Leitfaden zur Strafbarkeit ärztlichen Abrechnungsverhaltens und der Entgegennahme von Leistungen Dritter - Teil 2 / Abrechnungsbetrug, Untreue

Gesundheit Arzthaftung
05.11.20096624 Mal gelesen
IV. Das Thema Abrechnungsbetrug im Sinne des § 263 StGB ist in den letzten Jahren weit in den öffentlichen Fokus gerückt. Die Vorwürfe gegen die Ärzteschaft waren - wie meist - nur zum Teil berechtigt. Aber auch hier gilt: Wer einmal in Verdacht gerät, wird es schwer haben seinem Ruf wiederherstellen zu können. Durch komplizierte, unübersichtliche und ständig wechselnde Abrechnungssysteme werden falsche Honorarabrechungen zum Teil als systemimmanent angesehen.[1] Die Verantwortlichkeit für die Vielzahl der Verdachtsfälle falscher ärztlicher Abrechungen wird deshalb auch der kriminogenen Gesetzgebung zugerechnet.[2] Dennoch, nicht die falsche Abrechnung als solche, sondern nur die vorsätzlich gefälschte Abrechung begründet die Strafbarkeit wegen Betruges.
 
1. Um zu verstehen, wie sich der Arzt in diesem Zusammenhang strafbar machen kann, muss man sich das System der Abrechnung verinnerlichen.
 
a.) Das Abrechnungssystem ärztlicher Honorare bis 2008 funktionierte folgendermaßen:[3] Die Krankenkassen zahlen einen bestimmten Betrag zur Abgeltung aller ärztlichen Leistungen an die KÄV.(Gesamtvergütung) Der Arzt rechnet gegenüber der KÄV aufgrund des einheitlichen Bewertungsmaßstabes für vertragsärztliche Leistungen (EBM-Ä) ab. Die Abrechnung erfolgt nicht in Eurobeträgen, sondern in Punkten, die für jede ärztliche Behandlung in diesem Maßstab festgelegt wurden. Die KÄV dividiert Gesamtvergütung durch die eingereichten Punkte und schüttet die Beträge anteilig auf die eingereichten Punkte aus. Der Punktwert ist der Höhe nach von der Gesamtvergütung abhängig und divergiert daher von Quartal zu Quartal.
Ein Arzt muss viele Punkte abrechnen um viel zu verdienen. Je mehr Punkte allerdings durch alle Ärzte abgerechnet werden, desto niedriger fällt der Punktwert aus. Die eingereichten Punkte stellen also den Divisor der Gesamtvergütung dar.
 
Seit 2009 gilt, außer für Vertragszahnärzte, § 87a III SGB V für alle vertragsärztlichen Leistungen. Es bleibt bei der Gesamtvergütung der Krankenkassen, diese richtet sich aber nunmehr nach Versichertenzahl und Morbiditätsstruktur der Kassen. Daraus ergibt sich für die jeweilige Krankenkasse ein Punktwert mit fester Umrechungsformel in Euro. Der Punktwert divergiert der Höhe nach nur regional. Der Arzt weiß also von vornherein, wieviel die abgerechneten Punkte eines bestimmten Kassenpatienten wert sind. Die nachträgliche Umrechnung der Punkte auf die Gesamtvergütung findet nicht mehr statt.[4]
Der Arzt hat nun einen Anspruch gegen die KÄV auf eine bestimmte Vergütung. Vorher bestand lediglich der Anspruch auf die gerechte Verteilung der Gesamtvergütung durch die KÄV.
 
Das ärztliche Honorar enthält die Vergütung der ärztlichen Behandlungsleistung sowie bestimmte zur Behandlung benötigte Materialien. Darüber hinaus existieren abrechnungsfähige Materialposten, welche im ärztlichen Honorar nicht enthalten sind. Diese werden als Praxis- oder Sprechstundenbedarf gesondert durch die Ärzte verordnet und direkt gegenüber der Kasse abgerechnet. Die Ortskrankenkassen wickeln die Bestellungen der Ärzte ab. KÄV, Krankenkasse und Leistungserbringer sind Gesamtvertragspartner, welche die Sprechstundenbedarfsvereinbarung Vereinbarung (SSB VB) ausgearbeitet haben. So bestimmt z.B. § 2 I SSB VB unter Anhang Nr. 5 als verordnungsfähig Mittel, Einmalinfusionsbestecke und -nadeln, nicht aber Einmalkanülen. Letztere sind bereits im ärztlichen Honorar enthalten.[5]
 
