Der GmbH-Geschäftsführer darf alles, nur nicht anständig sein, wenn er nicht nach §§ 823 II BGB, 266 a StGB persönlich auf die Sozialversicherungsbeiträge haften will

Wirtschaft und Gewerbe
18.11.20062320 Mal gelesen

Der Geschäftsführer einer GmbH ist  wegen Vorenthaltens von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung auch dann  gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266 a StGB haftungsrechtlich verantwortlich, wenn die GmbH zwar zum Fälligkeitszeitpunkt  nicht über die erforderlichen Mittel verfügt, er es jedoch pflichtwidrig unterlassen hat, die Erfüllung dieser Verpflichtung durch  Bildung von Rücklagen, notfalls auch durch Kürzung der Nettolohnzahlung sicherzustellen (st. Rspr. vgl. BGHZ 134, 304, 309).

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL

II ZR 108/05

Verkündet am:
25. September 2006

in dem Rechtsstreit

Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 25. September 2006 durch den  Vorsitzenden Richter Prof.Dr. Goette und die Richter Kraemer, Dr. Strohn, Caliebe und Dr. Reichart

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Bückeburg vom 8. März 2005 aufgehoben.

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Stadthagen- 41 C 253/04 (II) - vom 27. Oktober 2004 wird  zurückgewiesen.

Die Kosten der Rechtsmittelverfahren hat der Beklagte zu tragen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Beklagte war im Jahr 2003 Geschäftsführer der C. GmbH, auf deren am24. April 2003 gestellten Antrag am 1. Juni 2003 das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist. Die spätere Insolvenzschuldnerin zahlte dem bei ihr tätigen Arbeitnehmer B. für  den Monat Februar 2003 den Nettolohn, blieb jedoch den Arbeitnehmeranteil zur Sozialversicherung in Höhe von 609,49 EUR  schuldig; sie beglich diesen ausstehenden Betrag auch nicht, als im April 2003 eine Zahlung von 50.000,00 EUR bei ihr  einging. Die klagende -  zum 1. Januar 2005 mit der zuständigen Einzugstelle vereinigte - Betriebskrankenkasse verlangt von  dem Beklagten, gestützt auf § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266 a StGB, Ersatz dieses Betrages.

Der Beklagte hat sich darauf berufen, ihm sei die Abführung des Arbeitnehmeranteils zum Fälligkeitszeitpunkt (15. März 2003)  nicht möglich gewesen. Die Gesellschaft habe nicht über die erforderlichen Zahlungsmittel verfügt, sie habe sich Ende  Februar/Anfang März 2003 in einem erheblichen Liquiditätsengpass befunden. Er habe auf die - nicht eingehaltenen - Zusicherungen der niederländischen Muttergesellschaft vertraut, dass der Gesellschaft Ende März bzw. Ende April liquide Mittel zufließen würden. Die Gesellschaft sei spätestens zum 1. März 2003 wegen Eintritts der Zahlungsunfähigkeit insolvenzreif gewesen.

Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Mit  der - vom Berufungsgericht zugelassenen Revision - verfolgt die Klägerin ihr Klageziel weiter.

Entscheidungsgründe:

Die Revision der Klägerin ist begründet und führt unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur Zurückweisung der  Berufung des Beklagten und zur Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils.

I. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:

Die spätere Insolvenzschuldnerin habe am 15. März 2003, demFälligkeitszeitpunkt der Arbeitnehmerbeiträge für Februar  2003, nicht über die finanziellen Mittel verfügt, um diese Verpflichtung zu erfüllen. Die Klägerin sei der sie treffenden  Darlegungs- und Beweislast, dass dem Beklagten die Abführung der Arbeitnehmeranteile  möglich gewesen wäre, nicht  nachgekommen. Die Nichtbegleichung der Beitragsschuld aus den der Gesellschaft  im April 2003 zugeflossenen Mitteln  führe nicht  zur Haftung des Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGBi.V.m. § 266 a StGB, vielmehr lasse die Unmöglichkeit  der Pflichterfüllung zum Fälligkeitszeitpunkt die Tatbestandsmäßigkeit des § 266 a StGB entfallen.

II. Dies hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.

1. Im Ausgangspunkt noch zutreffend ist allerdings die Annahme des Berufungsgerichts, dass der Geschäftsführer nach § 823 Abs. 2 BGBi.V.m. § 266 a StGB nicht haftet, soweit ihm die Abführung der Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung zum Fälligkeitszeitpunkt mangels verfügbarer Mittel nicht möglich war, und dass die Darlegungs-und Beweislast hinsichtlich der Möglichkeit normgemäßen Verhaltens des Geschäftsführers bei der Sozialkasse liegt (BGHZ 133, 370, 379 f.; BGH,Urt. v. 11. Dezember 2001 - VI ZR 123/00, ZIP 2002, 261, 262 f. und -VI ZR 350/00, ZIP 2002, 524; Sen.Urt. v. 18. April 2005 - II ZR 61/03,ZIP 2005, 1026, 1028).

