Endlich: BGH lockert Haftung von Führungskräften in der Insolvenz

Zivilrecht, Prozess und Zwangsvollstreckung
28.09.2007 2038 Mal gelesen

Manchmal legt die Rechtsordnung dem Bürger Pflichten auf, die dieser überhaupt nicht erfüllen kann. Eine solche Vorgehensweise musste bislang dem Bundesgerichtshof attestiert werden. Da sich Zivil- und Strafsenate in der Vergangenheit nicht einigen konnten, sahen sich Vorstände von in die Krise geratenen Unternehmen in der misslichen Lage zwei Pflichten auf einmal erfüllen zu müssen: Auf der einen Seite besteht die Pflicht Steuern und Sozialabgaben zu leisten. Behält der Unternehmer diese ein, ist er nicht nur persönlich zu deren Erstattung gegenüber dem Fiskus und dem Sozialversicherungsträger verpflichtet, sondern macht sich zugleich auch noch wegen Vorenthalten von Beiträgen zur Sozialversicherung strafbar. Auf der anderen Seite ergibt sich aus dem Aktiengesetz und dem GmbH-Gesetz die Pflicht zur Sicherung der Insolvenzmasse. Die zuvor geleisteten Zahlungen an den Fiskus und den Sozialversicherungsträger sind also auf Klage des Insolvenzverwalter an die Gesellschaft zurückzuerstatten. Fazit:

Ob der Unternehmer also Steuern und Sozialabgaben geleistet hat oder nicht, Probleme bekam er auf jeden Fall.

Dieser misslichen Lage hat sich nun der Bundesgerichtshof (Az.: II ZR 48/06) endlich angenommen. In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt war nämlich beschriebene scheinbar ausweglose Situation eingetreten: Das Vorstandsmitglied einer Aktiengesellschaft wurde in Anspruch genommen, die geleisteten Beiträge zur Sozialversicherung an die in Insolvenz geratene Gesellschaft zurückzuerstatten. Beiträge, die er - wohl gemerkt - aufgrund einer bestehenden rechtlichen Pflicht geleistet hat und zu deren Leistung er sich daher zu Recht auch verpflichtet fühlen durfte.

Nach dem Urteil des Bundesgerichtshof soll diese Rückgewährpflicht der Sozialversicherungsbeiträge in der Insolvenz nun doch nicht bestehen. Der Bundesgerichtshof argumentierte hier mit der sogenannten "Einheit der Rechtsordnung", um der Pflichtenkollision ein Ende zu bereiten. Dem Unternehmer sei nicht zuzumuten, die Massesicherungspflicht zu erfüllen, wenn er sich dadurch strafrechtlicher Verfolgung aussetzen würde.

Darüber hinaus hat der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung noch einen zweiten Weg aus der Haftungsfalle der Insolvenz gewiesen: Eine Haftung wegen Verletzung der Insolvenzantragspflicht soll nämlich auch dann ausscheiden, wenn er sich in der kritischen Phase den Rat eines unabhängigen, fachlich qualifizierten Berufsträgers eingeholt hat. Als berechtigt zu dieser Beratung werden in der Rechtsprechung Wirtschaftsprüfer und Rechtanwälte genannt. Hierbei ist jedoch unbedingt darauf zu achten, dass eine schlichte Anfrage alleine nicht ausreicht. Der Bundesgerichtshof setzt an die Anfrage hohe Anforderungen: Der Berater ist über alle erheblichen Umstände umfassend zu informieren und der erteilte Rat ist vom Ratsuchenden noch persönlich einer "Plausibilitätskontrolle" zu unterziehen. Erst wenn nach einer daraufhin erteilten Antwort auf die Stellung eines Insolvenzantrages verzichtet wird, scheidet eine Haftung wegen Verletzung der Insolvenzantragspflicht aus.

Um gar nicht erst in die Haftungsfalle zu geraten, empfiehlt es sich daher also unbedingt schon im Vorfeld der Krise umfassenden fachanwaltlichen Rat einzuholen.

Volker Schneider
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Insolvenzrecht