b.) Die Überprüfung der ärztlichen Sammelabrechnungen erfolgt durch die KÄV und die Kassen. Die Abrechnungen werden gemäß § 106a Abs.2 SGB V auf sachliche und rechnerische Richtigkeit überprüft. Die Schlüssigkeit der Rechnung wird gemäß § 106a Abs.1a, 2 SBG V in einer Plausibilitätskontrolle ermittelt. Die KÄV ist ermächtigt, gemäß § 106 i.V.m. § 297 SGB V Listen zu erstellen, in denen stichprobenartig nach dem Zufallsprinzip ärztliche Abrechnungen zur Kontrolle an die Prüfstellen der Krankenkassen übersandt werden.
 
Die Überprüfung erfolgt nach folgenden Kriterien:[6]
- Erstellung von Tagesprofilen zur zeitlichen Einschätzung einer Leistung
- Überprüfung von Auffälligkeiten bei den Fallzahlen und den Leistungskombinationen
- Überprüfung von Auffälligkeiten bei der Dokumentation nach der EBM oder Abrechnung fachfremder Leistungen
 
Die Staatsanwaltschaft ist bei Vorliegen eines Anfangsverdachts umgehend zu unterrichten. Dazu kommt es jedoch nicht zwingend. Die Prüfung ist derart lückenhaft, dass sie keinen Rechtfertigungsdruck für den abrechnenden Arzt zu erzeugen vermag. Der Arzt nimmt somit eine "besondere Vertrauensposition" bei der Abrechnung gegenüber allen anderen Beteiligten ein.[7]
 
 
2. Tatbestandlich wird als Abrechnungsbetrug das Erstellen betrügerischer Honorarabrechnungen von Leistungserbringern bezeichnet, welche zur Abrechnung gegenüber den Krankenversicherungen berechtigt sind und die Abrechnungen bei der Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) eingereicht wurden.
 
a.) Die Tathandlung liegt zunächst in einer Täuschung über Tatsachen durch das Erstellen einer objektiv falschen Abrechnung. Viele Ärzte sind sich schon nicht dem Erklärungswert ihrer Sammelabrechnung bewusst, wenn sie diese bei der KÄV einreichen. Neben der eindeutigen Leistungserklärung umfasst die Sammelabrechnung noch konkludent folgende Tatsachen:
 
- die Leistungen wurden durchgeführt
- durch den Arzt persönlich
- die Leistungen sind abrechnungsfähig
- den Leistungen wurden die richtigen Gebührenziffern zugeordnet
- es wurde wirtschaftlich sinnvoll und nur die tatsächlich entstandenen Kosten abgerechnet, d.h. auch Ersparnisse und Rabatte an die KÄV/KK weitergeleitet
- der Arzt abrechnungsbefugt ist
 
Darüber hinaus gibt es weitere Möglichkeiten über Tatsachen zu täuschen, auf welche noch einzugehen ist.
 
b.) Die eingereichte Sammelerklärung muss dann zu einem Irrtum bei der Abrechnungsstelle führen. Dieser Punkt war in der Vergangenheit strittig. Wie bereits erörtert, wurden Prüfungen durch die KÄV und die Kassen nahezu unterlassen, so dass die Ärzte fast freie Hand bei der Abrechnung hatten. Das System verließ und verlässt sich zum Teil auch noch darauf, dass der Vertragsarzt richtig abrechnet.[8] Berechtigterweise wurde dann die Frage gestellt, wie es zu einem Irrtum bei den Abrechnungsstellen kommen kann, wenn der Inhalt der Abrechnungen niemanden interessiert. Allerdings wurden schon immer Prüfverfahren durchgeführt. In der Masse der ärztlichen Abrechnungen nicht entdeckt zu werden, lässt den Tatbestand nicht entfallen. Es ist bei derartigen Massenbearbeitungen im Abrechnungsverfahren nicht notwendig, dass die Sachbearbeiter bei jeder einzelnen Position die Vorstellung haben, dass sie richtig sei. Es genügt die Annahme, die vorgelegte Abrechung sei insgesamt in Ordnung.[9] (NStZ, 07, 213, 215)
Das lückenhafte Prüfsystem scheint die Überzeugung bei einigen Ärzten hervorgerufen zu haben, ärztliche Leistungen nach freiem Belieben abrechnen zu können. Das dem nicht so ist, zeigen die zunehmend aufgedeckten Fälle strafbaren Abrechnungsverhaltens in der jüngeren Vergangenheit.
 
