Das Kürzungsrecht des Versicherers bei mehrfacher Obliegenheitsverletzungen nach neuem Recht

Soziales und Sozialversicherung
02.02.20111073 Mal gelesen
Versicherungsnehmer (VN) sollten Obliegenheiten einhalten. Verletzen VN Obliegenheiten, entsteht ein Kürzungsrecht des Versicherers. Wie hoch die Kürzung ausfällt und was passiert bei mehrfacher Obliegenheitsverletzungen zeigt das Urteil auf. Das "Alles-oder-Nichts-Prinzip" gibts aber nicht mehr!

Das Kürzungsrecht der Versicherer bei Obliegenheitsverletzungen nach neuem Recht, Landgericht Dortmund 15. Juli 2010, 2 O 8/10

Das neue Versicherungsvertragsgesetz (VVG) sieht vor, dass bei grob fahrlässiger Verletzung von Obliegenheiten durch den VN der VR nicht mehr gänzlich leistungsfrei wird. Das so genannte "Alles-oder-nichts-Prinzip" ist weggefallen. Anstelle dessen wurde ein Leistungskürzungsrecht des VR im Gesetz vorgesehen, geregelt in   § 28 Abs. 2 S. 2 VVG.

Strittig ist nicht nur, wie viel Prozent der VR bei welcher Fahrlässigkeit vom Schaden abziehen darf sondern vor allen Dingen auch die Frage, was bei mehrfachen Obliegenheitsverletzungen zu geschehen hat.

-          Eine Meinung vertritt die Ansicht, dass bei zwei Obliegenheitsverletzungen, wobei die eine zu z.B. 20 % Leistungskürzungen berechtigt und die weitere Obliegenheitsverletzung zu 70 % Kürzung berechtigt den Versicherer dann insgesamt zu einer Leistungskürzungen von 90 % berechtigt. Das ist das sogenannte Additionsmodell.

-           Nach einer weiteren Meinung ist nur die Kürzung der stärksten Obliegenheitsverletzung möglich, also im Beispielsfall 70 %. Alle weiteren Obliegenheitsverletzungen, die dahinter zurück bleiben, bleiben unberücksichtigt.

-          Nach einer weiteren Meinung wird die schwerste Obliegenheitsverletzung in voller Höhe zu Leistungskürzungen herangezogen, die weitere Obliegenheitsverletzung nur zur Hälfte, hier also 70% plus 10% = 80%.

-          Und eine letzte Meinung vertritt die Ansicht, dass es auf eine "wertende Gesamtbetrachtung" ankommt. Na Toll!

Das Landgericht Dortmund entschied in obigem Fall, dass die letzte der eben dargestellten Meinungen der Vorzug zu geben ist. In den Fällen, in denen mehrere Obliegenheitsverletzungen mit unterschiedlichem Kausalitätsumfang zu berücksichtigen sind würde sich eine "schematische Lösung", also jeder Automatismus, verbieten. Es sei eine Kürzung zu bestimmen, die auf einer wertenden Gesamtbetrachtung aller Umstände zurück zu führen ist, nur so kann der Einzelfall richtig bewertet werden.

 Auch dieser Fall zeigt, dass im neuen VVG noch nichts endgültig feststeht. Der vom Gericht entschiedene Fall jedenfalls war wie folgt:

Ein VN betrieb ein Schmuckgeschäft. Er schloss beim VR eine Inventarversicherung ab. Vereinbart wurde, dass an einer bestimmten Tür ein Panzerquerriegel angebracht wird. Dieser Panzerquerriegel wurde aber nicht an der vereinbarten Türe angebracht. Es kam zum Einbruchdiebstahl genau durch diese Türe. Ein Schaden von    € 190.393,- durch gestohlenes Gold entstand. Der VN hat, obwohl der Einbruchdiebstahl am 29.1.2009 erfolgte, die so genannte Stehlgutliste nicht bei der Polizei eingereicht nur beim VR. Erst am 19.3.2009 wurde die Stehlgutliste durch den vom VR beauftragten Sachverständigen eingereicht.

Der VR kürzte die Entschädigung wegen zweifacher Obliegenheitsverletzung auf 75 % und zahlte nur € 47.600,00. Das Gericht sprach dem VN weitere € 26.793,00 zu so dass er insgesamt auf einem Schaden von 116.000 sitzen blieb aufgrund der zweifachen Obliegenheitsverletzung. Dabei kürzte das Gericht für die Verletzung der Sicherheitsobliegenheit den Schadenbetrag um 6/10, also € 114.235,80. Da bei dem Diebstahl nicht identifizierbarer Goldschmuck entwendet wurde und nur ein Bruchteil des Schadens, nämlich ein Betrag von € 7.933,00, auf individualisierbaren Schmuck entfiel, wurde nur eine Kürzung auf den individualisierbaren Schmuck vorgenommen. Eine Kürzung von 4/10, also € 3.187,20, erfolgte (ein Fahnungserfolg bei rechtzeitig eingereichter Stehlgutliste bei der Polizei wäre nur hinsichtlich dieses Schadensbetrages vorhanden gewesen, das nicht individualisierbare Gold hätte die Polizei auch nicht gefunden, wenn die Liste vollständig rechtzeitig bei der Polizei eingereicht worden wäre - deshalb keine Kürzung diesbezüglich).

Daraus errechnete das Gericht mit "wertender Betrachtung" ein Kürzungsbetrag von rund € 116.000,00.

 Wichtig für Praktiker ist, dass offensichtlich die nicht rechtzeitige Übermittlung einer Stehlgutliste an die Polizei ein Kürzungsrecht des Versicherers verursacht von 4/10. Bei dem nicht Anbringen besonderer einbruchshemmender und vereinbarter Sicherungen ist ein Kürzungsrecht von 6/10 anzunehmen.

Im Ergebnis ein nachvollziehbares Urteil.

Goltzsch, Fachanwalt für Versicherungsrecht