Anlass zur Studie gaben die im Jahre 2010 versendeten Abmahnungen wegen unerlaubter Verwertung urheberrechtlich geschützter Werke in dezentralen Netzwerken (sog. Tauschbörsen). Schätzungen zufolge wurden allein im Jahre 2010 zwischen 500.000 und 1.000.000 Abmahnungen quer durch die Republik geschickt. Die damit geltend gemachten Rechtsanwalts- und Schadenersatzforderungen belaufen sich den Schätzungen zufolge auf ca. eine halbe Milliarde Euro. Oft werden für das Hochladen eines einzelnen Films bzw. eines einzelnen Musikalbums mit nicht mehr als 15 Titeln Beträge bis zu 1.300 EUR gefordert. Manchmal mehr.
Mit der Einführung des Paragraphen 97a Abs.2 UrhG Ende 2008 versuchte der Gesetzgeber dieser schon vor dem Jahre 2008 einsetzenden Entwicklung Einhalt zu gebieten. Nach nunmehr drei Jahren zeigt sich allerdings deutlich, dass die Gerichte die Norm bestenfalls vereinzelt für anwendbar halten. Der Grund liegt in der aus unserer Sicht mangelhaften Formulierung der Norm. Obwohl über Sinn und Unsinn dieser Norm bereits viel geschrieben wurde, soll hier noch einmal in aller Kürze dargelegt werden, warum § 97a Abs.2 UrhG bislang nicht zur der gewünschten Eindämmung astronomischer Abmahnkosten geführt hat. In § 97a Abs.2 UrhG heißt es wörtlich:
"Der Ersatz der erforderlichen Aufwendungen für die Inanspruchnahme anwaltlicher Dienstleistungen für die erstmalige Abmahnung beschränkt sich in einfach gelagerten Fällen mit einer nur unerheblichen Rechtsverletzung außerhalb des geschäftlichen Verkehrs auf 100 Euro."
Vorab muss klargestellt werden, dass sich § 97a Abs.2 UrhG lediglich auf die zu erstattenden Rechtsanwaltskosten bezieht. Nun werden aber mit den hier in Rede stehenden Abmahnungen nicht nur Erstattung der angeblich angefallenen Rechtsanwaltskosten, sondern zusätzlich auch noch pauschale Schadensersatzbeträge für die Rechteinhaber gefordert. Diese Schadensersatzpositionen sind nicht unerheblich. Die Kosten der Abmahnungen verdoppeln sich durch sie grob. § 97a Abs.2 UrhG vermag bestenfalls die Rechtsanwaltskosten einzudämmen. Über den parallel geforderten Schadensersatz sagt § 97a Abs. 2 UrhG nichts aus. Selbst wenn die Norm also im Stande gewesen wäre, die Rechtsanwaltskosten einzudämmen, wäre das nur die "halbe Miete" gewesen.
Die vergangenen drei Jahre haben nun gezeigt, dass die Norm leider nicht einmal die geforderten Rechtsanwaltskosten effektiv zu beschränken vermag.
Im Wortlaut erfordert die Norm eine "erstmalie Abmahnung". Was wenn ein Rechteinhaber wie Sony oder Getty Imagages (bei letzterem passiert das in der Tat schon real) nun zunächst selbst abmahnt, z.B. per Mail aus Irland? Betroffene werden hier nur selten mit einer Zahlung von vielen hundert Euro auf ein irländisches Konto reagieren. Wenn nun eine deutsche Kanzlei eingeschaltet wird und erneute abmahnt, ist das bereits die ZWEITE Abmahnung. § 97a Abs. UrhG ist jetzt schon nach dem Wortlaut nicht mehr anwendbar. Dieses Beispiel zeigt nur, dass - ohne das auf die weiteren Voraussetzungen der Norm noch ankäme - diese schrecklich leicht zu umgehen ist und allein deswegen verfehlt ist.