c.) Der Abrechnungsbetrug führt in der Regel zu einer Vermögensverfügung der Kassen und der KÄV. Sofern die KÄV verfügt, kommt es zu einem Vermögensschaden der ordnungsgemäß abrechnenden Ärzte. Ihr Anteil an der Gesamtvergütung vermindert sich durch einen niedrigeren Punktwert. Sofern die Kassen verfügen, trifft sie der Vermögensschaden unmittelbar selbst.
 
d.) Wie bereits erwähnt, muss zu der objektiv falschen Abrechnung ein vorsätzliches Verhalten des Arztes geführt haben. Vorsatz ist nach allgemeiner juristischer Definition das Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung. Wörtlich könnte man daraus das Erfordernis ableiten, dass der betrügerischer Arzt nicht nur gezielt täuscht, sondern dass er auch den Willen haben muss, einen Vermögensschaden bei den unter c.) genannten herbeizuführen. Der Arzt muss beim Erstellen einer strafbaren Abrechnung jedoch keinen zielgerichteten Schädigungswillen haben. Es reicht aus, wenn er lediglich die schadensbegründenden Merkmale der Tat kennt.[10]
 
Gefährlich für den Arzt kann vor allem werden, dass aus den objektiven Umständen der Schluss auf die innere Tatseite gezogen werden kann.[11] Handelt es sich bei den Abrechungsfehlern nicht nur um kleinere Verwechslungen, sondern liegen Abrechnungsposten vor, die schlicht nicht anfallen durften, enthalten die fehlerhaften Abrechnungen eine gewisse Systematik oder hatte der abrechnende Arzt zeitnah ein Seminar der KÄV besucht, welches ihm sicheres Wissen um die Abrechnung der in Rede stehenden Gebührenposten vermitteln konnte, so wird er sich gegenüber den Strafverfolgungsbehörden nur schwerlich auf einen Irrtum berufen können. Selten haben Strafgerichte die Möglichkeit, den Willen des Täters an konkreten Tatsachen nachzuweisen. Zur Verurteilung des Täters wegen einer vorsätzlichen Tat bedarf es der Überzeugung des Strafrichters. Kein Arzt sollte daher darauf bauen, sich im Falle der Entdeckung auf ein bedauerliches Versehen berufen zu können.
Der Tatbestandsvorsatz muss durch die Gerichte für jede falsche Abrechnung gesondert festgestellt werden.[12] Jedoch können viele aufeinander folgende Falschabrechnungen sogar indizieren, dass der Arzt von Anfang an den Vorsatz einer umfassenden Betrugstat gegenüber seinen Abrechnungsstellen hatte.[13]
 
3. Sofern wegen einen falschen Abrechung ein Betrugsstrafverfahren eingeleitet wird, erwarten den Arzt nicht nur Unannehmlichkeiten. Vielmehr steht seine Existenz auf dem Spiel. Es beginnt mit der Durchsuchung von Praxis- und Privaträumen zur Beschlagnahme von Beweismaterial.
Einem Beschlagnahmebeschluss bezüglich sensibler Patientenunterlagen steht weder die Berufsfreiheit aus Art.12, noch die ärztliche Schweigepflicht im Hinblick auf § 97 StPO entgegen. Der Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen Arzt und Patient umfasst nicht, den Arzt im Verdachtsfall einer berufbezogenen Straftat vor Strafverfolgung zu schützen.[14]
Das Vertrauensverhältnis des Arztes zu seinem Patient bildet keine Barriere vor strafrechtlicher Verfolgung, sondern beeinflusst diese lediglich. Karteikarten, Anamnese- und Diagnoseblätter stellen keine unantastbare Intimsphäre dar, aber den privaten Lebensbereich des Patienten, nach dessen Willen Fremden der Einblick in seinen Gesundheitszustand verwehrt sein soll.[15] Grundsätzlich gilt dies auch für die staatliche Einsichtnahme, nicht aber wenn erhebliche Gründe des Allgemeinwohls entgegen stehen, beispielsweise zur Aufklärung von Straftaten.[16] Die Strafverfolgungsbehörden müssen aber enge Verhältnismäßigkeitsgrenzen beachten, so dass die Einsichtnahme nur durch unmittelbar am Verfahren beteiligte Personen erfolgen darf.
 