2. Wie die Revision mit Recht rügt, hatd as Berufungsgericht jedoch verkannt, dass die Tatbestandsmäßigkeit i.S.des § 266 a Abs. 1 StGB hier nicht wegen Unmöglichkeit der Entrichtung der geschuldeten Beitragsleistung aufgrund fehlender Mittel ausgeschlossen ist, weil der Beklagte den Nettolohn für den betreffenden Monat in voller Höhe ausgezahlt hat.

Der Geschäftsführer hat als Arbeitgeber i.S.von § 266 a StGB dafür Sorge zu tragen, dass ihm die zur ordnungsgemäßen Abführung der - auf den geschuldeten Lohn entfallenden - Arbeitnehmeranteile notwendigen Mittel bei Fälligkeit zur Verfügung stehen. Drängen sich wegen der konkreten finanziellen Situation der Gesellschaft deutliche Bedenken auf, dass zum  Fälligkeitszeitpunkt  ausreichende Zahlungsmittel vorhanden sein werden, muss der Geschäftsführer nach gefestigter  höchstrichterlicher Rechtsprechung (BGHZ 133, 370, 379 f.; BGHZ 134, 304, 308 f.; Sen.Urt.v. 15. September 1997 - II ZR  170/96, ZIP 1998, 42, 43 = BGHZ 136, 332;BGH, Urt. v. 14. November 2000 - VI ZR 149/99, ZIP 2001, 80, 81) durch Bildung  von Rücklagen, notfalls durch Kürzung der Nettolöhne sicherstellen, dass am Fälligkeitstag die Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung fristgerecht an die zuständige Einzugsstelle entrichtet werden können.

Gegen diese Pflicht hat der Beklagte verstoßen. Er hat am 7. März 2003 - nur wenige Tage vor Fälligkeit des für Februar 2003  geschuldeten  Arbeitnehmerbeitrags - den Nettolohn für diesen Monat ungekürzt ausgezahlt, obwohl er wusste, dass er  die Beitragsschuld bei Fälligkeit nicht würde erfüllen können. Denn nach seinem eigenen Vorbringen konnte er nicht erwarten,  dass der Gesellschaft, die schon Ende Februar/Anfang März einen erheblichen Liquiditätsbedarf hatte, bis zum  Fälligkeitszeitpunkt am 15. März liquide Mittel zufließen würden.

Dafür, dass die Gesellschaft zum Zeitpunkt der verspäteten Lohnzahlung im insolvenzrechtlichen Sinne zahlungsunfähig war,  ergeben sich aus dem in sich widersprüchlichen und nicht konkretisierten Vortrag des Beklagten keine  hinreichenden Anhaltspunkte.

3. Das Berufungsurteil unterliegt deshalb der Aufhebung, ohne dass es auf den - von den Instanzgerichten für maßgeblich  erachteten - späteren Liquiditätszufluss und die von demBerufungsgericht für rechtsgrundsätzlich erachtete Frage ankommt.

 

Anmerkungen:

Mich lässt schon die Diktion schaudern:

"Der Geschäftsführer hat als Arbeitgeber i.S. von § 266 a StGBdafür Sorge zu tragen, dass ihm die zur ordnungsgemäßen  Abführung der - auf den geschuldeten Lohn entfallenden - Arbeitnehmeranteile notwendigen Mittel bei Fälligkeit zur Verfügung stehen."

 

Ordnung ist alles, geht über alles. Ordnungsgemäß und kontrolliert mussdie Welt in den Abgrund marschieren, denn sonst könnte ja womöglich eine Panik ausbrechen, jawoll Herr Hauptmann. Wir kennen das.

Wenn der Geschäftsführer die Mittel nicht hat, und seine Muttergesellschaft sie ihm auch nicht gibt, muss er nötigenfalls eine  Bank überfallen und ausrauben, denn er hat ja nun mal dafür Sorge zu tragen......und weil er nun eine Bank eben nicht ausrauben darf, ist er in einer Situation, die man tragisch nennt: Was auch immer er tut, und was er nicht  tut:  Es ist falsch.

Ein preußischer Offizier hätte in dieser Situation wegen "Ehrverlust seinen Abschied genommen" (Minna von Barnhelm",  ein Japanischer Edelmann Sepuko, rituellen Selbstmord, begangen. Vielleicht erwartet der BGH so was Ähnliches vom GmbH-Geschäftsführer, den seine Muttergesellschaft im Stich lässt.

Mit diesem Urteil im Hintergrund ist dumm dran der Geschäftsführer, der sich bewusst ist, dass alles Handeln in dieser Welt  menschliches Handeln ist und letztlich dazu bestimmt, in dieser arbeitsteiligen Welt Menschen beim Überleben zu helfen. 

Dumm dran ist der, der seine Leute vor Augen hat und deren Angehörige, die vom Ertrag der Arbeit dieser Leute leben und in mehr oder weniger große Schwierigkeiten geraten, wenn am Monatsende der Lohn fehlt, die Miete,  die Rate fürs Auto nicht bezahlt werden kann, der Kühlschrank leer ist, das Kind die Klassenfahrt oder die neue Brille nicht bezahlen kann etc,  während keine Krankenkasse und kein Rentenversicherungsträger den Nadelstich des Fehlens der Arbeitnehmerbeiträge für einen Monat wirtschaftlich auch nur bemerkt.

