Rechtswörterbuch

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Garantenstellung

 Normen 

§ 13 StGB

 Information 

1. Allgemein

Voraussetzung der Strafbarkeit bei unechten Unterlassungsdelikten.

Auch das Unterlassen der Abwendung des Eintritts eines strafrechtlichen Erfolges (z.B. Nichtrettung eines Ertrinkenden) ist unter bestimmten Bedingungen strafbar. Voraussetzung ist, dass der Unterlassende eine Garantenstellung innehat, d.h. dass er für den Nichteintritt des strafrechtlichen Erfolges einzustehen hat.

Diese entsteht nach einer älteren Ansicht

  • aus Vertrag,

  • aus Gesetz,

  • aus vorangegangenem Tun (Ingerenz) und

  • aus enger Lebensgemeinschaft.

Nach der neueren Lehre ist die Garantenstellung auf folgende Bereiche beschränkt:

  • Beschützergaranten: Es besteht eine Obhutspflicht für ein bestimmtes Rechtsgut (z.B. Leben des Ehepartners).

  • Überwachergaranten: Es besteht eine Verantwortlichkeit für eine bestimmte Gefahrenquelle.

    Danach muss jeder, der in seinem Verantwortungsbereich eine Gefahrenquelle schafft oder andauern lässt, diejenigen ihm möglichen und zumutbaren Maßnahmen und Vorkehrungen treffen, die zur Abwendung der daraus Dritten drohenden Gefahren für die in § 823 Abs. 1 bezeichneten Lebensgüter und Rechte notwendig sind.

    Die entsprechende Pflicht beschränkt sich auf das Ergreifen solcher Maßnahmen, die nach den Gesamtumständen zumutbar sind und die ein verständiger und umsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um Andere vor Schäden zu bewahren. Eine aus der Zuständigkeit für eine Gefahrenquelle folgende Erfolgsabwendungspflicht besteht allerdings lediglich dann, wenn mit der Eröffnung der Gefahrenquelle die naheliegende Möglichkeit begründet wurde, dass Rechtsgüter anderer Personen verletzt werden können. In welchem Umfang die Erfolgsabwendungspflicht besteht, bestimmt sich nach dem Grad der Gefahr. Die Anforderungen an den für die Gefahrenquelle Zuständigen sind umso höher, je größer bei erkennbarer Gefährlichkeit einer Handlung die Schadenswahrscheinlichkeit und Schadensintensität sind.

    Eine bewusste Selbstgefährdung lässt grundsätzlich die Erfolgsabwendungspflicht des eintrittspflichtigen Garanten nicht entfallen, wenn sich das allein auf Selbstgefährdung angelegte Geschehen erwartungswidrig in Richtung auf den Verlust des Rechtsguts entwickelt (BGH 05.08.2015 - 1 StR 328/15).

    Die Eigenverantwortlichkeit der Selbstgefährdung setzt voraus, dass der sich selbst Gefährdende (oder Verletzende) das eingegangene Risiko für das betroffene eigene Rechtsgut jedenfalls in seinem wesentlichen Grad zutreffend erkannt hat, wenn ihm auch nicht sämtliche rechtsgutbezogenen Risiken im Einzelnen bekannt zu sein brauchen (BGH 22.11.2016 -1 StR 354/16).

Beispiel:

Eine Person haftet als Garant aufgrund der von ihm in die Wohnung mitgebrachte und dort für andere zugänglichen Flasche mit dem hochgradig gesundheits- und lebensgefährlichen GBL für die dadurch bei anderen Personen eingetretenen Gesundheitsschädigungen (BGH 05.08.2015 - 1 StR 328/15).

2. Einzelne Garanten

2.1 Betriebsinhaber

Aus der Stellung als Betriebsinhaber bzw. Vorgesetzter kann sich nach der Entscheidung BGH 20.10.2011 - 4 StR 71/11 "je nach den Umständen des einzelnen Falles eine Garantenpflicht zur Verhinderung von Straftaten nachgeordneter Mitarbeiter ergeben. Diese beschränkt sich indes auf die Verhinderung betriebsbezogener Straftaten und umfasst nicht solche Taten, die der Mitarbeiter lediglich bei Gelegenheit seiner Tätigkeit im Betrieb begeht. (...) Betriebsbezogen ist eine Tat dann, wenn sie einen inneren Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit des Begehungstäters oder mit der Art des Betriebes aufweist."

2.2 Compliance-Officer

Nach der Entscheidung BGH 17.07.2009 - 5 StR 394/08 haben Compliance-Officer eine Garantenstellung zur Verhinderung von im Zusammenhang mit der Tätigkeit des Unternehmens stehenden Straftaten von Unternehmensangehörigen.

2.3 Eheleute

Nach der Rechtsprechung des BGH (BGH 24.07.2003 - 3 StR 153/03) endet die Garantenstellung unter Eheleuten, wenn sich ein Ehegatte in der ernsthaften Absicht getrennt hat, die eheliche Lebensgemeinschaft nicht wieder herzustellen.

2.4 Eltern-Kind

Zur Beurteilung, ob bei einer Eltern-Kind-Beziehung eine Garantenstellung vorliegt, hat der BGH folgende Grundätze erlassen (BGH 02.08.2017 - 4 StR 169/17):

"Nach § 1618a BGB sind Eltern und Kinder einander Beistand und Rücksicht schuldig. Diese Vorschrift wurde als Leitlinie für alle Eltern-Kind-Beziehungen ins BGB aufgenommen. Obwohl der Gesetzgeber an einen Verstoß keine Rechtsfolgen geknüpft hat, entfaltet die Vorschrift über das bürgerliche Recht - insbesondere das Familienrecht - hinaus als Wertemaßstab auch Wirkung bei der Konkretisierung strafrechtlicher Einstandsbzw. Garantenpflichten. (...)

(...). Maßgebliche Bedeutung können in diesem Zusammenhang etwa das Alter, der Gesundheitszustand, die Lebensumstände und das Zusammenleben der betroffenen Personen erlangen (...). Dementsprechend können auch mit § 1618a BGB korrespondierende strafrechtliche Einstandspflichten nicht losgelöst von der faktischen Ausgestaltung des ElternKind-Verhältnisses bestimmt werden (...).

Vielmehr ist auch bei der Konkretisierung der strafrechtlichen Einstandspflicht und bei Bestimmung des Pflichtenprogramms den Umständen des Einzelfalls und insbesondere solchen Regelungen Rechnung zu tragen, die der betroffene Personenkreis in autonomer Selbstbestimmung getroffen hat."

 Siehe auch 

Unterlassungsdelikt

Bockemühl: Handbuch des Fachanwalts Strafrecht; 7. Auflage 2018

Dann/Mengel: Tanz auf dem Pulverfass - oder: Wie gefährlich leben Compliance-Beauftragte?; Neue Juristische Wochenschrift - NJW 2010, 3265

Kemper: Die besondere Bedeutung des § 16a TierSchG für die Garantenstellung der Amtstierärzte; Verwaltungsrundschau - 2011, 125

Satzger: Wann "entspricht" ein Unterlassen einem Tun? Zur Entsprechungsklausel in § 13 StGB; Jura 2011, 749

Satzger/Schluckebier/Widmaier: StGB - Strafgesetzbuch; 4. Auflage 2018

Sowada: Die Garantenstellung aus vorangegangenem Tun (Ingerenz) Jura 2003, 236

Warneke: Die Garantenstellung von Compliance-Beauftragten; Neue Zeitschrift für Strafrecht - NStZ 2010, 312