Nachteile entstehen dem Arzt schon aus dem Anschein der strafbaren Handlung. Durchsuchungen bei Ärzten erregen hohes mediales Aufsehen und wirken rufschädigend, selbst wenn sich die Unschuld des beschuldigten Arztes noch herausstellen sollte.
 
Wer über Jahre hinweg Falschabrechnungen bei der KÄV einreicht, darf nur noch unter ganz besonderen Umständen mit einer Geldstrafe rechnen. In der Regel sollen die Gerichte Freiheitsstrafen verhängen, da ein besonders sozial schädliches Verhalten vorliegt und eine sensible Vertrauensstellung missbräuchlich ausgenutzt wurde.[17]
 
Mit oder ohne Haftstrafe, ein Strafprozess zieht weitere Konsequenzen nach sich, welche sich oftmals erst im Anschluss als existenzieller Schaden niederschlagen. So schließen sich zivilrechtliche Honorarrückforderungen der Kassen an. Es werden in aller Regel ärztliche Disziplinarmaßnahmen verhängt werden, die bis zum Verlust der Approbation führen können. Letztlich kann auch gerade durch den drohenden Verlust der kassenärztlichen Zulassung die wirtschaftliche Lebensgrundlage entfallen.
Auch die Verteidigung eines Arztes in dieser Situation gestaltet sich äußerst schwierig, da die eigentlich getrennten Verfahren zu einander Bezug nehmen werden. Mit Zugeständnissen im strafrechtlichen Verfahren erreicht der Strafverteidiger oftmals, die Strafhöhe zu verringern oder eine Freiheitsstrafe zu vermeiden. In den Parallelverfahren kann dies jedoch dazu führen, Konsequenzen, wie beispielsweise eine zivilrechtliche Rückforderung, erst zu begründen. 
 
4. Die Fallkonstellationen in denen Betrugsstraftaten im ärztlichen Bereich auftauchen sind vielfältig.
 
a.) Hierzu zählen Sachverhalte von nicht oder nicht vollständig erbrachten Leistungen.
 
So ließ ein Zahnarzt kieferorthopädische Behandlungen von einer anderen Kieferorthopädin ausführen und rechnete diese als Eigenleistung ab. Darüber hinaus wurden Konservierungs- und Belagreinigungsmaßnahmen von nicht qualifizierten Hilfskräften ausgeführt. Auch hier rechnete der Zahnarzt eigene Leistungen ab.[18] Das Gericht sah einen Verstoß gegen Grundsatz der persönlichen Leistungserbringung § 32 Abs.1 Ärzte ZV. Ein Anspruch auf ärztliches Honorar hat nur der Arzt, der selbst und eigenhändig tätig wird. Ebenso verhält es sich, wenn der Arzt Brücken und Kronen fehlerfrei, aber als Provisorien mit provisorischen Materialien einbaut und dann jedoch voll abrechnet. In beiden Fällen liegt nach dieser formalen Betrachtungsweise keine Leistungserbringung vor, weshalb kein Honoraranspruch entstanden ist.Nach der formalen Betrachtungsweise im Sozialversicherungsrecht, ist eine Leistung insgesamt nicht erstattungsfähig, wenn sie in Teilbereichen den gestellten Anforderungen nicht genügt.[19]Weiß der Arzt dies und rechnet dennoch ab, so liegt ein Abrechnungsbetrug vor.
 
Ein Arzt führte vielfach eine Magnetfeldtherapie durch, welche keine Kassenleistung war und rechnete eine mit der Magnettherapie verwandte Strombehandlung ab. Die Strombehandlung war Kassenleistung und hatte eine Gebührennummer. In diesem Fall wurde eine strafbare Falschdeklaration bejaht.[20] Formal betrachtet, wurde auch hier keine abrechnungsfähige Leistung erbracht. Auch hier zählt der Inhalt der ärztlichen Sammelerklärung. DerArzt behauptet mit Abrechnung gegenüber der KÄV, das die Leistung der Gebührennummer erbracht wurde, seine Leistung zu Kassenleistung gehört und abgerechnet werden kann.
 
