Arzthaftungsrecht: Der BGH zwingt Chefärzte, sich an die Zusagen in den Wahlleistungsvereinbarungen zu halten

Arzthaftung Behandlungsfehler
07.08.2017238 Mal gelesen
Bei einer Wahlleistungsvereinbarung muss der Wahlarzt - und sei es auch der Chefarzt persönlich - selbst operieren. Der BGH findet in seinem Urteil vom 19. Juli 2016 (VI ZR 75/15) bemerkenswert klare Worte für den Chefarzt vertretende Operateure bei sogenannter Wahlleistungsvereinbarung

Was sind "Wahlleistungsvereinbarungen"?

Sogenannte Wahlleistungen meinen nicht medizinisch notwendige Leistungen, die über den Umfang der allgemeinen Krankenhausleistungen hinausgehen und die der Patient freiwillig wählen kann. Hierzu zählen etwa spezielle medizinische Leistungen, Leistungen, die mit der Unterbringung im Krankenhaus zusammenhängen, oder aber - wie im hiesigen Fall - eine Behandlung durch bestimmte Ärzte.

Der Fall: Operation durch Oberarzt anstatt durch Chefarzt

In dem vom Bundesgerichtshof (BGH) entschiedenen Fall hatte der Kläger mit dem beklagten Krankenhaus eine solche Wahlleistungsvereinbarung getroffen, die eine Chefarztbehandlung vorsah. Gleichwohl wurde die linke Hand des Klägers nicht vom Chefarzt, sondern vom Oberarzt operiert. Postoperativ stellen sich bei dem Kläger erhebliche gesundheitliche Beeinträchtigungen an der operierten Hand ein, woraufhin er den Oberarzt, den Chefarzt und das Krankenhaus unter anderem auf Schmerzensgeld gerichtlich in Anspruch nahm.

Bundesgerichtshof: Rechtswidriger Eingriff

Die Gerichte erster und zweier Instanz wiesen die Klage zunächst ab. Der BGH beurteilte die Rechtslage jedoch anders. Der Zurechnungszusammenhang zwischen der Operation und den Beschwerden entfalle nicht - wie von den Beklagten vorgetragen - aufgrund des Einwandes des rechtmäßigen Alternativverhaltens, also des Einwandes, dass der Schaden auch bei einer Vornahme des Eingriffs durch einen anderen Operateur entstanden wäre. Für einen solchen Einwand sei hier kein Raum, weil dies dem Schutzzweck des Einwilligungserfordernisses bei ärztlichen Eingriffen widerspreche.

Verstoß gegen die Menschenwürde

Das Erfordernis der Einwilligung in eine Heilbehandlung werde aus dem (Grund-) Recht auf körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung als Ausfluss des Rechts auf Menschenwürde hergeleitet. Die Einwilligung bewirke in dem durch sie gezogenen Rahmen einen Verzicht auf den absoluten Schutz des Körpers vor Verletzungen, die mit einem operativen Eingriff verbunden sind, und führe zu einem Aufsichnehmen von Risiken, die mit der Behandlung einhergingen. Erkläre der Patient in Ausübung seiner Grundrechte, er wolle sich nur von einem bestimmten Arzt operieren lassen, dürfe ein anderer Arzt den Eingriff nicht vornehmen. Nur so könne das Vertrauen, das der Patient in die Verhaltenspflichten des Arztes gesetzt habe, wirksam geschützt werden.

Haftung auch bei sorgfaltsgemäß durchgeführten Operationen

Schließe der Patient eine Wahlleistungsvereinbarung im Vertrauen auf die besonderen Erfahrungen und die Kompetenz des von ihm ausgewählten Arztes, die er sich in Sorge um seine Gesundheit gegen Entrichtung eines zusätzlichen Honorars für die Heilbehandlung sichern wolle, dann müsse der Wahlarzt die seine Disziplin prägende Kernleistung - insbesondere eine geschuldete Operation - persönlich und eigenhändig erbringen. Könne der Eingriff nicht von dem Wahlarzt durchgeführt werden, müsse der Patient hierüber rechtzeitig aufgeklärt werden. In der Konsequenz bedeutet dies, dass im Falle eines Verstoßes gegen eine Wahlleistungsvereinbarung eine Haftung auch dann bestehen kann, wenn die Operation nachweislich de lege artis - nach den Regeln der ärztlichen Kunst - durchgeführt wurde. Insoweit werden mit dem Urteil des BGH die Rechte von Patienten weiter erheblich gestärkt.