Weiter erfordert die Norm, dass es sich um "einfach gelagerte Fälle" handelt. Auch dem juristischen Laien ist klar, dass das auslegungsfähig und auslegungsbedürftig ist. Wann ein Fall einfach gelagert ist, wird nicht einheitlich beurteilt. Für Filesharing-Abmahnungen stellt sich hier das Problem, dass fast allen Abmahnungen ein Auskunftsverfahren gegen den jeweiligen Provider gem. § 101 UrhG vorausgeht. Der in § 101 UrhG normierte Auskunftsanspruch wird allerdings immer nur dann bejaht, wenn das Urheberecht in "gewerblichem Ausmaß" verletzt wird. Wenn das gewerbliche Ausmaß erst mal bejaht wurde, wird, -so die immer wieder lautende Argumentation der Abmahner - liegt aber kein "einfach gelagerten Fall" im Sinne des § 97a Abs.2 UrhG vor, so dass dieser auch deshalb in Filesharing-Fällen nicht anwendbar sei. Obwohl diese Argumentation schlicht falsch ist, wird sie nicht selten von Gerichten übernommen.
§ 97a Abs.2 UrhG fordert sodann weiter eine nur "unerhebliche Rechtsverletzung". Es ist genauso unklar, wenn eine Rechtsverletzung "unerheblich" ist, wie, wann ein Fall "einfach gelagert" (s.o.) ist. Der Gesetzgeber versucht von Anfang hier Klarheit reinzubringen, indem er beispielhaft Fälle nannte, in denen die Rechtsverletzung nur "unerheblich" sei. So soll die Rechtsverletzung jedenfalls dann unerheblich sein, wenn
- ein Stadtplanausschnitt der eigenen Wohnungsumgebung öffentlich zugänglich gemacht wird oder
- ein Liedtext (nicht das ganze Lied, nur der Liedtext) auf der privaten Homepage öffentlich zugänglich gemacht wird oder
- wenn ein fremdes Lichtbild im Rahmen einer PRIVATEN Internetversteigerung öffentlich zugänglich gemacht wird.
Diese nur beispielhafte Aufzählung hat in der Praxis dazu geführt, eine Rechtsverletzung meist nur dann für unerheblich zu bewerten, wenn es sich gerade um exakt eines dieser Beispiele handelt. Immerhin gibt aber Rechtsprechung, die - um wieder zum Filesharing zurück zu kommen - eine nur unerhebliche Rechtsverletzung auch dann bejaht, wenn ein einzelner Musiktitel (nicht ein ganzes Album, oder ein Sampler) hochgeladen wird - und auch dann bejahen die Gerichte die Frage der Erheblichkeit nicht einheitlich.
Der Gesetzeber hat mit § 97a Abs.2 UrhG zwar eine Regelung geschaffen, die vielleicht dazu dienen sollte, astronomische Forderungen im Bereich von Urheberrechtsverletzungen zu deckeln. In der Praxis hat die Norm so gut wie keine Auswirkung.
Insofern ist die nun erschienene Studie durchaus begrüßenswert.
Herr Kreuzer schlägt unter andrem vor, die für die Bemessung der Rechtsanwaltskosten zugrunde zu legenden Streitwerte auf 50.000 EUR zu deckeln. Einmal abgesehen von der Tatsache, dass derzeit so gut wie keine Abmahnung ausgesprochen wird, in der ein Streitwert jenseits der 50.000 EUR - Marke angesetzt wird und somit an der bestehenden faktischen Lage wirklich nichts verändert werden würde, muss klar sein, dass ein Streitwert von 50.000 EUR enorme finanzielle Risiken mit sich bringt. Wer beispielsweise eine modifizierte Unterlassungserklärung abgibt, die den abmahnenden Rechtsanwälten missfällt, weil eventuell weitere Abmahnungen dadurch verhindert werden könnten, läuft Gefahr gerichtlich auf Unterlassung in Anspruch genommen zu werden. Bei einem Streitwert von 50.000 EUR beträgt das Kostenrisiko allein der in der ersten Instanz 7.639,30 EUR, in der zweiten Instanz dann schon 16.481,14 EUR. Das sind Beträge, die Privatpersonen in die Insolvenz treiben können. Unserer Ansicht nach, ist mit einer Begrenzung des Streitwertes auf 50.000 EUR nichts gewonnen. Es würde sich genau wie durch die Einführung des § 97a Abs.2 UrhG nichts ändern.
Hier finden Sie das Gutachten des VZBV im Volltext.
Weitere Infomationen unter: www.recht-hat.de