Noch eindrücklicher macht folgender Fall die Gefahren des formalen Leistungsbegriffs.
Hier hatte der Arzt indizierte, abrechnungsfähige Leistungen (Infusionen, Blutentnahmen) durch dafür qualifizierte Hilfskräfte erbringen lassen. Diese Leistungen waren im Einzellfall auch delegierbar. Dies hätte jedoch gemäß den zu dieser Zeit gültigen KBV Richtlinien Nuklearmedizin § 15 III einer jeweils einzelner Anordnung bedurft.[21] Das der entstandene Schaden wohl wirtschaftlich kaum messbar war, hat sich lediglich auf die Strafzumessung ausgewirkt.[22] Bezweifelt werden muss hier jedoch, ob ein eigentlich rein juristischer Schaden überhaupt den Betrugstatbestand erfüllen kann.
 
b.) In jüngster Zeit machen immer wieder Fälle die Runde, in denen sich Ärzte mit ausgeklügelten Rabattsystemen Vorteile verschaffen.
 
So bestellte ein Arzt Röntgenkontrastmittel als Sprechstundenbedarf regelmäßig bei ein und derselben Firma. Dafür nahm diese verbrauchtes Kontrastmittel als Sondermüll kostenlos zur Entsorgung zurück. Die Firma berechnete gegenüber der Krankenkasse jedoch einen höheren Preis für das gelieferte Kontrastmittel, da der Rücknahmerabatt nicht enthalten war. Zumindest mitbestraft wurde ein Betrug durch Unterlassen seitens des Arztes.[23]Aus § 12 I SGB V i.V.m. § 5 I SSB VB sowie der Zusammenwirkungspflicht zwischen Ärzten und Krankenkassen aus § 72 I SGB V ergibt sich eine Handlungspflicht des Arztes, sich gegenüber der Kasse (Geschäftsherren) zu erklären, bzw. offen zulegen, welche Ersparnisse, Vorteile, Schmiergelder er erhält und diese gegebenenfalls weiterzuleiten.[24]Auch diese Ansicht ist juristisch nicht unumstritten.[25]
 
Rabattsysteme wurde auch derart entwickelt, als dass ein Zahnarzt eine Vielzahl von Dentalarbeiten über Dentalfirma zunächst voll über Kasse abrechnen ließ. Erst im Nachhinein gewährte ihm die Firma 25-30% Rabatt als so genannte Kickback-Zahlungen.[26]DerBGH bejahte hier sogar die bandenmäßige Begehung eines Betruges, mit entsprechend erhöhter Mindeststrafe, da beide "gemeinsam an einem Strang ziehen".[27]
Ähnlich auch ein als "Globudent-Affäre" bekannt gewordener Fall. Hier setzte aber der Arzt die Dentalfirma unter Druck, ihm Kickback Rabatt i.H.v. 7% zu gewähren.[28]
 
Diese Fälle sind sehr wohl juristisch umstritten, was die Offenlegungspflicht der Ärzte gegenüber den Kassen angeht. Herrschende Meinung ist jedoch, das eine gesetzliche Garantenstellung des Kassenarztes aus § 72 I SGB V zur Aufklärung bezüglich erhaltener Vergünstigungen z.B. bei Labormaterialienherstellern vorliegt.[29] Bislang sollte sich deshalb jede Selbstverständlichkeit bei der Vereinnahmung solcher Rabatte durch die Ärzte verbieten.
 
c.) Weniger umstritten sind die Fälle, bei denen bewusst manipuliert wurde, um Vorteile zu erzielen, für die es keine Grundlage gab.
 