Dumm dran ist also der, den Kindern seiner Angestellten was zu essen gibt, der die Nettolöhne auszahlt,   und die Arbeitnehmerbeiträge nicht.

Der hingegen, den man gewöhnlich den "Drecksack" nennt,  - Analysten mögen ihn als smart bezeichnen  -  der in erster Linie an sich und dann daran denkt, seinen Hintern in Sicherheit zu bringen, der zuerst die Institutionen bedient und dann die Menschen, ist fein raus.

Darf es wirklich geschehen, dass Anständigkeit mit persönlicher Haftung bestraft wird, während "ordnungsgemäßes", freilich menschlich unanständiges Verhalten, mit Haftungsfreiheit belohnt wird?

Müßte unser oberstes Zivilgericht nicht die Größe und die Freiheithaben, sich vom Buchstaben zu lösen und der ratio des Gesetzes zu folgen, müßten die Richter nicht über die soziale Intelligenz verfügen, zu erkennen, dass die Gesetze für die Leute gemacht sind und nicht die Leute für die Gesetzesbeobachtung?

Diese Konsequenz hat der Gesetzgeber nie gewollt. Er wollte verhindern, dass sich wer mit den Beitragsanteilen seiner Leute im Sack in die Büsche schlägt, um das hier in der zulässigen Kürze zu formulieren.

Selbst in England gilt seit geraumer Zeit:  "Law must be just".

Das Revisionsurteil ist auch noch widersprüchlich, mindestens mißverständlich:

Wollte der Geschäftsführer die Bruttolöhne so einkürzen,dass er die daraus sich errechnenden Nettobeträge und die daraus sich ergebenden Arbeitnehmeranteilejeweilsbei Fälligkeit aus den verfügbaren Mitteln bezahlen konnte, under sichdamit aus der privaten Haftung gestohlen hätte, stünde ihmdieEntscheidung selbst im Wege,weil er nach ihr ja Sorge zu tragen habedafür, dass ihm die zur ordnungsgemäßen Abführung der - auf den geschuldeten Lohn entfallenden-Arbeitnehmeranteile notwendigen Mittel bei Fälligkeit zur Verfügungstehen. Auch hier: Recht ist nicht,was den Menschen nützt, sondernRecht ist, was dem Staat nützt: Er nimmt zuerst weg, um möglicherweisedann wieder zu geben.

Selbst der frühere Kölner Kardinal Frings hatte den Menschen erlaubt, Kohle zu klauen, wenn das das Mittel war, sie vor dem Erfrieren zu retten. Der aber war ein Herr, ein großer Herr.

 

Alles in allem bleibt der bittere Geschmack jenes unangenehm berührenden Rechtsverständnisses. Gesetz ist Gesetz.

 

Es hilft dem Senat nicht, sichhinter "gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung" (zum Teil dereigenen) zu verstecken, die  ja bisweilen auch des Kaisers neueKleider darstellen  könnte: Fadenscheinig, ein dünnes Nichts.(Abgesehen davon, dassfür meinen Geschmack das "höchstrichterliche" viel zu nahebei "Obrigkeit" liegt, wobei wir dann wieder bei der Diktionwären.

 

Nebenbei: (Es gäbe keine höchstrichterliche Rechtsprechung, wenn niedrigstgerichtliche Rechtsprechung die nicht initiiert hätte)

 

Nun ist man ja nicht dumm. Man weiß ja, was man da judiziert. Es liegt deshalb nahe, vor dem Hintergrund einer so unangenehmen Situation das Berufungsurteil nicht selbst aufzuheben. Das ist eher peinlich.

Was macht man stattdessen, zumindest sprachlich, wenn man sich nicht die Hände schmutzig machen möchte? Man lässt das Urteil sich selbst erledigen.

"Das Berufungsurteil unterliegt deshalb der Aufhebung".

Man muss jetzt gar nichts mehr tun, weil das Urteil des dummen,dummen Landgerichts Bückeburg,  das sich auch noch erdreistet hat, mal was neue szu denken und mit der Revisionszulassung den BGH zu belästigen, sich von selbst  zum großen Abgrund der Unwissenheit bewegt hat und in den Orkus des justiziellen Nichts gesprungen ist.

Ich hätte meinem Mandanten geraten, die Sache vor dasBundesverfassungsgericht zu bringen, weil ich über den Angriff aufdessen Anständigkeit den Art. 1 GG (Menschenwürde) und den Art. 2 GG(freie Entfaltung der Persönlichkeit) verletzt sehe.

 

Kein GmbH Fremd-Geschäftsführer darf dafür bestraft werden, dass er den Anspruch der Kinder "seiner" Angestellten auf Überleben höher bewertet als den der Beriebskrankenkasse auf pünktlichen Erhalt der Arbeitnehmerbeiträge.

 

Eckhard Benkelberg

Rechtsanwalt

Fachanwalt für Familienrecht

Steinstraße 10

46446 Emmerich am Rhein

www.famrecht.de