Der Beschwerdeführer, ein niedergelassener Zahnarzt, wendet sich gegen einen berufsgerichtlichen Verweis, der ihm wegen der Teilnahme an einem Internetportal erteilt wurde. Auf diesem Portal wird Patienten zur Kostenersparnis die Möglichkeit gegeben, für eine beabsichtigte zahnärztliche Behandlung Angebote verschiedener Zahnärzte einzuholen. So können sie auf der Grundlage eines von ihrem behandelnden Zahnarzt erstellten Heil- und Kostenplans anonym angeben, um welche Zahnbehandlung sie in welcher Region nachsuchen. Während der Laufzeit der Suche können bei dem Portal registrierte Zahnärzte unverbindliche Kostenschätzungen für die Durchführung der Behandlung abgeben. Entscheidet sich der Patient für einen bestimmten Zahnarzt, erhalten beide Seiten wechselseitig die Kontaktdaten. Dem Nutzer steht es frei, ob er den ausgewählten Zahnarzt aufsucht oder nicht. Kommt es zur Untersuchung, so erstellt der Zahnarzt ein verbindliches Angebot in Form eines Heil- und Kostenplans oder eines Kostenvoranschlags für die begehrte Behandlung, das sich mit seiner Kostenschätzung decken oder davon abweichen kann.
Ein Nutzer dieses Portals wählte den Beschwerdeführer nach dessen Kostenschätzung aus und erhielt seine Kontaktdaten. Zur Vereinbarung eines Untersuchungstermins und zur Abgabe eines verbindlichen Kostenangebots kam es aber nicht, weil dem Nutzer der Weg zur Praxis des Beschwerdeführers zu weit war.
Das Landesberufsgericht für Zahnärzte bestätigte den vom Berufsgericht gegen den Beschwerdeführer ausgesprochenen Verweis. Die Abgabe einer Kostenschätzung ohne vorherige Untersuchung verstoße gegen die Pflicht des Zahnarztes, seinen Beruf nach den Geboten der ärztlichen Ethik und der Menschlichkeit auszuüben und dem ihm im Zusammenhang mit dem Beruf entgegengebrachten Vertrauen zu entsprechen. Der Zahnarzt dürfe ohne persönliche Untersuchung keine Kostenschätzung abgeben.
Auf die Verfassungsbeschwerde hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts das Urteil des Landesberufsgerichts für Zahnärzte aufgehoben, weil es den Beschwerdeführer in seiner durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Berufsfreiheit verletzt.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:
Es ist nicht mit Art. 12 Abs. 1 GG zu vereinbaren, dass das Gericht das Fehlen einer persönlichen Untersuchung des Patienten vor der Abgabe der Kostenschätzung in der vorliegenden Konstellation als Verletzung einer Berufspflicht beurteilt. Denn es sind keine Gründe des Gemeinwohls zu erkennen, nach denen eine solche Untersuchung im konkreten Fall geboten gewesen wäre.
Dass bereits im Stadium der Anbahnung der Arzt-Patienten-Beziehung eine persönliche Untersuchung des Patienten für eine unverbindliche Kostenschätzung erforderlich sein soll, ist nicht plausibel. Die Entwicklung eines Vertrauensverhältnisses wird durch die Nutzung der Internetplattform keineswegs ausgeschlossen, da, wenn der Patient sich für einen Zahnarzt entschieden hat, ohnehin eine persönliche Untersuchung erfolgt, aufgrund der der Zahnarzt nunmehr einen verbindlichen Heil- und Kostenplan oder Kostenvoranschlag erstellt. Die Internetplattform steht dem Patientenschutz nicht entgegen, sondern erleichtert letztlich für den Nutzer nur den Preisvergleich und die Kontaktanbahnung.
Auch die Nutzung des Internets als solche ist nicht geeignet, Gemeinwohlbelange zu beeinträchtigen. Auf der als "virtueller Marktplatz" fungierenden Internetplattform mag zwar die Gefahr von so genannten "Lockvogelangeboten", d. h. der Methode, Patienten mit besonders günstigen Angeboten in die Praxis zu locken, um ihm gegenüber später lukrativere Leistungen abzurechnen, nicht auszuschließen sein. Dieses Vorgehen kann aber ohne konkrete Anhaltspunkte nicht als Regelfall unterstellt werden. Sofern im Einzelfall ein "Lockvogelangebot" abgegeben werden sollte, erlaubt dies schon unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit kein allgemeines Verbot, eine Kostenschätzung über das Internet abzugeben, sondern könnte allenfalls ein Vorgehen gegenüber dem Zahnarzt, der das konkrete Angebot abgegeben hat, rechtfertigen. Hierzu sind im vorliegenden Fall von den Berufsgerichten keine tatsächlichen Feststellungen getroffen worden.
Ferner ist es auch nicht mit der verfassungsrechtlich garantierten Berufsfreiheit vereinbar, eine im Internet abgegebene Kostenschätzung generell als berufsrechtswidrige Werbung zu qualifizieren. Denn es ist nicht ersichtlich, dass eine derartige Nutzung des Internets zu einer Verunsicherung der Patienten und einem allgemeinen Vertrauensverlust gegenüber den Zahnärzten führen könnte.
Aufgrund der deutlichen Hinweise auf der Eingangsseite des Portals und in dessen allgemeinen Geschäftsbedingungen ist den Nutzern der Internetplattform bekannt, dass die Schätzung unverbindlich ist und eine bindende Kostenaufstellung erst nach einer persönlichen Untersuchung abgegeben werden kann. Die Kostenschätzung hat auch einen klaren Bezugspunkt, nämlich den ursprünglichen Befund- und Behandlungsplan und die sich daraus ergebenden zahnärztlichen und zahntechnischen Leistungen. Zudem dürften weder der Arzt noch die Portalbetreiber ein Interesse an der Einstellung unrealistisch niedriger Schätzungen haben, da eine spätere, nicht auf nachvollziehbaren Gründen beruhende Erhöhung der Kosten nicht nur in der Regel zu einer schlechten Bewertung des betreffenden Zahnarztes auf der Internetplattform führen, sondern auch der Attraktivität des dem Preisvergleich dienenden Internetportals insgesamt schaden würde.
Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes vom 08.12.2010 Az. 1 BvR 1287/08
Quelle: Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichtes Nr. 119/2010 vom 22.12.2010