Hierzu zählt die Konstellation, in der Kardiologen doppelte Abrechnungen vorgenommen haben. Diese hatten Belegbetten in einer Klinik. Sofern bestimmte Ballondillatationen nur dort durchgeführt werden konnten, war eine Abrechnung nur über den stationären Pflegesatz der Klinik möglich. Sie rechneten daher zunächst ambulante Leistung in ihrer Praxis ab, um diese Patienten im Anschluss notfallmäßig in das Belegkrankenhaus zur Nachbehandlung einzuweisen. Neben den stationären Kosten hätten in den verhandelten Fällen keine weiteren ambulanten Kosten mehr abgerechnet werden dürfen.[30] Die Ärzte wurden wegen Betrugs verurteilt.
 
Ein Arzt einer Gemeinschaftspraxis bestellte für spinale Infusionen des Medikaments -Volon A- so genannte koaxiale Interventionssets als Sprechstundenbedarf. Diese waren nichts anderes als Einmalkanülen. Der Arzt bestellte diese über eine Firma, an welcher er selbst beteiligt war. Diese zahlte im Einkauf 2,55DM und rechnete gegenüber den Krankenkassen 35-45 DM ab. Mithin ein Gewinn von ca.1500%. Einmalkanülen sind kein Sprechstundenbedarf und nicht verordnungsfähig sondern bereits im ärztlichen Honorar enthalten. Daher kam die Firma auf die Idee der Umdeklarierung als Interventionssets und täuschte so abrechnungsfähige Infusionssets als Sprechstundenbedarf vor.[31] Die Beteiligten wurden vom LG Dortmund wegen Betruges verurteilt und vom BSG zur Honorarrückzahlung. Verpflichtet zu Rückzahlung wurde im Übrigen die gesamte Gemeinschaftspraxis. Auch stellte BSG fest: Der Arzt erklärt mit der Bestellung von Praxisbedarf konkludent das die Verordnung richtig, sinnvoll und wirtschaftlich ist.[32]
 
Weiter zählen zu den bewussten Manipulationen die Abrechnung unwirtschaftlicher und nachweisbar nicht notwendiger Leistungen, Verteilung von an sich nur einmal abrechenbarer Leistungen an einem Patienten auf mehrer Tage (Splitting), "Luftleistungen" und unvollständige Leistungserbringung.[33]
 
 
V. Als abschließender Tatbestand in diesem Zusammenhang sei die Untreue gem. § 266 StGB genannt. Danach wird jemand bestraft, wenn er in einem bestimmten Treue oder Fürsorgeverhältnis zu einem fremden Vermögen steht oder fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen hat und dies zu Nachteil des Vertretenen tut. Kurz gesagt, der Täter kann der Vertretenen nach Außen verpflichten und tut dies über seine Befugnisse im Innenverhältnis hinaus. Der Straftatbestand steht in diesem Zusammenhang aktuell im Zentrum vieler Diskussionen. Der Streit richtet sich darauf, ob der Vertragsarzt überhaupt eine tatbestandliche Verpflichtung gegenüber den Krankenkassen hat, welche er missbrauchen könnte.
Die Kritik ist fundiert und nachvollziehbar. Die weite Fassung des Straftatbestands lässt die im Strafrecht erforderliche Bestimmtheit entfallen. Die Ärzte arbeiten freiberuflich und haben keinerlei Vermögensbetreuungspflicht gegenüber den Krankenkassen.[34] Ein Arzt müsste bei jeder Verordnung zunächst prüfen, ob der Krankenkasse ein Nachteil entsteht, sonst macht er sich stets wegen Untreue strafbar.[35] Trotzdem hat der BGH sich in ständiger Rechtsprechung für eine Vertreterstellung des Vertragsarztes gegenüber den Krankenkassen ausgesprochen. Hierbei waren die folgenden Fälle maßgebend:
 
Es erfolgte die Ausstellung und Vorlage vertragsärztlicher Rezepte ohne Indikation. Der Arzt wirkte kollusiv mit einem Patient zusammen, welcher Katheter und Infusion im Übermaß bezog und für andere Zwecke verwendete.[36] Der BGH entschied im Jahre 2003, dass kein Betrug, sondern Untreue vorliegt, da Arzt Vertreter der Krankenkasse ist mit der Betreuungspflicht des Kassenvermögens. Er erfüllt Aufgaben im Interesse der Kasse gemäß § 31 I SGB indem er deren Mitglieder mit Medikamenten und Heilbehandlungen versorgt. Die Befugnis zur Vermögensverfügung war im Außenverhältnis wirksam und im Innenverhältnis bestimmungswidrig. Da dem Arzt eine Wirtschaftlichkeitsverpflichtung § 12 I SGB V obliegt, war ein Missbrauchstatbestand zu bejahen.[37]
 
