Rechtswörterbuch

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Parteiverrat

 Normen 

§ 356 StGB

 Information 

1. Allgemein

Strafrechtstatbestand für Rechtsanwälte und andere Rechtsbeistände.

Gemäß § 356 StGB wird es mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren bestraft, wenn

  • ein Rechtsanwalt oder ein anderer Rechtsbeistand,

  • in derselben Rechtssache

  • beiden Parteien durch Rat oder Beistand pflichtwidrig dient.

Der Straftatbestand des Parteiverrats ist das strafrechtliche Pendant zu den standesrechtlichen Vorschriften der Interessenkollision. Siehe zu den Inhalten insofern diesen Beitrag.

Der Parteiverrat wird gemäß § 356 Abs. 2 StGB als Verbrechen geahndet, wenn der Rechtsanwalt oder Rechtsbeistand im Einverständnis mit der Gegenpartei zum Nachteil seiner Partei handelt.

2. Andere Rechtsbeistände

Andere Rechtsbeistände können z.B. Justizbeamte sein.

Nach der Rechtsprechung wird hiervon der Insolvenzverwalter oder der Testamentsvollstrecker nicht erfasst.

3. Dieselbe Rechtssache

Rechtssache kann jede rechtliche Angelegenheit sein, die zwischen mehreren Beteiligten mit jedenfalls möglicherweise entgegenstehenden rechtlichen Interessen nach Rechtsgrundsätzen behandelt und erledigt werden soll.

Auch Strafsachen gehören zu den Rechtssachen, wenn an ihnen mehrere Personen mit widerstreitenden Interessen rechtlich beteiligt sind.

Dieselbe Rechtssache ist nicht nur gegeben, wenn es sich um ein und dasselbe Verfahren handelt; sie liegt vielmehr auch vor, wenn in Verfahren verschiedener Art und verschiedener Zielrichtung ein und derselbe Sachverhalt maßgeblicher Verfahrensgegenstand ist.

"Dieselbe Rechtssache" kann z.B. auch durch die Vertretung in einem Zivil- und Strafprozess begründet sein.

Nach einem Urteil des OLG Karlsruhe OLG Karlsruhe 19.09.2002 - 3 Ss 143/01 handelt der Rechtsanwalt, der zunächst aufgrund eines gemeinsamen Auftrags beide Eheleute über die Voraussetzungen und die Herbeiführung der von beiden Eheleuten übereinstimmend gewollten einverständlichen Scheidung und den sich daraus ergebenden Unterhaltsanspruch beraten hat sowie eine konkrete Unterhaltsberechnung durchgeführt hat, nicht pflichtwidrig im Sinne eines Parteiverrrats, wenn er später einen der Ehepartner vertritt und den Unterhaltsanspruch geltend macht.

4. Beide Parteien

Nach der Rechtsprechung sind unter den "beiden Parteien" nur Personen zu verstehen, die an derselben Rechtssache mit widerstreitenden Interessen rechtlicher Art beteiligt sind. Dass eine Person an einem bestimmten Verlauf einer Rechtssache ein rein tatsächliches Interesse hat, macht sie nicht zur "Partei".

Der BGH hat mit der Entscheidung BGH 25.06.2008 - 5 StR 109/07 seine bisherige Rechtsprechung aufgegeben, nach der zwischen den Teilnehmern an derselben strafbaren Handlung keine rechtlichen Beziehungen bestehen: Nunmehr wird die Auffassung vertreten, dass Beschuldigte in einer Strafsache, gegen die jeweils der Verdacht besteht, gemeinsam mit dem anderen Beschuldigten als Mittäter, Anstifter oder Gehilfe Teilnehmer derselben Straftat gewesen zu sein, Parteien im Sinne des § 356 StGB sein können.

5. Schwerer Parteiverrat

In § 356 Abs. 2 StGB ist der sogenannte schwere Parteiverrat geregelt: Dieser liegt vor, wenn ein Anwalt oder sonstiger Rechtsbeistand im Einverständnis mit der Gegenpartei zum Nachteil seiner Partei handelt.

Der BGH hat folgende Grundsätze zum Vorliegen eines schweren Parteiverrats erlassen (BGH 21.11.2018 - 4 StR 15/18):

"Schon nach dem Wortlaut des § 356 Abs. 2 StGB qualifiziert nicht jedes Handeln des Anwalts zum Nachteil seiner Partei den Verrat zum Verbrechen (...). Hinzutreten muss vielmehr das Einverständnis der Gegenpartei in sein schädigendes Handeln. Hierfür ist ein gemeinsames Schädigungsbewusstsein von Anwalt und Gegenpartei erforderlich (...). Als Teilelement des gemeinsamen Bewusstseins um die Schädigung der Partei muss das Einverständnis der Gegenpartei bereits zu dem Zeitpunkt vorliegen, zu dem der Anwalt pflichtwidrig dient. Erforderlich ist, dass die Tathandlung als solche vom Einverständnis der Gegenpartei getragen wird. Allein in der bloßen Hinnahme der im Laufe des gerichtlichen Erörterungstermins geäußerten Anregung durch den Vertreter der Beigeladenen liegt kein Einverständnis der Gegenpartei im Sinne des § 356 Abs. 2 StGB. In Fällen von für die Gegenpartei mit Wirkung nach außen entfalteten anwaltlichen Tätigkeiten hat der Bundesgerichtshof zwar entschieden, dass bei einer widerspruchslosen Annahme der auf Schädigung der anderen Partei gerichteten Beistandsleistung regelmäßig von einem Einverständnis der Gegenpartei auszugehen ist".

 Siehe auch 

Interessenkollision

Mediation

Rechtsanwaltsgerichtliches Verfahren

Rechtsanwaltskammer

Rechtsberatung

BAG 25.08.2004 - 7 ABR 60/03 (Vertretung des Betriebsrats und des betroffenen Betriebsratsmitglieds)

Gatzweiler/Schmülling: Die Problematik des Parteiverrats im familienrechtlichen Verfahren; Forum Familien- und Erbrecht - FF 2000, 131

Groß: Vermittlungsauftrag, Vorgespräch, Grenze zum Parteiverrat - Fragen des Berufsrechts in der familienrechtlichen Praxis; Familie - Partnerschaft -Recht - FPR 2000, 136

Grunewald: Das Problem der Vertetung widerstreitender Interessen und ihre Vermeidung; Anwaltsblatt - AnwBl 2005, 437

Henssler/Deckenbrock: Einverständliche Ehescheidung und anwaltlicher Parteiverrat; Monatsschrift für Deutsches Recht - MDR 2003, 1085

Lehmann: Mandanteninteresse und Parteiverrat; Juristische Rundschau - JR 2018, 312