenschutzrecht. Das Abkommen sieht keine Netzsperren vor - solche wurden auch jüngst in Deutschland für bestimmte strafrechtlich relevante Internetinhalte wieder aufgehoben. Auch Regelungen zum Kopierschutz sind im deutschen Urheberrecht verankert.

Aber auch deutsche Internetnutzer bewegen sich zwangsläufig im internationalen rechtlichen Raum. Eine sinnvolle Abgrenzung der Urheberrechte und Nutzungsrechte  kann also nur im internationalen Kontext gelingen.

Die Reaktion auf ACTA weißt Parallelen zum Flashmob auf: Der Begriff Flashmob (englisch: Flash mob; flash = Blitz; mob [von mobilis beweglich] = aufgewiegelte Volksmenge) bezeichnet einen kurzen, scheinbar spontanen Menschenauflauf, bei dem sich die Teilnehmer persönlich nicht kennen und ungewöhnliche Dinge tun (Quelle: Wikipedia). Flashmobs werden über sog. soziale Netzwerke, Online-Communitys, Webblogs, Mobiltelefon u.a. organisiert. Flashmobs gelten als spezielle Ausprägungsformen der sog. virtuellen Gesellschaft, die neue Medien wie Mobiltelefone und Internet benutzt, um kollektive direkte Aktionen zu organisieren.

Mit dieser neuen Protestkultur muß sich der Staat auseinandersetzen. Die schnelle Organisation und die oft  massiv auch offiziell angemeldete Veranstaltungen sprengende Teilnehmerzahl ist dafür typisch und wird Auswirkungen auf die versammlungsrechtliche Rechtsprechung und Gesetzgebung haben.

Die Politik muß diesen Entwicklungen mit Transparenz und Partizipation begegnen. Die Gegner von ACTA argumentieren, die gesamten Verhandlungen seien geheim geführt worden. Regelungen von für jeden User erheblichen Urheber- und Schutzrechten müßten aber demokratisch und transparent geführt werden. Der Fall Stuttgart 21 hat gezeigt, daß nun diejenigen Politiker den tatsächlichen Volkswillen durchsetzen müssen, der ihren eigenen Wahlzielen entgegensteht und welche die Mehrheit der Bevölkerung somit nicht teilt. Die Umfragen haben allerdings die jahrelangen rechtssicheren Planungen bestätigt, die lediglich von einer Minderheit torpediert wurden. Dieser laute Protest hat zusammen mit dem Tsunami in Japan, der auch das Atomkraftwerk Fukushima betroffen hat, eine punktgenaue einmalige Wahlhilfe geliefert.

Nicht jeder Protest ist also berechtigt, sondern vielmals lauter als die schweigende Mehrheit, die sich ihre eigene Meinung schon bildet und äußert  - wenn man sie denn läßt. Spätestens bei den nächsten Wahlen.

Es muß gelten: Alle Länder, Interessengruppen und nicht nur professionelle Vertreter einzelner Länder oder Interessen (Lobbyisten) sind frühzeitig zu beteiligen. Sofern nichtöffentliche Beratungen nötig sind, muß es hierfür einen öffentlich dargestellten sachlichen Grund geben. 

Die Signalwirkung von ACTA gefährdet den Rechtsfrieden,  da eine Politik, die sich einseitig um Durchsetzungsmechanismen bemüht den technischen und sozialen Wandel, den das Internet mit sich bringt, verkennt. Viele der ACTA-Kritiker haben die Fernwirkungen unzeitgemäßer Politik erkannt und werden von der Politik nicht verstanden. Solche Strömungen haben auch dazu geführt, daß sich eine wirklich neue Partei in einem Bundesland im Parlament und bundesweit in Umfragen etablieren konnte: Die Piratenpartei. Ist dies die neue liberale Partei, der Grund des Siechtums der Freien Demokraten?

Die Meinungsfreiheit gilt laut BVerfG als eines der "vornehmsten Menschenrechte überhaupt". Sie kann durch das Internet vom Einzelnen effektiv ausgeübt werden. Die Meinung äußert sich via Internet polemischer, schneller, polarisiert mehr und ändert sich auch schneller. Da das Internet an Einfluß weiter zunehmen wird, kann aus der schweigenden Mehrheit schnell die sich äußernde werden. Es ist davon auszugehen, daß der zu früheren Zeiten auch von etablierten Parteien geförderte klassische, oft lautere, punktuelle Protest, der nur als mehrheitsbildend wahrgenommen wurde, von tatsächlich geäußerter spontaner Mehrheitsmeinung abgelöst wird.

Da wirkliche Freiheit jenseits der Mauern liegt, die wir selbst geschaffen haben, sollte man von vorneherein versuchen nur die nötigsten Barrieren zu errichten. Es müssen aber andererseits natürlich Instrumentarien geschaffen werden, die diejenigen bremsen, die ihre Freiheit mißbrauchen.

Rechtsanwalt Holger Hesterberg

Bundesweite Tätigkeit. Mitgliedschaft im DAV.

Mail:kanzlei@anwalthesterberg.de