Verlängerte Mängelhaftung des Bauunternehmers wegen Organisationsverschuldens

Verlängerte Mängelhaftung des Bauunternehmers wegen Organisationsverschuldens
27.02.20152128 Mal gelesen
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt unter dem Gesichtspunkt des so genannten arglistgleichen Organisationsverschuldens eine verlängerte Mängelhaftung von Bauunternehmern in Betracht. Dieser Beitrag befasst sich mit den Voraussetzungen einer solchen verlängerten Haftung.

I. Die Grundsatzentscheidung des BGH

Mit seiner Grundsatzentscheidung in dem berühmt gewordenen Pfetten-Fall aus dem Jahre 1992 hat der Bundesgerichtshof einen Präzedenzfall dafür geschaffen, Bauunternehmer auch noch nach Ablauf der Verjährungsfrist für Mängelansprüche in Anspruch zu nehmen, wenn der Unternehmer die Überwachung und Überprüfung seiner Leistungen bewusst nicht oder nicht hinreichend organisiert hat und dadurch Mängel verdeckt geblieben sind, die bei ordnungsgemäßer Organisation spätestens bei der Abnahme entdeckt worden wären (BGH, Urteil vom 12.03.1992 - VII ZR 5/91, BauR 1992, 500). In der Baupraxis ist seither (rechtlich nicht ganz zutreffend) der Begriff des so genannten "verdeckten Mangels", der zu einer verlängerten Haftung führe, üblich.

Intention des Bundesgerichtshofes war es seinerzeit zu verhindern, dass sich der Unternehmer seiner Offenbarungspflicht hinsichtlich bekannter Mängel dadurch entledigt, dass er durch den Einsatz von Subunternehmern die Möglichkeit der Kenntnisnahme von Mängeln auf Dritte verlagert, sodass ihm selbst keine Arglist vorgeworfen werden kann. Mit anderen Worten: Wer sich bewusst unwissend hält, soll nicht anders behandelt werden, als wenn er selbst Kenntnis von Mängeln des Werks gehabt hätte. In beiden Fällen soll der Bauunternehmer sich nicht auf den Eintritt der vereinbarten bzw. gesetzlichen Verjährungsfrist für Mängelansprüche beim Werkvertrag berufen können, sondern darüberhinaus länger haften.

II. Auswirkungen der Rechtsprechung in der Praxis

Diese Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes aus 1992 hat wie kaum eine andere Entscheidung in den vergangenen Jahrzehnten "Karriere" gemacht. Nachdem die Büchse der Pandora hiermit einmal geöffnet wurde, entwichen ihr seither zahllose Bauprozesse, die sich um die Frage drehen, ob, nachdem die Verjährungsfrist für Mängelansprüche bereits abgelaufen ist, dem Unternehmer möglicherweise ein Organisationsverschulden vorzuwerfen ist und hiermit eine längere Mängelhaftung begründet werden kann. Allzu oft gerät dabei aus dem Blick, dass die Rechtsprechung zum Organisationsverschulden nur auf Ausnahmefälle Anwendung finden kann. Ein Großteil dieser Prozesse dieser Art endet für den klagenden Auftraggeber unerfreulich.

In meiner eigenen Praxis durfte ich mehrfach Bauunternehmen bei der Verteidigung gegen entsprechende Klagen vertreten. Ein - aus Sicht des Bauherrn - trauriges Beispiel war etwa der Fall, in welchem nach acht Jahren erstmals beanstandet wurde, dass bei einer Fassadenverglasung die Pfosten-Riegel-Konstruktion aus Holz Fäulniserscheinungen aufwies. Es stellte sich im Verfahren heraus, dass der Bauherr bis zu diesem Zeitpunkt trotz entsprechender Empfehlungen des Fassadenbauers keinerlei Wartungsmaßnahmen an der Fassade veranlasst hatte. In einem anderen Fall wollte der Auftraggeber ein Organisationsverschulden des Bauunternehmers darauf stützen, dass dieser angeblich Bauleiter eingesetzt habe, die für das betreffende Bauvorhaben nicht hinreichend kompetent gewesen seien (obschon es sich um langjährige Mitarbeiter mit Erfahrungen aus zahlreichen Bauprojekten handelte).

Beispiele wie diese zeigen, dass die Rechtsprechung zum Organisationsverschulden allzu oft von Bauherrenseite als Rettungsanker missverstanden wird, wenn nach eingetretener Verjährung der Mängelansprüche doch noch so genannte Mängel auftreten - wenngleich es sich häufig nicht um Mängel im Rechtssinne, sondern beispielsweise um Verschleiß handeln wird. Ob der Bauherr sich hiermit einen Gefallen tut, erscheint fraglich, da entsprechende Klagen oftmals kostenpflichtig abgewiesen werden und der Bauherr noch über Jahre hinweg während des laufenden Gerichtsverfahrens mit dem "mangelhaften" Zustand seiner Immobilie leben muss. Auch für Bauunternehmer, die mit derartigen Klagen überzogen werden, ist diese Situation alles andere als erfreulich. Regelmäßig stehen zwecks Begründung eines "arglistgleichen" Verhaltens gravierende Vorwürfe im Raum, gegen die sich der Bauunternehmer verteidigen muss. Die entsprechenden Unterlagen sind, wenn überhaupt noch beim Unternehmer vorhanden, seit Jahren archiviert. Die maßgeblichen Mitarbeiter, die seinerzeit die Baustelle betreut hatten, sind oftmals gar nicht mehr greifbar. Die Bereitschaft der Parteien zur gütlichen Einigung ist vor diesem Hintergrund regelmäßig nicht sehr ausgeprägt. Dementsprechend erbittert werden die Auseinandersetzungen geführt.

