EU – Führerscheine aus Polen / Tschechien doch rechtmäßig? BVerfG äußert aktuell Zweifel an 3. EU-Führerscheinrichtlinie vom 19.01.2009

Autounfall Verkehrsunfall
19.03.20121271 Mal gelesen
Es hätten für das OLG keine tatsächlichen oder rechtlichen Anhaltspunkte dafür bestanden, dass die Auslegung der 3. Führerscheinrichtlinie mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs übereinstimmt!

Das Bundesverfassungsgericht hat am 22.09.2011 beschlossen, dass durch das OLG Nürnberg gegen das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 101 I S.2 GG verstoßen wurde, indem man im Rahmen eines Prozesses zum Fahren ohne Fahrerlaubnis mit tschechischem EU-Führerschein den Betroffenen seinem gesetzlichen Richter entzog, obwohl begründete Zweifel daran bestehen, ob die 3. EU-Führerscheinrichtlinie (gültig seit 19.01.2009) mit dem Unionsrecht vereinbar ist.

Verschiedene Verwaltungs- und Oberverwaltungsgerichte haben zudem bereits § 28 Abs. 4 FeV als unionsrechtswidrig bezeichnet und nicht angewendet, § 28 Abs. 4 FeV unionsrechtskonform ausgelegt oder dem Europäischen Gerichtshof Fragen zur Auslegung der 3. Führerscheinrichtlinie vorgelegt (vgl. OVG Saarlouis, Beschluss vom 16. Juni 2010). Es sei auch davon auszugehen, dass der Europäische Gerichtshof Art. 11 Abs. 4 UAbs. 2 der 3. Führerscheinrichtlinie ebenso wie Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439/EWG des Rates vom 29. Juli 1991 über den Führerschein (2. Führerscheinrichtlinie - ABl L 237/1) eng auslegen werde und auch nach Inkrafttreten der 3. Führerscheinrichtlinie allein ein Wohnsitzverstoß es rechtfertige, die Anerkennung einer gültigen EU-Fahrerlaubnis abzulehnen. Ein solcher Wohnsitzverstoß ist aber von der Behörde nachzuweisen, sofern sie diesen behauptet!

Vorliegend wurde der Beschuldigte zunächst durch das AG Erlangen wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in zwei Fällen zu einer Gesamtstrafe von fünf Monaten und einer erneuten isolierten Sperre verurteilt, nachdem schon im Jahre 2007 eine isolierte Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis von neun Monaten verhängt wurde und er nach Ablauf und vor Tilgung der Sperre eine neue Fahrerlaubnis in Tschechien erwarb. Dagegen legte der Beschwerdeführer Berufung und Revision ein, welche aber als unbegründet verworfen wurde. Zur Begründung führte das OLG Nürnberg aus, dass § 28 IV S.1  Nr. 3 in Verbindung mit Satz 3 FeV der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr das Recht versage von einer ausländischen Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen, wenn eine isolierte Sperre für die Erteilung der Fahrerlaubnis im Inland verhängt worden sei. Der Beschwerdeführer trug nun vor, dass das OLG Nürnberg seinen Beurteilungsspielraum für eine Vorlage an den EuGH nach § 267 III AEUV in vertretbarer Weise überschritten hätte und er deshalb in seinen Grundrechten verletzt worden sei.

Das Bundesverfassungsgericht entschied daraufhin, dass dem Beschwerdeführer sein gesetzlicher Richter entzogen wurde. Hierzu erläuterte es, dass dies dann zu bejahen sei, wenn ein deutsches Gericht es unterlassen hat ein Vorabentscheidungsersuchen an den Europäischen Gerichtshof zu richten, obwohl es unionsrechtlich dazu verpflichtet ist. Zu bedenken gibt es aber, dass nicht jede Verletzung des § 276 III AEUV zu einem Verstoß von Art. 101 II S. 2 GG führen könne. Ein Verstoß sei jedenfalls dann zu verneinen, wenn bei Fällen der Unvollständigkeit der Rechtsprechung zu entscheidungserheblichen Fragen das zuständige Gericht die entscheidungserhebliche Frage in vertretbarer Weise beantwortet hat.

Die Frage, welche sich im vorliegenden Fall ergab, nämlich, ob die Auslegung von § 28 IV S. 1 Nr. 3 in Verbindung mit Satz 3 FeV mit Unionsrecht zu vereinbaren ist, war entscheidungserheblich. Die Beantwortung dieser Frage würde nämlich darüber entscheiden, ob sich der Beschwerdeführer tatsächlich strafbar gemacht hatte oder nicht. Hierzu lag jedoch keine Rechtsprechung des EuGH zur Auslegung der 3. Führerscheinrichtlinie vor. Daher hätte das OLG durch Vorabentscheidung um einen Auslegungshilfe bitten müssen. Regelmäßig ist nämlich davon auszugehen, dass Mitgliedsstaaten nicht berechtigt sind, die Beachtung der aufgestellten Ausstellungsvoraussetzungen in einem anderen Mitgliedstaat, zu ausgestellten Führerscheinen, nachzuprüfen! Auch die Tatsache, dass der Fahrzeugführer im Mitgliedstaat wegen Drogen- oder Alkoholkonsum belangt wurde und auf die MPU verzichtete, ändert hieran nichts. Wenn die Behörden eines Mitgliedstaats einen Führerschein ausgestellt haben, sind die anderen Mitgliedstaaten somit nicht befugt, die Beachtung der in dieser Richtlinie aufgestellten Ausstellungsvoraussetzungen nachzuprüfen. Der Besitz eines von einem Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins ist nämlich als Beleg dafür anzusehen, dass der Inhaber dieses Führerscheins am Tag der Erteilung des Führerscheins diese Voraussetzungen erfüllt hat.

 § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 in Verbindung mit Satz 3 FeV führe auch zu einer Ungleichbehandlung zwischen Kraftfahrern, die einen neuen ausländischen EU-Führerschein aus Polen oder Tschechien etc., und solchen, die eine neue deutsche Fahrerlaubnis erworben haben. Selbst wenn diese Bestimmung dahin ausgelegt werden könnte, dass sie mit der 3. Führerscheinrichtlinie vereinbar wäre, so würde sie wohl - entgegen der Auffassung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs - gegen höherrangiges primäres Unionsrecht, nämlich das Diskriminierungsverbot verstoßen.

Folgerichtig verwies das Bundesverfassungsgericht die Sache zur erneuten Entscheidung zurück an das OLG Nürnberg.

Hinweis:
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Der Autor Sven Skana ist Fachanwalt für Verkehrsrecht, Spezialist für Verkehrs-Unfallrecht sowie Spezialist für Führerscheinangelegenheiten im Betäubungsmittelrecht. Er ist Partner in der Kanzlei Johlige, Skana & Partner in Berlin-Charlottenburg, Kurfürstendamm 173, 10 707 Berlin, Tel: 030/886 81 505.