Nichteheliche Väter beim Sorgerecht diskriminiert: Europäischer Gerichtshof verurteilt Deutschland

Familie und Ehescheidung
01.01.2010 3405 Mal gelesen

Bei der Geburt nichtehelicher Kinder hat nach deutschem Familienrecht - anders als bei verheirateten Elterrn - die Mutter das alleinige Sorgerecht, sofern sie nicht bereit ist, dieses Sorgerecht mit dem Vater mittels einer förmlichen übereinstimmenden Sorgeerklärung beim Jugendamt oder Notar zu teilen. Viele nichteheliche Mütter lehnen das ab. Dann hat der ledige Vater kein Sorgerecht. Praktische Konsequenz: Ohne Einwilligung der Mutter dürfen Kindergärten, Schulen, behandelnde Ärzte, Kindertherapeuten etc. dem Vater nichtmals Auskünfte zu seinem Kind erteilen (!). Es bleibt ihm nur das Umgangsrecht (Besuchsrecht), sofern im konkreten Fall überhaupt durchsetzbar - und natürlich stets die Pflicht, Mutter und Kind zu alimentieren. Die Mutter kann mit dem KInd zudem praktisch umziehen, wohin sie möchte, auch ins Ausland.

Die Krux: Selbst dann, wenn es dem viel beschworenen Wohl des Kindes eher entspräche, wenn gemeinsames Sorgerecht bestünde oder das Kind beim Vater statt bei der Mutter lebte (z.B., weil das Kind bis zur Trennung der Eltern im Wesentlichen vom Vater betreut wurde, etwa weil die Mutter vollschichtig erwerbstätig war), ist dem Vater eine Klage vor dem Familiengericht, ihm das Sorgerecht ganz oder teilweise zu übertragen, versperrt. Eine solche Klage ist bislang von vorne herein unzulässig, ohne dass eine Kindeswohlprüfung stattfindet. Jedenfalls solange unzulässig, wie die Mutter (!) der Klage des ledigen Vaters nicht zustimmt oder ihr nicht die elterliche Sorge wegen Erziehungsunfähigkeit vom Gericht entzogen wurde - eine erhebliche Hürde, da so etwas nur in extremen Fällen (Alkoholismus, Psychose, regelmäßige körperliche Gewalt gegenüber dem Kind, Zulassung von Schulschwänzerei in großem Stil, Beschneidung von Mädchen aus religiösen Gründen etc.) geschieht.

Gegen diese Benachteiligung hat ein lediger Vater aus dem Kölner Raum nach Durchlaufen sämtlicher deutscher Instanzen einschließlich des Bundesverfassungsgerichts vor dem Straßburger Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte geklagt. Er beklagte, die deutschen Gesetze zum Sorgerecht würden ihn als nichtehelichen Vater gegenüber den Müttern diskriminieren (Art 14 der Europäischen Menschenrechtskonvention) - und bekam Recht  !

Der deutsche Gesetzgeber ist nun verpflichtet, die betreffenden gesetzlichen Regelungen im Rahmen der Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu ändern. Er muss eine Klage nichtehelicher Väter auf Teilhabe an der elterlichen Sorge oder Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge zulassen. Maßstab für die Begründetheit einer solchen Klage wird voraussichtlich künftig sein, ob dies im konkreten Fall dem Kindeswohl "dient".  

Für Experten im Familienrecht war es vorauszusehen, dass es auf kurz oder lang zu einer derartigen Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte  kommen würde. Die Entscheidung erging nahezu einstimmig mit 6 zu 1 Stimmen. Nur der deutsche Richter hatte abweichend votiert. Allerdings kann Deutschland binnen 3 Monaten noch eine letztinstanzliche Entscheidung der Großen Kammer des Gerichtshofs für Menschenrechte  beantragen. Für den deutschen Gesetzgeber bedeutet die Straßburger Entscheidung eine Ohrfeige; er hätte rechtstatsächliche Untersuchungen und gesetzliche Änderungen durchführen müssen, bevor es zu einer Verurteilung durch Straßburg wegen Verletzung von Menschenrechten kam; seine schon im Jahre 2003 vom Bundesverfassungsgericht auferlegten Hausaufgaben hat er nicht gemacht.  Eine den deutschen Gesetzen vergleichbare Regelung zum Sorgerecht für nichteheliche Kinder, die den nichtehelichen Vater nahezu rechtlos stellt, gibt es in Europa sonst nur noch in Österreich, der Schweiz und in Lichtenstein.

Die Straßburger Entscheidung wurde insbesondere auf 2 Erwägungen gestützt:

1. Die pauschale Verweigerung einer gerichtlichen Kindeswohlprüfung ist unverhältnismäßig im Hinblick auf den vom deutschen Gesetzgeber reklamierten Zweck der dt. Gesetze: dem Schutz des Kindeswohls. 

2. Ein gemeinsames Sorgerecht gegen den Willen der Mutter läuft nach Ansicht des Gerichtshofs - entgegen der Ansicht des Bundesverfassungsgerichts - nicht in jedem denkbaren Fall dem Kindeswohl zuwider. Auch diese Pauschalisierung ist unverhältnismäßig.

M. E. lässt sich auch so manches deutsche Urteil zum Sorgerecht getrenntlebender verheirateter bzw. geschiedenerEltern nicht mit dieser Straßburger Rechtsauffassung in Einklang bringen. Viele verlieren das Sorgerecht für ihre Kinder, das sie kraft Eheschließung hatten, bei Trennung und Scheidung wieder, da nach Auffassung des Bundesgerichtshofs und einiger Oberlandesgerichte auch eine gegen den Willen eines Elternteils aufrechterhaltene gemeinsame elterliche Sorge dem Kindeswohl stets schade. Nachdem der Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gerade diese Erwägung zurückgewiesen hat, wird auch das überdacht werden müssen.