III. Die neuere Rechtsprechung des BGH

Der BGH hat diese nicht beabsichtigten Folgen seiner Rechtsprechung erkannt und in späteren Entscheidungen versucht, die Büchse der Pandora wieder zu schließen. Mehrfach hat der BGH darauf hingewiesen, dass die verlängerte Haftung wegen arglistgleichen Organisationsverschuldens Ausnahmefällen vorbehalten bleiben muss. Im Urteil vom 11.10.2007 (VII ZR 99/06, BauR 2008, 87) hat der BGH deutlich gemacht, dass er mit seiner Rechtsprechung lediglich Lücken im Bereich der Verjährung bei Arglist schließen wollte, weshalb das Organisationsverschulden nur dann dem arglistigen Verschweigen von Mängeln gleichzusetzen ist, wenn durch die gewählte Organisation die Vorwerfbarkeit von Arglist gerade verhindert werden sollte (ebenso BGH, Urteil vom 22.07.2010 - VII ZR 77/08, BauR 2010,1959). Mit Urteil vom 27.11.2008 (VII ZR 206/06, BauR 2009, 515) hat der BGH erneut betont, dass die Gleichstellung der Verjährung bei Organisationsverschulden mit der Verjährung bei arglistigem Verschweigen eines Mangels nur dann gerechtfertigt ist, wenn die Verletzung der Organisationsobliegenheit ein dem arglisten Verschweigen vergleichbares Gewicht hat. Insbesondere lässt nach dieser Entscheidung die Schwere eines Baumangels nicht den Rückschluss auf ein derart schweres Organisationsverschulden zu; so entschied zuletzt auch das OLG Dresden mit Urteil vom 12.12.2013 (10 U 1954/12). Ein bis dahin häufig anzutreffendes Missverständnis wurde hiermit ausgeräumt.

IV. Lösungsansatz

Die zitierten Entscheidungen machen deutlich, dass eine verlängerte Haftung wegen Organisationsverschuldens nur dann gerechtfertigt ist, wenn sie in ihrem Unwertgehalt einem arglistigem Handeln des Bauunternehmers gleichsteht. Hierfür kann nicht auf objektive Kriterien wie die Schwere des jeweiligen Beanstandungssachverhalts ("Mangels") abgestellt werden. Besser für die Abgrenzung geeignet erscheinen daher subjektive Kriterien, die an die Einstellung des Unternehmers anknüpfen. Vergleichbar mit arglistigem Verhalten ist meines Erachtens nur ein - in Bezug auf das mögliche Entstehen von Baumängeln - vorsätzliches Handeln des Bauunternehmers. Dabei wird der direkte Vorsatz, also Fälle, in denen der Baumangel als notwendige Folge eines bestimmten Verhaltens vorausgesehen und gewollt ist, kaum jemals anzunehmen sein; zudem wären solche Fälle wohl unmittelbar der Arglisthaftung zuzuordnen. Es verbleiben dann als Hauptanwendungsbereich des Organisationsverschuldens Fälle, in denen der Bauunternehmer mit bedingtem Vorsatz gehandelt hat, also seinen Betrieb in einer Weise organisiert hat, bei der er sich das Entstehen von Baumängeln als möglich vorgestellt und deren Eintritt billigend in Kauf genommen hat. Hingegen erscheinen bereits Fälle der bewussten Fahrlässigkeit, also wenn dem Unternehmer eine mögliche Entstehung von Baumängeln bewusst war, er diese aber nicht erwartet hätte, nicht geeignet, auf der Rechtsfolgenseite dem arglistigen Handeln gleichgestellt zu werden. Dies gilt umso mehr für die in der Mehrzahl der Fälle allenfalls anzunehmende Fahrlässigkeit: Sorgfaltswidrigkeit, sei sie im Einzelfall auch besonders gravierend, ist nicht der Arglist gleichzusetzen; sie kann daher auch auf der Rechtsfolgenseite nicht gleich behandelt werden.

Eine Klärung, dass nur vorsätzliches Handeln des Unternehmers eine verlängerte Haftung wegen arglistgleichen Organisationsverschuldens rechtfertigt, kann nur im Rahmen der höchstrichterlichen Rechtsprechung erfolgen. Dies wäre jedenfalls wünschenswert, zumal sodann die Erfolgsaussichten einer Klage wegen arglistgleichen Organisationsverschuldens sicherer als bisher zu prognostizieren wären. Der Auftraggeber könnte sich vor Klageerhebung die Frage stellen, ob es ihm voraussichtlich gelingen wird, vorsätzliches Handeln des Unternehmers zu beweisen. Viele Prozesse würden sich damit vermutlich von vornherein erledigen. In der griechischen Mythologie wurde die Büchse der Pandora ein zweites Mal geöffnet und damit die Hoffnung in die Welt entlassen...

RA Dr. Andreas Schmidt, Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht

SMNG Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Köln

E-Mail: a.schmidt@smng.de