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Interessenkollision

Normen

§ 43a Abs. 4 BRAO

§ 3 BORA

Information

1 Einführung

Mit der Annahme des Mandats verpflichtet sich der Rechtsanwalt, ausschließlich die Interessen des Mandanten zu vertreten. Diese Pflicht ist in § 43a Abs. 4 - 6 BRAO gesetzlich niedergelegt.

Die standesrechtlichen Vorgaben zur Vermeidung einer Interessenkollision (Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen) sind allgemein in § 3 BORA normiert:

2 Das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen

Die in § 43a Abs. 4 BRAO niedergelegten Grundsätze der Interessenkollision wurden zum 01.08.2022 detaillierter gesetzlich geregelt: Dabei bestehen jetz zwei Alternativen eines Tätigkeitsverbots:

  • Nummer 1 übernimmt im Wesentlichen unverändert den Wortlaut des § 3 Abs. BORA. Es bleibt daher verboten, dass ein Rechtsanwalt in derselben Rechtssache widerstreitende Interessen berät oder vertritt. Die Beurteilung, ob ein Interessenwiderstreit besteht, obliegt der verantwortlichen Einschätzung der betroffenen Rechtsanwälte, den Rechtsanwaltskammern und den Gerichten. Das Verbot setzt einen aktuell vorhandenen Interessenwiderstreit voraus. Bei der Beurteilung der Interessen muss die konkrete Einschätzung des betroffenen Mandanten besonders berücksichtigt werden.

  • Nach der neuen Nummer 2 ist es einem Rechtsanwalt untersagt, tätig zu werden, wenn er in Ausübung des Berufs bedeutsame vertrauliche Informationen im Rahmen eines Mandatsverhältnisses erlangt hat. Das Verbot soll nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 19/27670) solche Fälle erfassen, in denen ein Rechtsanwalt bei der anwaltlichen Tätigkeit in einem ersten Mandat vertrauliche Informationen aus diesem Mandat erlangt hat und diese Informationen für eine neue Rechtssache von Bedeutung sind und entgegen der Interessen des vorherigen Mandanten genutzt werden können. Die neue Regelung schützt daher nicht jegliche Information oder bloßes Branchenwissen, sondern vertrauliche Informationen, die der Rechtsanwalt im Rahmen eines Mandatsverhältnisses erhalten hat.

    Hierbei muss es sich um Informationen handeln, die für die Rechtssache von Bedeutung sind. Es reicht also nicht aus, dass der vorherige Mandant ihnen subjektiv Bedeutung zumisst. Von Bedeutung ist eine Information, wenn diese Einfluss auf die rechtliche Bewertung oder die erforderlichen rechtlichen Schritte hat. Beispiele hierfür sind, die Beratung eines Mannes bei einer Scheidung und die nachfolgende Beratung seiner neuen Verlobten beim Abschluss des Ehevertrags, die Beratung des Börsengangs eines Unternehmens und die nachfolgende Beratung der Käufer beim Erwerb dieses Unternehmens oder auch der Einblick in die Vermögensverhältnisse eines Mandanten, der für zeitlich nachfolgende Vergleichsverhandlungen auf der Seite eines anderen Mandanten von Vorteil ist.

Rechtsprechung:

Der BGH hat mit der Entscheidung BGH 23.04.2012 - AnwZ (Brfg) 35/11 die folgenden Grundsätze zur Beurteilung der Vertretung widerstreitender Interessen aufgestellt:

"Ob widerstreitende Interessen bestehen und vertreten werden, kann indessen nicht ohne Blick auf die konkreten Umstände des Falles beurteilt werden. Maßgeblich ist, ob der in den anzuwendenden Rechtsvorschriften typisierte Interessenkonflikt im konkreten Fall tatsächlich auftritt (...). Was den Interessen des Mandanten und damit zugleich der Rechtspflege dient, kann nicht ohne Rücksicht auf die konkrete Einschätzung der hiervon betroffenen Mandanten abstrakt und verbindlich von Rechtsanwaltskammern oder Gerichten festgelegt werden (...). Die Vorschrift des § 43a Abs. 4 BRAO schränkt (...) das Grundrecht der freien Berufsausübung der Rechtsanwälte nach Art. 12 GG ein. Ihre Auslegung hat sich daran zu orientieren, dass jeder Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit durch hinreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt sein muss und nicht weiter gehen darf, als die rechtfertigenden Gemeinwohlbelange es erfordern. Eingriffszweck und Eingriffsintensität müssen zudem in einem angemessenen Verhältnis stehen; denn die Gerichte sind, wenn sie Einschränkungen der grundsätzlich freien Berufsausübung für geboten erachten, an dieselben Maßstäbe gebunden, die nach Art. 12 GG den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers einschränken (...). Im Interesse der Rechtspflege sowie eindeutiger und gradliniger Rechtsbesorgung verlangt § 43a Abs. 4 BRAO lediglich, dass im konkreten Fall die Vertretung widerstreitender Interessen vermieden wird (...). Das Anknüpfen an einen möglichen, tatsächlich aber nicht bestehenden (latenten) Interessenkonflikt verstößt gegen das Übermaßverbot und ist verfassungsrechtlich unzulässig."

Die mit diesem Urteil getroffene Ausrichtung der Bewertung einer Interessenkollision auf die Vorstellungen und Wünsche der Mandanten wurde jedoch mit der Entscheidung BGH 16.01.2013 - IV ZB 32/12 wieder eingeschränkt.

Nach dem Urteil BVerfG 20.06.2006 - 1 BvR 594/06 verstößt das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen bei einer nicht erteilten Einwilligung des Mandanten für Rechtsanwälte in einer Sozietät nicht gegen Art. 12 GG.

Der BGH hat eine weitere Vorgabe zur Informationspflicht des Rechtsanwalts bei Vorliegen eines Interessenkonflikts aufgestellt: Wird eine Anwaltssozietät häufig von dem Gegner der Partei, die ihr ein neues Mandat anträgt, beauftragt, so muss sie auch dann auf diesen Umstand hinweisen, wenn ein tatsächlicher oder rechtlicher Zusammenhang mit den vom Gegner erteilten Aufträgen nicht besteht. Ist der Rechtsanwalt von Anfang an nicht bereit, den Mandanten auch gerichtlich gegenüber dem Gegner zu vertreten, so hat er dies ungefragt zu offenbaren (BGH 08.1.2007 - IX ZR 5/06).

Mit der Entscheidung BGH 10.01.2019 - IX ZR 89/18 hat der BGH folgende Grundsätze zu verschiedenen Möglichkeiten einer Interessenkollision aufgestellt:

  • "Ob ein Rechtsanwalt einen haftpflichtigen Versicherten in dessen Auftrag oder im Auftrag des Haftpflichtversicherers vertritt, hängt von den Umständen des Falles ab. Allein die Befugnis und die Verpflichtung des Versicherers, dem Versicherten durch Bestellung eines Rechtsanwalts Rechtsschutz zu gewähren, macht ihn nicht zum Vertragspartner des Rechtsanwalts."

  • "Ein Rechtsanwalt verstößt mit der Vertretung mehrerer Gesamtschuldner gegen das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen, wenn das Mandat nicht auf die Abwehr des Anspruchs im gemeinsamen Interesse der Gesamtschuldner beschränkt ist und nach den konkreten Umständen des Falles ein Interessenkonflikt tatsächlich auftritt."

  • "Ein Rechtsanwalt vertritt in der Regel widerstreitende Interessen, wenn er in dem zwischen dem Bauherrn und dem Bauunternehmer wegen eines Schadensfalls geführten selbständigen Beweisverfahren das unbeschränkte Mandat zur Vertretung mehrerer als Streithelfer beigetretener Sonderfachleute übernimmt, die teils mit der Planung, teils mit der Bauüberwachung beauftragt wurden."

3 Rechtsfolge

Ein Anwaltsvertrag, mit dessen Abschluss der Rechtsanwalt gegen das Verbot verstößt, widerstreitende Interessen zu vertreten, ist nichtig (BGH 12.05.2016 - IX ZR 241/14).

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