Gewerkschaftliche Werbung rechtfertigt keine außerordentliche fristlose Kündigung

Gewerkschaftliche Werbung rechtfertigt keine außerordentliche fristlose Kündigung
19.06.2013302 Mal gelesen
Das verfassungsmäßige Recht auf gewerkschaftliche Werbung berechtigt nach Ansicht des Landesarbeitsgerichts München einen Arbeitnehmer nicht, andere Arbeitnehmer über den Inhalt eines für den Betrieb geltenden Manteltarifvertrags unter Inanspruchnahme betrieblicher Einrichtungen zu unterrichten.

Ein Arbeitnehmer arbeitet bei der einer der deutschen Tochtergesellschaften der T-Corporation, Florida (USA). Er forderte mit E-Mail vom 23.07.2009 seinen Arbeitgeber auf, allen Arbeitnehmern der deutschen Tochtergesellschaften der T. Corporation die Anwendbarkeit des Manteltarifvertrages für den Bayerischen Groß- und Außenhandel mitzuteilen und dies ihm gegenüber zu bestätigen. Nachdem sein Arbeitgeber daraufhin nicht reagierte, teilte er seinem Arbeitgeber mit einer weiteren E-Mail vom 6. August 2009  mit, dass er nunmehr die Arbeitnehmer der deutschen Tochtergesellschaften selbst von der Rechtslage unterrichten werde. Der Arbeitgeber erwiderte mit Schreiben vom 14. August 2009, er habe inzwischen die Arbeitnehmer über die Anwendbarkeit des Manteltarifvertrages für den Großhandel in Bayern informiert und ihnen diesen Tarifvertrag zugänglich gemacht. Er teilte ihm ferner mit, dass er nicht berechtigt sei, die Arbeitnehmer zu informieren. Der Arbeitnehmer versendet trotzdem E-Mails über die Anwendbarkeit des Tarifvertrages an seine Kollegen und ließ sich durch Abmahnungen nicht davon abhalten, dies forthin zu tun.

Der Arbeitgeber sprach sodann mit Schreiben vom 25. September 2009 gegenüber unserem Arbeitnehmer die außerordentliche fristlose Kündigung, hilfsweise die ordentliche verhaltensbedingte Kündigung zum 31.12.2009 aus.

Unser Arbeitnehmer legte gegen beide Kündigungen Kündigungsschutzklage ein. (Die Kündigungsschutzklage gegen die ordentliche Kündigung ist Gegenstand eines anderen Verfahrens). Mit derselben Klage klagte unser Arbeitnehmer zugleich auf Feststellung, dass er berechtigt sei, die Mitarbeiter von der Anwendbarkeit des Manteltarifvertrages für den Großhandel in Bayern in Kenntnis zu setzen.

Das Arbeitsgericht gab der Kündigungsschutzklage statt und wies die Feststellungsklage ab.

Beide Parteien legten Berufung ein. Beide Berufungen wurden vom Landesarbeitsgericht München zurückgewiesen.

Die außerordentliche Kündigung sei mangels eines sie tragenden wichtigen Grundes unwirksam. Das Verhalten des Arbeitnehmers im Zusammenhang mit dem Versand der E-Mails sei schon "an sich" kein Grund der eine Kündigung rechtfertigen könnte. Schließlich sei  eine Rufschädigung des Arbeitgebers nach außen durch die E-Mail-Aktion des Arbeitnehmers nicht ersichtlich. Denn dieser habe für diese Aktion die dienstlichen E-Mail-Adressen der Mitarbeiter gewählt. Auch sei nicht vorgetragen worden, dass dienstliche E-Mail-Adressen nicht für private Mittei-lungen verwendet werden dürften.

Der Kündigungsschutzklage war somit stattzugeben.

Die Feststellungsklage konnte indes keinen Erfolg haben.

Der Arbeitnehmer hat kein Recht, die Beschäftigten des Arbeitgebers "auf jede Art und Weise" von der Anwendbarkeit und dem Inhalt des allgemeinverbindlichen Manteltarifvertrages für die Arbeitnehmer in den Bayerischen Betrieben des Groß- und Außenhandels in Kenntnis zu setzen.

Der Arbeitnehmer hat nämlich beantragt, die Beschäftigten "auf jede Art und Weise" - insbesondere durch Brief, Fax, Flugblatt, Mailnachricht, persönliches Gespräch sowie telefonische Mitteilung - von der Anwendbarkeit und dem Inhalt des allgemeinverbindlichen Manteltarifvertrages für die Arbeitnehmer und in den Bayerischen Betrieben des Groß- und Außenhandels in Kenntnis zu setzen.

Dieses Begehren geht weit über das Maß desjenigen hinaus, was er im Hinblick auf das Grundrecht der Koalitionsfreiheit und das von diesem Grundrecht umfasste Recht auf Gewerkschaftswerbung beanspruchen könne. Der Antrag umfasst Gestaltungen, die vom Recht auf gewerkschaftliche Werbung und vom Recht auf entsprechende werbende Betätigung der Mitglieder von Gewerkschaften im Betrieb zweifelsohne nicht erfasst seien.

Dieser Antrag schieße über das Ziel hinaus; denn er lasse eine Dauerberieselung der Arbeitnehmer mit Informationen zu. Dies könne jedoch zu Beeinträchtigungen der Arbeitsabläufe und zu Konflikten innerhalb der Belegschaft führen, die zum Schutz der gewerkschaftlichen Betätigungsfreiheit des Arbeitnehmers nicht mehr geboten seien.

Die Klage musste daher insoweit abgewiesen werden.

(Quelle:  Landesarbeitsgericht München, Urteil vom 02.10.2010;  3 Sa 647/10

Vorinstanz: Arbeitsgericht München Urteil vom 15.04.2010; 36 Ca 18030/09)

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