Freispruch im Disziplinarverfahren! Verwaltungsgericht Stade löst sich von Feststellungen eines Strafurteils

Disziplinarrecht
23.07.20092232 Mal gelesen
Nach fast 8-stündiger Verhandlung sprach das Verwaltungsgericht Stade am 24.09.2008 unsere Mandantin von dem Vorwurf einer im Dienst begangenen Untreue frei und wies eine auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis gerichtete Disziplinarklage ab.

Dieses Ergebnis konnte in erster Linie deshalb erreicht werden, weil das Gericht bereit war, sich von der Bindung an ein Strafurteil zu lösen und den Sachverhalt neu zu prüfen.

Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde: Im Rahmen ihrer dienstlichen Verantwortung hatte die Beamtin u.a. Beurkundungen vorzunehmen. Aufgrund überdurchschnittlich hoher Arbeitsbelastung, verbunden mit einer durch Schicksalsschläge ausgelösten Lebenskrise kam es 2002 zu Fehlern, indem sie mehrfach versäumte, Beurkundungsgebühren zu vereinnahmen oder entrichtete Gebühren nicht ordnungsgemäß verbuchte. Als man ein Kassenloch von etwa 700,00 EUR entdeckte wurde sie sofort vom Dienst suspendiert, ein Drittel ihrer Bezüge vorläufig einbehalten. Die Staatsanwaltschaft erhob Anklage. Das Amtsgericht erließ einen Strafbefehl. Dagegen erhob sie Einspruch. In der darauf folgenden mündlichen Verhandlung schwieg sie jedoch aus Angst vor der anwesenden Presse. Das Gericht verurteilte Sie zu einer Geldstrafe und hielt ihr trotz ihres Schweigens ein "umfassendes Geständnis" zugute. Das Urteil wurde rechtskräftig.

Nun folgte das Disziplinarverfahren. Klares Ziel: Entfernung aus dem Beamtenverhältnis. Dies hätte den Verlust aller Ansprüche auf Besoldung und Versorgung bedeutet. Vorsorglich argumentierten wir, dass es im Strafverfahren kein "echtes" Geständnis gegeben hatte. Außerdem konnten wir der Behörde eine Fülle formaler Fehler in der Verfahrensführung nachgeweisen. Aufgrund dieser Formfehler stellte das Verwaltungsgericht das Verfahren durch Urteil vom 30.03.2006 (9 A 1603/05) ein. Der Dienstherr erhob eine zweites mal Klage. Nun bestand die Gefahr, dass das Verwaltungsgericht das "Geständnis" im Strafverfahren ohne eigene Prüfung übernimmt. Das Gesetz bestimmt jedoch, dass das Gericht offenkundig unrichtige Feststellungen erneut prüfen kann. (§ 52 NDiszG). Davon machte das Verwaltungsgericht Gebrauch. Der Sachverhalt musste neu aufgerollt werden. Aber auch die erneute Klageschrift litt unter schweren Mängeln. Dem Dienstherren gelang es nicht, die maßgeblichen Tatsachen und Beweismittel geordnet darzustellen. Auch die Zeugenvernehmung ergab kein klares Bild. Letztlich wies das Gericht die Klage nach 8-stündiger Verhandlung ab und sprach unsere Mandantin frei.

Verwaltungsgericht Stade, Urteil vom 24.09.2008, 9 A 18/07

Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht hat diese Entscheidung durch Urteil vom 29.03.2011 geändert und gegen die Beamtin eine Gehaltskürzung von einem Zehntel für die Dauer von zwei Jahren verhängt:

Disziplinarverfahren - Kürzung der Dienstbezüge um ein zehntel für die Dauer von zwei Jahren

Damit ist das Verfahren nach mehr als achtjähriger Dauer abgeschlossen.

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