Diese Entscheidung bestätigte der BGH auch im Jahre 2004. Die Entscheidung beruht auf einem Fall, bei dem ein Augenarzt regelmäßig und einseitig die überteuerten Linsen einer Firma für seinen Praxisbedarf bezog. Diese benötigte er für die Behandlung der Augenkrankheit "grauer Star". Der gutgläubig liefernde Apotheker rechnete gegenüber der Krankenkasse ab. Die Firma gewährte dem Arzt für die Bestellung Kickback-Rabatt.[38] 
Auch hier führte der BGH aus: Vertragsärzte treten als Vertreter der Krankenkassen auf und geben für und gegen die Krankenkassen Willenserklärungen zum Abschluss eines Kaufvertrages der verordneten Medikamente ab.[39]
 
Die Rechtsprechung des BGH kann also durchaus als gefestigt angesehen werden. Auch wenn hiergegen sicherlich gute juristische Argumente sprechen, so ist es doch sozial-ethisch durchaus keine unberechtigte Forderung, dass der Vertragsarzt sich gegenüber den Kassen ressourcenschonend verhält. Es zeigt sich, dass die Rechtsprechung im Moment bis an die Grenzen des Möglichen geht, um Ärzte zur Verantwortung zu ziehen, welche in ihrer Abrechnungspraxis bewusst Schädigungen zu Lasten der Kassen in Kauf nehmen. Der Arzt hat keinen Anspruch auf eigene Bereicherungen neben den festgelegten Honoraren. In Zeiten der Zweiklassenmedizin, bedeutet die Schädigung der Kassen zwangsläufig auch die Verschlechterung der medizinischen Gesamtversorgungslage. Es bleibt deshalb festzuhalten, dass ein Arzt der seine Abrechungen im Bewusstsein dieser Verantwortung erstellt, kaum jemals mit einer strafrechtlichen Verfolgung rechnen muss.
 
 

[1] vgl. Ellenbogen/Wichmann, MedR, 2007, 10, 11 m.w.N.
[2] Steinhilper in: FS-Schwind, 168.
[3] Wenner, Vertragsarztrecht, §21, Rn.4.
[4] Wenner, § 22, Rn.2.
[5] BSG, 20.10.2004, Az: B 6 KA 41/03 R.
[6] Ulsenheimer, § 14, Rn.10.
[7] OVG Münster, MedR 1988, 51, 53.
[8] Steinhilper, a.a.O.
[9] Fischer, § 263, Rn35a.
[10] BGH, wistra 1992, 95, 97.
[11] BGH, wistra, 1994, 22, 23.
[12] BGH, wistra, 1992, 253.
[13] BGH, a.a.O.
[14] BVerfG, Arztrecht 2003, 134.
[15] BVerfG, NJW, 1972, 1123, 1124.
[16] BVerfG, a.a.O.
[17] BGH, wistra, 1992, 296
[18] BSGE, 80, 1, 3ff.
[19] BSGE, 39, 288, 290.
[20] BGH, NStZ 1993, 388.
[21] BGH, NStZ, 1995, 85, 86.
[22] BGH, a.a.O.
[23] OLG Hamm, 22.12.2004, Az 3 Ss 431/04.
[24] OLG Hamm, a.a.O.
[25] a.A. Ulsenheimer, Arztstrafrecht, § 14, Rn.29.
 
[26]BGH 16.11.2006, 3 StR 204/06.
[27] BGH, a.a.O.
[28] OLG Köln, Beschl. v. 3.6.2002 - 11 W 13/02.
[29] Fischer, § 263, Rn.23b.
[30] LG Halle, wistra 2000, 279f.
[31] BSG, 20.10.2004, Az: B 6 KA 41/03 R.
[32] BSG, a.a.O.
[33] Ulsenheimer, § 14, Rn.17.
[34] Ulsenheimer, MedR, 2005, 640.
[35] Steinhilper, MedR, 2005, 239.
[36] BGH St 49, 17ff.
[37] BGH, a.a.O.
[38] BGH, MedR, 2004, 613.
[39] BGH, a.a.O.