Rechtswörterbuch

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Gesamtstrafe

 Normen 

§§ 53 ff. StGB

§ 31 JGG

 Information 

1. Allgemein

Hat ein Straftäter durch eine Tat mehrere Straftatbestände verwirklicht, die gleichzeitig abgeurteilt werden, und dadurch mehrere Freiheitsstrafen oder Geldstrafen verwirkt, erkennt das Strafgericht auf eine Gesamtstrafe.

Von der Gesamtstrafenbildung abzugrenzen ist die Möglichkeit, bei der Strafzumessung bisher nicht abgeurteilte Straftaten des Angeklagten zu berücksichtigen. Voraussetzung ist jedoch dass diese Taten prozessordnungsgemäß und so bestimmt festgestellt sind, dass sie in ihrem wesentlichen Unrechtsgehalt abzuschätzen sind und eine unzulässige Berücksichtigung des bloßen Verdachts weiterer Straftaten ausgeschlossen werden kann (BGH 07.08.2014 - 3 StR 438/13).

2. Bildung der Gesamtstrafe

Die Gesamtstrafe wird gebildet durch die Erhöhung der durch eine Tat verwirkten höchsten Einzelstrafe. Dabei bestehen vom Gesetz in § 54 StGB vorgegebene folgende Grundsätze:

  • Es ist die höchste verwirkte Strafe zu erhöhen. Dabei muss die Einzelstrafe um mindestens eine Strafeinheit erhöht werden.

    Beispiel:

    Freiheitsstrafen von unter einem Jahr sind um mindestens eine Woche zu erhöhen, Freiheitsstrafen über einem Jahr um mindestens einen Monat.

  • Bei Strafen verschiedener Art ist die nach ihrer Art schwerste Strafe zu erhöhen, d.h. bei dem Zusammentreffen von Geldstrafe und Freiheitsstrafe ist grundsätzlich die Freiheitsstrafe zu erhöhen.

  • Handelt es sich bei der höchsten Einzelstrafe um eine lebenslange Freiheitsstrafe, so ist als Gesamtstrafe auf eine lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen.

  • Die Gesamtstrafe darf die Summe der Einzelstrafen nicht erreichen und bei Freiheitsstrafen 15 Jahre nicht überschreiten.

Bei der Gesamtstrafenbildung sind die Persönlichkeit des Täters und die Arten der einzelnen Straftaten (verletzte Rechtsgüter, Begehungsweise, Schuldvorwurf) gesondert zu würdigen. Besteht zwischen den Taten ein zeitlicher oder sachlicher Zusammenhang, so ist dies aufgrund des Absinkens der Hemmschwelle im Rahmen der Strafzumessung grundsätzlich strafmildernd zu berücksichtigen. Das Gesamtmaß der Strafe muss immer schuldangemessen sein.

3. Nachträgliche Bildung einer Gesamtstrafe

Daneben kann die Gesamtstrafe auch nachträglich gebildet werden.

Grundgedanke der nachträglichen Gesamtstrafenbildung ist, dass Taten, die bei gemeinsamer Aburteilung nach §§ 53, 54 StGB behandelt worden wären, auch bei getrennter Aburteilung dieselbe Behandlung erfahren sollen, sodass der Täter im Endergebnis weder besser noch schlechter gestellt ist, als wenn alle Taten in dem zuerst durchgeführten Verfahren abgeurteilt worden wären.

Scheitert eine an sich mögliche nachträgliche Gesamtstrafenbildung daran, dass die zunächst erkannte Strafe bereits vollstreckt, verjährt oder erlassen ist, so ist die darin liegende Härte nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bei der Bemessung der nunmehr zu verhängenden Strafe auszugleichen (Härteausgleich). Die Gerichte sind allerdings an die Gesetze gebunden; sie haben auch beim Härteausgleich die durch das StGB vorgegebenen Grenzen der Strafenfindung zu beachten (BGH 20.01.2010 - 2 StR 403/09).

Voraussetzungen der nachträglichen Gesamtstrafenbildung sind gemäß § 55 StGB, dass

  • die frühere Verurteilung weder bereits vollstreckt noch verjährt oder erlassen ist

    und

  • der Angeklagte nunmehr wegen einer Straftat verurteilt wird, die er vor der früheren Verurteilung begangen hat.

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Entscheidung der früheren Verurteilung ist die Verkündung des letzten Urteils, nicht der Beginn der Rechtskraft. Die nachträgliche Gesamtstrafenbildung ist bei Vorliegen der Voraussetzungen auch möglich, wenn bereits in der früheren Verurteilung eine Gesamtstrafe gebildet wurde. Diese ist dann aufzulösen.

Der Angeklagte soll durch die nachträgliche Bildung der Gesamtstrafe weder besser noch schlechter gestellt werden. Der die nachträgliche Gesamtstrafe bildende Richter muss so entscheiden, als hätten in dem Vorverfahren alle Taten zur Aburteilung vorgelegen.

Der nachträglichen Gesamtstrafenbildung steht eine frühere Verurteilung einer Freiheitsstrafe zur Bewährung mit der Folge des Verlusts der Bewährung bei der Bildung der Gesamtstrafe nicht entgegen.

4. Anforderungen an die Urteilsbegründung

Das Gericht muss Feststellungen zum Vollstreckungsstand der an sich gesamtstrafenfähigen, der Höhe nach nicht bezifferten Geldstrafen treffen. Den Urteilsgründen muss entnommen werden können, ob eine Einbeziehung in eine Gesamtfreiheitsstrafe noch möglich oder im Vollstreckungsfall die Gewährung eines Härteausgleichs erforderlich ist (BGH 24.01.2017 - 5 StR 601/16).

 Siehe auch 

Freiheitsstrafe

Geldstrafe

Sicherungsverwahrung

Strafen

BGH 28.10.2004 - 5 StR 430/04 (Keine Gesamtstrafe bei zwischen zwei Verurteilungen liegender Tat)

Deckenbrock/Dötsch: Nachträgliche Gesamtstrafenbildung unter Einbeziehung einer Verwarnung mit Strafvorbehalt; Neue Zeitschrift für Strafrecht - NStZ 2003,346

Detter: Einführung in die Praxis des Strafzumessungsrechts; 1. Auflage 2009

Detter: Rechtsprechungsübersicht: Zum Strafzumessungsrecht; Neue Zeitschrift für Strafrecht - NStZ 2014, 441

Hellebrand: Rückgängigmachen einer Gesamtstrafenbildung mittels Wiederaufnahme des Verfahrens; Neue Zeitschrift für Strafrecht - NStZ 2004, 64

Nestler: Die nachträgliche Bildung einer Gesamtstrafe; Juristische Arbeitsblätter - JA 2011, 248

Schott: Wahl der Strafart und Gesamtstrafenbildung - ungenutztes Potential der Strafmaßrevision? Der Strafverteidiger - StV 2003, 587